Cover
Titel
Ein deutscher Amerikaner. Der kosmopolitische Demokrat Hans Simons, 1893-1972


Autor(en)
Heß, Philipp
Reihe
Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 24
Erschienen
Göttingen 2018: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
379 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benno Nietzel, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

In den Forschungen zum deutschsprachigen Exil in den Vereinigten Staaten nach 1933 spielte Hans Simons bisher keine herausragende Rolle. Dabei war der 1935 nach Amerika übergesiedelte deutsche Völkerrechtler und Verwaltungsbeamte seit 1950 für zehn Jahre Präsident der New School for Social Research, die wie keine andere US-Hochschule der intellektuellen Emigration aus Europa eine Zufluchtsstätte bot. Im Gegensatz zu den in der Forschung vielbeachteten Vertretern der Frankfurter Schule zeichnete sich Simons weniger durch ein bleibendes wissenschaftliches Œuvre aus, sondern wirkte, ähnlich wie der ebenfalls kürzlich mit einer Monographie bedachte New School-Kollege Hans Speier1, vor allem als Hochschul- und Bildungsmanager sowie als politischer Berater. In der von Phillip Heß an der Universität Jena als Dissertation eingereichten biographischen Arbeit wird das bewegte Leben von Hans Simons nun in neun chronologisch-thematischen Kapiteln erstmals umfassend dargestellt.

Die ersten vier Kapitel sind dem Leben in Deutschland gewidmet. Simons wurde 1893 in eine großbürgerliche Familie hineingeboren. Sein Vater Walter Simons war in der Weimarer Republik ein einflussreicher Politiker, der 1920/21 kurzzeitig als Außenminister amtierte und seit 1922 Präsident des Reichsgerichts war. Dem Sohn wurde durch die väterlichen Verbindungen schon früh ein Weg in die Politik eröffnet: Gemeinsam mit dem Vater nahm Simons an den Friedensverhandlungen in Versailles teil und wurde anschließend Schriftführer der Deutschen Liga für Völkerbund. 1922 wurde er im Alter von 29 Jahren Direktor der Berliner Hochschule für Politik, war daneben aber auch in verschiedenen Positionen der Ministerialverwaltung tätig.

Die 1920er-Jahre waren so für Simons die Zeit einer atemberaubend steilen Karriere, aber auch eines politischen und persönlichen Emanzipationsprozesses. Durch die Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg zum Pazifismus bekehrt, engagierte sich Simons trotz der Enttäuschung über die Versailler Friedensbedingungen für die Idee des Völkerbundes, Frieden und internationale Verständigung. Nachdem er 1924 die kurzlebige Republikanische Partei Deutschlands als eine linksbürgerliche Sammlungsbewegung mitgegründet hatte, trat er nach deren Scheitern in die SPD ein und entfernte sich von seinem bürgerlichen Hintergrund sowie vom revisionistischen Konsens großer Teile des politischen Establishments. Als Direktor der Hochschule für Politik vertrat Simons ein Konzept überparteilicher politischer Bildung, das die Bürger zu mündigen Demokraten erziehen helfen sollte. Es gelang ihm, intensive Kontakte zu US-amerikanischen Stiftungen aufzubauen und erhebliche Fördergelder zu akquirieren. Für die Lincoln-Stiftung baute er ein Netzwerk von Vertrauensleuten auf und suchte nach talentierten Stipendiaten, die für eine demokratische Zukunft des Deutschen Reiches standen. 1930 wurde er mit 38 Jahren der jüngste Regierungspräsident des Preußischen Staates.

Die Absetzung der preußischen Regierung durch die konservative Reichsregierung unter Franz von Papen bedeutete für Hans Simons ein jähes Karriereende, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war eine Rückkehr in den Staatsdienst vollends ausgeschlossen. Simons eruierte nun Möglichkeiten, im Ausland einen beruflichen Neuanfang zu wagen. Zwar verfügte er über gute Verbindungen in verschiedene Länder, war aber trotz einer völkerrechtlichen Dissertation zum Versailler Frieden und einigen Veröffentlichungen als Wissenschaftler wenig profiliert. Erst durch einen Zufall gelangte er nach einem längeren Zwischenaufenthalt in der Schweiz 1935 an die New Yorker New School.

Die folgenden fünf Kapitel des Buches widmen sich dem „zweiten Leben“ des Hans Simons als Amerikaner. In den Vereinigten Staaten wirkte Simons zunächst als Politikwissenschaftler, schwenkte bald aber wieder auf das Gebiet des Wissenschaftsmanagements um, auf dem seine eigentlichen Stärken lagen. Nach dem Kriegsausbruch in Europa und dem Eintritt der USA in den Krieg richtete er als Fakultätsdekan die New School darauf aus, kriegsrelevante akademische Expertise bereitzustellen und Pläne für eine künftige Friedensordnung zu erarbeiten. Kurzzeitig war Simons auch als Deutschlandexperte für das Office of Strategic Services tätig, sein genauer Beitrag dort lässt sich allerdings kaum benennen. Nach Kriegsende gelangte Simons in eine besatzungspolitische Schlüsselposition, als er 1947 als Mitarbeiter der amerikanischen Militärregierung nach Deutschland zurückkehrte. Er agierte als Verbindungsoffizier zum Parlamentarischen Rat und wirkte in dieser Stellung maßgeblich auf die Verhandlungen über das Grundgesetz der Bundesrepublik ein. Dabei war Simons allerdings nicht unbedingt, wie es der Buchtitel suggeriert, ein Vermittler zwischen Amerikanern und Deutschen. Seit 1940 US-Staatsbürger, begriff er seine Aufgabe klar als Vertretung und Durchsetzung amerikanischer Vorstellungen und Interessen. Zu den deutschen Parteigenossen aus der SPD hatte er jeden Bezug verloren, kehrte auch in späteren Jahren allenfalls für kürzere Aufenthalte nach Deutschland zurück. Seinem in Deutschland zurückgebliebenen Sohn aus erster Ehe schrieb Simons bald nur noch auf Englisch.

1950 zum Präsidenten der New School gewählt, widmete Hans Simons diesem Amt seine nächsten zehn Lebensjahre, in denen er hauptsächlich mit administrativen Tätigkeiten und Fundraising beschäftigt war. Er manövrierte die Hochschule durch die politischen Klippen des McCarthyismus und ließ im Rahmen eines ambitionierten Entwicklungsprogramms mehrere Gebäude errichten, in denen die New School bis heute residiert. An den Ruhestand 1960 schloss sich dann unverhofft noch eine weitere Karriere an. Für ein Jahrzehnt war Simons als Berater der Ford Foundation in Indien und Lateinamerika tätig, wo er prägenden Einfluss auf die Entwicklung der Hochschulsysteme nahm und sich besonders für allgemeinbildende Lehrinhalte einsetzte.

Der Autor des Buches hat sich für das Format der Biographie entschieden, obwohl die Bedingungen dafür nicht unbedingt günstig waren. In den letzten Jahren seines Lebens vernichtete Hans Simons sämtliche persönlichen Papiere und sprach sich dezidiert dagegen aus, zum Objekt historischer Forschungen zu werden. Die Folge ist, dass der Protagonist in der Darstellung fast ausschließlich in seinen äußeren beruflichen Stationen und seinen offiziellen Veröffentlichungen2 greifbar wird. Während sich etwa die dramatische Suche nach einer Universitätsanstellung im Ausland minutiös aus den Akten der Rockefeller-Stiftung rekonstruieren lässt, bleiben andere Lebensphasen und -aspekte dagegen eher blass. Auf private Korrespondenz muss die Untersuchung als Quelle fast gänzlich verzichten. Das betrifft etwa die durchaus interessante Familiengeschichte: Obwohl sein Sohn aus politischen Gründen das Land verlassen musste, arrangierte sich Walter Simons mit dem NS-Regime und vertrat sogar öffentlich dessen außenpolitische Ziele. Die Schwester Tula, verheiratet mit dem NS-Verfassungsrechtler Ernst Rudolf Huber, war glühende Anhängerin des Nationalsozialismus, der Sohn aus erster Ehe meldete sich freiwillig zur Wehrmacht und kehrte als hochdekorierter Offizier aus dem Krieg zurück. Wie die Familienmitglieder es bewerkstelligten, unter diesen Umständen weiterhin gute Beziehungen untereinander zu pflegen, darüber kann das Buch leider keine Auskunft geben.

Persönliche Betrachtungen und Reflexionen des Protagonisten bleiben in der Darstellung also weitgehend außen vor, aber auch Blicke von anderen auf Simons finden kaum Erwähnung. Die personellen Netzwerke, in denen er sich bewegte, werden ebenfalls kaum genauer ausgeleuchtet. Die historischen Zeitkontexte zeichnet der Autor mit schnellen Strichen, hierzu etwas beizutragen ist nicht sein Ansinnen. Der Fokus liegt ganz und allein auf der Hauptperson. Wer also Genaueres über allgemeinere Themen wie die junge linksbürgerliche Generation in der Weimarer Republik, die Strukturen des deutschsprachigen Exils, den Beitrag von Emigranten zur US-Politik, die Entstehung des Grundgesetzes oder das weltweite Engagement von US-Stiftungen erfahren will, muss nicht zwangsläufig zu diesem Buch greifen. Wer aber das von den Zeitläuften des 20. Jahrhunderts tief geprägte und vom Autor mit unverhohlener Sympathie geschilderte Leben eines deutsch-amerikanischen Kosmopoliten verfolgen möchte, den erwartet eine spannend und schnörkellos geschriebene Arbeit, die man nur ungern wieder aus der Hand legt.

Anmerkungen:
1 Daniel Bessner, Democracy in Exile. Hans Speier and the Rise of the Defense Intellectual, Ithaca 2018.
2 Merkwürdigerweise wurde offenbar versäumt, die Publikationen von Hans Simons in das Literaturverzeichnis aufzunehmen oder gesondert aufzulisten.