H. Meinander: Finnlands Geschichte

Cover
Titel
Finnlands Geschichte. Linien, Strukturen, Wendepunkte


Autor(en)
Meinander, Henrik
Reihe
Veröffentlichung der Aue-Stiftung 32
Erschienen
Anzahl Seiten
319 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marit Kleinmanns, Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Es gibt Bücher, die haben sich in den jeweiligen nationalen Literaturkulturen etabliert, es jedoch bislang nicht in den deutschen Sprachraum geschafft, da sie nicht in Übersetzung vorlagen. Eines dieser Bücher ist „Finnlands Geschichte. Linien, Strukturen, Wendepunkte“ von Henrik Meinander. Ursprünglich wurde die Publikation im Jahr 2006 auf Schwedisch und auf Finnisch veröffentlicht und ist seitdem in verschiedene Sprachen übersetzt worden. Anlässlich des Jubiläums der finnischen Unabhängigkeit, die sich dieses Jahr zum 100. Male jährt, wurde Meinanders umfängliches Werk über die Geschichte Finnlands nun auch ins Deutsche übertragen.

Mehr als 500 Jahre war Finnland ein Teil des schwedischen Königreichs, gehörte dann mehr als ein Jahrhundert als Großfürstentum zum russischen Reich, bis 1917 schließlich die Unabhängigkeit als souveräner Staat folgte und mit dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 der Weg zurück in Richtung Integration in ein größeres Ganzes führte. Entlang dieser historischen Fixpunkte betrachtet der Autor Finnland in seinem internationalen Kontext in Europa und der Welt. Das Werk zeigt die historischen Linien und Wendepunkte der finnischen Geschichte und Politik auf, erklärt die Entstehung einer Nation und veranschaulicht eindringlich, wie und warum nationale Identität und Gedanken in bestimmten Kontexten entstehen und weshalb sie zu anderer Zeit wieder abklingen oder gänzlich verschwinden können.

Das erste Kapitel des Buches beschäftigt sich überblickshaft mit dem Raum, den wir heute als Finnland bezeichnen, und zwar von den ersten Relikten, die vermutlich von Neandertalern vor mehr als 40.000 Jahren hinterlassen wurden, über die Wikingerzeit, die eine Ausbreitung der finnischen Siedlungen und Kultur mit sich brachte, bis hin zu drei christlichen Kreuzzügen, die im 12. und 13. Jahrhundert nach Finnland unternommen wurden, und die die vornehmlich friedlich verlaufende Christianisierung Finnlands begleiteten, und schließlich zur Entstehung des schwedischen Königreiches im 14. Jahrhundert, dem Finnland angehörte.

Der häufig recht stiefmütterlich behandelten sogenannten „Schwedischen Zeit“ widmet der Autor viel Aufmerksamkeit. Über die Kapitel zwei und drei handelt er ausführlich die schwedische Innen- und Außenpolitik sowie die Kirchenpolitik ab und erläutert deren Auswirkungen auf die Provinz Finnland. Insbesondere die schwedische Großmachtzeit, in deren Zeit auch die Einführung der lutherischen Ideen fällt, mit der Expansion des Reiches ins Baltikum haben große Auswirkungen auf die finnische Bevölkerung. Die Provinz erfuhr durch das „Grüne Gold“, Fichten die zur Teergewinnung angepflanzt und zum wichtigsten Exportgut der Region wurden, einen regelrechten Aufschwung. Durch den anschließenden Großen Nordischen Krieg zwischen Schweden und Russland, der mit der Besatzung von Teilen Finnlands durch das Russische Reich einherging, verlor das Schwedische Königreich große Teile seines in der Expansionszeit neu-akquirierten Staatsgebiets. Die Region Karelien und die Stadt Wyborg gingen an Russland über, während nur der westliche Teil unter schwedischer Herrschaft verblieb.

Das nächste Kapitel behandelt die Zeit, in der Finnland gleichermaßen von Schweden, als Teilgebiet des Reiches, und von Russland, das mit der Neugründung seiner Hauptstadt in Sankt Petersburg sehr viel näher an Finnland herangerückt war, beeinflusst wurde. Trotz der Teilung konnten die beide Teile Finnlands von einem wirtschaftlichen und sozialen Wandel profitieren, was einen Anstieg der Bevölkerungszahl und einen zunehmenden Wohlstand zur Folge hatte. Dieser Aufschwung war jedoch nur von kurzer Dauer, denn bereits 1788 nahm der schwedische König den Russisch-Osmanischen Krieg zum Anlass, die verlorenen Gebiete Finnlands zurück zu erobern, ein Unterfangen, das nicht von Erfolg gekrönt war. Der darauffolgende Russisch-Schwedische Krieg von 1808/09 hatte hingegen viel weitreichendere Folgen. Die schwedische Krone musste sich dem russischen Zaren geschlagen geben und Finnland sowie die Åland-Inseln und Teile der Provinz Västerbotten vollständig an Russland abtreten. Mit einem Mal verlor das Königreich etwa ein Drittel seines Staatsgebiets und ein Viertel seiner Bevölkerung. Die Bevölkerung Finnlands nahm diesen Umstand eher stoisch hin, da das Königreich nicht in der Lage bzw. gewillt gewesen war, die Region vor äußeren Einflüssen zu schützen.

In den Kapiteln fünf und sechs beschreibt der Autor die mit der Integration des neu entstandenen Großfürstentums Finnland ins Russische Reich einhergehenden Veränderungen. Der Zar verlegte die Zentralverwaltung von der ehemaligen Provinzhauptstadt Turku nach Helsinki, das im Krieg abgebrannt war, und dass er mit russischen Geldern, nach dem architektonischen Vorbild Sankt Petersburgs, wieder aufbauen ließ. In politischen und religiösen Belangen erhielt Finnland eine Sonderstellung im zarischen Reich, so durfte die Bevölkerung den lutherischen Glauben beibehalten und die schwedische Ständeordnung blieb bestehen. Diese sehr liberale Einstellung gegenüber Finnland und die Aufforderung des Zaren, sich nunmehr als Finnen zu fühlen, was als Aufruf zur Lösung von Schweden gedacht war, führten dazu, dass sich die Bevölkerung der eigenen Identität und Sprache bewusst wurde. So gewann die Idee einer finnischen „Volksgemeinschaft“ (S. 136) bis 1840 immer mehr an Zuspruch. Mit Beginn des Krimkrieges und den politischen Wirren im restlichen Europa begann jedoch eine neue Entwicklung der immer weiterverbreiteten intellektuellen und literarischen nationalen Visionen. Einerseits belohnte der Zar die Loyalität der Finnen während des Krieges, in dem das Großfürstentum weitere Sonderrechte erhielt. Andererseits wurde versucht, es näher an das zarische Reich zu binden, während die finnische Bevölkerung ihre Heimat immer mehr als autonomer Staat im Russischen Reich empfand. Dieser Konflikt nahm ein abruptes Ende, als im Zuge der Russischen Revolution der Zar abdanken musste und die finnische Regierung dies zum Anlass nahm, am 6. Dezember 1917 die Unabhängigkeit zu erklären.

Mit der Unabhängigkeit entluden sich soziale Spannungen und politische Probleme in einem blutigen Bürgerkrieg, die in Kapitel 7 behandelt werden. Bürgerliche „weiße“ kämpften gegen sozialistische „rote“, von der Russischen Revolution inspirierte Truppen. Der Bürgerkrieg war nur von kurzer Dauer und die weißen Truppen konnten, mit Hilfe deutscher Kampfverbände, den Konflikt für sich entscheiden. Sofort nach Beendigung des Bürgerkriegs wurden ein Senat gebildet sowie Pläne zur Etablierung einer Republik entworfen. Kaarlo Juho Ståhlberg wurde mit großer Mehrheit zum ersten Präsidenten Finnlands gewählt. Der neue Staat konnte rasch ein Wirtschaftswachstum verzeichnen. Mit Einsetzen des Zweiten Weltkriegs jedoch hatte auch Finnland zu kämpfen, indem es zwischen Deutschland und Russland gleichermaßen stand. Während des Winter- und des Fortsetzungskrieges (1939–1940/1941–1944, beide gegen die Sowjetunion) sowie des Lapplandkrieges (1944–1945, gegen Deutschland) konnte der junge Staat sich gegen die beiden Mächte behaupten und als einziger Nachbarstaat der Sowjetunion und als einziger Verbündeter Deutschlands seine Unabhängigkeit und seine demokratische Verfassung bewahren.

Das achte Kapitel beschäftigt sich mit der Nachkriegszeit, in der die finnische Regierung sich bemühte, den Wiederaufbau des zerstörten Nordens voranzutreiben und einen modernen Wohlfahrtsstaat zu etablieren. Dem regierenden Staatspräsidenten Urho Kekkonen gelang ein außenpolitischer Balanceakt, mit einem Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion konnte er die Unabhängigkeit des Landes gegenüber der sowjetischen Dominanz wahren und schaffte es, durch seine Neutralitätspolitik zwischen den Blöcken zu stehen. In diesem Zuge gelang es ihm, die KSZE 1973 in Helsinki stattfinden zulassen. Der Strukturwandel, einhergehend mit der fortschreitenden Industrialisierung, Modernisierung und Mechanisierung, bescherte Finnland eine Zeit der sozialen Zufriedenheit. Auch im kulturellen Leben des Landes fand ein Wandel statt, der sich seit der Austragung der Olympischen Spiele 1952 mit einem Anwachsen des finnischen Selbstbewusstseins und einer ab den 1960er-Jahren aufblühenden Musikkultur äußerte.

Das letzte Kapitel des Buches beschreibt schließlich das Verhältnis Finnlands zur Europäischen Union. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zerfall der Sowjetunion, das den Freundschaftsvertrag zwischen Finnland und der Sowjetunion obsolet machte, orientierte sich das Land nunmehr nach Westen. 1995 wurde Finnland, gemeinsam mit Schweden und Österreich, Mitglied der EU und trat in enge Beziehungen mit der NATO, der das Land aber nicht beitrat. Auch wirtschaftliche Umwälzungen prägten die Zeit, die einer ökonomischen Achterbahn glich. Auf eine schwere Wirtschaftskrise Anfang der 1990er-Jahre folgte ein rasantes Wachstum, insbesondere in der Technologiebranche (zum Beispiel Nokia), bis das Land 2008 in eine starke Rezession fiel.

Finnland wurde und wird bis heute in seiner Politik und Geschichte stark von äußeren Faktoren beeinflusst und durch Konflikte und Kettenreaktionen in eine bestimmte Richtung gedrängt, ohne selbst großen Handlungsspielraum zu haben. Dennoch, so findet der Autor, hätten sich viele Veränderungen im Nachhinein als überraschend positiv für Finnland erwiesen.

Die Publikation richtet sich nicht ausschließlich an ein wissenschaftliches Publikum, sondern ist eher in einem populärwissenschaftlichen Stil gehalten. Es handelt sich um ein Überblickswerk, das einen sehr guten Einblick in die finnische Geschichte bietet. Meinander beschreibt klar und verständlich die Wechselfälle der finnischen Geschichte und der schwierigen geopolitischen Lage im nördlichen Zentrum zwischen Ost und West. Zu jedem Kapitel gibt es im Anhang eine ausführliche Literaturliste.

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