J. Jazo: Postnazismus und Populärkultur

Cover
Titel
Postnazismus und Populärkultur. Das Nachleben faschistoider Ästhetik in Bildern der Gegenwart


Autor(en)
Jazo, Jelena
Reihe
Image 109
Anzahl Seiten
279 S., mit zahlr. SW-Abb.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jessica Nitsche, Stiftung imai – inter media art institute, Düsseldorf

„Nach wie vor ist der Nationalsozialismus Gegenstand nicht abreißender Debatten, unzählige Male wiederholtes mediales Thema.“ (S. 7) Liest man den ersten Satz des Buches „Postnazismus und Populärkultur“ der Medienwissenschaftlerin Jelena Jazo, könnte man meinen, die 1985 geborene Autorin wolle sich ein für alle Mal von diesem Thema verabschieden. Das Gegenteil ist der Fall. Jazo bietet eine zwar nicht völlig neue, aber weiterhin anregende Perspektive, indem sie faschistoide Ästhetiken in den Blick rückt und deren „Nachleben“ in der jüngeren und jüngsten populären Kultur untersucht.1 Wer wachen Auges durch die Welt geht, wird die These kaum bestreiten, dass sich in der Populärkultur der Gegenwart Phänomene beobachten lassen, die von einem durch Faschismus und Nationalsozialismus geprägten Bildprogramm beeinflusst sind. Dass solche Bildsprachen etwa in den visuellen Strategien der Bands Rammstein oder Deutsch Amerikanische Freundschaft wiederkehren, erscheint allzu offensichtlich (schon das Kürzel „DAF“, das ebenso als Abkürzung für die „Deutsche Arbeitsfront“ gelesen werden kann, spielt mit dieser Provokation). Im Folgenden möchte ich erläutern, warum man das Buch, das dieser These 279 Seiten widmet, trotzdem lesen sollte.

„Faschistoid“ nennt Jazo Bilder, die anschlussfähig sind an die Motive, Darstellungsmodi und Inszenierungsschemata des Nationalsozialismus. Eine „faschistoide Ästhetik“ definiert sie als daran anknüpfende „Strukturgesetzmäßigkeiten in Form von charakteristischen Bildsujets, Darstellungsmitteln und -formeln“ (S. 18). Mit jenen Analogien und Bildverwandtschaften versucht sie ihrem Gegenstand auf die Spur zu kommen. Ihr Material bezieht die Autorin zunächst aus einem bewusst breit angelegten Spektrum (Kunst, Film, Internetkultur, Mode, Game- und Fankultur, Musik), um daran anschließend einen Vorschlag zu entwickeln, dieses Spektrum durch die Untersuchung wiederkehrender Codes, Motive und Formen einzugrenzen, ohne sich dabei auf ein spezifisches Medium zu beschränken.

Ob sich von einer originär faschistischen Ästhetik überhaupt sprechen lässt, bedarf der Diskussion. Dafür spricht, dass die Nationalsozialisten über ein umfangreiches macht- und herrschaftsbezogenes Bildprogramm verfügten, mit dem sie ihre eigene Mythenbildung vorantrieben. Dagegen ist einzuwenden, dass sie dieses Programm nicht selbst erfanden, sondern es aus zahlreichen bereits existierenden Ästhetiken übernahmen. Leni Riefenstahl hat einen Schönheitsbegriff gefeiert, der sich am antiken Ideal des Körpers orientierte. Ihre visuelle Sprache war nicht aus sich heraus faschistisch, sondern passte ins ästhetische und politische Konzept des Nationalsozialismus, indem sie die Verbindung von Körperkult, Ästhetik und Politik ausbaute, die auch den modernen Nationalismus seit dem 19. Jahrhundert gekennzeichnet hatte. Für Bilder, die von den Nationalsozialisten nicht eigens geschaffen, sondern von ihnen verwendet und „popularisiert“ wurden, ließen sich zahlreiche weitere Beispiele anführen. Jazo ist sich dieser möglichen Gegenposition bewusst. Ihr Argument für die Existenz einer faschistoiden Ästhetik lautet, dass bestimmte Bilder auch in nicht-faschistischen Zeichensystemen ihre faschistoide Konnotation nicht verlieren und damit als Belege für einen fortdauernden Einfluss des nazistischen Bildprogramms dienen können. In der Konsequenz dieser Argumentation sind es Jazo zufolge erst die Nachbilder, die die dominanten Elemente einer faschistischen Ästhetik sichtbar werden lassen.

Der medialen Vielgestaltigkeit der Populärkultur wird die Autorin gerecht, indem sie im dritten Teil – nach der Gegenstands- und Begriffsbestimmung einer faschistoiden Ästhetik wie auch Anmerkungen zum Pop(ulär)kultur-Diskurs – diverse Bereiche in ihre Analysen einbezieht. Die mediale Bandbreite geht jedoch auf Kosten der Intensität, mit der sie sich den einzelnen Feldern widmet. Die zwei großen Aushandlungsfelder faschistoider Ästhetik – (bildende) Kunst und Film – kommen hier entweder viel zu kurz oder hätten konsequenterweise zugunsten der weniger erforschten Gebiete ausgespart werden können. Internetkultur, Mode, Game- und Fankultur sowie Musik haben für die Leitfrage der Studie mehr als genug zu bieten. Folglich gibt es hier auch viel zu entdecken, was zwar „populär“ ist, aber doch nicht allen LeserInnen vertraut sein dürfte: etwa Nazi-Ponys mit Hakenkreuz-Armbinde und SS-Uniformversatzstücken aus dem Bereich der Fan-Art, den Blog „National-Socialists With Cats“, der Fotos von Nazis mit Katzen zeigt – letztere gehören bekanntlich zu den „Lieblingssujets“ im Internet –, die NS-Uniformästhetik von Emporio Armani und das nationalsozialistische Kostümrepertoire von Cosplay (SS-Uniform, Eichenlaub-Kragenspiegel etc.). Dass die angeführten Beispiele keinesfalls aus einer kritischen Haltung zum Dargestellten und auch nicht mit der Absicht einer Entmystifizierung entstanden sind, stellt Jazo treffend heraus und attestiert ihnen vielmehr eine „gänzlich sinnentleerte und gehaltlose Faszination für die nazistische Oberfläche, die zum Spielball einer Pop-Ästhetik wird“ (S. 63). Darauf wird gleich noch zurückzukommen sein. Während der Lektüre stellt sich zunächst die Frage, inwiefern zwischen Bildproduktionen und Rezeptionen inner- und außerhalb Deutschlands differenziert werden sollte. Denn das Angebot von Kleidung mit dem NSDAP-Parteisymbol oder einer Frisur mit dem Namen „Hitler Youth Haircut“ wird man hierzulande (zumindest im legalen Spektrum) wohl vergeblich suchen. „Germanness“ – insbesondere mit derartigen Symbolen – wird überwiegend außerhalb Deutschlands produziert. Was also passiert beim Re-Import solcher Konstruktionen? Obschon sich Jazo vielfach auf Beispiele aus dem Ausland bezieht, ist dies ist ein Aspekt, den ihre Studie weitestgehend ausspart. Der Rekurs auf aktuelle Untersuchungen wie Rosenfelds „Hi Hitler!“ hätte hier dazu dienen können, ihre eigene Position zu schärfen.2

Hinsichtlich der Qualität und Differenziertheit sticht das Kapitel zur Musik als besonders gelungen hervor. Originell ist, dass die Autorin darin nicht die akustischen, sondern die visuellen Erscheinungsweisen der Musikkultur unter die Lupe nimmt, besonders Musikvideos und Albumcover. Im Punk sieht sie ein radikales Spiel mit den Zeichen, das die Identifikation mit Ideologien im Allgemeinen attackiere. Die Verwendung einer faschistoiden Ästhetik spiele in diesem Fall dem Ziel der Provokation und des Tabubruchs in die Hände (Beispiele sind die britische Punk-Ikone Sid Vicious mit Hakenkreuz-T-Shirt, Liedtexte oder -titel wie „Blitzkrieg Bop“ der US-amerikanischen Punkband Ramones von 1976, ein Mitglied der ebenfalls US-amerikanischen Band The Stooges in Wehrmachtsuniform etc.). Am Ende des Kapitels bringt Jazo als entgegengesetztes Beispiel die dem Neofolk zuzuordnende britische Band Death in June ins Spiel, der eine Identifikation mit rechtsextremen Inhalten kaum abzusprechen ist. Hier ist die faschistoide Ästhetik weder reine Provokation noch leere visuelle Hülle. Am Beispiel dieser Band deutet sich an, dass die These zu kurz greift, aktuelle populärkulturelle Phänomene bezögen sich ausschließlich auf die visuelle Oberfläche des Nationalsozialismus. Denn eines ermöglicht das „Anything goes“ der Popkultur auch: im Gewand einer faschistoiden Ästhetik ganz ungebrochen neonazistische Inhalte zu transportieren.

Während Jazo den dritten Teil lediglich als thematische Einführung vorstellt (obschon das Kapitel weit über eine solche hinausgeht), entwickelt sie im vierten Teil mit Bezug auf Aby Warburgs Idee des Nachlebens der Bilder und der Konzeption der „shifting images“ von Birgit Richards einen bildtheoretisch ausgerichteten Analyseansatz, der im fünften Kapitel zur Anwendung kommt. Die Anbindung an bildwissenschaftliche Konzepte stellt sie zugleich als jenen Aspekt heraus, den die bisherigen Forschungsansätze zu Postnazismus und Populärkultur nicht geleistet haben. Hier widmet sich die Autorin in überzeugend strukturierter Weise vier Topoi, die sie in der populären Kultur der Gegenwart besonders häufig aufgegriffen sieht und als dominante Bilddiskurse vorstellt: die Körperästhetik Leni Riefenstahls, die Natur- und Heimatdiskurse des Nationalsozialismus, die ikonische Figur Adolf Hitler und schließlich die Inszenierungen uniformierter Massen. Nach einer ausführlichen Darstellung des jeweiligen Bilddiskurses werden vornehmlich neuere populärkulturelle Beispiele einem Close Reading unterzogen.

An dem Videoclip „Stripped“ (1998) der deutschen Band Rammstein wie auch an dem Cover des Albums „In Unserm Herzen“ (2010) der britischen Band Hurts belegt Jazo, wie eine durch Riefenstahl geprägte NS-Ästhetik bruchlos Eingang in die visuelle Kultur der Gegenwart finden kann. Das nationalsozialistische Natur- und Heimatbild konfrontiert sie mit dem Zyklus „Obersalzberg“ (seit 2010) des Fotografen Andreas Mühe und dem Musikvideo „Life is Life“ (1987) der slowenischen Band Laibach. In welchen Formen Hitler zur Ikone des Populären mutiert ist, zeigt Jazo an dem Internet-Phänomen „Hipster Hitler“ und dem Musikvideo „Ich bin Adolf Hitler“ (2013) der deutschen Hip-Hop-Band K.I.Z. Anschließend geht es um uniformierte Menschenmengen und Massenchoreographien als charakteristische Merkmale der faschistischen Ästhetik, die Jazo in dem Disney-Zeichentrickfilm „Der König der Löwen“ (1994) und auch in George Lucas’ Film „Star Wars: Episode IV – Eine neue Hoffnung“ (1977) wiederkehren sieht. Darüber hinaus rekurriert sie auch hier auf Musikvideos, und zwar auf „Alejandro“ (2010) von Lady Gaga und den Videoclip „Only“ (2014) der ebenfalls US-amerikanischen Rapperin Nicki Minaj.

Jazo kommt zu dem Schluss, dass sich faschistoide Ästhetiken von ihren originären Artikulationszusammenhängen gelöst haben, migrieren und nun ein „spukhaftes Eigenleben in den Bilduniversen der Populärkultur“ (S. 229) führen. In der Zusammenfassung fällt sie zum Teil hinter ihre eigene Analyse zurück, hat diese doch gerade einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, Licht ins Dunkel des „spukhaften Eigenlebens“ jener „Bilduniversen“ zu bringen. Einerseits schreibt die Autorin, faschistoide Bilder seien in der Populärkultur enthistorisiert, inhaltlich ausgehöhlt und zu konsumierbaren Formeln geworden, andererseits trägt ihre Studie durchaus dazu bei, diese Formeln an Bildtraditionen und konkrete ästhetische Programme aus der Geschichte der Populärkultur zurückzubinden, die alles andere als beliebig sind. Der bloßen Faszination für die Oberfläche setzt ihre Untersuchung in den Hauptkapiteln historische und bildpolitische Einordnung und Kritik entgegen. Auch mit dem medienpädagogischen Ansatz, den sie am Ende nur knapp andeutet, bleibt die Verfasserin letztlich hinter den Möglichkeiten zurück, die ihr eigenes Buch zur Ausformulierung eines solchen zu bieten hat.

Leserinnen und Lesern, die sich für die vielgestaltigen Wiedergänger einer durch Faschismus und Nationalsozialismus geprägten Ästhetik interessieren, sei Jelena Jazos Studie trotz der genannten Einwände empfohlen. Denn sie leistet (mindestens), was sie in der Einleitung verspricht: eine fundierte bildbezogene Analyse des Nachlebens faschistoider Ästhetik in der gegenwärtigen Populärkultur, mit besonderer Berücksichtigung der zumindest in der Geschichtswissenschaft bislang weniger beachteten visuellen Erscheinungsformen der Musikkultur.

Anmerkungen:
1 Vgl. Saul Friedländer, Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus, erweiterte Neuausg. Frankfurt am Main 2007 (dt. Erstveröffentlichung München 1984); Georg Seeßlen, Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur, Berlin 1994; Marcus Stiglegger, Nazi-Chic und Nazi-Trash. Faschistische Ästhetik in der populären Kultur, Berlin 2011; Georg Seeßlen, Das zweite Leben des „Dritten Reichs“. (Post)nazismus und populäre Kultur, Berlin 2013.
2 Gavriel D. Rosenfeld, Hi Hitler! How the Nazi Past is Being Normalized in Contemporary Culture, Cambridge 2015.