C. Zimmermann: Europäische Medienstädte

Cover
Titel
Europäische Medienstädte 1500–2000. Historische Kontinuitäten und urbane Kontexte der Medienproduktion


Autor(en)
Zimmermann, Clemens
Erschienen
Anzahl Seiten
234 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Christian Führer, Fachbereich Geschichte, Universität Hamburg

Historisch gesehen besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Medien – zumal den modernen Massenmedien – und den Städten: In ihnen konzentrierten sich nicht nur die Produzenten (in einem weiten Sinne) und die technischen Mittel für die Herstellung medialer Angebote, sondern für lange Zeit auch deren Konsumenten. Städtische Zentralität braucht die Medien zwar nicht zwingend; sie kann von ihnen aber ganz enorm gestärkt werden. Diese Rolle der Kommunen als „Naben“ der medialen Kommunikation (S. 9) will Clemens Zimmermann in dem hier anzuzeigenden Buch im Überblick für Europa und für den gesamten Zeitraum seit dem frühen 16. Jahrhundert darstellen. Er wählt dazu einen „individualisierten und fallzentrierten Vergleichsansatz“ (S. 38); insbesondere die „sozialen Beziehungen von Medienproduzenten […] in spezifisch städtischen Kraftfeldern“ sollen so im historischen Wandel beleuchtet werden (S. 9).

Das Buch besteht daher im Kern aus einer Reihe mediengeschichtlich fokussierter Städteporträts, die sich auf ein breites Spektrum der vorliegenden Literatur stützen. Venedig, Antwerpen und Rotterdam (die zusammen dargestellt werden), London, Frankfurt am Main und Leipzig (wiederum in einem gemeinsamen Kapitel betrachtet) sowie Berlin sind die ausgewählten Beispiele; die Länge der einzelnen Abschnitte schwankt zwischen 16 Seiten für Frankfurt/Leipzig und 36 Seiten für London. Dazu tritt eine Einleitung von rund 40 Seiten, in der die für das Thema einschlägige, sehr umfangreiche medientheoretische Literatur vorgestellt wird. Ein kurzer Blick auf die Gegenwart mit ihren paradoxen Tendenzen sowohl zur Globalisierung als auch zur Dezentralisierung und Zerstückelung der Medienlandschaft rundet den Band ab.

Da der Darstellungszeitraum sehr weit abgesteckt wurde, beginnt jedes der ausgewählten Fallbeispiele in der Frühen Neuzeit mit dem seinerzeit entstehenden Nukleus der modernen Medienwelt: den Verlagen für Bücher, Flugblätter und Pamphlete, für Landkarten und Noten. Zimmermann betont in diesen Abschnitten, wie stark dieser Entwicklungsschub sowohl von der ökonomischen Stärke der frühen Medienstädte als auch von einer halbwegs liberalen Haltung der weltlichen und kirchlichen Gewalten gegenüber den neuen Medien abhing. Hinzu trat ein sich rasch verdichtendes Netzwerk von Autoren, Verlegern, Editoren und Druckern, die intensiv miteinander kooperierten und konkurrierten. Gerade die zentrale Handelsware – der Inhalt der Druckerzeugnisse – wurde hingegen keineswegs durchweg vor Ort produziert. Im Fall von Venedig etwa lieferten die Professoren der Universität von Padua wichtige Teile des europaweit verbreiteten „content“. Auch der Niedergang einer lange Zeit florierenden und zentral bedeutsamen Medienstadt wird an den Beispielen von Venedig und der beiden niederländischen Metropolen thematisiert. Ökonomische Faktoren (etwa die Verlagerung von Handelswegen), politische Einflüsse sowie die nationale und internationale Konkurrenz anderer, neuerer Medienstädte spielten dabei eine Rolle. In diesen Abschnitten weitet sich die Darstellung zu kurzen Skizzen der jeweiligen nationalen Mediengeschichte, die bis in die Gegenwart reichen.

Die modernen Massenmedien (auflagenstarke Tageszeitungen und Publikumszeitschriften, das Kino, Rundfunk und Fernsehen) werden erst in den Kapiteln über London und Berlin ausführlicher behandelt. Auch speziellere Fragen wie etwa die stadträumliche Wanderung der Druckereien von der Innenstadt in die Außenbezirke, die den handwerklichen Teil dieser Medienwelt für die Konsumenten im 20. Jahrhundert zunehmend unsichtbar machte, finden Berücksichtigung. Zumal Berlin die Bedeutung politischer Faktoren für die Entwicklung zentraler Medienstädte belegt: Erst mit Gründung des Kaiserreichs errang Berlin seine dominierende Stellung in der deutschen Medienwelt; nach 1945 wiederum blieb davon aus rein politischen Gründen nur noch sehr wenig übrig.

Als literaturbasierte und zeitlich weitausgreifende Überblicksdarstellung gehört das vorliegende Buch in das Marktsegment „Kurze Bücher über komplexe Themen“ mit seinen ganz eigenen Regeln. Ohne Frage besitzt es große Meriten: Der flüssig formulierte Text versorgt den Leser in kurzer Zeit mit einer Fülle von Informationen und zahlreichen Literaturhinweisen. Dennoch fragt sich, ob der Untersuchungszeitraum in diesem Fall nicht doch zu weit abgesteckt wurde. Durch die ausführliche Darstellung der frühneuzeitlichen Verlagswelt erhält das Buch eine stark bildungsbürgerliche ‚Schlagseite‘. Die moderne Medienwelt, in der die Mediennutzung ja erstmals zu einer wirklich alltäglichen Angelegenheit fast aller sozialen Schichten wurde, erscheint demgegenüber als unterbelichtet. Zumal die modernen Tageszeitungen, in denen sich Stadtkultur und Medienwelt auf ganz neuartige Weise eng miteinander verzahnen, spielen nur eine untergeordnete Rolle. Selbst die fast ausschließlich in London angesiedelte britische Massenpresse mit ihren nationalen Besonderheiten wird nur ganz kurz erwähnt (S. 116f.), obwohl sie doch sowohl für das Image der Stadt als auch für das politische Klima des Landes überragend wichtig war (und ist). Auch der Abschnitt über Berlin in der NS-Zeit wirkt wenig überzeugend: Er beschäftigt sich in wenigen Sätzen ausschließlich mit der Filmproduktion (S. 174f.) und macht so nicht wirklich deutlich, wie stark die Stellung der Stadt in der massiv gegängelten Medienwelt der Nationalsozialisten tatsächlich ausfiel. Insgesamt bleibt so der Eindruck, dass es dem Text gut getan hätte, wenn sich der Autor entweder für einen Überblick über die frühneuzeitlichen Medienstädte Europas oder über die modernen Medienmetropolen des 19. und 20. Jahrhunderts entschieden hätte.