F. Opll u.a.: Wien als Festungsstadt im 16. Jahrhundert

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Titel
Wien als Festungsstadt im 16. Jahrhundert. Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini


Autor(en)
Opll, Ferdinand; Krause, Heike; Sonnlechner, Christoph
Erschienen
Köln 2017: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
578 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido von Büren, Museum Zitadelle Jülich

Nachdem Wien im Jahr 1529 eine erste Belagerung durch die Türken erfolgreich abwehren konnte, wurde die Stadt – das Zentrum habsburgischer Herrschaft über Österreich und eine der Residenzen des Kaisers – durch einen Ring aus zehn Bastion umfassend neu befestigt. Der verteidigungstechnisch hochmoderne Ausbau zog sich über drei Phasen bis 1563. Das Bastionärsystem hatte sich in den Jahrzehnten um 1500 als Reaktion auf den verstärkten Einsatz von Feuerwaffen in der Kriegsführung im oberitalienischen Raum entwickelt. Die Habsburger setzten in ihren Herrschaftsbereichen in Österreich/Ungarn wie in den Niederlanden ab etwa 1530 konsequent auf dieses Verteidigungssystem, das eine weitgehende Beherrschung des Schussfeldes vor den Wällen und Bastionen versprach. Damit verhalfen sie dem Bastionärsystem europa- und später weltweit zum Durchbruch, wenngleich auch andere Formen des Befestigungsbaus, wie die von Albrecht Dürer 1527 verfochtenen Rondelle, effektiv waren.

Mit der Aufhebung und schrittweisen Schleifung der Stadtbefestigung Wiens seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts – an ihre Stelle trat die berühmte Ringstraße mit ihren Prachtbauten – gerieten die einzelnen Festungselemente mehr und mehr in Vergessenheit. Durch die Ausgrabung beachtlicher Reste von Bastionen und Wallabschnitten in den letzten Jahren wurde das Interesse an der Vergangenheit Wiens als eine der bedeutendsten Festungsstädte in Europa neu entfacht. Dazu trat das Projekt der umfassenden Erforschung der Kunst- und Baugeschichte der Wiener Hofburg, das den Blick auf die „Bastei vor dem Burgtor“ lenkte.1

Der hier zu besprechende Band ist aus der Zusammenarbeit von Historikern und der Stadtarchäologie Wien entstanden. Er stellt in weiten Teilen eine Synthese des von den verschiedenen Disziplinen erarbeiteten Kenntnisstandes zum Wiener Festungsbau dar. Ausgangspunkt sind dabei drei detaillierte Pläne, die in der für die Militärkartographie typischen Weise der Vogelschau die Stadt Wien mit ihrem Festungsgürtel zeigen. Dabei werden auch die Lage der Stadt an der Donau und das System der Bewässerung des Stadtgrabens wiedergegeben. Der Stadtgrundriss wird auf die Straßenverläufe reduziert. Nur markante Gebäude, wie die Hofburg und die Kirchenbauten, sind in perspektivischer Ansicht eingezeichnet. Die Planfassungen, die zwischen 1564/65 und 1572 zu datieren sind, gehören zu größeren Plankonvoluten, die sich in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Sächsischen Staatsarchiv Dresden erhalten haben. Sie sind der italienischen Architektenfamilie Angielini – den Brüdern Natale und Nicolò sowie Paolo, einem Sohn Natales – zuzuordnen. Die Angielinis stammen aus Mailand. Ihr Wirken im Grenzgebiet zwischen den habsburgischen Ländern und den Osmanen ist vergleichbar mit dem der aus Bologna stammenden Baumeisterfamilie Pasqualini in den Niederlanden und am Niederrhein.2

Nach einer knappen Einleitung, die unter anderem die Hintergründe der Entstehung des Buchprojektes erläutert, wendet sich der Band in einem ersten Abschnitt konsequenterweise dem Schaffen der Familie Angielini zu, wobei neben der Präsentation biografischer Angaben vor allem die drei erhaltenen Atlanten charakterisiert und miteinander verglichen werden. Der zweite Buchabschnitt stellt den ungarischen Raum vor, auf den sich die meisten Karten und Festungsdarstellungen der Angielinis beziehen. Ferdinand Opll bietet zudem eine detaillierte Einordnung der Wien-Ansichten in den zeitgenössischen internationalen Kontext. Der vierte Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über den frühneuzeitlichen Festungsbau in Theorie und Praxis, der im vorliegenden Kontext zu einer ersten Orientierung ausreicht, die Forschungsdiskussion aber sehr verkürzt wiedergibt.

Herzstück des Bandes ist – gemeinsam mit dem sechsten – der fünfte Abschnitt, der den Ausbau Wiens zur Festungsstadt zwischen 1529 und der Mitte der 1560er-Jahre detailliert nachzeichnet. Drei Phasen werden von Heike Krause herausgearbeitet: Die erste Phase setzt unmittelbar nach der abgewehrten Belagerung von 1529 an und spannt sich zeitlich über die gesamten 1530er-Jahre. Es entstehen die ersten Basteien, wie in den entsprechenden zeitgenössischen Quellen die Bastionen in Wien genannt werden. Die zweite Ausbauphase lässt sich zeitlich zwischen 1544 und 1552/55 eingrenzen. Schließlich findet die dritte Ausbauphase zwischen 1557 und 1563 statt. Damit ist der Ausbauzustand erreicht, der in den Angielini-Plänen wiedergeben ist. Von der Bastei vor dem Burgtor, auch „Spanier“ genannt, sind dies im Uhrzeigersinn die Bastei zwischen Burg- und Schottentor, auch Neue (königliche) Bastei/Löblbastion genannt, die Bastei beim Schottentor (Schottentorbastei, Mölkerbastion), die Elendbastei bzw. -bastion, die Donaubastei (Neutorbastion), die Piattaforma zur Donau hin orientiert, ohne zurückgezogene Flankenstellungen, die Biberbastei bzw. -bastion, die Bastei bei den Predigern (Stadt-, Bürger-, Hollerstaudenbastei, Dominikanerbastion), die Untere Paradeisbastei (Jokoberbastei, Braunbastion), die Heynersbastei (Obere Paradeisbastei, Wasserkunstbastion) und die Bastei beim Kärtnertor (Augustinerbastei, Kärtnerbastion). Dazu kommen selbstredend die Wälle (Kurtinen) zwischen den Basteien und Bauten für die militärische Infrastruktur in der Stadt wie das Arsenal am Werdertor und das Zeughaus zwischen Unterer und Oberer Paradeisbastei.

Für die Festungsforschung innovativ ist der von Christoph Sonnlechner verantwortete Unterabschnitt 5.2: „Der Festungsbau aus umwelthistorischer Perspektive“, werden hier doch Fragen nach der Herkunft der nicht unerheblichen Ressourcen und der Probleme mit widrigen Umwelteinflüssen – Stichwort: „Kleine Eiszeit“ – anschaulich aus den Quellen heraus beantwortet.

Im sechsten Abschnitt werden die Angielini-Pläne von Heike Krause und Christoph Sonnlechner einem detaillierten Abgleich mit den Festungselementen, wie sie sich anhand schriftlicher und archäologischer Quellen rekonstruieren lassen, unterzogen. Dabei kommen die Autor/innen zu dem Schluss, dass die kartographische Darstellung leicht idealisiert ist. Dennoch erstaunt der hohe Detaillierungsgrad, der dem Betrachter einen umfassenden Überblick über Aufbau und Funktion der Festung ermöglichte, die in der Realität kaum möglich war. Insoweit übernimmt die teilperspektivische Darstellung der Festungselemente die Funktion eines dreidimensionalen Modells, wie es für frühneuzeitliche Festungsbauten häufig belegt ist, blieb doch die Überschauansicht den zeitgenössischen Betrachtern meist verwehrt.

Der knappen Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie in Deutsch und Englisch folgen ein Tafelteil und ein „Anhang“, der mit Glossar, Literaturverzeichnis und Register knapp die Hälfte des Bandes ausmacht. Der von Ferdinand Opll bearbeitete „Anhang“ bietet katalogartig eine Aufstellung der mit dem „Schaffen der Familie Angielini in Verbindung stehenden kartografischen Darstellungen“. Neben Landkarten sind dies vor allem Stadtpläne, Festungsgrundrisse und Schrägansichten aus dem ungarischen Raum. Nicht nur für die Angielini-Forschung ist dieser Abschnitt von unschätzbarem Wert. Bedauerlich ist jedoch, dass die Karten und Pläne nicht abgebildet werden. Der Nutzer muss somit auf ältere Editionen zurückgreifen, was nicht in jedem Fall ein einfaches Unterfangen ist, da es sich hierbei um entlegene Publikationen handelt.3 Vermutlich war für diese Entscheidung der zusätzliche Platzbedarf maßgeblich, ist der Band doch schon umfassend illustriert und nahezu 600 Seiten stark. Jenseits dessen bleibt der hohe wissenschaftliche Ertrag des Bandes für die Erforschung der Stadt Wien und weit darüber hinaus für die Festungsforschung festzuhalten. Der lizenzfreie Zugang zur Publikation im Internet4 neben der hochwertig verarbeiteten gedruckten Ausgabe wird die Verbreitung und Rezeption des Bandes sicherlich befördern.

Anmerkungen:
1 Vergleiche als Überblick Band 64 (2010), 1/2 der Österreichischen Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, das der „Wiener Stadt- und Burgbefestigung“ gewidmet ist. Siehe jetzt auch die umfassende wissenschaftliche Abschlusspublikation einer der Grabungen im Bereich der Wiener Stadtbefestigung: Sylvia Sakl-Oberthaler / Martin Mosser / Heike Krause / Gerhard Reichhalter, Von der mittelalterlichen Stadtmauer zur neuzeitlichen Festung Wiens. Historisch-archäologische Auswertung der Grabungen in Wien 1, Wipplingerstraße 33–35, Wien 2016.
2 Vergleiche Guido von Büren, Art. Pasqualini, Architekten und Ingenieure, in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 85–86, URL: https://www.deutsche-biographie.de/gnd129479675.html#ndbcontent (11.06.2017).
3 Vergleiche unter anderem György Kisari Balla, Kriegskarten und Pläne aus der Türkenzeit in den Karlsruher Sammlungen, Budapest 2000.
4 Die Open Access Version findet sich unter http://www.oapen.org/search?identifier=626456 (11.06.2017).

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