A. Buschmann: Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung

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Titel
Nationalsozialistische Weltanschauung und Gesetzgebung 1933-1945. Band II: Dokumentation einer Entwicklung


Autor(en)
Buschmann, Arno
Erschienen
Anzahl Seiten
799 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Forstner, Erzbischöfliches Archiv München

Bei dem vorgestellten Band handelt es sich um den im Jahr 2000 erschienenen dokumentarischen Teil eines auf zwei Bände angelegten Werkes zur Analyse und Dokumentation der Gesetzgebung des nationalsozialistischen Staates und ihrer Verschränkung mit den Leitlinien der NS-Ideologie. Das umfassende Werk ist Ergebnis eines längerfristigen Forschungsprojekts am Institut für Europäische und Vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Salzburg, dem der Herausgeber bis zu seiner Emeritierung als Ordinarius vorstand. Obwohl der analytische erste Teil „Grundlinien einer Entwicklung“, der eine Darstellung des Verlaufs der nationalsozialistischen Gesetzgebungsgeschichte verspricht, bereits im Februar 1999 im Manuskript vorlag (so Buschmann im Vorwort zum zweiten Band) ist sein Erscheinen vom Verlag nun erst für Dezember 2005 angekündigt. So muss der Forscher bisher mit den in der Dokumentation edierten Quellen und den schmalen Bemerkungen in der Einleitung auskommen.

Ohne Zweifel erfüllt Buschmann mit seiner Dokumentation, vor allem aber mit der noch zu erwartenden Analyse ein Desiderat. Durchaus forcierter als andere totalitäre Herrschaftsordnungen hat der Nationalsozialismus die Gesetzgebung gezielt als Medium zur Durchsetzung seiner ideologischen Zielvorstellungen gebraucht. Dies ist zwar im Hinblick auf spezielle Felder der NS-Gesetzgebung – wie etwa die Nürnberger Rassengesetze vom 15. September 1935 und ihre Folgen – verhältnismäßig gut erforscht, doch ermangelte es bislang sowohl einer Darstellung, welche die legislative Tätigkeit des NS-Herrschaftssystems zwischen 1933 und 1945 in ihrer Gesamtheit in den Blick nimmt, als auch einer neueren Dokumentation, in welcher die entsprechenden Gesetzestexte zusammenfassend und auch vollständig ediert sind.1 Das Fehlen letzterer stellte gerade für den Nichtrechtshistoriker bisher immer wieder eine Erschwernis der Forschungstätigkeit dar, da das Vorhandensein des Reichsgesetzblattes als zentraler Quelle selbst in sonst wohl sortierten zeitgeschichtlichen Seminarbibliotheken leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.

Der Dokumentationsband konnte freilich auf 800 Seiten nicht die gesamte nationalsozialistische Gesetzgebung widerspiegeln. Es sollten vor allem jene Gesetze und Gesetzgebungswerke der Zeit 1933 bis 1945 ediert werden, „in denen sich unverkennbar die nationalsozialistische Weltanschauung manifestiert“ (S. LXVII), darüber hinaus wurden aber auch Gesetzgebungsprojekte aufgenommen, deren Ursprünge in die Zeit vor der NS-Machtergreifung zurückreichen, die aber erst nach 1933 realisiert wurden, ohne typisch nationalsozialistisches Gedankengut zu enthalten und schließlich auch solche, die zwar auf nationalsozialistische Zielsetzungen zurückgehen, aber auch nach 1945 und zum Teil bis in die Gegenwart in Kraft blieben. Die Auswahl der edierten Texte überzeugt durchaus, wenngleich dem Rezensenten die Auswahlkriterien nicht völlig deutlich wurden. Wonach entscheidet man im Zweifelsfall, ob sich in einem Gesetz „die nationalsozialistische Weltanschauung manifestiert“? Dies hätte Buschmann deutlicher offen legen können, doch muss hier möglicherweise auch noch das Erscheinen des ersten Bandes abgewartet werden.

Berücksichtigt werden konnte in der Dokumentation nur die Reichsgesetzgebung und hier auch nur insofern die Gesetze und Verordnungen jeweils im Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurden. Nicht dokumentiert ist also die durchaus nicht zu unterschätzende Gesetzgebung der Länder – die nach wie vor auf Spezialuntersuchungen warten muss, wobei vor allem die Frage interessant ist, inwieweit legislativer Spielraum der Länderverwaltungen genutzt wurde und wozu – und schon gar nicht die Rechtssetzung der kommunalen Ebene.

Die vorliegende Dokumentation umfasst jeweils alle Gesetze ungekürzt im Originalwortlaut. Verzeichnet wurden auch Hinweise auf die entsprechenden Durch- und Ausführungsverordnungen, sofern diese im Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurden. Dabei wurden die Gesetze nicht rein chronologisch geordnet. Primäres Ordnungskriterium sind vielmehr die verschiedenen Felder der Gesetzgebung, die entsprechend ihrer Bedeutung auch unterschiedlich stark gewichtet sind. Die Gewichtung entspricht dabei durchaus zeitgenössischen legislativen Schwerpunkten. Den jeweiligen Abschnitten geht jeweils eine (zu knappe) Einleitung voran. Der mit 200 Seiten bei weitem umfangreichste Abschnitt der Dokumentation ist der Arbeits- und Wirtschaftsgesetzgebung gewidmet, in dem durch die ausgewählten Gesetze die Hauptziele der NS-Wirtschaftsgesetzgebung charakterisiert werden sollen: Neuordnung des Wirtschaftslebens durch das Führerprinzip, Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, Arbeitsschutz und Kontrolle über das Bankwesen. Die nächst umfangreichen Abschnitte betrachten die Verwaltungsgesetzgebung (120 Seiten), die unmittelbar personenbezogene Gesetzgebung (100 Seiten), die Wehrverfassung und die Strafgesetzgebung (jeweils ca. 80 Seiten) sowie die allgemeine Verfassungs- und die Justizgesetzgebung (je ca. 50 Seiten). Sehr knapp sind die Abschnitte zur Kulturgesetzgebung (30 Seiten), zu den Kirchen (15 Seiten), zur Volkswohlfahrt (20 Seiten) und zum Erziehungswesen (15 Seiten). Die Ordnungskriterien und das Gliederungsprinzip sind nicht immer klar. So wird dem rechtshistorischen Laien nicht hinreichend deutlich gemacht, warum etwa die Nürnberger Gesetze als Ausdruck der politischen Rassenanthropologie zum Verfassungsrecht gezählt werden, die auf die „Erbgesundheit“ bezogenen Gesetze (z.B. Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses), die durchaus einem verwandten ideologischen Kern entspringen, aber nicht. Doch dürfte auch dies wohl im noch zu erwartenden Band I geklärt werden.

Aus Sicht des Historikers ist zu hinterfragen, ob die Beschränkung auf die veröffentlichten Gesetzestexte sinnvoll ist. Bei Buschmann geht dadurch die Anzahl dokumentierter Gesetze ab 1942/43 stark zurück. Denn bekanntlich wurde im Verlauf des Krieges der (zunehmend nicht mehr veröffentlichte) Führererlass zu einem Instrument, dass die herkömmliche Gesetzgebung sukzessive unterminierte.2 Hieran wird auch deutlich, dass die Ideologie des Führerstaates in dessen Endphase nicht mehr nur die inhaltliche Gestaltung der Gesetze prägte, sondern auch den Akt der Rechtssetzung zur völlig willkürlichen Maßnahme werden ließ. Hatte sich die Gesetzgebungspraxis des NS-Staates ohnehin dergestalt entwickelt, dass im Verlauf der 30er-Jahre die Mehrzahl der Gesetze nicht mehr die Legislative, d.h. der gleichgeschaltete Reichstag, sondern die Exekutive erließ (so genannte Regierungsgesetze), erfuhr diese Praxis in der Spätphase des Regimes mehr und mehr eine kurios anmutende Pervertierung, insofern die staatlichen Rechtsakte oft nur noch flüchtigen Stimmungen ihres Führers am nachmittäglichen Teetisch entsprangen. Die Laune des „Führers“ wurde zur staatlichen Norm, vielfach blieben diese Rechtsakte aber auf höchste Weisung unveröffentlicht. Schon zeitgenössisch hat man erkannt, dass die zunehmende Praxis des „Verfassungsrechts im Panzerschrank“ (Dieter Rebentisch) letztendlich eine Schwächung der staatlichen Behörden herbeiführte, die sich bei ihren Fachentscheidungen auf Rechtsvorschriften stützten, deren Rechtmäßigkeit aufgrund der Pflicht zur Geheimhaltung der Vorschrift nicht mehr begründet werden konnte. Obgleich die nicht veröffentlichten Führererlasse von Martin Moll in einer eigenen Edition dokumentiert sind 3, wäre die Einbeziehung der Wichtigsten dieser Erlasse im Rahmen eines repräsentativen Gesamtquerschnittes durch die NS-Gesetzgebung in die vorliegende Dokumentation durchaus sinnvoll gewesen, auch wenn sie eine Abweichung von den methodischen Erfassungskriterien Buschmanns bedingt hätte. Denn das für das nationalsozialistische Herrschaftsverständnis konstitutive Spannungsverhältnis zwischen der personalen Autorität des Führerprinzips und der entpersönlichten Institution des staatlichen Gesetzes, das sich in den letzten Jahren des Regimes aufgrund der Rechtssetzungspraxis immer mehr in Richtung „Führer“ verschob und das in seiner Eigenwilligkeit für das Verständnis der Verfassungsgeschichte des Nationalsozialismus konstitutiv ist, zumal es nicht unwesentlich zur Erosion des NS-Staates beigetragen haben dürfte, bleibt somit ausgeblendet.

In toto kann das Ergebnis von Buschmanns Forschungsarbeit aber nur gelobt werden. Ein umfangreiches und sorgfältiges Sachregister rundet den Band ab und erleichtert den Zugang. Entsprechend der Bedeutung und dem Grundlagencharakter des Werkes wäre freilich eine annehmbarere Preisgestaltung von Seiten des Verlags wünschenswert gewesen. So bleibt zu hoffen, das die vorliegende Dokumentation und der noch ausstehende Analyseband bald in einer preiswerten Taschenbuchausgabe auch Studierenden und Mittlern der politisch-historischen Bildung zugänglich gemacht und sich so zu einem auch breiter rezipierten Grundlagenwerk entwickeln können.

Anmerkungen:
1 Im Gegensatz etwa zu den bisherigen Editionen, in denen viele Gesetze nur auszugsweise abgedruckt sind, dem Historiker der Gang in eine rechtsgeschichtliche Bibliothek also kaum erspart bleibt. Vgl. etwa: von Münch, Ingo; Brodersen, Uwe (Hgg.), Gesetze des NS-Staates, Dokumente eines Unrechtssystems, 3. Aufl., Stuttgart 1994. Hier werden 120 Gesetze aus den Bereichen Regierung und Verwaltung, Partei und Staat, Justiz, Rassenidee und Judenverfolgung, Arbeit und Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, Wehrmacht und Krieg in teilweise gekürzter Form zugänglich gemacht.
2 Vgl. zur Gesetzgebungspraxis im Krieg: Rebentisch, Dieter, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945 (Frankfurter Historische Abhandlungen 29), Stuttgart 1989.
3 Vgl. Moll, Martin (Hg.), „Führer-Erlasse“ 1939-1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkriegs schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung, Stuttgart 1997.

Der Rezensent ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Erzbischöflichen Ordinariat München. Diese Rezension spiegelt seine private Auffassung wider und ist keine öffentliche Stellungnahme des Erzbischöflichen Ordinariats München.

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