R. Jallinoja: Families, Status and Dynasties

Cover
Titel
Families, Status and Dynasties. 1600–2000


Autor(en)
Jallinoja, Riitta
Reihe
Palgrave Macmillan Studies in Family and Intimate Life
Erschienen
Basingstoke 2017: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
XI, 330 S.
Preis
$ 119.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ronny Grundig, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die finnische Soziologin Riitta Jallinoja hat zu verschiedenen Aspekten der Familien- und Verwandtschaftsforschung schon seit den 1970er-Jahren breit publiziert. In ihrem neuesten Buch entwickelte sie aus der Analyse von Familienportraits, die durch Komposition oder bestimmte abgebildete Objekte immer auch den Status einer Familie anzeigen, das Ziel, die Bedeutung des Status in (und von) Familien in langfristiger Perspektive zu untersuchen. Dabei nimmt sie jedoch nicht Statusobjekte in den Blick, zu denen auch die Familienportraits selbst zu zählen wären, sondern bestimmte Lebensentscheidungen, bei denen der Status von Familien performativ konstruiert und bekräftigt wird: die Wahl der Ehepartner und des Berufs in der Generationenfolge. Die Vorstellung, diese Wahl müsse den Status der eigenen Familie adäquat widerspiegeln (Statusäquivalenz), präge den jeweiligen Entscheidungsprozess. Dabei habe jedoch auch immer die Hoffnung bestanden, durch solche Entscheidungen einen sozialen Aufstieg einzuleiten – bei gleichzeitiger Angst vor sozialem Abstieg (S. 13).

Anhand des Forschungsstands zu den untersuchten Familiengruppen (Königs-, Adels-, Unternehmer-, Akademiker-, Künstler- und Politikerfamilien) und Beispielen aus etwa einem Dutzend Länder zeichnet Jallinoja die Entwicklungslinien der sozialen Mobilität nach. Ergänzt wird diese Synthese durch „social genealogies“ finnischer Familien aus genealogischen Fachbüchern. Diese Literatur enthält Informationen über Geburten, Heiraten und Scheidungen sowie zum ausgeübten Beruf. Die Verfasserin arbeitet heraus, dass die Prämisse der Statusgleichheit zwar in allen sozialen Gruppen eine wichtige Bezugsgröße darstellte, dass aber ein differenzierterer Blick notwendig ist: Besonders die ranghohen Vertreter einzelner sozialer Gruppen – Familien des Hochadels, internationale Unternehmerdynastien oder europäische Königsfamilien – achteten auf Statusgleichheit. Sie war ein Ausdruck ihrer Stellung und damit eine Art Machtperformance, die einen Zuwachs an sozialem Prestige mit sich bringen konnte. Dieser Gewinn sei, so die Autorin, für die Herrscher der mächtigsten Länder deutlich größer gewesen, sodass sie eher bestrebt waren, Statusgleichheit zu erreichen, als Herrscherfamilien, deren Länder als weniger mächtig wahrgenommen wurden (S. 33).

Um den Status bei der Vererbung in die nächste Generation zu erhalten, war es nötig, die eigenen Kinder ungleich zu behandeln, damit das familiäre Prestige ungeteilt weitergegeben werden konnte. Dabei zeigte sich eine geschlechterspezifische Ungleichbehandlung – so wurden Töchter in Unternehmerfamilien häufig vom Erbe der Firma ausgeschlossen, aber mit anderen Teilen des Nachlasses oder mit Schenkungen entschädigt (S. 169). Dieses Schicksal traf auch uneheliche Kinder beiderlei Geschlechts, wobei Jallinoja zufolge eine großzügige finanzielle Ausstattung des Lebensunterhalts sowohl in Unternehmer- als auch in Königs- oder Adelsfamilien durchaus vorkam (S. 167f.).

Möglichkeiten oder auch Schwierigkeiten, die Prämisse der Statusgleichheit umzusetzen, entwickelten sich im Grunde parallel zur Stellung bestimmter Gruppen im sozialen Gefüge. So erschwerte es der politische Bedeutungsverlust der Monarchie den Adelsfamilien, statusgleiche Positionen oder entsprechende Ehepartner zu finden. Zwar war die Mehrheit der männlichen Abkömmlinge weiterhin bestrebt, hohe Ämter der Staatsverwaltung auszuüben, die ihre Familien über Generationen besetzten (S. 104–106). Da nach der Hochphase des Adels jedoch auch bürgerliche Aufsteiger in solche Positionen drängten, setzte ein sozialer Abstieg des Adels ein. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kam es in vielen Ländern zu einer (schrittweisen) Abschaffung rechtlicher Privilegien des Adels (S. 129f.). Diese Entwicklung führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Kombination mit der Einführung vermögensbasierter Steuern (Erbschafts- und/oder Vermögenssteuern) zu einem beschleunigten Abstieg des Adels. Der Lebensstil der Mehrheit der niederen Adelsfamilien ähnelte nun stärker demjenigen bürgerlicher Familien; einige Familien des Hochadels dagegen konnten die soziale Distanz aufrechterhalten (S. 136).

Mit der Zeit, so kann die Autorin deutlich machen, veränderte sich auch die Prämisse der Statusäquivalenz selbst. Wurde sie bis ins 19. Jahrhundert durch die verschiedenen sozialen Gruppen noch stark mit einem bestimmten Amt oder einer bestimmten Position assoziiert, erweiterte sich das Verständnis durch den Bedeutungszuwachs anderer Sozialgruppen. So führte der Aufstieg der „professionals“, der am Beispiel der Professorenschaft und der klerikalen Familien diskutiert wurde, zu einer veränderten Definition von Statusäquivalenz. Laut Jallinoja ist ein Trend erkennbar, dass Statusäquivalenz nicht mehr zwingend an eine konkrete Position gebunden war, etwa diejenige des Professors, sondern im Merkmal der Hochschulbildung gesehen wurde. Hieraus entwickelte sich in vielen europäischen Ländern ein recht homogener Heiratsmarkt für Akademiker, der sich zwar offen für andere Gruppen mit hohem Status zeigte, aber abgeschlossen gegenüber einfachen Schichten (S. 224).

Einen solchen Homogenisierungsprozess habe es auch in mittleren Statusbereichen gegeben, die an sich deutlich volatiler waren als die oberen und unteren Statusgruppen, wie die Autorin am Beispiel finnischer Politiker(familien) ausführt. In den ersten Legislaturperioden nach Gründung des finnischen Parlaments 1906 habe noch eine große Heterogenität vorgeherrscht: So stammten weite Teile der sozialdemokratischen Partei und einzelne Christsoziale aus dem bäuerlichen Milieu oder aus Arbeiterfamilien (S. 271), während sich zur Gegenwart hin das Parlament vornehmlich aus Akademikern bzw. Beamten zusammensetzt (S. 274).

Die wohl weitestgehende Transformation, so Jallinoja, habe die Statusäquivalenz in Künstlerfamilien erfahren. Festzustellen sei ein deutlicher Bedeutungsverlust des dynastischen Prinzips seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es habe kaum Künstler gegeben, deren Kinder und Enkel ebenfalls künstlerisch gewirkt hätten (S. 246). Zwar habe es auch unter Künstlern weiter Bestrebungen gegeben, familiäre Traditionen zu stabilisieren, etwa im Erhalt des künstlerischen Werks durch die Nachfahren, aber der primäre Bezugsrahmen der Künstler seien die eigenen Zeitgenossen gewesen. Statusgleichheit sei hier weniger über Kategorien des Berufs oder der Abstammung hergestellt worden, sondern über eine „likemindedness“ und über Netzwerke, die unter anderem ab dem späten 19. Jahrhundert zur Gründung von Künstlerkolonien in ganz Europa führten (S. 255f.).

Während die theoretischen Annahmen der Autorin zur sozialen Mobilität und zum Wandel sozialer Ordnungen bis hin zur Untersuchung von Unternehmerfamilien durchaus plausibel wirken, wird es in der zweiten Hälfte des Buches zunehmend schwieriger, die Bedeutung der Statusäquivalenz an den beiden Strängen der Partner- und Berufswahl in der Generationenabfolge nachzuweisen. Immer häufiger weicht Jallinoja auf andere Formen der Statusperformanz aus und beruft sich etwa auf Wohnverhältnisse von Professoren oder die Popularität einzelner Künstler, um ihre Argumentation zu stützen. Mit diesem Problem ist sie nicht allein; im Grunde sind hiervon alle Forscherinnen betroffen, die soziale Mobilität und Sozialstrukturen in gegenwartsorientierter Perspektive analysieren. Die Kategorien und Typen, die zur historischen Analyse früherer Jahrhunderte gebildet wurden, tragen nur noch bedingt, wenn es darum geht, die sich pluralisierenden sozialen Verhältnisse der Gesellschaften des 20. Jahrhunderts zu beschreiben.

Zudem ist es aus Sicht des Rezensenten problematisch, wie die Autorin mitunter Gegenwartsvorstellungen in die Vergangenheit zurückprojiziert. Beispielhaft verdeutlichen das ihre Ausführungen zur Behandlung nachgeborener Kinder aus Königsfamilien im Erbgang. Aufgrund der Primogenitur, der Alleinerbfolge des Erstgeborenen, wurden Nachgeborene in der Regel benachteiligt. Diese Einschätzung ist zweifellos zutreffend, allerdings unterstellt Jallinoja dann: „Parents knew that they should give equal treatment to all children born into the same family, and that this should also apply to inheritance.“ (S. 58) Aussagen wie diese deuten auf ein fehlendes Verständnis für die Zeitgebundenheit bestimmter Vorstellungen von Familie und sozialen Ordnungen hin. Das genannte Leitbild einer Gleichbehandlung aller Kinder setzte sich erst mit dem Übergang zur Moderne durch und bestimmt seitdem weitgehend das Denken über die Vererbung in der Familie.1 Kritisch anzumerken ist auch, dass in der Studie, die insgesamt vier Jahrhunderte und etwa ein Dutzend Länder behandelt, kaum einmal Bezug auf die tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen genommen wird, die im Untersuchungszeitraum stattgefunden haben. Einerseits mag man den Mut der Soziologin bewundern, ein zeitlich und geographisch so weites Spektrum einzubeziehen, andererseits sind die daraus resultierenden historischen Unschärfen doch gravierend.2

Fachkundigen Leserinnen und Lesern mögen die im Buch aufgezeigten Entwicklungslinien sozialer Mobilität teils bekannt vorkommen, teils aus geschichtswissenschaftlicher Sicht nicht überall einleuchten. Trotzdem ist die Lektüre schon deshalb interessant, weil Riitta Jallinoja mit Schweden und Finnland eine Region detaillierter einbezogen hat, die in den meisten mitteleuropäischen Publikationen eher spärlich behandelt wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. Stefan Willer / Sigrid Weigel / Bernhard Jussen, Erbe, Erbschaft, Vererbung. Eine aktuelle Problemlage und ihr historischer Index, in: dies. (Hrsg.), Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur, Berlin 2013, S. 7–36.
2 Erstaunlicherweise hat die Autorin etwa nicht auf die auch in englischer Sprache vorliegende Studie Hartmut Kaelbles zur Sozialgeschichte Europas Bezug genommen, in welcher der Wandel sozialer Verhältnisse mit deutlich mehr Erklärungskraft beschrieben ist. Vgl. Hartmut Kaelble, Sozialgeschichte Europas. 1945 bis zur Gegenwart, München 2007; ders., A Social History of Europe, 1945–2000. Recovery and Transformation after Two World Wars, New York 2013.