M. Fritsche: The American Marshall Plan Film Campaign and the Europeans

Cover
Titel
American Marshall Plan Film Campaign and the Europeans. A Captivated Audience?


Autor(en)
Fritsche, Maria
Erschienen
London 2018: Bloomsbury
Anzahl Seiten
XVI, 337 S.
Preis
£ 85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele Clemens, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Dass das in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgelegte US-amerikanische „European Recovery Program“ (ERP) noch heute vielen Menschen unter dem Begriff Marshallplan bekannt ist, verdankt sich wohl nicht zuletzt einer zuvor nie dagewesenen umfangreichen Medien- oder Werbekampagne, die das europäische Wiederaufbauprogramm der Jahre 1948 bis 1952 begleitete. Verknüpft mit der finanziellen und materiellen Wiederaufbauhilfe für die vom Krieg geschwächten europäischen Länder war die Verpflichtung der 17 am ERP teilnehmenden Staaten, für das europäische Wiederaufbauprogramm zu werben. Wie der Leiter der Washingtoner Zentrale zur Verwaltung der ERP-Mittel, Paul Hoffman, betonte, sei es ebenso zwecklos, das Wiederaufbauprogramm ohne die gleichzeitige Einrichtung von Informationsabteilungen durchzuführen, „as trying to conduct a major business without sales, advertising, and customer-relations departments.“1 Die von Washington wie auch von den teilnehmenden europäischen Staaten betriebene Werbekampagne wurde mittels Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren, Plakaten, Wanderausstellungen, Radiosendungen, aber vor allem auch Filmen durchgeführt. Filme galten als ein besonders geeignetes Medium zur Einflussnahme auf breite Bevölkerungsschichten in den europäischen Ländern. Über 200 Filme2 wurden deshalb im Rahmen des Marshallplans produziert, die in den ERP-Teilnehmerländern sowohl im Kino als Teil des Filmprogramms als auch in einem nicht-kommerziellen Kontext (Schulen, Jugendclubs, Filmclubs usw.) gezeigt wurden und dort für die Ziele des ERP warben.

Dieser umfangreichen Filmwerbekampagne für Europa widmet sich das Buch von Maria Fritsche. Wurde bislang das ERP-Filmprogramm lediglich vereinzelt aus nationalem Blickwinkel bzw. in Bezug auf einzelne Länder, wie beispielsweise Italien3, untersucht, so liegt mit diesem Buch erstmals eine umfassende Gesamtdarstellung der Filmwerbekampagne vor, die das gesamte europäische Filmprogramm in Augenschein nimmt und gleichermaßen die Seite der amerikanischen Auftraggeber wie die der europäischen Adressaten untersucht. Den Schwerpunkt legt die Autorin dabei auf die vier Länder Italien, Griechenland, Frankreich und Westdeutschland, die für das Marshallplan-Programm von besonderer strategischer Bedeutung waren und in denen auch zahlreiche Filme produziert wurden. Durch die geschickte Verknüpfung von Schriftgut vor allem aus den National Archives in Washington und der Analyse von 170 Filmen gelingt es ihr, ein detailliertes Bild der Ziele und Methoden der Marshallplan-Werbung sowie deren filmischer Umsetzung zu zeichnen.

Im ersten Teil des Buches erörtert Fritsche zunächst die Organisation der Marshallplan-Filmproduktion, in deren Mittelpunkt das in Paris ansässige Europa-Hauptquartier der Economic Cooperation Administration (ECA) stand. Die dort eingerichtete Information Division war für die inhaltliche Konzeption und Organisation der ERP-Öffentlichkeitsarbeit zuständig, die ihr zugehörige Film Unit speziell für den Bereich Filmwerbung. Daneben existierten sogenannte „country missions“ in den einzelnen Ländern, die teils auch über eigene Filmoffiziere verfügten. Zusammen waren 1951 in der Informationsabteilung der ECA-Paris und den „country missions“ 224 Amerikaner und 782 Europäer beschäftigt. Filmproduktionen konnten sowohl von der ECA in Paris als auch von den einzelnen Ländermissionen angeregt werden. Für die Verwirklichung der Filmprojekte wurden europäische Regisseure und Produzenten engagiert, u. a. weil man davon ausging, dass diese mit der Kultur und den spezifischen Sehgewohnheiten der Europäer besonders vertraut seien. Zudem konnten auf diese Weise die Marshallplan-Filme den den Zuschauern bzw. Zuschauerinnen eher als europäische Produkte „verkauft“ werden, was von Bedeutung war in Ländern wie Frankreich, die der amerikanischen Initiative skeptisch gegenüberstanden, oder Ländern mit starken kommunistischen Parteien.

Wie Fritsche anhand des ausgewerteten Schriftguts und der Filme aufzeigt, bildeten der Wiederaufbau und die Modernisierung der Wirtschaft sowie Rationalisierung der Produktion die zentralen Themen der Filmwerbung, insbesondere in der Frühphase des Filmprogramms. Modernisierung und Rationalisierung, so wurde den Europäern anhand von Filmen wie „The Shoemaker and the Hatter“ (1950) vermittelt, führten nicht nur zu einer Wiederbelebung der europäischen Wirtschaften, sondern zugleich zu einem erhöhten Lebensstandard für alle. Später kamen als weitere Themen noch die Modernisierung der Agrarwirtschaft, die Energieversorgung sowie die Integration Europas4 hinzu. Im Zuge des Korea-Krieges und der 1951 erfolgten Verabschiedung des „Mutual Security Act“ wurde in den Filmen zudem die notwendige Verteidigung der „freien Welt“ thematisiert und an die Europäer appelliert, ihre Verteidigungsanstrengungen zu verstärken. Enthielten sich die frühen Marshallplan-Filme weitgehend einer antikommunistischen Propaganda, da man vor allem auf Wohlstand als das beste Mittel zur Abwehr des kommunistischen Einflusses setzte, so bedienten sich die Filme der späteren Phase einer deutlich aggressiveren Rhetorik. Ein Beispiel für diese jetzt keineswegs mehr nur subtile antikommunistische Propaganda stellte der Animationsfilm „Without Fear“ (1951) dar, der die Europäer mit deutlichen Worten und bedrohlichen Bildern vor der kommunistischen Gefahr warnte.

Dem Verhältnis zwischen den amerikanischen Auftraggebern der Filme, den amerikanischen Filmoffizieren und den europäischen Filmschaffenden sowie der Distribution, Aufführungspraxis und Rezeption der Filme sind weitere Kapitel des Buches gewidmet. Da die amerikanischen Filmoffiziere, wie Fritsche nachweist, selbst eine „kosmopolitische Gruppe“ darstellten, oftmals in Europa gelebt und gearbeitet hatten oder auch europäische Emigranten waren, konnten sie als kulturelle Vermittler zwischen den USA und Europa fungieren. Ihr beruflicher Hintergrund – viele von ihnen kamen aus dem Medienbereich – erleichterte ihnen den Kontakt mit den europäischen Filmemachern. Diese wiederum übernahmen den Auftrag, einen ERP-Film zu produzieren zwar meist aus ökonomischen Gründen, aber sie teilten vielfach auch die Ziele des ERP-Programms. Die von den Mitarbeitern der ECA wiederholt betonte „Freiheit“ der Filmschaffenden bei der Umsetzung der Ziele des ERP sieht Fritsche allerdings kritisch; die Kontrolle über die Filme lag letztendlich bei den amerikanischen Auftraggebern, die über die Herstellung und Aufführung von Filmen entschieden und mitunter auch Eingriffe in die Drehbücher vornahmen. Die Distribution und Aufführungspraxis der Filme wird für einzelne Länder untersucht. Dabei zeigt sich, mit welchen Schwierigkeiten die amerikanischen Auftraggeber bei ihrem Versuch zu kämpfen hatten, die Botschaften des Marshallplans den Bevölkerungen nahe zu bringen. Hier spielten, insbesondere in Südeuropa, Skepsis gegenüber dem ERP und der Wunsch nach Schutz heimischen Kulturguts (Frankreich), aber auch der „kulturelle Kalte Krieg“ zwischen Anhängern kommunistischer Parteien und pro-amerikanisch ausgerichteten Bevölkerungsteilen (Italien) eine Rolle.

Die Quellenlage in Bezug auf die Zuschauerreaktionen ist für die Marshallplan-Filme weitaus besser als für andere Filmwerbekampagnen der Nachkriegszeit. Die Amerikaner führten wiederholt Meinungsumfragen bei Filmbesuchern durch und erhoben Zahlen zur Häufigkeit der Kinobesuche und Anzahl der Filmvorführungen, um die Effizienz ihres Filmprogramms zu testen. Daher kann Fritsche Aussagen darüber treffen, welche Zuschauer wieviele Filme wann und wo sahen und welche Filme sich besonderer Beliebtheit erfreuten. Offen bleiben muss aber die Frage, ob die Marshallplan-Filme die beabsichtigte Wirkung, nämlich die Europäer auf das amerikanische Wirtschaftssystem einzuschwören und im Zuge des Kalten Krieges den Einfluss des Kommunismus zurückzudrängen, letztendlich wirklich erzielt haben. Die Frage nach Wirkung oder Einfluss stellt ein generelles Problem bei der Auswertung von Filmmaterial dar.

Mit diesem Buch hat Maria Fritsche ein wichtiges, lesenswertes Buch zu einem lange Zeit vernachlässigten Thema vorgelegt, das die vorhandene umfangreiche Forschung zum Marshallplan um den zentralen Aspekt der Propaganda für das ERP bereichert und zudem einen weiteren Anstoß für die Beschäftigung mit Fragen des Kulturtransfers bzw. der These einer „Amerikanisierung“ Europas bietet.

Anmerkungen:
1 Zitiert nach Harry B. Price, The Marshall Plan and Its Meaning, Ithaca 1955, S. 242.
2 Fritsche bezieht sich hier auf den Zeitraum 1948 bis 1954 und schließt somit auch die von der ECA-Nachfolgeorganisation MSA (Mutual Security Agency) produzierten Filme mit ein.
3 Siehe u. a. David Ellwood, The Propaganda of the Marshall Plan in Italy in a Cold War Context, in: Intelligence & National Security 18, no. 2 (2003), S. 225–236; Regina M. Longo, Marshall Plan Films in Italy 1948-1955: Cinema as Soft Power, PhD thesis, University of California, Santa Barbara 2012.
4 Zur Filmwerbung für den europäischen Integrationsprozess siehe Gabriele Clemens (Hrsg.), Werben für Europa. Die filmische Konstruktion europäischer Identität durch Europafilme, Paderborn 2016.