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Titel
Selected Letters. Volume 2. Translated by Elaine Fantham


Autor(en)
Petrarca, Francesco
Reihe
I Tatti Renaissance Library 77
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 870 S.
Preis
$ 29.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Pieper, Faculteit Geesteswetenschappen, Universiteit Leiden

Der zweite Teil von Elaine Fanthams Edition der Korrespondenz Petrarcas ist nicht weniger willkommen als der erste (der mir seinerzeit leider nicht zur Rezension übersandt wurde). Fantham, inzwischen verstorbene frühere "Giger-Professor of Latin" in Princeton und eine der bedeutendsten Latinistinnen ihrer Generation, hat mit der umfangreichen Edition nicht nur der I Tatti-Reihe einen ihrer besten Teile beschert, sondern auch jedem, der sich mit dem frühen italienischen Humanismus beschäftigt, ein hervorragendes Werk an die Hand gegeben. Fantham hat sich dafür entschieden, keine von Petrarcas Briefsammlungen integral herauszugeben, sondern ein ausführliches Florilegium aus zwei der wichtigsten Kollektionen zusammenzustellen: aus den 24 Büchern der Familiares und den 18 Büchern der Seniles.

Ihr Ordnungsprinzip ist dabei weder der Zusammenhang der corpora noch Chronologie; stattdessen entscheidet sie sich für eine thematische Anordnung. Das ist eine sehr sinnvolle Entscheidung – der Petrarcaspezialist hat natürlich leichten Zugang zu Kompletteditionen der Werke, während gerade der interessierte Nicht-Spezialist für Petrarcas Werk durch Fanthams Struktur Zusammenhänge und wichtige Themen in Petrarcas Korrespondenz erkennt. Zudem bieten sich die thematischen Teile als vorstrukturiertes Unterrichtsmaterial an – Fantham hat manchem Lehrenden der Zukunft viel Vorbereitungszeit abgenommen. Ihre Übersetzungen sind elegant und gleichzeitig textnah; sie helfen demjenigen, der sich an Petrarcas Latein versuchen möchte, und sind für denjenigen, der einfach nur den englischen Text lesen möchte, angenehm flüssig. Die Anmerkungen sind nach den Regeln der Reihe eher knapp gehalten; sie dienen vor allem dem Nachweis von (vor allem antiken oder biblischen) Zitaten und bieten eine kurze historische Verortung der Briefe. Drei Appendices (eine Zeittafel zu Petrarcas Leben, eine Übersicht über seine Werke und knappe biographische Skizzen seiner Korrespondenzpartner) erleichtern die Orientierung ebenso wie der umfangreiche (66 seitige!) thematische Index.

Band eins der Edition umfasst vier thematische Sektionen: „On His Letters“, „His Life and World“ (in dieser Sektion wird der wohl berühmteste Brief Pertarcas abgedruckt, der die Besteigung des Mont Ventoux beschreibt), „The Scholar and Man of Letters“ und „The Moralist“. Der hier anzuzeigende zweite Band enthält die folgenden fünf Teile: „Education and the Prince“, „Rome, Italy and Its Rulers“, „Religion and the Church“, „Letters to the Ancient“, und schließlich „Memory“.

Es ist unmöglich, hier eine systematische Übersicht über die enthaltenen Briefe zu geben. Daher wähle ich willkürlich zwei der berühmtesten. In Sektion sechs, Brief fünf druckt Fantham Petrarcas Brief an Francesco Nelli aus dem Jahr 1352 (Fam. 13.6), in dem Petrarca auf vielschichtige Weise den einst von ihm so bewunderten Cola di Rienzo charakterisiert. Bereits fünf Jahre zuvor hatte Petrarca sich von ihm losgesagt (der entsprechende Brief des Jahres 1347, Fam. 7.7, steht in Fanthams Edition angenehmerweise direkt davor). Im Jahr 1352 beschreibt Petrarca Colas Rückkehr nach Rom (als Gefangener des Papstes und seinen Prozess erwartend) und kontrastiert den schmachvollen Moment mit dem früheren Glanz des ehemaligen römischen Volkstribuns, wobei auch Petrarcas Faszination für ihn nicht unerwähnt bleibt. Diese Szene wird jedoch eingebettet in Reflexionen über die Wertschätzung von Poesie. Petrarca beklagt zu Beginn ihre in seinen Augen schändliche Divulgierung und beendet den Brief mit der Anekdote, dass Cola in weiten Teilen der Bevölkerung als großer Dichter gelte und deswegen noch immer eine gewisse Verehrung genieße.

Petrarca nutzt dies, um über ein Dilemma zu reflektieren, nämlich dass er sich einerseits über das grundsätzliche Ansehen von Dichtern und über den Schutz freut, den dieses Cola di Rienzo gewährt; andererseits stellt er halb amüsiert und halb erschüttert fest, wie wenig die Menschen eigentlich von Dichtkunst verstehen, wenn sie bereit sind, Cola, den er für einen großen Redner, aber für keinen Dichter hält, in den Kreis der Poeten aufzunehmen. Der Brief zeigt somit auf faszinierende Weise die Koexistenz zweier Themen, die in Petrarcas Leben stets in spannungsvollem Mit- und Gegeneinander existierten, nämlich politisches und vor allem nationales Engagement einerseits und Faszination für ein zurückgezogenes Leben im Dienst der Literatur andererseits (der Brief benennt die Pole explizit: Petrarca habe sich für einen Moment von der päpstlichen Kurie in seine Einöde der Vaucluse zurückgezogen, um diesen Brief zu schreiben).

In der achten Sektion druckt Fantham Briefe aus dem wohl berühmtesten Buch der Familiares, dem vierundzwanzigsten, Petrarcas Korrespondenz mit antiken Autoren. Die Briefe können, ungeachtet aller mittlerweile erfolgten Nuancierung des Renaissancebegriffs, wohl noch stets manchem Studierenden (wie einst mir) anschaulich machen, was Renaissance-Humanismus und seine Hinwendung zur Antike bedeuten konnte: die Faszination für neuentdeckte Texte, die Verringerung der gefühlten chronologischen Distanz und eines strengen auctoritas-Gedankens zugunsten eines Dialoges mit der Antike, dabei zugleich die große Verehrung für die antiken Autoren und der Wunsch, sie endlich wieder in ihrer biographischen und literarischen Komplexität sichtbar zu machen.

Es ist ein Vergnügen, die Briefe an Cicero, Seneca, Varro, Quintilian, Livius und Pollio in Fanthams eleganter Übersetzung zu lesen (schade nur, dass sie zwei auslässt, nämlich die Briefe an Horaz und Vergil, wodurch es so aussieht, als hätte Petrarca nur an Prosaschriftsteller geschrieben). Besonders amüsant ist der erste Brief der Sektion (Fam. 24.2), der beschreibt, wie Petrarca seine beiden Briefe an Cicero unter Freunden vorlesen lässt, was zu heftigen Diskussion unter den Anwesenden führt, ob man Cicero, den "Gott der Beredsamkeit", so stark kritisieren dürfe. Der Brief ist mehr als ein Einblick in die sozialen und intellektuellen Kontexte, in denen Petrarca verkehrte; er ist ein faszinierender Versuch Petrarcas, seine Rezeption zu steuern, indem er einerseits sich selbst als überlegenen Gelehrten präsentiert, der die (in seinen Augen) mittelalterlichen Denkschemata hinter sich gelassen hat, und andererseits seine Briefe an die antiken Autoren (und wohl auch der Familiares im Ganzen) als „hot items“ für die intellektuelle Debatte der Zeit inszeniert.

Petrarcas Selected Letters in der Übersetzung von Elaine Fantham gehören in jede Bibliothek: wer Petrarca noch weniger gut kennt, bekommt einen ausgezeichneten Eindruck von seiner Denk- und Arbeitsweise, und wer schon besser mit seinem Werk vertraut ist, findet durch die thematische Anordnung viele Anregungen zum weiteren Nachdenken. Und wer aufmerksam liest, entdeckt zudem zwischen all den von Petrarca so geliebten antiken exempla, moralischen Diskussionen und politischen Versuchen auch bezaubernde Vignetten, etwa von der Schweineplage in Padua (Sektion 5, Brief 6 = Sen. 14.1): die Vierbeiner treiben es laut Petrarca so bunt in den Straßen der Stadt, dass Pferde scheu werden und das Leben ihrer Reiter gefährden. Petrarca wäre jedoch nicht er selbst, wenn er es bei dieser (natürlich symbolisch zu verstehenden) Beschreibung beließe: die komisch-rustikale Szene nutzt er zu einer klugen Reflexion über das Haltbarkeitsdatum von Gesetzen: werden sie zu lange nicht beachtet, weiß niemand mehr, dass es sie gibt. Dass dasselbe nicht mit Petrarcas Briefen geschehen kann, dafür hat Elaine Fantham mit ihrer posthumen Edition einen bedeutenden Beitrag geliefert.

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