Cover
Titel
Germany's Ancient Pasts. Archaeology and Historical Interpretation Since 1700


Autor(en)
Maner, Brent
Erschienen
Anzahl Seiten
354 S.
Preis
$ 40.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fabian Link, Historisches Seminar – Wissenschaftsgeschichte, Goethe-Universität Frankfurt

Die Geschichte der archäologischen Wissenschaften hat seit einiger Zeit Konjunktur und wird mittlerweile nicht nur von Archäologinnen und Archäologen betrieben, sondern ist auch in den Fokus der Wissenschaftsgeschichte gerückt.1 Prominente Themen dieser Historiografie sind einerseits die Nähe der archäologischen Fächer zu Nationalismus, Kolonialismus und Nationsbildung vom späten 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert und ihre Verstrickung auf personeller, ideeller, politisch-ideologischer und finanzieller Ebene mit den faschistischen Regimen des 20. Jahrhunderts andererseits.2 Archäologiegeschichte ist gerade auch für zeithistorisch orientierte Autorinnen und Autoren interessant geworden, weil archäologische Funde und Monumente nationalistischen und faschistischen Bewegungen und Parteien oft als ideologische Projektionsflächen dienten.3 Brent Maners Buch stellt einen wichtigen Beitrag zu dieser Wissenschaftshistoriografie der Archäologie dar, weil der Autor die Entwicklungen in Deutschland mit einer europäischen Perspektive verbinden kann und weil noch zu wenig Detailforschung über die Entwicklung von der sogenannten vaterländischen Altertumskunde zur akademisch institutionalisierten prähistorischen Archäologie existiert.

Maners Thema ist die Geschichte der vaterländischen Altertumskunde in Deutschland, bezeichnet als „domestic archaeology“, vom beginnenden 18. Jahrhundert bis zum Ende des NS-Regimes. Er gliedert sein Werk in acht Kapitel, die drei Teilen zugeordnet sind. Der erste Teil thematisiert die Anfänge der vaterländischen Altertumskunde bis zur Gründung des Kaiserreichs, der zweite behandelt den Einbau naturwissenschaftlicher, insbesondere anthropologischer Verfahren in die nunmehr als prähistorische Archäologie oder Ur- und Frühgeschichte (seltener auch Vor- und Frühgeschichte) bezeichnete vaterländische Altertumskunde, der dritte schließlich zeichnet die Professionalisierungstendenzen innerhalb der prähistorischen Archäologie und ihre Ideologisierung im NS-Regime nach. Besonders lobend hervorzuheben ist, wie es Maner gelingt, die Vielfalt regionaler Formen der vaterländischen Altertumskunde im Deutschland des späten 18. und 19. Jahrhunderts in ihrer ganzen Breite aufzuzeigen. Deutschland hatte, wie der Buchtitel anzeigt, nicht nur eine archäologische Vergangenheit, sondern viele „ancient pasts“. Auf dieser Annahme basiert die das Buch leitende Forschungsthese, dass sich nämlich die Entwicklung der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie in Deutschland nicht als notwendiger Prozess von einer patriotisch-vaterländischen Idee bis zur rassistischen Germanomanie im Nationalsozialismus erzählen lässt, sondern vielmehr als von Kontingenz gekennzeichneter Weg gesehen werden muss. Maner bezieht Stellung gegen die Sonderwegserzählung: Weder das durch Nationalismus geprägte Kaiserreich noch die kaiserzeitliche völkisch-nationalistische prähistorische Archäologie haben sich linear aus einem im späten 18. Jahrhundert aufgekommenen kulturellen Nationalismus heraus entwickelt (S. 191).

Der Autor nimmt prominente Figuren in den Blick wie Gustaf Kossinna, den ersten Inhaber einer außerordentlichen Professur für deutsche Archäologie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, Rudolf Virchow oder Ludwig Lindenschmidt, den Gründer des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, befasst sich aber auch mit bis heute wenig bekannten archäologischen Akteuren wie Johann Büsching, Christoph Sedlmaier oder Johanna Mestorf. Auch das in dieser Periode entstehende Geflecht von altertumswissenschaftlich-archäologischen Provinzialmuseen, Vereinen und Kommissionen wird in einer Weise ausgeleuchtet, wie es bislang noch nicht geschehen ist. Einzig hätte der Leser gerne mehr über die Herausbildung der Einrichtungen für Bodendenkmalpflege und ihre regionalen Ableger erfahren und darüber, welche Rolle die Provinzialmuseen und regionale und lokale Akteure dabei spielten.

Es gibt allerdings drei Aspekte in Maners Buch, die etwas kritischer diskutiert werden müssen. Erstens beschreibt Maner die regional-patriotische Ausrichtung der vaterländischen Altertumskunde vor der Gründung des Deutschen Reichs 1871 und auch etliche Jahre danach als mehrheitlich frei von nationalistischen und völkisch-rassistischen Tendenzen. Sicherlich sind patriotisch-vaterländische Ideologeme nicht mit den aggressiven völkisch-rassistischen Tendenzen, die insbesondere nach 1918 aufkamen, zu vergleichen, sie aber ganz davon freizusprechen, ist nicht überzeugend.4 Immerhin haben Autoren wie Sebastian Brather oder J. Laurence Hare gezeigt, dass deutsche vaterländische Altertumskundler schon im frühen 19. Jahrhundert „um den germanischen, keltischen oder römischen Charakter der Altertümer“ stritten, ethnische Deutungen, die auf eine wie auch immer geartete Vorstellung von Nation bezogen wurden.5 Hare hat darüber hinaus dargelegt, dass die vaterländische Altertumskunde als Reaktion auf die Napoleonischen Kriege Narrative entwickelte, die auf eine nationale Identitätsbildung abzielten und daher nicht völlig abgetrennt von den nationalistischen Diskursen des frühen 19. Jahrhunderts interpretiert werden können.6

Zweitens gewinnt man beim Lesen den Eindruck, dass Maner von einer weitgehend auf die Materialität der archäologischen Dinge fokussierten, positivistisch verfahrenden vaterländischen Altertumskunde ausgeht, die vom 18. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein vor allem damit beschäftigt gewesen sei, ihre Funde zu ordnen und in den Provinzialmuseen zu inventarisieren. Erst nach der Gründung des Kaiserreichs seien diese Materialsammlungen dann in historisch-ideologische Narrative eingewoben worden, die auf ihre Nationalisierung und Ethnisierung abzielten: „The narration of ancient events played an important role in this process, mitigating the newness of the German Empire by connecting the modern state to the primedieval past“ (S. 191). Auch hier zieht Maner Nationalismus und völkische Deutungen, die er im späten 19. Jahrhundert situiert, von der altertumswissenschaftlichen Praxis des 18. und frühen bis mittleren 19. Jahrhunderts ab, ohne dabei auf solche archäologische Deutungsmuster dieser Zeit einzugehen, die ebenfalls einen Bezug zur Nation oder zum Reich aufweisen.7

Drittens führt Maner die bestehende Forschungsliteratur zum Thema zwar im Literaturverzeichnis auf und zitiert sie an den entsprechenden Stellen auch, umgeht aber eine eingehende Verortung seines eigenen Ansatzes innerhalb des Forschungsstands. Auch auf diesen Punkt hat Hare in seiner Rezension kritisch hingewiesen, denn angesichts der in den letzten Jahren massiv angestiegenen Forschungsliteratur zum Themenkomplex Archäologie und Nationalismus erstaunt es den Leser, dass Maner nur das 2001 erschienene Buch „Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany“ von Andrew Zimmermann eingehend diskutiert.8 Dies führt dazu, dass Maner die Entwicklung der vaterländischen Altertumskunde zur akademisch etablierten Ur- und Frühgeschichte im Sinne einer Professionalisierung und Institutionalisierung nur undeutlich nachzeichnen kann. Die frühen vaterländischen Archäologen wurden im Rückblick von den Vertretern der etablierten Fächer, etwa Kunsthistorikern, despektierlich als Amateure abgeurteilt, da es ihnen an akademischer Glaubwürdigkeit und an einer ausreichenden Abgrenzung gegenüber Laien gemangelt habe. Maner meint zwar, die vaterländische Altertumskunde habe dadurch Originalitätswert bewiesen, dass sie archäologische Zeugnisse für historische Interpretationen vorbereitet hätte und ihre zögerlichen Deutungen nicht als Mangel an Wissenschaftlichkeit interpretiert werden dürften, sondern eher als Zeichen von Geduld und Sorgfalt. „Serious scholarship“ (S. 45) wird hier den vaterländischen Altertumskundlern genauso attestiert wie akademisch etablierten Wissenschaftlern, ohne darüber zu reflektieren, was das im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert jeweils bedeutete. Eine differenziertere wissenschaftshistorische Darstellung wäre hier insbesondere deshalb nötig gewesen, weil sich die vaterländische Altertumskunde erst in Gestalt der Ur- und Frühgeschichte seit dem frühen 20. Jahrhundert akademisch zu etablieren begann, eine Entwicklung, die dann im NS-Regime beschleunigt wurde.9

Nach der Lektüre von Maners Buch bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Auf der einen Seite sollte es mit Sicherheit als Standardwerk für alle diejenigen dienen, die sich mit der Geschichte der deutschen vaterländischen Altertumskunde im 18. und 19. Jahrhundert befassen, insbesondere weil Maner die Entwicklungen in Deutschland mit denen in anderen europäischen Ländern in Beziehung setzt. Auf der anderen Seite lassen sich die angeführten Kritikpunkte nicht wegdiskutieren, was allerdings auch zum Anlass genommen werden kann, das Verhältnis der vaterländischen Altertumskunde zu nationalistischen, völkischen und rassischen Ideologemen weiter zu untersuchen.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa Nathan Schlanger / Jarl Nordbladh (Hrsg.), Archives, Ancestors, Practices: Archaeology in the Light of Its History, New York 2008; Gisela Eberhardt / Fabian Link (Hrsg.), Historiographical Approaches to Past Archaeological Research, Berlin 2015.
2 Siehe etwa Margarita Díaz-Andreu, A World History of Nineteenth-Century Archaeology. Nationalism, Colonialism, and the Past, Oxford 2007; J. Laurence Hare, Excavating Nations. Archaeology, Museums, and the German-Danish Borderlands, Toronto 2015; Achim Leube (Hrsg.), Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945, Heidelberg 2002.
3 Vgl. etwa Joshua Arthurs, Excavating Modernity. The Roman Past in Fascist Italy, Ithaca 2012.
4 Siehe auch die Besprechung J. Laurence Hares von Maners Buch, Germany’s Ancient Pasts. Archaeology and Historical Interpretation since 1700, in: German History, ghz033, https://doi.org/10.1093/gerhis/ghz033 (24.06.2019).
5 Sebastian Brather, Die Projektion des Nationalstaats in die Frühgeschichte. Ethnische Interpretationen in der Archäologie, in: Matthias Hardt / Christian Lübke / Dittmar Schorkowitz (Hrsg.), Inventing the Pasts in North Central Europe, Frankfurt am Main 2003, S. 18–42, hier: S. 19.
6 Hare, Excavating Nations, S. 22–25.
7 Hare, Excavating Nations, S. 53–56.
8 Hare, Besprechung. Andrew Zimmerman, Anthropology and Antihumanism in Imperial Germany, Chicago 2001.
9 Wolfgang Pape, Zur Entwicklung des Faches Ur- und Frühgeschichte in Deutschland bis 1945, in: Leube (Hrsg.), Prähistorie und Nationalsozialismus, S. 163–225.