P. Beckus: Land ohne Herr – Fürst ohne Hof?

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Titel
Land ohne Herr – Fürst ohne Hof?. Friedrich August von Anhalt-Zerbst und sein Fürstentum


Autor(en)
Beckus, Paul
Reihe
Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 15
Erschienen
Halle (Saale) 2018: Mitteldeutscher Verlag
Anzahl Seiten
604 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Amerigo Caruso, Universität Padua

Das Fürstentum Anhalt-Zerbst war ein kleines Herrschaftskonglomerat im vielfältigen Staatenmosaik des alten Reichs. Friedrich August (1734–1793), der letzte Zerbster Fürst, regierte zwischen 1747 und 1793 über vier Jahrzehnte hinweg über ein Territorium, das die Residenzstadt Zerbst, das rechtselbische Anhalt und die Enklave Jever umfasste. Der Fürst galt als Prototyp eines degenerierten und unfähigen Herrschers im ausgehenden Ancien Régime, so jedenfalls das gängige Urteil, das über ihn und sein Land gefällt wurde. Verantwortlich für dieses äußerst schlechte und nachhaltig prägende Image, so die zentrale These der in Halle eingereichten Dissertationsschrift von Paul Beckus, waren die preußische Hofgeschichtsschreibung und einige wenige aufgeklärte Publizisten. Diese nahmen Friedrich August ins Visier, weil der kaisertreue Zerbster Fürst seit dem Siebenjährigen Krieg als erklärter Gegner des Preußenkönigs Friedrich II. agierte. Damit stellte er sich nicht nur gegen die aufstrebende Macht Preußens, sondern auch gegen den aufgeklärten Fürsten ‚par excellence‘, Friedrich den Großen.

Die vorliegende Studie hat sich zum Ziel gesetzt, die nachhaltig wirksame Verurteilung des letzten Herrschers von Anhalt-Zerbst kritisch zu hinterfragen. Beckus untersucht die Entstehung und Sedimentierung dieser (kleinen) schwarzen Legende und kann eindrucksvoll belegen, dass das herrschende Geschichtsbild über Friedrich August, seinen Hof und das Geheimratskollegium in Zerbst (bezeichnet etwa als „Tyrannei“) nahezu vollständig zu revidieren ist. Die Rehabilitierung eines halb vergessenen Reichsfürsten ist nur bedingt interessant, aber was das Buch spannend und lesenswert macht, ist seine Fokussierung auf Themen, die von höchster historiographischer Bedeutung sind, wie zum Beispiel die Genese von Geschichtsbildern und Geschichtsnarrationen sowie die Dynamik von Erfolg und Misserfolg von Repräsentationsstrategien.

Bereits im 18. Jahrhundert wurde Friedrich August von Anhalt-Zerbst als Gegenbild aufgeklärter Herrscher weitgehend diskreditiert. Dieses Urteil wurde im 19. Jahrhundert von der borussischen Geschichtsschreibung immer wieder aufgegriffen und perpetuiert; aus der Sicht pro-preußischer Historiker symbolisierte Friedrich August die vermeintlich unpatriotische Kleinstaaterei, die sich der schwarz-weißen Arrondierung und schwarz-rot-goldenen Einigung querstellte. Die spätere anhaltinische Landesgeschichtsschreibung hatte ebenso wenige Gründe, das Image Friedrich Augusts zu rehabilitieren, weil das Geschichtsbild des unfähigen Herrschers gut mit dem Vorhaben passte, die Aufteilung von Anhalt-Zerbst zwischen den anderen anhaltinischen Fürsten nach dem Tod ihres diskreditierten Vetters zu legitimieren. Im 20. Jahrhundert wurde die katastrophale Reputation Friedrich Augusts und die pauschale Verurteilung der gesamten Herrschaftsverhältnisse in seinem Fürstentum kaum revidiert.

Die ‚schlechte Presse‘ über Friedrich August und sein Territorium resultiert nicht nur aus den Intrigen seiner mächtigen Feinde oder aus der unglücklichen dynastischen Konjunktur (das Aussterben der Linie Anhalt-Zerbst), sondern ist, wie Beckus deutlich macht, teils auch selbstverschuldet. Das nachhaltig negative Urteil über Friedrich August und seine Politik ist aus einem Mix von gescheiterter Inszenierung und erfolgreicher Diskreditierung entstanden. Problematisch war es etwa, dass der ‚kleine Soldatenkönig‘ kein Gespür für den Einsatz öffentlicher Medien hatte. Aber es waren eben solche Medien wie die preußische Hofberichterstattung und die Publizistik der Aufklärung, die als „zeitgenössische Multiplikatoren für die Etablierung von lange nachwirkenden Geschichtsbildern“ (S. 365) wirkten und das Ansehen von Friedrich August torpedierten. Die Resonanz dieser Multiplikatoren wurde durch die Tatsache erheblich verstärkt, dass im Vergleich zu anderen kleinen Reichsfürsten Friedrich August als Bruder Katharinas II. von Russland und als Gegner von Friedrich II. verhältnismäßig prominent war. Er stand also ungewollt im Zentrum einer Öffentlichkeit, die er unterschätzte und nicht verstand.

Diejenigen Repräsentationsstrategien, die auf Kunst, Mäzenatentum und Hofgeschichtsschreibung basierten und dabei geholfen hätten, sich zumindest partiell gegen die Diffamierung zu wehren, setzte Friedrich August nicht um. Vielmehr setzte er auf Repräsentationsstrategien, die, in seiner Form der Umsetzung, wenig innovativ waren und längerfristig klar scheiterten. Zum Beispiel inszenierte er sich als Soldatenkönig und legte großen Wert auf seine militärische Karriere. Seine Bemühungen, eigene Truppen zu rekrutieren und in den höheren Chargen der Reichsarmee bzw. der österreichischen Armee aufzurücken, waren zwar partiell erfolgreich, jedoch konnten sie die Nachwelt kaum beeindrucken. Im Gegenteil führte das chronische Imageproblem von Friedrich August dazu, dass seine relativ erfolgreiche Militärkarriere und die finanziell lukrative Vermietung seiner Truppen instrumentalisiert wurden, um den Fürst als rücksichtslosen gierigen Menschenhändler darzustellen. Außerdem wurde seine Ablehnung des traditionellen Klientelverhältnisses mit Preußen als Zeichen der Geistesschwäche und des irrationalen politischen Handelns interpretiert. Schließlich galt die dauerhafte Abwesenheit von Friedrich August aus seinen Territorien als Beweis für Korruption und Dekadenz, während die Herrschaft auf Distanz anderer Reichsfürsten wie Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen und Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt kaum kritisiert wurde. Aufgrund seiner Abwesenheit von Zerbst und der unkonventionellen Hofhaltung wurde Friedrich August als „Fürst ohne Hof“ mit einem bürgerlichen Lebensstil verspottet, was natürlich im Gegensatz zum Vorwurf der aristokratischen Dekadenz stand und die Widersprüchlichkeit des mit ihm verbundenen Geschichtsbilds hervorhebt.

Darüber hinaus vergleicht Beckus den unglücklichen Fürsten von Anhalt-Zerbst auch mit seinem Nachbarn von Anhalt-Dessau und zeigt, dass die ähnlichen gesellschaftspolitischen und ökonomischen Maßnahmen, die beide Vetter nach dem Siebenjährigen Krieg ergriffen, diametral unterschiedlich bewertet wurden. Dies ist dadurch zu erklären, dass Franz von Anhalt-Dessau preußentreu war und im Gegensatz zu Friedrich August von Anhalt-Zerbst als ‚prince éclairé’ galt.

Die klare Darstellung und die spannenden Thesen dieses Buches demonstrieren, dass sich aus vermeintlich kleinen oder kaum wahrgenommenen Forschungslücken ein großes Forschungsthema ergeben kann. Paul Beckus hat dieses Desiderat anhand der Fallstudie Anhalt-Zerbst bearbeitet und damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von Hofgeschichte und Staatsbildungsprozessen in einem kleinen Territorium des ausgehenden Ancien Régime geleistet. Wie eingangs erwähnt, ist an dieser Studie besonders interessant, dass Beckus die Hintergründe der gescheiterten Imagepolitik des letzten Zerbster Fürsten sowie die Entstehung und Perpetuierung des auf ihn bezogenen negativen Geschichtsbilds akribisch rekonstruiert. Kritisch kann man über die Arbeit anmerken, dass neben einigen Tippfehlen und Redundanzen auch die Ausführlichkeit, mit der die Personen (übrigens auch in einem 160 Seiten langen biographischen Verzeichnis aufgelistet), die politische Maßnahmen und Institutionen aus der Geschichte von Anhalt-Zerbst dargestellt werden, ermüdend wirkt. Statt dieser übertriebenen Ausführlichkeit hätte man Anhalt-Zerbst mit anderen Reichsterritorien oder europäischen Kleinstaaten systematischer vergleichen und das ‚Schicksal‘ dieser Kleinstaaten im Rahmen der politisch-institutionellen und geschichtspolitischen Transformationen des langen 19. Jahrhunderts stärker problematisieren können. Diese kritischen Bemerkungen sollen jedoch über die hervorragende Gesamtleistung dieser Studie nicht hinwegtäuschen. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, über ein „Land ohne Herr“ und einen „Fürsten ohne Hof“ mehr zu erfahren.

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