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Titel
Leid-Bilder. Die Passionsgeschichte in der Kultur


Herausgeber
Fritz, Natalie; Mäder, Marie-Therese; Pezzoli-Olgiati, Daria; Scolari, Baldassare
Reihe
Religion, Film und Medien 1
Erschienen
Marburg 2018: Schüren Verlag
Anzahl Seiten
597 S., zahlr. farb. Abb.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lisa Kienzl, Institut für Religionswissenschaft und Religionspädagogik, Universität Bremen

Die Idee eines Sammelbandes zur Passionsgeschichte im Film ist zweifellos interessant. Mit dem Untertitel „Die Passionsgeschichte in der Kultur“ wird jedoch der Eindruck erweckt, dass hier ein breiteres Spektrum behandelt wird, als dies der Fall ist. Tatsächlich liegt der Schwerpunkt auf konkreten Beispielen der filmischen Umsetzung der Passionsgeschichte im 20. und 21. Jahrhundert. Die Herausgeber/innen haben sich bei der Konzeption des Bandes auf die Passionsgeschichte im Film konzentriert, da sie dieses Motiv als zentralen Bestandteil der Filmgeschichte sehen. Aus ihrer Sicht können so sowohl religiöse Diskurse aufgegriffen als auch Religionskritik betrieben werden. Die Fokussierung und thematische Eingrenzung auf diesen Bereich ergibt methodisch durchaus Sinn. Sie hätte jedoch zum besseren Verständnis Ausdruck in einem weniger irreführenden Untertitel finden können.

Der Blick auf das Medium Film hätte zudem durch den Miteinbezug von Auseinandersetzungen mit Fernsehproduktionen, auf die in der Einleitung auch hingewiesen wird, erweitert werden können. Eine Analyse der in der Einleitung erwähnten Bibelserien aus dem deutschsprachigen („Jesus“ 1999, Roger Young) beziehungsweise US-amerikanischen Kontext („The Bible. The Epic Miniseries“ 2010, Christopher Titus King, Rob Goldie, Peter Greenhalgh), die sich ebenfalls mit der Passionsgeschichte beschäftigen, wäre mit Sicherheit bereichernd gewesen. Nichtsdestotrotz ist die Ausgestaltung der thematischen Schwerpunkte der Beiträge in den Kapiteln sowie die Auswahl der Filmbeispiele in sich stimmig.

In den insgesamt 15 Kapiteln behandeln jeweils zwei Beiträge einen Film. Einleitend wird auf die interdisziplinäre Herangehensweise hingewiesen, die sich in der disziplinären Verortung der Mitwirkenden widerspiegelt. Neben Vertreter/innen aus Theologie und Religionswissenschaft verfassten Autor/innen aus Kultur- und Geisteswissenschaften sowie Natur- und Wirtschaftswissenschaften, aber auch aus der Medizin Beiträge. Die Filmbeispiele greifen die Thematik der Passion jeweils an einem spezifischen Punkt in der Filmgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts auf. Die Gegenüberstellung von Beiträgen aus der Perspektive „religionsbezogener Disziplinen“ (S. 16) mit anderen disziplinären Ansätzen ermöglicht eine Pluralität von Perspektiven auf ein Beispiel oder einen bestimmten Fokus. Zudem wird zu Beginn jedes Kapitels das jeweilige Filmbeispiel kurz inhaltlich erläutert.

Dieses Konzept bereichert den Sammelband und ermöglicht es, in den Auseinandersetzungen mit einem spezifischen Thema in die Tiefe zu gehen sowie unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen. Die Auswahl der Filmbeispiele mit Produktionen aus Europa beziehungsweise Nordamerika grenzt den Gegenstand grundsätzlich thematisch ein. Etwas verloren wirken dabei die beiden Exkurse, die als Beispiele Produktionen aus Indien und Südkorea heranziehen. Auch wenn die Auswahl der Filme nach thematischen Kriterien erfolgte, so hätte entweder eine größere Vielfalt der Beispiele in geographischer Hinsicht oder eine bewusste und damit aber auch in sich geschlossene Abgrenzung auf einen bestimmten Raum ein stimmigeres Bild ergeben.

Dennoch ist gerade der zweite Exkurs nach Südkorea, der sich in Kapitel 14 mit Kim Ki-duks „Pietà“ (2012) beschäftigt, gut umgesetzt. Daria Pezzoli-Olgiatis Beitrag behandelt die „Verbreitung der Passionsgeschichte in der Kultur“ (S. 524) und die „Tradierung der Pietà“ (S. 524), die in ihrem Beitrag einerseits in kunsthistorischen Beispielen, anderseits in der filmischen Umsetzung diskutiert werden. Eine wirtschaftswissenschaftliche Perspektive auf Passion und Leiden nimmt der Beitrag von Marc Chesney ein. Dabei greift er zum einen die starke Mediatisierung des Leidens auf, während er gleichzeitig einen überaus kritischen Blick auf den Finanzsektor wirft. Diese Verknüpfung unterschiedlicher disziplinärer Perspektiven auf dieselbe Thematik zeigt das Potential des interdisziplinären Konzepts.

Die Passionsgeschichte im Film wird in den Kapiteln chronologisch aufgearbeitet. Den Anfang macht eine Übersicht der frühen Filmgeschichte im beginnenden 20. Jahrhundert. Danach erfolgt ein direkter Einstieg in die 1960er-Jahre. Warum die Zeitspanne dazwischen nur in der Einleitung, nicht aber in eigenen Kapiteln analysiert wird, geht leider nicht näher aus dem Text hervor.

Teilweise erfolgt in den Beiträgen eine sehr starke Fokussierung auf das Narrativ der Filmbeispiele selbst (Konrad Schmid), sodass weitere Überlegungen zu kurz kommen. Das Ausbleiben einer abschließenden Zusammenführung der verschiedenen Betrachtungen unter Einbeziehung des Filmbeispiels als Abrundung des Beitrages ist teilweise auch etwas zu bemängeln (Marco Baschera). Hier hätte es übergreifend einer stärkeren Editierung durch die Herausgeber/innen bedurft. Darüber hinaus liegt der Schwerpunkt bei vielen Beiträgen auf der Ebene der Repräsentation in den Filmbeispielen, wodurch Rezeption oder Produktion vernachlässigt werden. Auch der in der Einleitung angekündigte Ansatz einer „kulturwissenschaftlichen Erforschung des Verhältnisses von Film und Religion“ (S. 16) fällt teilweise eher theologisch aus. Darüber hinaus ist die Diskussion um das Verhältnis von Wissenschaft und Populärkultur in Susanne Heines Beitrag zu „Jesus Christ Superstar“ (1973, Norman Jewison) in Kapitel fünf in der vorliegenden Form eher deplatziert. Dieser Diskurs steht nicht im Mittelpunkt des Buches, er hätte stärker in den Mittelpunkt gerückt werden müssen, um die unterschiedlichen Positionen der jeweiligen disziplinären Diskussionen herauszuarbeiten. Stattdessen wird das Thema hier lediglich angeschnitten, die anschließende Vertiefung unterbleibt.

Oftmals lässt sich die Idee des Sammelbandes jedoch sehr gut umsetzen. Insbesondere dann, wenn sich beide Beiträge zu einem Thema auf interessante Weise ergänzen. So beschäftigt sich zum Beispiel in Kapitel drei der Beitrag von Harald Matern mit den christlichen Motiven sowie der ethischen Bedeutung der filmischen Inszenierung in „Au Hasard Balthazar“ (1966, Robert Bresson), während der Beitrag von Marcus Clauss die Mensch-Tier-Beziehung aus naturwissenschaftlicher Sicht behandelt. Dabei weist Clauss hier nicht nur auf dramaturgische Lücken in Bezug auf die Inszenierung hin, sondern fragt darüber hinaus nach der Rezeption der Darstellung des leidenden Tieres.

Ähnlich zeigt sich dies auch in Kapitel sieben. Das Filmbeispiel „The Last Temptation of Christ“ (1988, Martin Scorsese) greift hier das Motiv der Passionsgeschichte in den 1980er-Jahren auf. Stefanie Knauß behandelt neben der Inszenierung und Interpretation der Figur Jesus in Martin Scorseses Film auch die schwierigen Produktionsbedingungen und die kontroverse Rezeption. Letztere wird in Andreas Thiers Beitrag „Recht und Blasphemie“ aufgegriffen und durch weitere Beispielen aus der europäischen Rechtsgeschichte vertieft. Interessante und bisher kaum bekannte Einblicke in die Thematik liefert zudem der gelungene Beitrag von Gerd Folkers. Anhand des Beispiels „The Passion of the Christ“ (2004, Mel Gibson) wirft er in Kapitel elf einen naturwissenschaftlichen Blick auf Körper und Schmerz, der abschließend noch einmal ganz konkret auf das Filmbeispiel bezogen wird.

Aber auch die Frage nach der Rolle des Schauspielers und der „Bedeutung der sozialen Rolle“ (S. 328) als eines der „zentralen Motive der dramatischen Literatur“ (S. 328), die Lukas Bärfuss in seinem Beitrag in Kapitel acht in der Auseinandersetzung mit „Jésus de Montréal“ (1989, Denys Arcand) aufgreift, ist überaus interessant. Bärfuss, der als Schriftsteller in Zürich tätig ist, bringt hier eine andere Betrachtung der Thematik ein, die sich zudem stilistisch von den übrigen Beiträgen abhebt. Obwohl dieser Beitrag eher kurz ist, zeigt sich hier wieder das Gelingen des interdisziplinären Konzepts.

Abschließend ist festzuhalten, dass die Einleitung einen guten Einblick und Überblick in die Passionsgeschichte im Film gibt. Eine gemeinsame Conclusio als Abschluss des Werkes, insbesondere angesichts des Umfanges des Sammelbandes, hätte diesen allerdings noch weiter abgerundet. Die teilweise sehr unterschiedlichen Perspektiven der Beiträge hätten so noch einmal miteinander verknüpft werden können. Nichtsdestotrotz liefert der Band durch seinen interdisziplinären Ansatz neue und interessante Blickwinkel, die die kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik mit Sicherheit bereichern und insbesondere die interdisziplinäre Verknüpfung von Film und Religion vertiefen.

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