Cover
Titel
History After Hitler. A Transatlantic Enterprise


Autor(en)
Stelzel, Philipp
Erschienen
Anzahl Seiten
236 S.
Preis
$ 69.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina Morina, Duitsland Instituut, Amsterdam

Nach der Lektüre des Buches History After Hitler steht außer Frage, dass der Untertitel desselben durchaus ein Fragezeichen verdient hätte. Denn Philipp Stelzel schildert hier die Beziehungsgeschichte zwischen Historikern der neueren und neuesten deutschen Geschichte in der Bundesrepublik und den USA zwischen 1945 und den 1980er-Jahren durchaus nicht als ein in sich geschlossenes, zielbewusstes „transatlantic enterprise“. Vielmehr zeigt er: „American historians of modern Germany were rather attentative observers than active participants or sources of inspiration.“ (S. 17) Stelzel unternimmt dafür eine differenzierte Analyse der gegenseitigen intellektuellen Bezugnahmen, formellen und informellen Kooperationen sowie (meist wohlwollenden) Abgrenzungen. Damit widerlegt er viele der von manchen Protagonisten wie auch späteren Historikergenerationen gehegten Annahmen in Bezug auf diese westdeutsch-amerikanische Beziehungsgeschichte.

Ziel des Buches, das auf einer 2010 an der University of North Carolina abgeschlossenen Dissertation beruht, ist eine systematische Auffächerung der „West German historical profession’s transatlantic dimension“ (S. 15). Mit dem Fokus auf dem Bielefelder „Projekt“ einer Historischen Sozialwissenschaft und deren Kritikern möchte der Autor zugleich das historiografiegeschichtliche Wissen über die westdeutsche Geschichtswissenschaft insbesondere der 1960er- und 1970er-Jahre vertiefen. Er stellt seiner Untersuchung eine vorsichtige Distanzierung voran, um sich den mitunter immer noch nachköchelnden (wissenschafts-)politischen Konfliktlogiken zu entziehen, die dem programmatischen Furor entsprangen, mit dem allen voran Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka einst ihre Vorstellungen einer „modernen Gesellschaftsgeschichte“ kritisch-alternativ zur konventionellen Politik-, Diplomatie- und Militärgeschichte entwickelt hatten – das „Koordinatensystem des Faches“ (Paul Nolte) galt es zu verschieben. Auch wenn Stelzel „the writing of historiographical texts in order to legitimize a new approach“ für ein „inherently problematic undertaking“ hält – ohne zu präzisieren, was er mit „problematisch“ meint –, will er diese Geschichte sowohl „affirmativ“ als auch „kritisch“ erzählen, also einerseits zeigen, welchen Beitrag die transatlantische Community zur (west-)deutschen Geschichtsschreibung geliefert hat, andererseits aber auch deren „critical historization“ vorantreiben (S. 15).

Ganz im Einklang mit der neueren Historiografiegeschichtsschreibung, die sich unter anderem für biografische, erfahrungsgeschichtliche, transnationale und wissenschaftssoziologische Perspektiven geöffnet hat, zieht Stelzel neben zentralen historischen und programmatischen Texten (Monografien, Aufsätzen, Sammelbänden, Rezensionen) auch Nachlässe samt teilweise unveröffentlichten Korrespondenzen und Zeitzeugen-Interviews heran. Hier und da bleiben einige jüngere Forschungen unberücksichtigt, etwa Matthew Stibbes Interpretation der Fischer-Kontroverse oder Stefan Bergers Referenzwerke zur ost- beziehungsweise westdeutsch-britischen Historiker-Beziehungsgeschichte.1 Auch eine explizite Auseinandersetzung mit Bettina Hitzers und Thomas Welskopps fundierter Einführung zu einer Auswahl von „klassischen“ Texten der „Bielefelder Schule“ hätte man sich gewünscht, zumal darin zwei für Stelzels Vorhaben wichtige Thesen aufgestellt wurden: dass „zuallererst die Gegner den Begriff [Bielefelder Schule] geprägt“ hätten (während Wehler selbst, wie Stelzel erwähnt, stets betonte, der Terminus sei eine amerikanische Erfindung, S. 130) und dass er sich vor allem im Ausland, in „fast durchweg sympathisierender Anteilnahme“, als „Synonym für die westdeutsche Sozialgeschichte“ insgesamt etabliert habe.2 Doch ungeachtet dieser Bemerkungen entfaltet Stelzel ein kundiges Panorama der Akteure (fast ausschließlich Männer), Themen und Konfliktlinien in Bezug auf die deutsche (Zeit-)Geschichtsschreibung nach 1945 in einer westdeutsch-amerikanisch verflochtenen Perspektive.

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert: Die ersten zwei skizzieren das Feld einer nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fundamental erschütterten Zunft. In den westlichen Zonen beziehungsweise der frühen Bundesrepublik vollzog sich die begrenzte Erneuerung der Geschichtswissenschaft in zwei Phasen (Wiederaufbau 1945–1950, Expansion 1950–1960). Maßgeblich vorangetrieben wurde sie von bereits etablierten beziehungsweise in den 1920er- und 1930er-Jahren ausgebildeten Historikern wie Gerhard Ritter, Hans Rothfels, Theodor Schieder und Werner Conze. Remigranten spielten dabei mit Ausnahme von Rothfels eine marginale Rolle. Schon einige der frühen institutionellen Neugründungen wie das Institut für Europäische Geschichte in Mainz (1950/51) setzten auf Abgrenzung und Traditionskritik; sie sollten zur „Entpreußung“, Öffnung und Internationalisierung der deutschen Geschichtsschreibung beitragen. Mit dem Kalten Krieg und der Zunahme der auch in der Historikerschaft spürbaren innerdeutschen Spannungen bis hin zur Entstehung zweier eigenständiger Verbände kamen zunehmend Deutschlandexperten im westlichen Ausland als potentielle Partner in den Blick – nicht nur Historiker, sondern auch Politologen und Soziologen.

Auf der anderen Seite des Atlantiks, dessen vielfältige und ebenfalls expandierende Forschungslandschaft zur deutschen Geschichte Stelzel im zweiten Kapitel nachzeichnet, beobachtete man den Neuanfang mit einer Mischung aus intellektuellem Interesse und politischer Skepsis. Am Beispiel des Umgangs von Felix Gilbert und Andreas Dorpalen mit der Person und den in konservativem Geiste verfassten Arbeiten Ritters zeigt Stelzel eindrücklich: „[…] for the sake of international scholarly dialogue some historians were willing to accept – or at least engage – views they sharply disagreed with.“ (S. 46) Zudem spielten aus Deutschland und Österreich emigrierte Historiker wie Peter Gay, Fritz Stern, Hans Kohn, Leonard Krieger oder George Mosse mit ihrer „cultural and intellectual history of modern Germany“ (S. 65), für die es in der Bundesrepublik zunächst keine Entsprechung gab, eine immanent wichtige Rolle. Manche von ihnen, etwa Hans Rosenberg, der „godfather“ der Historischen Sozialwissenschaft, entfalteten langfristig auf beiden Seiten des Atlantiks einen „deep impact“ (S. 62).

Das dritte Kapitel ist einigen Begegnungen deutscher Historiker mit den USA gewidmet. Manche, wie Fischer oder Ritter, unternahmen als etablierte Ordinarien Vortragsreisen im Stile von „tour de force“-Stippvisiten (Heinz Gollwitzer). Andere, wie der junge Wehler, kamen zu Studienaufenthalten und entwickelten über das Leben in Gastfamilien („zweite Eltern“, S. 92) in einer abgelegenen Universitätsstadt wie Athens (Ohio), über Reisen und Lehrtätigkeiten eine innige Beziehung zur Kultur und Mentalität des Landes (so etwa auch Jürgen Kocka, Klaus Schwabe oder Volker R. Berghahn). Diese unterschiedlichen Erfahrungsebenen sind gerade für die retrospektive Bewertung der transatlantischen Kontakte relevant. Im Falle des Bielefelder „Projekts“ sind die leidenschaftliche Neugier auf den historischen (und immer auch politischen) Perspektivwechsel, der emphatische Bezug auf intellektuelle Verwandt- beziehungsweise Erbschaften (vor allem Hans Rosenberg und Eckart Kehr) sowie das große Interesse an interdisziplinären Experimenten und theoretischer Fundierung nicht ohne diese lebensweltlichen Kontexte zu verstehen.

Die letzten beiden Kapitel zeichnen die Etablierung der sogenannten Bielefelder Schule und die „defense“ der – so Stelzels Annahme – in den 1970er-Jahren errungenen „intellectual hegemony“ bis in die 1980er-Jahre nach. Die Auseinandersetzungen rund um Wehlers (zweite) Kölner Habilitationsschrift „Bismarck und der Imperialismus“ (1969 publiziert) zeigen eindrücklich die intellektuelle und auch staatsbürgerliche Motivlage, von der aus Wehler die deutsche Geschichte und insbesondere das Kaiserreich neu zu vermessen suchte. Zugleich verwies bereits Theodor Schieder in seinem Habilitationsgutachten auf die Grenzen und Risiken eines solchen Ansatzes. Wehlers zahlreiche Polemiken „missed the mark by far on numerous occasions“, so Schieder (in Stelzels Übersetzung); schlimmer noch seien Wehlers „socio-economic arguments often masked moralistic judgements“. Dennoch sprach sich der politisch konservative Schieder für die Annahme der Arbeit aus und zeigte damit „impressive academic liberalism“ (S. 115) – vorbildhaft wohl nicht zuletzt für den späteren „Geschichte und Gesellschaft“-Herausgeber Wehler, der dort gerade wegen seiner Lust an der Auseinandersetzung regelmäßig auch Kontrahenten zu Wort kommen ließ.

Insgesamt bietet „History After Hitler“ einen konzisen Überblick der Hauptthemen und -fragestellungen, impulsgebenden Akteure und institutionellen Entwicklungen auf dem Gebiet der jüngeren deutschen Geschichte in westdeutsch-amerikanischer Perspektive. Jenseits von Selbststilisierungen, behaupteten intellektuellen Verwandtschaften und einer „cleveren“ wissenschaftspolitischen „promotional strategy“ zeigt Stelzel, dass es indes nicht um ein transatlantisches Joint Venture ging. Vielmehr entspann sich hier eine genuin plurale, interdisziplinär neugierige und somit in mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitende transatlantische „conversation“ (S. 169) – ein von vergleichbaren historischen Fragen und überwiegend (links-)liberalen politischen Motivlagen getragenes intellektuelles Gespräch zwischen Historikern, die nach dem katastrophalen Ende des NS-Regimes mehr denn je ihre „Standortgebundenheit“ (Reinhart Koselleck) als akademisch arbeitende Bürger persönlich reflektierten, wissenschaftlich perspektivierten und öffentlich artikulierten. Die Amerikaner beobachteten die Entwicklungen in der deutschen Geschichtswissenschaft mit einem wohlwollend-kritischen Blick, schätzten die „fresh air“ (S. 135) vieler Bielefelder Arbeiten und sahen darin einen Beleg für die Liberalisierung der Zunft, wenn nicht einer ganzen Gesellschaft. Die Deutschen kultivierten ihre „American connection“ als „reference point and a label“ für ihre „Modernität“, Internationalität und Innovationskraft, ohne dass sich diese Verbindung in ihren Arbeiten direkt niedergeschlagen hätte (S. 140); die Einflüsse waren ephemerer und uneindeutiger als oft behauptet oder vermutet wird.

Die „Bielefelder Schule“ spielte sowohl in dieser transatlantischen Konversation als auch in der Ausdifferenzierung der deutschen Geschichtswissenschaft eine Rolle, die sich in der nüchternen Rückschau etwas bescheidener ausnimmt als in der damaligen Wahrnehmung der Akteure. Philipp Stelzel gelingt dennoch eine angemessene Würdigung vor allem mit Blick auf die innere Demokratisierungsgeschichte der alten Bundesrepublik. Deren letzte Großkontroverse, den „Historikerstreit“, macht er in seiner deutsch-amerikanischen Perspektivierung noch einmal frisch nachvollziehbar. Stelzel lässt aber auch erkennen, wie stark vor allem Wehler mit seiner Freude an polemischer Zuspitzung zur – je nach Standpunkt – notwendigen Belebung oder leidigen Polarisierung der bundesdeutschen politischen Kultur beigetragen hat.

Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Matthew Stibbe, Flüchtige Allianzen. Der Erste Weltkrieg als Erwartungshorizont und Explanandum, in: Franka Maubach / Christina Morina (Hrsg.), Das 20. Jahrhundert erzählen. Zeiterfahrung und Zeiterforschung im geteilten Deutschland, Göttingen 2016, S. 32–85; Stefan Berger / Peter Lambert / Peter Schumann (Hrsg.), Historikerdialoge. Geschichte, Mythos und Gedächtnis im deutsch-britischen kulturellen Austausch, 1750–2000, Göttingen 2003.
2 Bettina Hitzer / Thomas Welskopp, Die „Bielefelder Schule“ der westdeutschen Sozialgeschichte. Karriere eines geplanten Paradigmas?, in: dies. (Hrsg.), Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen, Bielefeld 2010, S. 13–31, hier S. 14.