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Titel
Die unerhörte Friedensbewegung. Frauen, Krieg und Frieden in der Nuklearkrise 1979–1983


Autor(en)
Bieschke, Anne
Reihe
Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedens- und Konfliktforschung 25
Erschienen
Anzahl Seiten
277 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Janine Gaumer, München

"Die unerhörte Friedensbewegung" – unter diesem sprechenden Titel widmet sich Anne Bieschke in ihrer Dissertation einem Protestphänomen der Neuen Sozialen Bewegungen. Die Frauenfriedensbewegung formierte sich Ende der siebziger Jahre innerhalb des bestehenden Protestmilieus und verband zwei leitende Motive der Zeit miteinander: die Forderung nach Gleichberechtigung von Frauen und die Gegnerschaft zum NATO-Doppelbeschluss von 1979. Die Arbeit entstand im Kontext des Forschungsprojekts zur "Nuklearkrise in den 1970er und 1980er Jahren", das seit einigen Jahren am Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim verfolgt wird.1

In ihrer Einleitung konstatiert Bieschke, dass die Frauenfriedensbewegung aufgrund ihrer starken personellen und inhaltlichen Überschneidungen "keineswegs scharf abgrenzbar" (S. 26) von der Friedensbewegung auf der einen sowie der neuen Frauenbewegung auf der anderen Seite sei. Gerade aufgrund dieser Unschärfe ist es ihr ein Anliegen, das Untersuchungsobjekt als "eigenständigen Akteur innerhalb der sozialen Bewegungen" (S. 26) erfassen zu können. Aus diesem Grund räumt sie den Beziehungen zu den beiden thematisch eng angebundenen Bewegungen und den jeweiligen Abgrenzungsversuchen der "Friedensfrauen" in beide Richtungen viel Aufmerksamkeit ein. Die zwei zentralen Thesen ihrer Arbeit geben Antwort auf die Frage, welchen Einfluss die Frauenfriedensbewegung mit ihrer spezifischen Herangehensweise – nämlich das Thema Frieden über die Kategorie Geschlecht auszuhandeln – ausüben konnte: So sei die neue Frauenbewegung in einen konstruktiven Dialog mit der Frauenfriedensbewegung eingetreten, habe sich thematisch geöffnet und so einen Weg gefunden, die Frauenbewegung "langfristig weiter zu führen" (S. 17). Demgegenüber sei die männerdominierte allgemeine Friedensbewegung gegenüber dem thematischen Zugang über die Kategorie Geschlecht weitgehend verschlossen geblieben und habe die "Diskussionen um den Friedensbegriff oder über die eigene Arbeits- und Organisationsweise" blockiert (S. 17). In Bezug auf die Friedensbewegung blieben die Frauen, so lässt sich der Titel der Arbeit nach Lektüre der Einleitung interpretieren, "unerhört".

Bieschkes Untersuchung ist eine sehr strukturiert aufgebaute Studie, die sich ihrem Gegenstand detailliert und quellennah widmet. Ihrer oben ausgeführten Argumentation geht sie in drei thematisch orientierten Abschnitten nach. Zunächst untersucht sie die Entstehung, die Zusammensetzung und die transnationalen Verbindungen der Frauenfriedensbewegung. Hier führt sie zwei Initialzündungen für die Formierung dieser Protestgruppe an: Erstens die bundesrepublikanische Debatte um den Dienst von Frauen in der Bundeswehr sowie zweitens eine Unterschriftenkampagne dänischer Frauen gegen die damalige Aufrüstungs-Politik, die innerhalb kürzester Zeit in ganz Westeuropa Nachahmerinnen fand. Im soziologischen Profil der Frauenfriedensbewegung hebt Bieschke Frauen aus den Parteien SPD und Grüne, den Gewerkschaften und den Kirchen als besonders wichtige personelle Pfeiler hervor. Die transnationalen Verbindungen veranschaulicht sie an den Beziehungen zu anderen "Friedensfrauen" in der DDR sowie mit den Reisen einiger westdeutscher Aktivistinnen in die USA zur US-Präsidentschaftswahl 1984.

Im zweiten Teil beschäftigt sich Bieschke mit der "Selbstherstellung" (S. 109) der Frauenfriedensbewegung. Hier geht es um die Identität, die die Aktivistinnen mithilfe bestimmter Aktionsformen, einer eigenen Symbolik und Sprache sowie mittels der Erforschung ihrer eigenen Geschichte zu konstruieren versuchten. Bieschke knüpft mit dieser Darstellung in vielerlei Hinsicht an bereits bestehende Forschungen zu sozialen Bewegungen und Protest an: So beispielsweise mit der Feststellung, dass die "Friedensfrauen" sich durch detailliertes Wissen eine Machtposition im Diskurs um Aufrüstung und Atomwaffen anzueignen versuchten.2 Auch die Darstellung der Bedeutung von eigener Betroffenheit und des eigenen Erlebens als wichtige emotionale Faktoren des Protest (S. 117) sowie die Beschreibung von "Raumnahmen", durch die die eigenen Ansprüche sichtbar gemacht werden sollten (S. 129ff.), schließen an Thesen anderer Arbeiten an.3

Der dritte Teil macht die eingangs aufgestellten Thesen am eindringlichsten deutlich. Hier geht Bieschke den Debatten zwischen den "Friedensfrauen" und den Aktivist/innen der Frauenbewegung sowie der Friedensbewegung nach. Das für Bieschke wichtige eigene Profil der Frauenfriedensbewegung, das sich durch die Verbindung der Kategorie Geschlecht mit dem "Friedensthema" hergestellt habe, wird insbesondere am Beispiel der Diskussionen um den Dienst von Frauen an der Waffe deutlich. Die ausführlich präsentierte Haltung Alice Schwarzers zu diesem Thema ist zwar keine neue Quellenentdeckung; mit der Darstellung der verschiedenen Positionen zu Gewalt, Macht, Krieg und "weiblicher Friedfertigkeit" fasst Bieschke jedoch präzise die zentralen Debattenpunkte des bundesrepublikanischen Feminismus der achtziger Jahre zusammen und macht sie für das Verständnis des Phänomens Frauenfriedensbewegung fruchtbar.

Ihre These, dass die Frauenbewegung für die Themensetzung der "Friedensfrauen" offen war, ist anhand dieser Ausführungen nachvollziehbar. Etwas weniger stringent gelingt die Beschreibung, wie die "Friedensfrauen" um Einfluss auf die Deutung des Friedensbegriffs innerhalb der Friedensbewegung sowie um die Sichtbarkeit von Frauen auf der Bonner Hofgartendemonstration 1982 kämpften. Grund hierfür ist in erster Linie, dass hauptsächlich eine Frau aus dem zentralen Koordinationsbüro der Friedensbewegung als Gegenspielerin der "Friedensfrauen" auftrat, nämlich Eva Quistorp, die selbst in der Frauenfriedensbewegung aktiv war. In dieser Konstellation bleibt die These Bieschkes zur fehlenden Öffnung der Friedensbewegung in Richtung frauenspezifischer Anliegen etwas blass. Sehr plastisch lesen sich dagegen die Ausführungen zu internen Auseinandersetzungen innerhalb der verschiedenen Gruppen von "Friedensfrauen" (S. 232–234), über die man gerne noch mehr gelernt hätte – denn gerade durch interne Differenzen wird eine soziale Bewegung in ihrer historischen Komplexität greifbar.

Die Darstellung und Deutung folgt jederzeit dem selbstgestellten Anspruch Bieschkes, den "Blickwinkel der Frauenfriedensbewegung auf ihre eigene Bewegung" (S. 248) in den Fokus zu nehmen. Fehlt es dem Buch also nicht an innerer Kohärenz, so hätte man aber gerne mehr über die Gesellschaft erfahren, in der sich die "Friedensfrauen" mit ihren Forderungen bewegten und die sie mit ihrem Engagement zu verändern versuchten. In der Einleitung wird ausführlich auf theoretische Konzepte zu Öffentlichkeit, Kommunikation und "Selbstherstellung" eingegangen. Eine Anbindung an übergreifende Forschungsthesen wie beispielsweise der Liberalisierung der Bundesrepublik 4 findet jedoch nicht statt. Der größere historische Kontext wird in einem acht Seiten umfassenden Unterkapitel (I.2.1) abgehandelt; dabei werden wichtige Stichworte wie außerparlamentarischer Protest, Partizipation und die Aushandlung von Mitsprache- und Entscheidungsrechten genannt (S. 55), diese aber in ihrer komplexen Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung in den siebziger und achtziger Jahren nicht näher ausgeführt. An einigen Stellen wird die allgemein vorhandene "Benachteiligung und Ungleichbehandlung von Frauen, die überall in der Gesellschaft zu finden war" (S. 62), angesprochen, eben diese jedoch nur sehr selten konkretisiert und greifbar gemacht.

Aus diesem Grund wird auch die Antwort auf die Frage nach den tiefer liegenden Ursachen für die Herausbildung einer Frauenfriedensbewegung letztlich nur gestreift – im Vordergrund steht der von den Aktivistinnen selbst als Motiv genannte äußere Problemdruck durch den NATO-Doppelbeschluss und die zeitgenössische Kriegsangst. Auch mit einigen Anmerkungen zum Erfolg und zur Berechtigung der Aktivitäten der Frauen folgt die historische Deutung der Ereignisse zum Teil Kriterien, welche die Protagonistinnen selbst aufstellten (zum Beispiel auf S. 107, 123, 127, 130). Der Eindruck einer gewissen Nähe zum Untersuchungsgegenstand wird sicherlich durch die Auswahl der Quellen begünstigt, die zum größten Teil selbstreferentiell sind. In der sprachlichen Darstellung vermisst man jedoch zuweilen etwas die interpretierende Distanz: So nutzt Bieschke einige zeitgenössische Begriffe, um die Frauenfriedensbewegung oder ihre Aktivistinnen zu beschreiben (wie "'Überlebensbewegung'", S. 37; "frauenbewegt", S. 168). Eine Außensicht auf die Bewegung, zum Beispiel von politischen Gegner/innen, bleibt die Studie weitgehend schuldig. Diese fehlende – vor allem männliche – Perspektive weist Bieschke in ihrer Schlussbetrachtung selbst als Forschungsdesiderat aus.

Dennoch erweist diese quellennahe Präsentation der historischen Forschung zu sozialen Bewegungen, die für geschlechtergeschichtliche Fragestellungen bisher weitgehend blind war, einen großen Verdienst. Es ist zu hoffen, dass das interessante Phänomen der Frauenfriedensbewegung durch die Dissertation Bieschkes die ihm gebührende Aufmerksamkeit erfährt. Das Buch sei daher allen empfohlen, die sich für diesen nicht unwichtigen Teil der feministischen Geschichte der Bundesrepublik interessieren.

Anmerkungen:
1http://hi.uni-mannheim.de/zeitgeschichte/forschung/nuclear-crisis/ (14.12.2018).
2 Zur Bedeutung alternativer Wissensbestände siehe z. B. Jan Hansen, Abschied vom Kalten Krieg? Die Sozialdemokraten und der Nachrüstungsstreit (1977-1987), Berlin 2016.
3 Susanne Schregel, Der Atomkrieg vor der Wohnungstür. Eine Politikgeschichte der neuen Friedensbewegung in der Bundesrepublik 1970-1985, Frankfurt 2010.
4 Ulrich Herbert (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945-1980, Göttingen 2002.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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