Cover
Titel
Mit Wein Staat machen. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland


Autor(en)
Bergmann, Knut
Erschienen
Berlin 2018: Insel Verlag
Anzahl Seiten
366 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sina Fabian, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wein ist seit Jahrtausenden Bestandteil ritueller und politischer Zeremonien. Knut Bergmanns Ansatz, die politische und repräsentative Funktion von Wein für die Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen, ist deshalb so naheliegend wie relevant. Als ehemaliger Grundsatzreferent im Bundespräsidialamt und früherer Redenschreiber von Bundestagspräsident Norbert Lammert verfügt der Autor zudem über das nötige Wissen und entsprechende Kontakte, um die formellen und informellen Codes von Staatsbanketten, die er vornehmlich untersucht, zu entschlüsseln. Das Buch richtet sich an ein breites Publikum und nicht primär an die Geschichts- oder Politikwissenschaften.

In den einführenden Kapiteln legt Bergmann überzeugend dar, warum alkoholische Getränke, und Wein im Besonderen, als Mittel der Politik ernst zu nehmen sind. Sie stiften zum einen Geselligkeit. So schildert Bergmann mehrere Fälle, in denen Alkohol gezielt eingesetzt wurde, um etwa verfahrene Verhandlungen zu retten (z. B. S. 22f.). Er weist darauf hin, dass Alkohol schon seit Jahrhunderten in dieser Funktion genutzt wurde, um politische Ziele zu erreichen. Wein und Sekt sind zudem Konsumgüter mit einem hohen Distinktionswert und gelten, anders als Bier, als besonders festliche Getränke. Hinzu kommt, dass Deutschland über eine lange Weinbautradition verfügt. Aus diesen Gründen eignet sich Wein gut zur staatlichen Repräsentation.

Bergmann verortet sein Buch in der Forschung zu Staatsbesuchen und politischem Zeremoniell, wobei er zu Recht betont, dass Kulinarik darin bisher kaum eine Rolle gespielt hat. Bergmanns Hauptquellen sind die Akten der Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes, die Menükarten von Staatsbanketten und persönliche Gespräche. Auf Quellennachweise verzichtet der Autor allerdings ausdrücklich und listet lediglich in der Einleitung auf, welche Bestände er sich angesehen hat.

Nach einem informativen statistischen Überblick zu den auf Staatsbanketten ausgeschenkten Weinen zwischen 2004 und 2014, der mit den Trinkgewohnheiten der deutschen Durchschnittsbürger/innen verglichen wird, skizziert Bergmann die historische Bedeutung von Wein für das politische Zeremoniell vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Danach widmet er sich seinem eigentlichen Thema: den Staatsbanketten in der Bundesrepublik. Der Autor handelt diese chronologisch und getrennt nach Bundespräsidenten und Bundeskanzlern ab.

Gespannt auf die historisch-empirische Analyse der in den konzeptionellen Kapiteln herausgearbeiteten Bedeutung von Wein und anderen alkoholischen Getränken für politische Repräsentationen stellt sich rasch Ernüchterung ein. Im Hauptteil handelt es sich nahezu ausschließlich um eine Aneinanderreihung von Anekdoten sowie um die Auflistung der bei den Banketten gereichten Speisen und Getränke. Auf Basis von zeitgenössischen Weinführern urteilt der Autor, ob es jeweils hoch- oder minderwertige Weine waren. In zahlreichen Kapiteln geht es indes gar nicht um Wein, sondern um Dinge, die im weiteren Sinne damit zu tun haben (Speisen, Geschirr und Gläser). Darüber hinaus gibt es mehrere Abschnitte etwa zu Tischreden (S. 107–110), Musik (S. 111ff.), Autos (S. 117f.) und Fauxpas (S. 136–145). Es wäre interessant zu erfahren, ob und welche Rolle Alkohol für all diese Teilbereiche spielte, etwa als Daniela Schadt, die Lebensgefährtin des damaligen Bundespräsident Joachim Gauck, der Fürstin von Monaco im Sommer 2012 aufs Kleid trat, oder als für Roman Herzog während seines Staatsbesuches 1995 in Brasilien die Hymne der DDR gespielt wurde (S. 138f.). Leider bleiben diese möglichen Verbindungen im Dunkeln, und es stellt sich die Frage, weshalb Bergmann solche ausführlichen Exkurse überhaupt macht.

Beim Lesen entsteht der Eindruck, den der Autor selbst bestärkt: dass Wein im politischen Zeremoniell vielleicht doch nicht so bedeutend war. Häufig wirkte die Weinauswahl für die Staatsbankette beliebig und wenig durchdacht, während die Verantwortlichen über die Speisen intensiver nachdachten. Es lässt sich zudem nur in wenigen Fällen rekonstruieren, warum und von wem welche Weine ausgewählt wurden. Das mag an der unzulänglichen Quellensituation oder an mangelnder Quellenrecherche liegen. Anhand der Menükarten lässt sich eben nur sagen, welche Weine tatsächlich serviert wurden.

Zwischen den Anekdoten und Abschweifungen blitzen jedoch immer wieder Situationen auf, die dem Titel des Buches entsprechen und wo eine tiefergehende Analyse möglicherweise lohnend gewesen wäre. Laut Bergmann öffnete Bundeskanzler Konrad Adenauer beim ersten Zusammentreffen mit dem US-amerikanischen Außenminister John Foster Dulles 1953 eine Flasche Steinberger Trockenbeerenauslese des bereits zeitgenössisch berühmten „1921er“-Jahrgangs. Adenauer war sich der Qualität des Weines bewusst; fraglich ist jedoch, ob er auch wusste, dass Reichspräsident Paul von Hindenburg bereits 1927 eine Flasche davon zum 80. Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Dieser Wein wurde außerdem 1935 auf Hermann Görings Hochzeit ausgeschenkt (S. 83f.). Über solche „Weinbiografien“ und ihre Interpretation hätte die Rezensentin gern mehr erfahren. Ebenso interessant sind die eingestreuten Verweise darauf, wie Politiker Wein und andere alkoholische Getränke gezielt einsetzten, um Nähe und eine gelöste Stimmung zu erzeugen.

Generelle Befunde ergeben sich durch den langen Zeitraum der Untersuchung. So hing es offenbar in hohem Maße von den Kenntnissen und individuellen Vorlieben der jeweiligen Amtsinhaber ab, welche Bedeutung dem Wein in ihrem politischen Handeln zukam. Adenauer legte großen Wert auf Repräsentation und beteiligte sich persönlich an der Speisen- und Getränkeauswahl. Da er zudem ein Weinkenner war, konstatiert Bergmann, dass die Weine, die auf Adenauers Einladungen hin ausgeschenkt wurden, allesamt sehr gut waren, was bei Theodor Heuss, der laut Bergmann kein großer Weinkenner war und weniger Wert auf Repräsentation legte, nicht der Fall war. Ein derartiger Zusammenhang lässt sich bei fast allen Amtsträgern der Bonner Republik erkennen.

Bergmann stellt seit den 1980er-Jahren eine zunehmend klare und konstante Linie in den Menüs fest: Heute werden fast ausschließlich gehobene deutsche Speisen und Weine serviert, die jedoch eher regionale Vielfalt als punktuelle Exzellenz widerspiegeln. So kommen selten absolute Spitzenweine auf den Tisch – wie Bergmann betont, nicht aus Gründen der Sparsamkeit, sondern da Bescheidenheit, bei gleichwohl sehr guter Qualität, dem Bild entspricht, das die Bundesrepublik nach Jahrzehnten des Suchens für sich gefunden hat und nun auch konsequent nach außen und innen repräsentieren möchte.

Diese Schlussfolgerung klingt überzeugend und mag die teilweise widersprüchliche Weinauswahl der ersten Jahrzehnte erklären helfen. Allerdings handelt es sich lediglich um eine Vermutung, die in der Studie anhand der verwendeten Quellen nicht belegt wird, da die Leser/innen so gut wie nichts über den Auswahlprozess der Weine erfahren. Abgesehen von den letzten 20 Jahren lässt sich deshalb nur punktuell auf die Bedeutung und Funktion schließen, die die politischen Akteure dem Wein beimaßen.

Knut Bergmann gibt einen facetten- und anekdotenreichen Überblick zu Staatsbanketten der Bundesrepublik, der deutlich mehr umfasst als den Wein. Leser/innen profitieren von den genauen Kenntnissen des Autors sowohl zum Protokoll von Staatsbesuchen als auch zum Wein. Das Buch liefert darüber hinaus mehrere Anknüpfungspunkte für wissenschaftlich weiterführende Untersuchungen, wie mit Wein tatsächlich Staat gemacht wurde und wird. Der Band ist zudem gut lesbar geschrieben und enthält eine Vielzahl an Fotografien, die auch einen visuellen Einblick in das politische Zeremoniell geben.

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