Cover
Titel
Die Shoah im Bild.


Herausgeber
Kramer, Sven
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
€ 23,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Boll, Freiburg

Geschichte, wie sie uns die historische Forschung präsentiert, scheint unweigerlich in einen Text, eine Narration zu münden, dienen ihr als Quellen doch fast ausschließlich schriftliche Dokumente. Aber die Vergangenheit hinterließ nicht nur Texte, sondern auch Bilder. Wie prägen historische Fotografien unser Geschichtsbild? Lassen sich audiovisuelle Quellen der Shoah so dekodieren, dass deren Realität fassbar wird? Oder trägt ihre mediale Verbreitung, erst recht die von populären Fernseh- und Kinofilmen, zur Entstehung eines trivialen Bildes bei? Sven Kramer hat im Wintersemester 2001/02 am Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Lüneburg eine Ringvorlesung zu diesem Thema veranstaltet, deren Beiträge nun veröffentlicht worden sind.

Detlef Hoffmann fragt nach den Bedingungen, die Bilder der Vernichtung zum Symbol werden lassen. Der im Gedächtnis gespeicherte Bildervorrat könne ebenso wahrheitshaltig wie die sprachliche Erkenntnis sein und symbolische Repräsentationen ausbilden. In welchen Symbolen aber gerann die Vorstellung vom Holocaust? Offenbar werden neue Themen bereits bekannten angeglichen und um signifikante Details erweitert, ein Phänomen, das Jan Bialostocki als „ikonografische Schwerkraft“ beschrieben hat. Wie Hoffmann am Beispiel der Denkmäler für die ermordeten Insassen von Dachau zeigt, blieb die Visualisierung lange in der Vorstellung des Christen als Märtyrer einerseits und des Arbeiters als Helden des Widerstands andererseits befangen – beides symbolische Verdichtungen, die nicht vorhandene Eindeutigkeit suggerieren.

Aber auch die fotografischen Dokumente der Shoah verfehlen deren Repräsentation im Sinne von Wahrhaftigkeit, wie Joachim Paech in seinem anregenden Beitrag begründet. Um den Erinnerungsverlust der traumatisierten Überlebenden herum sei in Deutschland eine „traumatische Kultur“ entstanden (S. 18), in der Bilder an die Stelle der unzugänglichen Erfahrung getreten seien. Dies berge die Gefahr, dass die zwangsläufig unvollständige bildliche Repräsentation des Holocaust mit dessen ganzer Realität verwechselt, das auf dem Bild Abwesende nicht mehr mitgedacht werde und die im Foto sichtbaren Fakten durch den medialen Gebrauch gewissermaßen fiktionalisiert würden. Im Hinblick auf die Bedeutung, die wir Bilddokumenten beimessen, ist das ein zutreffender Befund, an dem Analysen visueller Quellen sich messen lassen müssen. Zu kurz greift Paechs Argumentation aber insofern, als sie die Nicht-Rekonstruierbarkeit der Shoah apodiktisch an die unzugängliche Erinnerung der Überlebenden bindet, die publizierten Erinnerungen Überlebender, das unwiederbringlich verlorene Gedächtnis der Ermordeten und die Perspektive der Täter dagegen außer Acht lässt. Der sorglose Umgang mit dem Trauma-Begriff (der nicht im medizinischen, sondern im metaphorischen Sinn gebraucht wird) droht überdies die reale Traumatisierung vieler Überlebender der Shoah zu relativieren.

Cornelia Brink stellt eine plausible Erklärung für das Scheitern der „visuellen Entnazifizierung“ durch die Alliierten 1945 vor. Im ersten Schritt untersucht sie die Motivation der alliierten Fotografen, denen es die Kamera ermöglichte, die grauenvollen Szenen bei der Befreiung der Konzentrationslager festzuhalten und sich doch gleichzeitig zu distanzieren, indem sie Dokumente produzierten, mit denen sie die Realität der Vernichtungspolitik zu beglaubigen hofften. Im zweiten Schritt diskutiert Brink die Funktion dieses Bildmaterials im Kontext der alliierten Propagandapolitik, die es den Deutschen als kühlen, rationalen Beweis für die Verbrechen, aber auch mit moralischer Überzeugungsabsicht präsentierte. Drittens bestand das Dilemma der re-education darin, dass das Zeigen besonders grausamer Verbrechen diese in eine „Zone des Unnatürlichen“ verlegte, die „Schrecken erregend und grotesk schien“ (S. 62) – womit die Lager aber für die Adressaten aus der Gesellschaft exterritorialisiert wurden. Dadurch konnte die deutsche Bevölkerung, wie Brink im vierten Schritt zeigt, der alliierten Überzeugungsabsicht Abwehrstrategien entgegenstellen, die von der Selbststilisierung als Opfer bis zum Vorwurf der Propagandalüge reichten. Zum Gegenstand der Untersuchung müssen, fünftens, auch die sich ändernden Interessen werden, mit denen seit 1945 die fotografischen Visualisierungen der Vergangenheit verbreitet und rezipiert wurden. Der differenziert argumentierende, die analytischen Felder sorgfältig sezierende Beitrag kann als Modell einer sich selbst reflektierenden historischen Bildforschung gelten.

Im direkten Vergleich erweist sich der methodische Horizont von Habbo Knoch als wesentlich enger, während seine empirischen Befunde durchaus überzeugen. Er zeichnet nach, wie sich das „Bild der Tat“ in den Medien bis Mitte der 1960er-Jahre zum visuellen Deutungsangebot der Shoah verfestigte, das bis zur ersten Wehrmachtsausstellung nicht in Frage gestellt wurde. Knoch überschätzt jedoch den Vorsatz der Nazitäter, keine Fotos ihrer Verbrechen zu hinterlassen, wenn er die kontingente Bilderlosigkeit von Treblinka zur Intention erklärt und Himmlers Posener Rede von 1943 als Beleg für diese Absicht anführt. Dass in Treblinka nicht fotografiert wurde, ist keineswegs gesichert; die Posener Rede wiederum begründete lediglich die Geheimhaltung der Vernichtungspolitik gegenüber der Bevölkerung. Offenbar sind Knoch die Fotografierverbote der SS unbekannt, die unbefugt aufgenommene Exekutionsfotos für ihr Archiv beanspruchte. Da er weder die häufig private oder halboffizielle Herkunft der Bilder noch die Zufälligkeit und Unabgeschlossenheit ihrer Überlieferung in Rechnung stellt, erscheint ihm deren heute zugängliche Summe als Ergebnis einer zielgerichteten Propaganda. Wenig überzeugend diskutiert Knoch auch das Verhältnis zwischen visuellen und textlichen Diskursen: So erhebt er „die fotografische Visualisierung zum Leitmedium einer historischen und imaginativen Konkretisierung des Massenmordes“ (S. 87), ohne zu bedenken, dass die Bilder im Zusammentreffen mit anderen Diskursen funktional sein mussten, wollten sie diese nicht unterlaufen.

Wie Fotos und dokumentarische Filmsequenzen aus dem NS-Propagandaapparat gegen ihre ursprüngliche Absicht aufklärend eingesetzt werden können, zeigt Jörg Frieß am Beispiel von Dokumentarfilmen aus den 1960er-Jahren. Konventionelle Dokumentarfilme bringen durch De- und Re-Kontextualisierung, in Verbindung mit einem allwissenden Kommentar, neue Lesarten hervor, wobei den Bildern hauptsächlich drei – nicht immer gleichermaßen präsente – Funktionen zukommen: Illustration, Beweis und sinnliche Evokation des Geschehenen. Dagegen nutzten osteuropäische Dokumentarfilmregisseure andere, weniger autoritäre Möglichkeiten: die Kommentierung von Propagandabildern durch Musik statt Text, die Interpretation der Inszenierung von Privatfotos als Dokumente der psychischen und mentalen Verfassung ihres Besitzers oder das Ersetzen des Kommentars durch einen fiktiven Dialog mit dem Zuschauer. Mit der Einbettung von Bildern in solche Prozesse der Empathie wird eine kulturelle Fertigkeit trainiert, „die über einen Erwerb historischen Wissens weit hinausreicht“ (S. 221).

Am Motiv der Nacktheit in zeitgenössischen dokumentarischen Fotos und Spielfilmen aus den letzten Jahrzehnten untersucht Herausgeber Sven Kramer, wie Fotos kritisch angeeignet und wie zugleich die Interessen dieser Aneignung reflektiert werden können. Schockierend ist der nackte Körper im Foto, weil er sowohl die totale Verwertbarkeit des Menschen wie die Täuschungsmechanismen sichtbar macht, die der Ermordung vorangingen. Neuere Spielfilme dagegen füllen die Leerstelle der Bilderlosigkeit, indem sie Folter- und Vernichtungsvorgänge, deren Details sich der Vorstellung entziehen, visualisieren und durch die Darstellung vorwiegend weiblicher nackter Körper sexualisieren. Wesentlich für die kritische Aneignung dieser Bilder ist für Kramer die Vielfalt der Lesarten, die ein Kollektiv als Beschreibung der historischen Wirklichkeit zu akzeptieren vermag. Produktiv wären somit weniger die Filme selbst als die Erkenntnis, die sich aus der Debatte über sie schlagen lässt.

Mit den Möglichkeiten der Darstellbarkeit des Holocaust als Filmkomödie befassen sich Anja Oster und Walter Uka am Beispiel neuerer Filme von Roberto Benigni und Radu Mihaileanu. Die Autoren sehen drei Grundprobleme: Erstens ein von Elie Wiesel und Claude Lanzmann aus der jüdischen Religion abgeleitetes Bilderverbot, das verhindern soll, dass die Imagination einerseits banalisiert und andererseits Schaulust auf Kosten der Opfer erzeugt wird. Zweitens die Verortung des Films zwischen Dokumentation und Fiktion, wobei die „realistischere“ Position des Dokumentarfilms bestritten wird, weil auch er – wie Oster und Uka im Anschluss an James Young argumentieren – auf spezifische Weise selbst die Dokumente erzeugt, die seine Botschaft stützen. Und drittens schließlich machen sie auf den Widerspruch zwischen Hoch- und Massenkultur aufmerksam: Letztere führe nicht zwangsläufig zur Trivialisierung, weil Komik als „eine Art eigene Sprache zwischen Kunstproduzent und Adressat“ (S. 254) durchaus kognitive Funktion haben könne.

Matthias N. Lorenz konstatiert für den Spielfilm einen seit den 1990er-Jahren zunehmend unbefangenen Umgang mit dem Holocaust, wofür Komödien, „das sinnentleerte Zitieren des Holocaust in Nicht-Holocaust-Filmen“ (S. 269) und die Ausweitung der Opfergruppen stünden. Es diene lediglich „der Emotionalisierung, nicht der Information oder dem Gedenken“ (S. 274), wenn Elemente des Holocaust als bloße Chiffren für Bedrohung und Angst sowie zur Erzeugung von Spannung und Betroffenheit in Filmen mit ganz anderen Themen zitiert würden. Dadurch drohe Auschwitz zum „Superzeichen“ (ebd.), der Holocaust zu einem weiteren „Baustein massenkompatibler Erzählungen“ (ebd.) zu werden. Besonders im neueren deutschen Spielfilm konstatiert Lorenz eine Tendenz zur Rehabilitierung der Tätergeneration und des Schweigens über die NS-Verbrechen in den frühen Jahrzehnten der Bundesrepublik. Sein pessimistisches Fazit (S. 287): „Die Integration der Deutschen in das Kollektiv der Opfer ist zur Zeit die maßgebliche Tendenz der deutschsprachigen filmischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust.“

Insgesamt bietet der Band eine lesenswerte und streckenweise anregende Bestandsaufnahme der aktuellen Debatte in den Kulturwissenschaften. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, dass die meisten hier vertretenen Autoren Entstehung, Überlieferung und ursprünglichen Verwendungskontext von Bildern, denen sie erkenntnisweisende Funktion zuschreiben, nicht als Problem wahrnehmen. Zudem enthält das Buch keinen Beitrag zur Wirkungsforschung von Kinofilmen und Fernsehproduktionen. Wenn die Beiträge zu diesen Medien weniger deren Bildsprache als ihre epische Struktur – als Text – analysieren, wird deutlich, dass die Hinwendung auf das Bild nicht nur Historiker immer noch mit methodischen Problemen konfrontiert. Eine wirkliche Zumutung aber ist der Umgang des Verlags mit dem Bildmaterial: Die zumeist nur briefmarkengroßen Abbildungen sind selbst als Illustrationen ungeeignet.

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