U. Weckel u.a. (Hgg.): Ordnung, Politik und Geselligkeit

Titel
Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert.


Herausgeber
Weckel, Ulrike; Opitz, Claudia; Tolkemitt, Brigitte; Hochstrasser, Olivia
Reihe
Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 6
Erschienen
Göttingen 1998: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Eifert, FB Geschichtswissenschaften, FU Berlin

Die geschlechtergeschichtlichen Forschungen zur Aufklaerungsbewegung sind inzwischen erfreulich weit vorangeschritten, wie gerade auch dem vorzustellenden Sammelband zu entnehmen ist und dem darin enthaltenen Hinweis, dass in Kuerze ein zweiter Band unter dem Titel "Tugend, Vernunft und Gefuehl. Geschlechterdiskurse der Aufklaerung und weibliche Lebenswelten", hrsg. v. Claudia Opitz, Ulrike Weckel und Elke Kleinau, erscheinen werde. Gemeinsam praesentieren beide Baende die Beitraege mehrerer Colloquien, die im Rahmen eines Forschungsprojektes zur geschlechtergeschichtlichen Analyse der Aufklaerungsbewegung stattgefunden haben. Vermutungen zum Konzept der Publikationen, zu den beiden Dreiklaengen in den Buchtiteln, muessen bis zum Erscheinen des zweiten Buches zurueckgestellt bleiben. Dann erst wird sich beurteilen lassen, wie "Ordnung, Politik und Geselligkeit" mit "Tugend, Vernunft und Gefuehl" korrespondieren.

Es ist ein verdienstvolles Unternehmen, eine Zwischenbilanz vorzulegen, deren Beitraege nicht mehr nur die Gesellschaftsentwuerfe der Aufklaerung analysieren und mit der Revolutionsgeschichte kontrastieren. Die teilweise aus Dissertationsprojekten in den Faechern Geschichte, Literaturwissenschaften, Kulturwissenschaften und Paedagogik hervorgegangenen insgesamt 14 Aufsaetze werden in zwei Abteilungen zusammengefasst. Der erste, umfangreichere Teil widmet sich der "Oeffentlichkeit des Privaten" (13), waehrend der zweite Teil der "(Neu-) Ordnung der Geschlechter" von den Diskursen bis in die Politik nachspuert. Beabsichtigt wird insgesamt eine staende- und gruppenspezifische Argumentation, um 'Gewinne' und 'Verluste' bilanzieren zu koennen, die die Aufklaerung brachte. Ich will im folgenden vier der 14 Aufsaetze ausfuehrlicher vorstellen.

Die "Oeffentlichkeit des Privaten" faechern gleich drei Aufsaetze an Beispielen fuerstlicher Eheverhaeltnisse auf. Die Literaturwissenschaftlerin Anne Fleig will mit der Analyse der hoefischen Selbstinszenierung der saechsischen Kurfuerstin Maria Antonia (1724-1780) belegen, dass entgegen deren Aussage das Geschlecht auch unter Souveraenen den Ausschlag gab. Sowohl mit ihrem politischen Ehrgeiz wie auch mit ihren kuenstlerischen Faehigkeiten stellte Maria Antonia ihren Ehemann Kurfuerst Friedrich Christian von Sachsen (1722-1763) weit in den Schatten. Sie nutzte ihre vielfaeltigen kuenstlerischen Faehigkeiten, um den preussischen Koenig Friedrich II. fuer ihre politischen Ziele, den Gewinn der polnischen Koenigskrone, einzubinden. Friedrich II. zeigte sich begeistert von ihren Gedichten und ihren Kompositionen, inbesondere von ihrer 1763 uraufgefuehrten Oper "Thalestris, Koenigin der Amazonen". Mit dieser Oper, deren Titelrolle sie uebernahm, inszenierte sich Maria Antonia selbst und dokumentierte weithin sichtbar, welche Stellung sie am Dresdner Hof beanspruchte. Doch mit ihrem Machtanspruch scheiterte Maria Antonia in Dresden ebenso wie in ihrer Aussenpolitik. Der preussische Koenig gab einer Allianz mit der russischen Kaiserin den Vorzug. Daraus schliesst Fleig, "dass das Geschlecht nicht entscheidet, war auch auf den hoefischen Buehnen nur eine Wunschvorstellung." (63) Diese Bewertung scheint mir etwas zu schnell getroffen, denn nicht Friedrich II. war Maria Antonias Konkurrent um die polnische Koenigskrone, ihre Gegenspielerinnen waren vielmehr, wie Fleig selbst ausfuehrt, die russische Kaiserin Katharina II. und, mehr am Rande, die Habsburger Kaiserin Maria Theresia. Aufschlussreich koennte es daher sein, diese beiden Herrscherinnen in das Beziehungsgeflecht zu integrieren und nicht alleine das Paar Maria Antonia und Friedrich II. zu untersuchen. Vermutlich wuerde auf diese Weise der Einfluss, den das Geschlecht von Souveraenen auf deren Selbstinszenierung und Machtposition ausuebte, anders bewertet werden koennen. Insgesamt eroeffnet die Studie faszinierende Einblicke in die hoefische Selbstinszenierung der saechsischen Kurfuerstin und in die Reaktionen des preussischen Koenigs.

Sehr plastisch herausgearbeitet wird die 'politische Ebene' von Sybille Osswald-Bargende in ihrem Aufsatz "Eine fuerstliche Hausaffaire". Die badisch-wuerttembergische Heiratspolitik fuehrte 1697 zur Eheschliessung von Herzog Eberhard Ludwig von Wuerttemberg und Johanna Elisabetha von Baden-Durlach. Zehn Jahre spaeter gab der Herzog bekannt, er habe schon vor geraumer Zeit seine Maetresse Wilhelmine von Graevenitz geheiratet, und bekannte sich damit offen zur Bigamie mit einer Nichtebenbuertigen. Beides, die Verletzung der Standesexklusivitaet wie die Verletzung der kirchlichen und staatlichen Gesetze, schockierten nicht allein die Herzogin, sondern stellten ein Politikum dar. Denn die Lockerung der Standesexklusivitaet bedrohte die Position hochadeliger Frauen auf dem dynastischen Heiratsmarkt, woran weder die Frauen noch ihre sie verheiratenden Herkunftsfamilien ein Interesse hatten. Die Ignoranz gegenueber den Gesetzen dokumentierte den absolutistischen Herrschaftsanspruch des Herzogs und brachte die wuerttembergischen Staende auf. Die Autorin konzentriert sich ganz auf Johanna Elisabeth, um an ihrem Beispiel aufzuzeigen, wie die Geschlechtszugehoerigkeit und die Standeszugehoerigkeit ihre Handlungsraeume und ihre Buendnispartner bestimmten und letztlich die Asymmetrie im Geschlechterverhaeltnis stabilisierten. Denn es gelang der Herzogin gemeinsam mit ihrer Familie und einer vermittelnden kaiserlichen Kommission, die Aufloesung der unerwuenschten Ehe mit der von Graevenitz zu erzwingen. Doch es war ihr und ihren Mitstreitern nicht moeglich bzw. nicht wichtig, gegen den Willen des Herzogs die umstrittene Frau vom Hof zu entfernen. Und schliesslich war es Johanna Elisabeth um den Preis ihres Rufes als Ehefrau versagt, dem Herzog die ehelichen Beziehungen zur Zeugung rechtmaessigen Nachwuchses zu verweigern. Der Preis, den die Herzogin fuer die Wiederherstellung ihrer Ehre und rechtmaessiger Verhaeltnisse in Wuerttemberg zu zahlen hatte, war somit sehr hoch. Wo sie im eigenen Interesse agierte und wo sie in ihren Handlungen von Gruppen am herzoglichen Hof, ihrer Herkunftsfamilie und der kaiserlichen Kommission bestimmt wurde, bleibt offen. Osswald-Bargende unterstreicht, dass sich hochadelige Frauen in einem unaufloesbaren Widerspruch befanden, wenn sie ihre staendische und ihre weibliche Ehre mit ihren ehelichen Pflichten vereinbaren wollten.

Dem von seiner morganatischen Ehefrau durch Ehebruch beschaedigten hessischen Landgrafen Ludwig IX. und der Wiederherstellung seiner Souveraenitaet gilt Helga Meises Aufmerksamkeit. Das Paar, das sie in den Mittelpunkt ihrer literaturwissenschaftlichen Untersuchung rueckt, wird von den beiden betrogenen Personen im Quartett gebildet, dem Landgrafen und der Catharina Elisabeth Cappes, Ehefrau des Ehebrechers. Von beiden benachteiligten Parteien liegen sogenannte Ego-Dokumente vor, der Schreibkalender des Landgrafen und das "Jornal" der Frau Cappes. Gemeinsam mit den Protokollen, die die gerichtliche Untersuchung wegen Majestaetsverbrechen hervorbrachte, bilden sie die Quellengrundlage, um die divergierenden Sichtweisen auf den Skandal herauszuarbeiten. Der Landgraf, der in dem Ehebruch ausschliesslich ein "Majestaetsverbrechen", also einen Angriff auf die Person des Herrschers, erkennen konnte, stellte sich in seinen Schreibkalendern stets als unverletzten Souveraen dar. Der Skandal fand dort nicht statt. Die gerichtliche Untersuchung verdeutlichte das Ausmass des Loyalitaetskonfliktes, in den alle Personen am Hof und in der haeuslichen Umgebung des Ehebrechers Rat Cappes involviert waren. Meise argumentiert, dass die gerichtliche Untersuchung darauf zielen musste, die oeffentliche Rede vom Ehebruch zu unterbinden und Stillschweigen zu erzwingen, gerade weil sichtbar wurde, wie stark die Souveraenitaet des Landgrafen bereits untergraben war. Das "Jornal" der Frau Cappes hingegen erzaehlte die Geschichte der betrogenen Ehefrau und stellte so ihre Tugend und Unschuld wieder her. Sie trug ihrerseits zur Wiederherstellung der fuerstlichen Souveraenitaet bei, indem sie den Landgrafen wiederholt "als Richter und Beschuetzer einer unrechtmaessig bedraengten Untertanin" anrief. (116) In der Rekonstitution der fuerstlichen Machtposition begegnen sich die drei herangezogenen Quellen und belegen somit die noch fortdauernde Dominanz der maennlich-hoefischen ueber die weiblich-buergerliche Welt.

Den zweiten Teil "Vom aufklaererischen Diskurs zur politischen Praxis" eroeffnet der ausserordentlich spannende Beitrag von Ariane Buergin. Sie nimmt das unausgesetzte Nachdenken (auch) der Geschlechterhistorikerinnen ueber Gleichheit und Differenz zum Anlass, die "Situierung der Geschlechterdifferenz bei Thomas Hobbes" herauszuarbeiten. Hobbes gilt bislang als Kritiker "einer natuerlichen Dominanz der Maenner ueber die Frauen" (229) und als Vertreter von Gleichheitsvorstellungen, der dennoch die Argumentation vom hierarchischen Geschlechterverhaeltnis uebernahm. Hobbes Texte bildeten daher immer wieder den Ausgangspunkt feministischer Bemuehungen, die Wende von Gleichheit zu Ungleichheit im Denken ueber das Geschlechterverhaeltnis dingfest zu machen. Buergin kehrt den Spiess nun um und fragt nach dem Gehalt von Hobbes' Gleichheitsvorstellung, um von da ausgehend den Ort zu bestimmen, der der Geschlechterdifferenz in Hobbes' Staatstheorie zukomme. Sie unterzieht die bisherigen feministischen Studien einer erneuten kritischen Lektuere und hebt den unreflektierten Gebrauch modernistischer Wertmassstaebe in diesen Studien hervor, die beispielsweise Gleichheit ohne Zoegern mit einem emanzipatorischen Versprechen verknuepfen. (230f., 246f., 258) Durch eine sehr praezise vergleichende Analyse seiner Texte kommt Buergin zu dem Ergebnis, dass der Geschlechterdifferenz in Hobbes' Politikentwurf keine grosse Bedeutung zukomme, da sein Denken sich prinzipiell in Kategorien der Differenz wie Macht, Autoritaet, Unterordnung bewege. Wohl erteile Hobbes der traditionellen Vorstellung von der Natuerlichkeit der Herrschaft eine Absage, doch beruhe diese Abkehr auf der Vorstellung des Naturzustandes als eines kriegerischen. "Natuerliche Gleichheit" sei negativ besetzt, denn sie signalisiere die Abwesenheit einer Sicherheit und Frieden garantierenden absoluten Macht und finde ihren Ausdruck im Toeten. (238). Gleichheit komme den Menschen bei Hobbes daher allein im Hinblick auf den Tod zu (251), Gleichheit sage nichts aus ueber das Individuum und seine Rechte. (247) Hobbes Verstaendnis des Menschen als unsozialem und friedlosem, von Stolz und Todesfurcht getriebenen Wesen fuehre ihn dazu, die Notwendigkeit des starken Staates zu betonen. (245) Ein emanzipatorisches Versprechen kann von Hobbes' Gleichheitsbegriff, so Buergins Ergebnis, keinesfalls abgeleitet werden.

Die vier exemplarisch vorgestellten Beitraege dokumentieren, wie ich finde, auf eindrucksvolle Weise die thematische Breite und analytische Tiefe der in dem Band versammelten Aufsaetze. Fuer nicht beabsichtigtes Amuesement sorgen (sehr selten) kleinere stilistische Irrlaeufer, wie etwa der folgende Satz aus der Einleitung: "Betrachtet man die Aufklaerung als einen Kommunikationsprozess, so erweist sich diese Kommunikation nicht zuletzt als eine zwischen den und innerhalb der Geschlechter." (10f.) Schmunzelnd fragen sich Leserin und Leser, welche Kommunikation wohl jenseits von Frauen und Maennern stattfindet. - Alles in allem ein Buch voller anregender Beitraege, die hoffentlich bald ihre angekuendigte Ergaenzung finden werden.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension