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Titel
Jakob Altmaier. Ein jüdischer Sozialdemokrat in Deutschland (1889-1963)


Autor(en)
Moß, Christoph
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
310 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Obermüller, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die Biografie eines fremden Menschen zu schreiben ist wie das Bereisen eines fernen Kontinents, den man nie erreichen wird – so hat es einst Heraklit formuliert. Auch Christoph Moß hat sich auf eine solche Reise begeben. Auf rund 300 Seiten erfahren wir neben den großen Linien viele Details über das Leben und Wirken des jüdischen Sozialdemokraten Jakob Altmaier, eines „Hinterbänklers“ im Deutschen Bundestag.1 Zu Beginn stellt sich die Frage, warum sich der Autor gerade für Altmaier entschieden hat, dessen politisches Vermächtnis auf den ersten Blick unbedeutend erscheint. Es wird allerdings rasch klar, welche Fragestellungen Christoph Moß dazu bewogen haben: Zum einen will er anhand der politischen Biografie Altmaiers die ideologischen Kontinuitäten vom Kaiserreich bis zum Ende der 1950er-Jahre aufzeigen. Zum anderen liegt ein Schwerpunkt in der Betrachtung des Verhältnisses von jüdischem Glauben und politischem Engagement in Deutschland, das gerade durch die Erfahrungen während des Nationalsozialismus von großer Bedeutung ist.

Der Aufbau der Arbeit orientiert sich streng an der Biografie Jakob Altmaiers und bleibt bisweilen methodisch zu konventionell. Der zeitliche Schwerpunkt sollte, so der Autor in der Einleitung, auf der Zeit nach 1945 liegen. Etwas unverständlich erscheint es daher, dass zwei Drittel des Buches über Altmaiers Leben vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges berichten. Lediglich 90 Seiten widmen sich dem Wirken Altmaiers in der Bundesrepublik. An dieser Stelle hätte, sofern es die Quellenlage zulässt, ein detaillierteres und akzentuierteres Bild der politischen Arbeit Altmaiers nach 1945 gezeichnet werden müssen. Inhaltlich ergibt sich wenig Anlass zur Kritik. Moß schildert, wie Altmaier bereits in jungen Jahren durch die „großen Männer“ der Sozialdemokratie geprägt wurde, allen voran durch August Bebel. Wie einige andere, später bekanntere Sozialdemokraten kam auch Altmaier als junger Bursche durch das Verteilen von Flugblättern und den Besuch von Diskussionsveranstaltungen mit der Partei in Berührung; so wurde er ein Sympathisant der SPD.

Ähnlich wie der spätere SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher verfasste Altmaier als Journalist bei den verschiedensten Zeitungen in den Jahren bis 1933 eine Vielzahl von politischen Artikeln, die sich mit Fortschrittsglaube und Zukunftsoptimismus beschäftigten (was für sozialistische Autoren dieser Zeit üblich war). Im August 1914 meldete sich Altmaier freiwillig zum Dienst an der Waffe. Bis Kriegsende wurde er in mehreren Kampfhandlungen eingesetzt und bei einem Angriff schwer verwundet. Er widersprach in der Folgezeit, nun wieder politisch aktiv, des Öfteren der Haltung der Fraktion und des Parteivorstandes, hatte jedoch trotz aller Differenzen keinerlei Verständnis für die Spaltung der Sozialdemokratie. Für Altmaier war die Einheit der Partei sakrosankt, denn nur so könne der Sozialismus siegreich sein. Altmaiers politische Weitsicht und metaphorische Ausdrucksweise finden sich in vielen seiner politischen Statements wieder. Dass er wiederholt gegen die offizielle Parteilinie Stellung nahm, ist daher nicht verwunderlich. Ging es jedoch um den ideologischen Kern der Partei, „lag Altmaier ganz auf der[en] Linie“ (S. 55).

Bis Mitte der 1920er-Jahre tat sich Altmaier als ein scharfer Beobachter und Analytiker der politischen Entwicklung Deutschlands hervor. „Aus dieser Saat des Hasses und der Vergewaltigung kann und wird nichts Gutes entstehen.“ Diese Beurteilung des Versailler Friedensvertrages (zitiert auf S. 60) lässt erkennen, wie genau Altmaier es vermochte, die deutsche Mentalität während der jungen Republik einzuschätzen. Doch trotz aller ideologischer Gemeinsamkeit Altmaiers mit der MSPD sollte es auch an innerparteilichen Kritiken nicht mangeln. Die Frage der Koalition mit den bürgerlichen Parteien war für Altmaier der wohl ausschlaggebende Punkt, den Bruch mit der Partei zu wagen. Seiner Meinung nach durfte die „SPD nicht bürgerlicher als das Bürgertum sein“ (zitiert auf S. 80). Er sah den Sozialismus innerhalb der SPD zunehmend in Auflösung begriffen.

Die mittlere Phase der Weimarer Republik 1924–1926 war für Altmaier geprägt von seinen Arbeiten für den Sozialistischen Bund, die Zeitung „Weltbühne“ und die „Internationale Arbeiterhilfe“. Warum sich Altmaier 1926 zur Rückkehr in die SPD entschlossen hat, ist nicht eindeutig bestimmbar. Ein Grund könnte die Oppositionsrolle gewesen sein, die die Partei bis Mitte 1928 innehatte. Nach einigen Auslandstätigkeiten, unter anderem in Jugoslawien, erlebte Altmaier das Ende der Weimarer Republik wieder in Deutschland, das er wegen der politischen Verhältnisse kurz darauf verlassen musste. In den folgenden Jahren, die Altmaier in verschiedenen Ländern verbrachte, war er meist als „rasender Reporter“ tätig. So berichtete er von den jugoslawischen Wahlen 1935 und vom Spanischen Bürgerkrieg 1937/38. Sein Weg führte über die Deutsche Freiheitspartei und die „Münzenberg-Gruppe“ bis zur Ausbürgerung und der darauffolgenden Rückkehr nach Jugoslawien. Die Aktivitäten der Jahre 1942–1945 können aufgrund der mangelhaften Quellenlage nicht genau dargestellt werden.

Der Holocaust verursachte in Altmaiers Biografie einen Bruch. Sein Leben war im Jahre 1945 nicht „mehr ausschließlich vom Bekenntnis zur Sozialdemokratie“ geprägt. Die Identifikation mit der jüdischen Herkunft gewann mehr und mehr an Gewicht (S. 179). Seine Entscheidung, trotz der NS-Verbrechen nach Deutschland zurückzukehren, hing mit Altmaiers Patriotismus zusammen sowie mit seinem Willen, den Aufbau des neuen Deutschlands zu unterstützen. Die Wahl des ersten Deutschen Bundestages bedeutete für Altmaier vor allem einen beruflichen Wandel – vom Journalisten zum Berufspolitiker. Altmaier arbeitete stets im Hintergrund, auch wenn seine politischen Ergebnisse nicht unterschätzt werden sollten. Im Dienste der Bundesregierung war er maßgeblich dafür verantwortlich, dass der deutsch-israelische Vertrag von 1952 erfolgreich zum Abschluss kam. Für Altmaier waren die Verhandlungen ein Spagat zwischen Parteiloyalität einerseits und Engagement für seine deutsch-jüdischen Landsleute als Mittler der Bundesregierung andererseits. Hier zeigte sich, dass Altmaiers festgefahrene politische Ansichten – ein typisches Merkmal für Sozialdemokraten dieser Generation – gegenüber der pragmatischen Politik zurückstanden. Gegen Ende seines Lebens wirkte Altmaier gescheitert und unglücklich, woran er selbst durchaus mitschuldig war: Mit Stereotypen wie „die Industriellen“ und „das Großbürgertum“ ließ sich eine breite Bevölkerungsschicht nicht mehr erreichen.

Christoph Moß ist es gelungen, in kompakter und lesbarer Form ein interessantes Lebensbild Jakob Altmaiers zu präsentieren. Sein immer erkennbarer „roter Faden“ führt zu einer konzentrierten, nicht detailverliebten Darstellung. Nicht nachvollziehbar ist hingegen die epochale Gewichtung der einzelnen Kapitel, und der wissenschaftliche Wert dieser methodisch nicht gerade innovativen Untersuchung ist begrenzt. Es wäre sinnvoll gewesen, stärker vergleichend vorzugehen, um die Besonderheiten von Altmaiers politischer Biografie stärker betonen zu können.

Anmerkung:
1 Bislang haben eher die „Männer der ersten Reihe“ im Zentrum der Forschung gestanden. Siehe etwa Merseburger, Peter, Der schwierige Deutsche. Kurt Schumacher, Stuttgart 1996; Ders., Willy Brandt 1913–1992. Visionär und Realist, Stuttgart 2002; Weber, Petra, Carlo Schmid 1896–1979. Eine Biographie, München 1996.

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