B. Lissner (Hg.): Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal 1896 - 1996

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Titel
Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal 1896 - 1996. Öffentlichkeit zwischen Tradition und Moderne


Herausgeber
Lissner, Babette
Erschienen
Anzahl Seiten
120 S.
Preis
€ 9,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Fuhrmeister, Universitaet Bielefeld

"Denn", so Ilse Brusis, Ministerin für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, "das ist unsere Zukunftsaufgabe: Die Regionen unseres Landes müssen in der Entfaltung ihrer kulturellen Kräfte, in der Sicherung und Bewahrung der baulichen Zeugnisse der Vergangenheit ein Profil gewinnen, das den Menschen nicht nur Heimat und Identifikationsmöglichkeiten bietet, sondern auch die Qualität von Wirtschaftsstandorten verbessern hilft." (S. 22) Diese Definition von Denkmalpflege als Amelioration und Standortpolitik ist Teil der Rede, die die Ministerin zum 100. Jahrestag des Kaiser-Wilhelm-Denkmals an der Porta Westfalica hielt. Die Rede sowie die anderen anläßlich des Jubiläums gehaltenen Vorträge finden sich in einem schmalen Band, der "nicht zuletzt durch die freundliche Unterstützung des Gemeinschaftskraftwerks Weser GmbH" (7) zustande kam - also doch die umgekehrte (traditionelle) Perspektive, derzufolge kulturgeschichtliche Praxis erst durch wirtschaftlichen Erfolg ermöglicht wird? Um diese Frage geht es im anzuzeigenden Buch allerdings nicht.

Geboten wird ein Kaleidoskop, das den Gesetzen und dem Charakter einer an die breitere Öffentlichkeit gerichteten Jubiläumsveranstaltung weitestgehend Rechnung trägt. Dies bedeutet auch, daß es sich bei den Beiträgen - mit einer Ausnahme - nicht um jüngere Forschungsergebnisse im engeren Sinne handelt, sondern um Zusammenfassungen bereits früher veröffentlichter Aufsätze. So geht der solide Beitrag von Roland Giesselmann, "Denkmal im sozialen Raum. Planung und Einweihung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals 1888-1896" (25-42) auf seinen Aufsatz in: Joachim Meynert, Josef Mooser, Volker Rodekamp (Hg.): Unter Pickelhaube und Zylinder. Das östliche Westfalen im Zeitalter des Wilhelminismus 1888 bis 1914, Bielefeld 1991, 177-207, zurück. Aus demselben Band (dort 211-233) stammt größtenteils auch der Beitrag von Andreas Beaugrand, "Ausdruck gesellschaftlichen Selbstbewußtseins? Denkmäler im Kaiserreich - Ein Vergleich mit der Gegenwart" (hier 57-70). Beaugrand hat seinen älteren Text mit der Begründung, wir stünden auch "heute wieder kurz vor einer Jahrhundert-, sogar einer Jahrtausendwende" (57), um einen "Ausblick ans Ende des 20. Jahrhunderts" erweitert. Dies gibt ihm die Möglichkeit, zwei weitere frühere Texte zur Kunst im öffentlichen Raum aufzubereiten. Doch damit tut sich der Leiter des Bielefelder Kunstvereins keinen Gefallen, denn der angekündigte "Vergleich" bleibt aus. Statt mit Fragen der Erinnerungskultur und der Potentiale von Denkmälern, die ja in den 1990er Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wurden, befaßt er sich mit Kunstwerken vor der Bielefelder Kunsthalle wie etwa Richard Serras "Axis". Doch bei diesem Appendix scheint nicht nur das Thema verfehlt, auch seiner en passant geäußerten Auffassung, der Nationalsozialismus habe "eine Kunstentwicklung abrupt zerstört" (69), muß auf der Basis neuerer kunsthistorischer Forschung zum Kontinuitätenproblem - sei es hinsichtlich des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit oder des Neuen Bauens - widersprochen werden.

Mit der Frage "Touristenmagnet oder heilige Stätte? Die Rezeption des Porta-Denkmals im Widerstreit" (43-56) beschäftigt sich Marc-Wilhelm Kohfink. Er bringt interessante Begleiterscheinungen wie den bereits seit 1890 verstärkt betriebenen Hotelbau an der Porta und die Verkehrsanbindung des Denkmals zur Sprache. Eine vaterländisch-konservative Feier im Jahr 1926 wird ebenso geschildert wie Feiern des Akademischen Turnerbundes in den Jahren 1921 und 1953 oder die unterirdischen Rüstungsbetriebe, in denen KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter Kugellager für Jagdflugzeuge herstellten. Es ist jedoch unverständlich, warum in diesem fakten- und zitatenreichen Beitrag keine einzige Quelle nachgewiesen, kein einziger Literaturhinweis gegeben wird.

Eine tour-de-force von Paul Nolte, "Gespaltene Modernität. Deutschland im Zeitalter des Wilhelminismus" (97-115) beschließt den insgesamt deutlich sozialgeschichtlich orientierten Band. Sein Beitrag hebt auf die großen Konfliktlinien der Jahrhundertwende ab, ohne sie jedoch an die zeitgenössische Memorialkultur zurückzubinden. Es wirkt fast als Eingeständnis eines schlechten Gewissens, wenn er das monarchische Denkmal an der Weser im letzten Satz noch einmal kurz erwähnt. Damit sei nichts gegen eine umfassende Kontextualisierung gesagt, aber ohne den Versuch, das zur Verhandlung anstehende Objekt und den Kontext aufeinander zu beziehen, bleibt das Herausarbeiten von retardierenden und innovativen Momenten eher eine freischwebende Fingerübung.

Zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal also nichts Neues? Doch, eine anregende Studie legt Ursula Krey mit "Denkmalkult, Geschlechterverhältnis und Öffentlichkeit im Kaiserreich. Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica" (71-96) vor. Ihr Beitrag ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Es handelt sich um eine Erstveröffentlichung (die oben angesprochene Ausnahme) und der Autorin ist ein spezifisches Erkenntnisinteresse deutlich anzumerken - deshalb lohnt sich eine ausführlichere Betrachtung. Sie will "über ein bislang wenig erforschtes Verhältnis nachdenken: Denkmäler aus Geschlechterperspektive" (72) und skizziert ein ambitioniertes Programm, dem die Leserin und der Leser umso mehr zu folgen geneigt sind, als hier konkrete Objektuntersuchung, Archivalien und Forschungsliteratur eine spannende Mischung eingehen.

Ihre Kernthese lautet: "Der Denkmalkult im Kaiserreich trug dazu bei, einen diametralen Standort für beide Geschlechter im öffentlichen Raum zu rechtfertigen und zu stabilisieren." (73) Sie beginnt ihre "Gratwanderung" (73) mit eher allgemeinen Bemerkungen zur Denkmalkultur des 19. Jahrhunderts, um dann Fragen nach "rollenspezifischen Platzanweisungen" (75) und geschlechterübergreifenden Identifikationsangeboten zu stellen - Fragen, die zunächst keine Antwort erfahren. Doch im Hauptteil, der geschlechtsspezifischen Analyse der Einweihungsfeier (78-93), werden diese Aspekte anschaulich vermittelt. Auch wenn die Interpretation stellenweise aufgesetzt wirkt - wie im Passus zu einem Maurer, der u. a. deshalb keine Medaille für tüchtige Arbeit am Denkmal erhalten sollte, weil er "an Tanzbelustigungen teilgenommen habe", was die Autorin so kommentiert: "Zum Tanzen gehörten Frauen, die den Handwerker animiert haben könnten, womit eine traditionelle, ebenso negativ besetzte Ablenkungs- und Verführungsrolle erfüllt wäre" (81) -, im Großen und Ganzen wird überzeugend für die Berücksichtigung von "Frauen im Denkmal, Frauen als Denkmal und Frauen vor dem Denkmal" (84) argumentiert. Die Autorin nimmt - wie grundsätzlich auch Giesselmann - die an das Denkmal geknüpfte und in seinem Umfeld angesiedelte soziale Praxis ernst. Dieser Untersuchungsansatz berührt grundsätzliche Fragen und scheint mit Gewinn auf andere Denkmäler übertragbar zu sein.

Trotz dieses Beitrags von Ursula Krey ist das Fazit des Rezensenten insgesamt dennoch zwiespältig. Das Buch wurde zwar sehr sorgfältig redigiert (nur drei Druckfehler), aber wiederaufgewärmte Texte schmecken selten, und wer einen Überblick der relevanten Archivalien benötigt, muß auf die alten Standardwerke zurückgreifen. So stellt sich am Schluß doch die Frage, ob das Jubiläum für die Kulturgeschichte oder den Wirtschaftsstandort den größeren Ertrag brachte.

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