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Titel
Rittersitze. Facetten adligen Lebens im Alten Reich


Herausgeber
Andermann, Kurt
Erschienen
Anzahl Seiten
236 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Wieland, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Der Sammelband vereinigt Referate, die auf der dritten Gochsheimer Tagung der Kraichtaler Kolloquien im Mai 2000 gehalten wurden. Der chronologische Bogen der sieben Beiträge reicht vom 12. bis zum frühen 19. Jahrhundert, der geografische Schwerpunkt liegt im deutschen Südwesten – mit Ausflügen nach Kursachsen, Bayern und Franken. Die Themen lassen sich der Frömmigkeitsgeschichte, Geistesgeschichte und Wirtschaftsgeschichte zuordnen. Zudem kommen sowohl architekturhistorische als auch an der lokalen Realisierung von Herrschaft ausgerichtete Aspekte immer wieder zur Sprache. Durch diese Vielfalt in jeder Hinsicht ist eine generalisierende Zusammenfassung der Aufsätze nur schwer möglich und wird in der Einleitung des Herausgebers auch explizit verweigert: Es geht vielmehr um „Facetten adligen Lebens im Alten Reich überhaupt“ (S. 10). Die Artikel sollen darum zunächst einzeln diskutiert werden.

Sigrid Schmitt untersucht das adlige Stiftungsverhalten des 13. und 14. Jahrhunderts anhand von ober- und mittelrheinischen Beispielen. Sie kann dabei verschiedene Stiftungstypen sowohl nach ihrem Aufwand als auch nach ihrer Funktion unterscheiden: Die sakrale Aufwertung des Familiensitzes erfolgte durch die Stiftung von Burgkapellen, die Sakralisierung der Residenz hingegen – ein Instrument der Etablierung und Demonstration von lokaler Herrschaft – bezog sich primär auf die Ausgestaltung der Pfarrkirche mit Pfründen und Familiengrablegen. Die kirchliche oder religiöse Durchdringung von Kommunen wurde auch mit Hilfe von Klöstergründungen oder der sparsameren Variante der Stiftung von Beginenhäusern ins Werk gesetzt, während die inneradlige Selbstvergewisserung, die Inszenierung der standesspezifischen Memoria, von Bruderschaften und städtischen Rittergesellschaften übernommen wurde. Zunehmend orientierte sich die niederadlige Sakralkultur an der höheren Schicht des edelfreien und gräflichen Adels: Ein Medium der Abgrenzung nach unten und des sozialen, kulturellen und politischen Anspruchs auf Herrschaft.

Im Mittelpunkt der Ausführungen von Regina Schäfer stehen die Stadthöfe von ritterschaftlichen Adelsfamilien in Mainz, Heidelberg und Oppenheim vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Dabei ist eine hohe Fluktuation im Verhältnis von Adel und Stadt zu beobachten, ebenso spezifische Siedlungsformen, die mit der politischen Geschichte der Städte zusammenhängen. In Mainz hatte der Niederadel der Umgebung in den Vororten konzentrierten Immobilienbesitz, der im 12. und 13. Jahrhundert veräußert wurde; nach einer „adelslosen“ Phase im 14. Jahrhundert erwarb der hohe Adel im 15. Jahrhundert vermehrt städtische Immobilien und ging mit der Stadt ein Bündnis gegen den Erzbischof und dessen Machtansprüche ein. Nach der Eroberung der Stadt durch Erzbischof Adolf von Nassau verließ der Adel Mainz wieder, das erst im 17. Jahrhundert als Adelsresidenz erneut attraktiv wurde. In der kurpfälzischen Residenz Heidelberg hingegen ist seit dem 14. Jahrhundert eine enge Bindung von Hof und Adel zu beobachten, die sich allerdings nicht in spezifischen Adelsvierteln niederschlug; stattdessen wurde die Stadt mit den aristokratischen Klienten des Hofes gleichsam durchsetzt. In der staufischen Reichsstadt Oppenheim waren Burg und Stadt eng miteinander verbunden, die adlige Burgmannschaft nahm am Stadtregiment teil; nach dem Verlust des reichsstädtischen Status und der Verpfändung an Heidelberg wurden Burgmannschaft und Stadt vermehrt mit pfalzgräflichen Familien durchmischt.

Christine Reinles Beitrag zu adliger Bildung und adligem Buchbesitz an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert ist in erster Linie als Anregung zu weiteren Forschungen zu verstehen: Ausgehend von Bibliotheken und Bibliotheksinventaren der süddeutschen Ritterschaft zeigt die Verfasserin, dass die These der adligen Bildungsferne einer deutlichen Differenzierung bedarf und dass der Alltag der Herrschaft und die Selbstdarstellung des höfisch sozialisierten Turnieradels zu weiten Teilen auf dem Besitz und der Nutzung von Büchern beruhten.

Die fränkische Familie Guttenberg dient Klaus Ruprecht als Beispiel für die Strategien des Ausbaus und der Darstellung von lokaler Adelsherrschaft im 16. Jahrhundert, die als Reichsritterschaft besonderer Mittel der Selbstlegitimation bedurfte. Ruprecht stellt dabei einerseits – nach einer Phase des die Macht der Familie schwächenden Teilungsprinzips in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts – die neuerliche Betonung der familiären bzw. dynastischen Einheit ab 1562 fest, andererseits die Verwendung administrativer Instrumente zur herrschaftlichen Verdichtung, die auf die Transformation der Grundholden zu Untertanen einer Obrigkeit hinauslief. Die Instrumente: Burggerichtsordnungen, Dorfordnungen, die Erbhuldigung, Kirchenordnungen, waren zugleich Medien der Selbstbehauptung nach außen, im Verhältnis zu den zu Reichsfürstenrang aufgestiegenen konkurrierenden Dynasten.

Mit dem Rittergut Schleinitz und seinem Besitzer, dem Reichspfennigmeister Christoph von Loß (1574 – 1620), betritt Martina Schattkowsky sowohl geografisch als auch methodisch ein neues Gebiet: Die wirtschaftlichen Grundlagen des kursächsischen Adels werden an diesem Beispiel erläutert, das einerseits wegen der prominenten Stellung seines Besitzers in Sachsen (als Geheimer Rat) und in Reichszusammenhängen, andererseits wegen der guten Beschaffenheit seiner Böden und der Nähe zu städtischen Absatzmärkten nicht ohne weiteres verallgemeinert werden dürfte. Auffällig ist insbesondere das quantitative Gewicht der adligen Eigenwirtschaft im Verhältnis zu bäuerlichen Abgaben (60% zu 40%), daneben sind die Einkünfte des Gutsherrn aus Hof-, Regierungs- und Reichsämtern in Betracht zu ziehen. Die erfolgreiche Selbstbehauptung auf wirtschaftlichem, kulturellem und politischem Gebiet basierte auf massiven Transformationsprozessen, die den Adel am Ende des 16. Jahrhunderts in Sachsen als neuerlich gestärkten Herrschaftsstand erscheinen ließen.

Das ökonomische Verhalten des frühneuzeitlichen Adels steht auch im Mittelpunkt der Ausführungen von Kurt Andermann, dessen Interesse wieder dem südwestdeutschen Raum gilt. Er legt minutiöse Angaben zur Erbteilung der Brüder Adelsheim am Ende des 17. Jahrhunderts vor, gewichtet Einkünfte und Werte eines Ritterguts des frühen 18. Jahrhunderts und kann so das Verhältnis von Gebäude- und Landbesitz, obrigkeitlichen Einkünften und Abgaben bestimmen. Schließlich stellt er am Beispiel zweier Adelsgüter die Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben in den 20er beziehungsweise 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts dar. Erkennbar wird das eindeutige Übergewicht der bäuerlichen Abgaben vor Einkünften aus obrigkeitlichen Rechten, der Primat von Naturalabgaben vor Geldzahlungen bis weit ins 18. Jahrhundert und die Bedeutung der unbeständigen vor den beständigen Gefällen. Andermann deutet den gewissenhaften Umgang der Gutsbesitzer mit diesem komplizierten Geflecht ihrer wirtschaftlichen Grundlage, der sich auch in sorgfältiger Archivierung niederschlug, im Sinne des zuvor besprochenen Aufsatzes als Beweis adliger Wirtschaftlichkeit, die sich mit dem Bild des antiökonomischen aristokratischen Verschwenders nicht verträgt.

Den Abschluss bildet Christoph Schmiders Porträt des als Komponist und Musiktheoretiker dilettierenden Franz Friedrich Böcklin von Böcklinsau (1745 – 1813), der wegen seiner standesunspezifischen Interessen und nicht zuletzt wegen der nur oberflächlich verheimlichten Liaison mit seiner Haushälterin eine Außenseiterrolle in der Breisgauer Ritterschaft am Ende des Alten Reichs spielte.

Viele der Beiträge kann man als Revision modernisierungstheoretisch beeinflusster Grundannahmen lesen, die den Adel primär als nicht-modern, nicht-städtisch, nicht-gebildet und nicht-kapitalismusfähig qualifizieren. Die Infragestellung von scharfen Grenzziehungen (wie beispielsweise der von Stadt und Land beziehungsweise Bürgertum und Adel) birgt denn auch sehr fruchtbare Möglichkeiten der Innovation für die Adelsforschung, nach denen die frühneuzeitliche Aristokratie sehr dynamische und in Teilen sogar modernisierende Charakteristika anzunehmen scheint. Das Beispiel des „Musikbarons“ hingegen bestätigt die Auffassung, dass der Adel am Ende des Ancien Régime nur noch höchst eingeschränkt in der Lage war, kreativ mit zeitgenössischen sozialen und kulturellen Entwicklungen zu kommunizieren. Zumindest in kulturgeschichtlicher Hinsicht stellt die Zeit um 1800 nach den Beiträgen dieses Sammelbandes somit tatsächlich eine Zäsur im Verhältnis von Aristokratie und Modernisierung dar.

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