H. Weiss (Hg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich

Titel
Biographisches Lexikon zum Dritten Reich.


Herausgeber
Weiss, Hermann
Erschienen
Frankfurt am Main 1998: S. Fischer
Anzahl Seiten
502 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Fiedler, Fak. f. Geschichtswissenschaft u. Philosophie, Universitaet Bielefeld

Das von Hermann Weiss herausgegebene und von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Muenchener Instituts fuer Zeitgeschichte erarbeitete biographische Nachschlagewerk, das 566 Persoenlichkeiten in knappen Portraets vorstellt, die "im oeffentlichen Leben des Dritten Reiches eine Rolle spielten" (S. 8), stellt eine grundlegend ueberarbeitete Neuauflage des biographischen Lexikons "Wer war wer im Dritten Reich" von Robert Wistrich dar, das 1983 erstmals in deutscher Uebersetzung aufgelegt wurde. Im Vergleich mit der von Hermann Weiss ueberarbeiteten und erweiterten Fassung von Wistrich's Personenlexikon aus dem Jahr 1987 sind in der jetzt vorliegenden Ausgabe 261 Personen neu hinzu gekommen und an die einhundert Personen herausgefallen. Unter den "Neuzugaengen" findet sich jetzt eine vollstaendige Aufnahme aller Gauleiter und vieler anderer Personen aus der Parteiorganisation und dem Herrschaftsapparat, aus der Wehrmacht, aus dem Kulturleben und aus dem Widerstand. Die Entscheidung, den Kreis der Personen zu erweitern, ist ebenso zu begruessen wie die sprachliche Ueberarbeitung und Straffung der Beitraege aus den aelteren Auflagen. Dabei zeigt der Verzicht auf Otto Strasser, auf Oswald Spengler oder Ernst Thaelmann ebenso Probleme und Grenzen einer Auswahl auf wie die Aufnahme Stefan Georges, der nach seinem Tod in der Schweiz im Jahr 1933 vom nationalsozialistischen Kulturbetrieb vereinnahmt wurde, ohne deshalb das im Vorwort erlaeuterte Auswahlkriterium der Zugehoerigeit zur politischen oder geistigen Elite Deutschlands der Jahre 1933 bis 1945 zu erfuellen.

Zu kritisieren ist manches an der Auswahl, die bei den gegebenen Grenzen des Umfangs, dem Herausgeber sei recht gegeben, "notgedrungen auch subjektive Entscheidungen" (S. 9) beinhaltet und niemals alle Leserinnen und Leser gleichermassen zufrieden stellen kann. Bereits Wistrich ist in einer Besprechung der ersten Auflage eine Uebergewichtung von Kuenstlern und Sportlern gegenueber einer recht sparsamen Beruecksichtigung der Wirtschaftselite vorgehalten worden. Dieses Manko haette in dieser aktuellen Version des Personenlexikons eigentlich behoben werden koennen.

Zwar sind einige Vertreter der wirtschaftlichen Fuehrungsschicht neu aufgenommen, doch ist diese Gruppe, die in der Vorbemerkung des Herausgebers nicht einmal explizit als Teil der Funktionselite des Dritten Reiches genannt wird, mit 33 Personen schlichtweg unterbesetzt. Hier vermisst der Rezensent (dessen persoenliches Interesse zugegebenermassen eher zur Wirtschaft tendiert) eine groessere Auswahl von Personen, zu welcher der in Muenchen vorhandene OMGUS-Bestand die eine oder andere Entscheidungshilfe haette leisten koennen. Unverstaendlich ist zum Beispiel, dass mit Ambros, Buetefisch, Ilgner, Krauch und Schnitzler gleich fuenf Mitglieder aus dem Vorstand der IG Farben vertreten sind, nicht aber der Vorstandsvorsitzende Hermann Schmitz. Auch fehlen, um einige Namen zu nennen, Karl Rasche (Dresdner Bank), der einzige im "Wilhelmstrassen-Prozess" verurteilte Vertreter einer deutschen Grossbank, ferner der bis 1935 als Reichswirtschaftsminister amtierende, danach wieder an die Spitze eines grossen Versicherungskonzerns wechselnde Kurt Schmitt, der Vorstandsvorsitzende der 1933 verstaatlichten Junkers-Flugzeugwerke Heinrich Koppenberg, der Praesident der Reichswirtschaftskammer Albert Pietzsch oder der Commerzbank-Direktor Friedrich Reinhart, ein fruehes Mitglied im "Freundeskreis Himmler", nach 1933 Praesident der IHK Berlin und der Berliner Boerse.

Eine geringe Kenntnis oder Sorgfalt verraten Formulierungen wie die, der Industrielle Otto Steinbrinck (Flick-Konzern) habe "ueber den Keppler-Kreis und den Freundeskreis Reichsfuehrer SS" seine Beziehungen zur Fuehrung des Dritten Reiches ausbauen koennen (S. 444), wo doch beide Bezeichnungen fuer ein und denselben Zirkel stehen. Auch transportiert die Feststellung, die Krupps haetten den groessten deutschen Ruestungsbetrieb angefuehrt (S. 284), eine verbreitete, aber letztlich doch falsche Legende.

Insgesamt treten aber nicht so sehr die kleinen Fehler als eine in einer naechsten Ausgabe leicht zu korrigierende Schwaeche dieses Lexikons hervor, sondern der immer noch zu geringe Anteil der Macht- und Funktionstraeger aus der zweiten Reihe, die durch das der Auswahl zugrunde liegende Kriterium der oeffentlichen Praesenz (das freilich bei den meisten Militaers, Wissenschaftlern, Angehoerigen des Widerstandes und den zur inneren Emigration gezwungenen Kuenstlern auch nicht gegeben war) uebersehen werden. Technokraten auf dem Gebiet der fuer das Regime so wichtigen Arbeits- und Sozialpolitik wie Gustav Seebauer, Leiter des RKW und des REFA, oder Werner Mansfeld, Ministerialdirektor im Reichsarbeitsministerium, Verfasser des "Gesetzes zur Ordnung der Nationalen Arbeit (AOG)" und Beauftragter fuer den Arbeitseinsatz im Vierjahresplan, haben das alltaegliche "Erscheinungsbild des Nationalsozialismus und seines Staates" (S. 8) mindestens so stark gepraegt wie die zahlreich vertretenen Figuren des verarmten deutschen Kulturlebens, etwa der NS-Philosoph Ernst Krieck (S. 281 f.), der Schriftsteller Wilhelm Pleyer (S. 353 f.) oder die "das positive Image der blonden, temperamentvollen Taenzerin" ausstrahlende Marika Roekk (S. 382 f.).

Schade ist der Verzicht auf eine aktualisierte Bibliographie prosopographischer Forschung zum Dritten Reich bzw. auf eine Dokumentation der hauptsaechlich benutzten Find- und Hilfsmittel im Anhang. Dies begrenzt den Nutzen dieses biographischen Nachschlagewerkes fuer den wissenschaftlichen Gebrauch leider auf das, was der Herausgeber in der Vorbemerkung ankuendigt, naemlich nur "eine bescheidene Hilfe" zu sein, um Kenntnisse ueber die Elite des Dritten Reiches zu sichern und weiterzureichen.

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