Büro trafo.K u.a. (Hgg.): In einer Wehrmachtsausstellung

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Titel
In einer Wehrmachtsausstellung. Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung


Herausgeber
Büro trafo.K; Höllwart, Renate; Martinz-Turek, Charlotte; Sternfeld, Nora; Pollak, Alexander
Erschienen
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Moller, Forschungsgruppe "Vergleichende Tradierungsforschung", Universität Witten/Herdecke

Das Feld der Besucherforschung zu Gedenkstätten und Ausstellungen über die NS-Vergangenheit entwickelt sich langsam. Neuerdings wird verstärkt nach dem weitgehend „unbekannten Wesen“ des Besuchers als Ziel historischer Vermittlungsarbeit und nach seiner Geschichtsrezeption gefragt.1 Für die erste Wehrmachtsausstellung legte das Hamburger Institut für Sozialforschung bereits 1998 einen Sammelband vor, der sich besonders mit den älteren Besuchern der Ausstellung befasste.2 Der vorliegende Band „In einer Wehrmachtsausstellung“ unterscheidet sich von diesem allerdings grundlegend. Das „Büro trafo.K“ hatte 2002 den offiziellen Auftrag zur Konzeption und Durchführung des Begleit- und Vermittlungsprogramms für die zweite Wehrmachtsausstellung in Wien. Der Band spiegelt, wie der Untertitel auch sagt, die in diesem Rahmen gemachten „Erfahrungen mit Geschichtsvermittlung“ wider. Außer den Mitarbeitern des Vermittlungsbüros wurden drei weitere Autoren für die Publikation gewonnen sowie eigens eine sozialwissenschaftliche Studie zu den jugendlichen Besuchern der Ausstellung in Auftrag gegeben.

Der erste Abschnitt über die Grundlagen der Vermittlungsarbeit ist der anregendste Teil des Bandes. Nora Sternfeld und Charlotte Martinz-Turek legen hier in zwei Aufsätzen Ziel und methodisches Konzept der von ihnen praktizierten Vermittlungsarbeit dar. Sie vertreten einen reflektierten Ansatz, der die Gefahr einer „Sinngebung des Sinnlosen“ zu umgehen sucht, und distanzieren sich von einer Form der „Holocaust Education“, die der Moralerziehung dient. Ihr Ziel ist es, neben der „Entwicklung von Kompetenzen zum kritischen Umgang mit historischem Wissen“ (S. 21) vor allem von den Jugendlichen reproduzierte „stereotype Klischees“ (S. 30) offen zu legen und zu revidieren. Um Letzteres zu erreichen, leuchten Sternfeld und Martinz-Turek eingehend die Probleme aus, die mit den in der Vermittlungsarbeit generell erwünschten und geförderten Aktualisierungsprozessen verbunden sind. In ihrem zweiten Beitrag entwickeln sie ein Konzept, das den kritischen Umgang mit historischem Wissen fördern soll. Sie treten für eine „transparente Geschichtsvermittlung“ ein (S. 41), die die „Textur der Erinnerung“ (James E. Young) offen legt. Im Rahmen des Begleitprogramms zur zweiten Wehrmachtsausstellung hatten sie hierfür Schülern ein Ergänzungsblatt für ihr Schulbuch ausgehändigt, um so eine Metaebene einzuführen, die die Schüler selbst vor die Frage stellt: „Was ist tradierungswürdig?“ Darüber hinaus gibt es in diesem sehr facettenreichen Beitrag Hinweise darauf, wie sich etwa mediale und familiäre Bezüge sowie Migrationserfahrungen aufgreifen lassen und wie inhaltsleer das politisch korrekte Sprechen von Schülern sein kann.

Der zweite Abschnitt widmet sich noch eingehender dem Sprechen und den Sprechenden im Kontext der Wehrmachtsausstellung. Zunächst geht es Renate Höllwart und Charlotte Martinz-Turek darum zu zeigen, wie mit dem Akt des Aussprechens die Wahrnehmung verändert wird, da das Ausgesprochene erst im Akt des Sprechens tatsächlich konkret wird (S. 70). Auch wenn der Beitrag etwas allgemein gehalten ist, gelingt es doch, die Wichtigkeit der Konkretisierung herauszuarbeiten, die nicht zuletzt in der Vermittlungsarbeit mit Schülern notwendig ist, die sich virtuos auf die gängigen, zu Phrasen geronnenen Mahnungen zu berufen wissen.

Um feststehende Redewendungen geht es auch in weiteren Beiträgen dieses Abschnitts. Alexander Pollak legt dar, dass überbordende Ansprüche an die Geschichtsvermittlung (im Sinne einer Verhaltens- oder Einstellungsänderung) von politischer Seite zwar vielfach öffentlich eingefordert werden, dass diese Form des „Lernens aus der Geschichte“ in neueren Ansätzen der Geschichtsdidaktik jedoch längst passé ist. Nora Sternfeld kann einen ähnlichen Wandel für den Bereich der Ausstellungsdidaktik nachzeichnen – weg von „der frontalen Vermittlung eines scheinbar objektiven Faktenwissens“ hin zu erlebnisorientierten und „subjektiven Ansätzen der Geschichtsaneignung“ (S. 87). In ihrer Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ausstellungstypen geht es Sternfeld um die Gratwanderung zwischen notwendiger Subjektorientierung in der Geschichtsvermittlung und der scheinbaren Bestätigung von mitgebrachten Stereotypen, die ein solcher Ansatz implizieren kann. Katharina Wegan spürt der kulturellen Textur des Antisemitismus nach, wie sie unter anderem in Befragungen und Leserbriefen zum Ausdruck kommt. Dabei rekonstruiert sie, wie die Reaktionen auf die zweite Wehrmachtsausstellung in Österreich im Jahr 2002 von den Ereignissen in Israel und Afghanistan beeinflusst wurden und der Antisemitismus in israelischen und antiamerikanischen Feindbildern aktualisiert wurde.

Eher enttäuschend sind die Ausführungen von Claudia Ehgartner (zu Fragen der Kunst- und Geschichtsvermittlung) sowie von Daru Huppert. Hupperts psychoanalytische Deutung des „Revisionismus als Entstellung und Klischee“ erschöpft sich in einer wenig ergiebigen Reproduktion des immergleichen Verdrängungsvokabulars. Dabei vergibt er insbesondere die Chance, sich eingehender mit „verharmlosenden“ und „naiven“ Zitaten aus der Enkelgeneration auseinanderzusetzen, nur weil sie in sein Raster des prototypischen Revisionisten nicht so recht passen wollen (S. 130, 134).

Der dritte Teil des Buches beschäftigt sich schließlich mit empirischen Studien zur Erinnerung an die NS-Vergangenheit. Zunächst gibt Alexander Pollak einen Überblick über die wenigen, meist quantitativen Studien, die in Österreich durchgeführt wurden. Da in den 1990er-Jahren keine Forschungsarbeiten zum Geschichtsbewusstsein von Jugendlichen publiziert wurden, nimmt Pollak drei Untersuchungen aus den 1980er-Jahren näher in Augenschein und vergleicht deren Ergebnisse mit einer Repräsentativbefragung von deutschen Schülern aus dem Jahr 1995. Dabei wird deutlich, dass (in den Länderstudien selbst) das Geschichtsbewusstsein der befragten Schüler aus Deutschland weitaus positiver eingeschätzt wird als das der Schüler aus Österreich – ein Umstand, den Pollak nicht etwa in einem unterschiedlichen Wissensstand oder Reflexionsgrad der Befragten, sondern vor allem in den Erwartungshaltungen der jeweiligen Studienautoren begründet sieht. Der Beitrag ist damit nicht nur als ein Aufruf nach mehr empirischer Geschichtsbewusstseinsforschung lesbar, sondern auch als Aufforderung, die bisher vorliegenden Studien sekundäranalytisch auszuwerten und sie dabei im Hinblick auf das Geschichtsbewusstsein der Forschenden sowie die sie prägenden Diskurse der öffentlichen Erinnerungskultur zu betrachten.

Abschließend stellen Ines Garnitschnig und Stephanie Kiessling die zentralen Ergebnisse der von ihnen im Rahmen der zweiten Wehrmachtsausstellung in Wien durchgeführten Besucherbefragung vor. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Familiengeschichte und der Frage nach generationenübergreifenden Tradierungen geschenkt. Die Studie stützt sich dabei vor allem auf die schriftliche Befragung von 924 Schülern, die mittels eines (im Anhang des Buchs abgedruckten) Fragebogens zum Ausstellungsbesuch, zu Gesprächsanlässen und ihrer Familiengeschichte befragt wurden. Die Hauptergebnisse bestätigen die Befunde der qualitativen Mehrgenerationenstudie „Opa war kein Nazi“, auf die sich die Autorinnen ausdrücklich beziehen.3 Auf einer allgemeinen Ebene gelingt es den Jugendlichen in der Regel recht souverän, Eigenschaften des NS-Herrschaftssystems zu benennen, und sie thematisieren insbesondere den Holocaust. Geht es allerdings um die eigene Familie, dann verstricken sich die Jugendlichen in offensichtliche Widersprüche. Garnitschnig und Kiessling diagnostizieren eine „beinahe völlige Absenz der Herstellung einer Verbindung zwischen den Verbrechen der Wehrmacht und der eigenen Familiengeschichte“ (S. 200). Darüber hinaus bietet die Studie zahlreiche interessante Einzelergebnisse, die es weiter zu diskutieren gilt. In diesem Zusammenhang ist allerdings auch eine Schwachstelle so mancher Interpretation von Garnitschnig und Kiessling hervorzuheben. In ihrer Analyse der Bedeutung von Familiengeschichten und -dialogen problematisieren sie nicht hinreichend, dass sich die Befunde allein auf die Angaben der Enkelgeneration stützen. Die spärlichen Fragebogen-Angaben der Jugendlichen zu ihrer Familiengeschichte werden zu einer quasi objektiven Matrix für jede weitere Deutung hypostasiert. Dabei ist gerade die Verortung der eigenen Vorfahren im NS-Herrschaftssystem ebenso interpretationsbedürftig wie alle anderen Aussagen auch.4

Der Sammelband „In einer Wehrmachtsausstellung“ bringt für das Themenfeld Geschichtsvermittlung, Gedenkstättenpädagogik und Rezeptionsforschung unterschiedliche theoretische und empirische Ansätze zusammen; er stellt damit einen wichtigen Baustein einer endlich in Gang kommenden Debatte dar.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa den Tagungsbericht von Verena Haug (<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=362>). Das Zitat entstammt dem Problemaufriss von Pampel, Bert, Der Gedenkstättenbesucher – das unbekannte Wesen. Plädoyer für mehr Besucherforschung in Gedenkstätten, in: Zeitgeschichte regional 5 (2001), S. 64-66.
2 Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.), Besucher einer Ausstellung. Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ in Interview und Gespräch, Hamburg 1998.
3 Welzer, Harald; Moller, Sabine; Tschuggnall, Karoline, „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt am Main 2002.
4 Dies zeigt sich etwa in dem (gerade vor dem Hintergrund der Studie „Opa war kein Nazi“) durchaus problematisierungswürdigen Umstand, dass die Jugendlichen ihre Vorfahren fast doppelt so häufig der Kategorie „Personen im Widerstand“ zuordneten wie der Kategorie „NS-SympathisantInnen“ (S. 165).

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