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Titel
Historische Anthropologie zur Einführung.


Autor(en)
Tanner, Jakob
Reihe
Zur Einführung
Erschienen
Hamburg 2004: Junius Verlag
Anzahl Seiten
235 S.
Preis
€ 14,50
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Armin Owzar, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die vom Junius Verlag herausgegebene Taschenbuchreihe „Zur Einführung“ ist ihren Herausgebern zufolge „für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren“ (S. 7). Die Bände sollen Wissen vermitteln, es allgemein zugänglich machen, und das jeweils aus einer eigenen, vom Autor offenzulegenden Perspektive. Angesichts der gegenwärtigen Konjunktur, die vor allem den ahistorischen Entwürfen von Anthropologie beschieden ist, ist der in diese Reihe aufgenommene Diskussionsbeitrag von Jakob Tanner nur zu begrüßen. Denn der Züricher Historiker bezieht darin dezidiert Stellung, und das auf einem durchweg hohen Reflexionsniveau. Allerdings wird er dabei den Ansprüchen, die man gemeinhin an eine Einführung stellt, nicht immer gerecht.

Das liegt nicht an der Gliederung des Buches, diese ist systematisch und dem komplexen Gegenstand angemessen. In zwei Kapiteln gibt Tanner einen Überblick über die wissenschafts- und theoriegeschichtlichen Traditionen Historischer Anthropologie. Er skizziert die Entwicklung anthropologischen Denkens seit dem 18. Jahrhundert (S. 36-63) und geht auf die mit der Anthropologie korrespondierenden Schulen und Disziplinen der Geschichtswissenschaft ein (S. 64-96), insbesondere auf die Historiker/innen aus dem Umfeld der Annales und die angelsächsischen Sozial- und Kulturanthropologen/innen. In dem daran anschließenden Kapitel widmet Tanner sich aktuellen Problemen und Fragestellungen der Historischen Anthropologie (S. 97-135). In einem weiteren Kapitel setzt er sich kritisch mit den konkurrierenden Vorstellungen naturwissenschaftlich orientierter Anthropologien auseinander (S. 136-163): mit soziobiologischen, evolutionstheoretischen, neurowissenschaftlichen und ökonomischen Ansätzen, die eine Enthistorisierung der Anthropologie implizieren. Schließlich entwirft er ein Konzept symmetrischer Anthropologie, in dem die bereits in der Einleitung (S. 9-35) formulierten Thesen noch einmal aufgegriffen werden (S. 164-189). Sein besonderes Augenmerk gilt dabei einer Kybernetik, die ebenso wie die Historische Anthropologie das Ziel habe, „die Natur-Kultur-Unterscheidung zu unterlaufen“ (S. 177).

Tanner favorisiert also nicht einen enzyklopädischen, sondern einen problemorientierten Zugriff. Den roten Faden seiner Darstellung bilden drei Fragen. Erstens: Wie wandeln sich Menschenbilder und damit einhergehend die diskursiven und medialen Bedingungen anthropozentrischer Selbstbeschreibungen? Zweitens: Mittels welcher sozialen Praktiken und symbolischen Formen organisieren und regulieren die Menschen ihr gesellschaftliches Zusammenleben? Und drittens: Inwiefern ist die (so genannte) menschliche Natur historischem Wandel unterworfen? Insbesondere an der Beantwortung der letzten Frage ist Tanner gelegen. Pointiert vertritt er die These, dass sich eine Trennung zwischen Natur und Kultur nicht aufrecht erhalten lasse. Vielmehr stehe der menschliche Körper in einer Wechselwirkung mit den jeweiligen Kulturtechniken und Mediensystemen. Auch die Natur des Menschen sei historischem Wandel unterworfen.

Durch die Einnahme einer solchen subjektiven Perspektive auf den Gegenstand anthropologischer Forschungen unterscheidet sich Tanners Buch deutlich von anderen als Einführung konzipierten Darstellungen zur Historischen Anthropologie. Ein Vorgehen, das gleichermaßen Vorteile wie Nachteile in sich birgt. So bietet der problemorientierte Zugang den Lesern/innen Gelegenheit, sich mit den Kernfragen anthropologischer Forschung auseinander zu setzen. Wer sich freilich für die Debatten um das Wesen „des Menschen“ von Tanner Munition erhofft, der wird über weite Strecken des Textes enttäuscht sein. Denn zumeist verzichtet Tanner auf die Argumente und kommt gleich zur These. Dadurch aber beraubt er sich der Chance, diejenigen zu überzeugen, die mit anderen anthropologischen Ansätzen sympathisieren. Gleichzeitig verprellt er so diejenigen Adressaten/innen, die sich von dem Buch eine instruktive Einführung ins Thema versprechen. Denn Tanners Schreibweise setzt bei den Lesern/innen bereits eine gewisse Vertrautheit mit dem Gesamtkomplex voraus. Wer etwa die Werke Jacques Lacans studiert hat, wer mit der Theorie Claude Lévi-Strauss’ vertraut ist, wer die Thesen Marshall McLuhans kennt, der wird Tanners gelegentlich eigenwilliger, aber nachvollziehbarer Prosa folgen können. Wer aber die Studien dieser und vieler anderer (darunter auch dem Rezensenten nicht geläufiger) Autoren/innen nicht kennt, der wird bei der Lektüre entweder seine Schwierigkeiten bekommen oder dem Verfasser sehr viel Vertrauen ob der stimmigen Wiedergabe der von ihm referierten Standpunkte entgegenbringen müssen.

Tanners Abhandlung ist derart kompakt, dass er darüber mehrfach die Leser/innen, vor allem die studentischen, aus dem Auge verliert. Sein Buch ist mithin weniger eine Einführung als ein Plädoyer. Ein gelungenes Plädoyer, zugegebenermaßen – ich stimme vielen der hier vorgetragenen Thesen zu –, aber kein Text für neugierige, aber unkundige Leser/innen. Und genau diesen Kreis sollte doch eine Einführung zuallererst ansprechen, oder?

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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