P. Brandt u.a. (Hgg.): Verfassungsgeschichte um 1800

Cover
Titel
Quellen zur europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Teil 1: Um 1800


Herausgeber
Brandt, Peter; Kirsch, Martin; Schlegelmilch, Arthur
Erschienen
Anzahl Seiten
1 CD-ROM
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eric Steinhauer, Universitätsbibliothek, Technische Universität Ilmenau

Wer sich mit Verfassungsgeschichte beschäftigt, ist auf Quellen in Form historischer Verfassungsdokumente angewiesen. Meist sind diese in mehr oder weniger umfangreichen Sammlungen enthalten. Da das Arbeiten mit verfassungsgeschichtlichen Quellen immer auch vergleichende Aspekte beinhaltet, verdient eine digitale Sammlung verfassungsgeschichtlicher Quellen wegen ihrer erweiterten Suchmöglichkeiten ein besonderes Interesse.

Die hier vorzustellende Ausgabe der „Quellen zur Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert“ ist Teil des auf vier Bände angelegten „Handbuchs der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert“ 1, das im Auftrag des Historischen Zentrums der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Instituts für Europäische Verfassungsgeschichte der FernUniversität Hagen erarbeitet wird. Der erste Teil des Handbuchs behandelt die Zeit um 1800. Historisch gesprochen geht es um die verfassungsgeschichtlich sehr interessante Zeit der Französischen Revolution und des napoleonischen Hegemonialsystems. Auf diesen Band bezieht sich die vorliegende CD-ROM. Weitere drei Quellenausgaben sind jeweils passend zu den anderen Bänden des Handbuches geplant.

Funktionalität und Inhalt

In einem ausführlichen Booklet werden Anlage und Zielsetzung der Quellenedition erläutert. Die Benutzungs- und Installationshinweise sind mit Screenshots versehen und gut verständlich. Die Installation als solche ist sehr einfach, da der Inhalt der CD-ROM über den Web-Browser angesteuert wird. Der Benutzer muss einfach nur die Datei „start.htm“ anklicken und hat alsbald die Startseite des CD-ROM in seinem Browser.

Vier Bereiche stehen zur Auswahl: Impressum, Einleitung, Benutzungshinweise und Inhalt. Einleitung und Benutzungshinweise entsprechen den Texten des Booklet, werden darüber hinaus aber auch in englischer und französischer Sprache angeboten. Das entspricht dem europäischen Anspruch der CD-ROM.

Im Inhaltsbereich findet sich zunächst eine zeitgenössische Europa-Karte, die zur geografischen Orientierung nützlich ist. Die Karte lässt sich vergrößern, gleichwohl kann man nicht alle Details erkennen.

Im linken Frame finden sich die verfassungsgeschichtlichen Quellen nach einzelnen Ländern geordnet aufgelistet. Bei jeder geografischen Einheit informiert zunächst eine Übersichtsseite über die vorhandenen Dokumente. Das ist sehr nützlich. Zugleich bekommt man einen ersten Eindruck von der Fülle des gebotenen Materials.

Die Quellen werden jeweils in der Orginalsprache wiedergegeben, in einzelnen Fällen gibt es bei wichtigen Quellen auch deutsche Übersetzungen. Vorangestellt ist eine ausführliche bibliografische Anmerkung zu den Fundorten. Wenn man nicht nach der CD-ROM zitieren möchte, kann man daher mit Hilfe der Fundorte leicht eine passende gedruckte Ausgabe finden und das gewünschte Zitat dort verifizieren.

Die Suche über den Textbestand wird in einem eigenen Suchfenster vorgenommen. Es stehen Volltext- und Schlagwortsuche zur Auswahl. Da die Quellen im Original angeboten werden, darunter auch russisch, stellt das Programm zu den jeweiligen Sprachen passende virtuelle Tastaturen zur Verfügung, mit denen man leicht den Suchbegriff eingeben kann.

Bei der Schlagwortsuche kann der Nutzer in einem Pulldown-Menu aus einer recht umfangreichen Liste von Schlagworten auswählen. Die Suche kann durch Länderauswahl und definierbare Jahresabschnitte noch verfeinert werden.

Die beiden Suchfunktionalitäten ergänzen sich sehr gut. Werden nämlich originalsprachliche Quellen geboten, macht die Volltextsuche nur bei Texten gleicher Sprache Sinn. Für eine vergleichende Arbeit ist aber gerade der Zugriff auf die Quellen unterschiedlicher Länder wichtig. Hier geben die gut ausgewählten Schlagworte einen durchaus tauglichen Zugriff auf die Materie, etwa in der Güte eines gedruckten Registers. Hervorgehoben sei, dass die Schlagworte auch in englischer und französischer Sprache zur Verfügung stehen. Eine interessante Funktionalität für die chronologische Einordnung der Dokumente bietet ein Kalender-Umrechner, der Daten des gregorianischen und julianischen sowie des französischen Revolutionskalenders umrechnen kann.

Textauswahl und Einzelfragen

Die CD-ROM enthält sehr umfangreiches Textmaterial, das über die eigentlichen Verfassungsurkunden weit hinausgeht. Welche Texte der Benutzer erwarten darf, darüber geben die jeweiligen Übersichtsseiten Auskunft. Das Material ist dabei nach Sachgruppen gegliedert, etwa: Verfassungsstruktur der zentralen staatlichen Ebene, Wahlrecht, Grundrechte, Verwaltung, Kirche, Militär usw. Dabei werden auch Verweise zu Dokumenten gegeben, die das Territorium der einzelnen staatlichen Einheit betreffen, wie etwa die Rheinbundakte und vergleichbare Verträge. Diese Hinweise sind verlinkt.

Es würde den Rahmen der Rezension sprengen, weitgehende Anmerkungen zu allen Dokumenten zu machen. Ein paar Auffälligkeiten sollen aber angesprochen werden:

Mitunter sind die Kurztitel, die den Dokumenten beigegeben werden, nicht sehr aussagekräftig, etwa „Religion und Staat/dt. (Auszug) 4.10.1794“ im Bereich Österreich. Dahinter verbirgt sich ein Auszug aus: „Oestreichs Staatsverfassung vereinbart mit den zusammengezogenen bestehenden Gesetzen, zum Gebrauche der Staatsbeamten, Advokaten, Oekonomen, Obrigkeiten, Magistraten, Geistlichen, Bürger und Bauern, zum Unterrichte, für angehende Geschäfftsmänner, von Joseph Kropatschek, k.k. wirkl. Hofkonzipisten, und öffentlichen Professor der Gesetzkunde und Kreisamtspraxis bey der k.k. Arcieren Leibgarde gallizischer Abtheilung“, Bd. 2, Wien o.J., S. 1-10.

Merkwürdig ist, dass für Polen kein Bereich „Kirche“ existiert. Gibt es hier wirklich keine verfassungsgeschichtlich relevanten Dokumente?

Bei der Auswahl der staatlichen Einheiten fällt auf, dass der Kirchenstaat bzw. der Heilige Stuhl nicht berücksichtigt ist. Vermutlich lag dessen verfassungs- und staatsrechtliche Situation außerhalb der Fragestellung des Handbuchs, auf das sich die CD-ROM ja bezieht. Da aber das französische Konkordat von 1801 aufgenommen worden ist, wäre eine entsprechende Rubrik „Kirchenstaat“ durchaus sinnvoll gewesen.

Die Quellentexte sind nicht immer vollständig abgedruckt, sondern werden mitunter auf Kernaussagen hin gekürzt. Das erleichtert einerseits die Lektüre, schmälert andererseits aber auch die Recherchebasis für weitergehende Fragestellungen. Man kann sich nämlich nicht sicher sein, bei einer Volltextsuche tatsächlich die gesamten Dokumente durchsucht zu haben.

Bei näherem Hinsehen gibt es bei den Quellentexten einige Unstimmigkeiten. So findet sich der wichtige Text der Magna Charta Libertatum vom 19. Juni 1215 in drei Fassungen: lateinisch, englisch, deutsch. Dabei wird nur die deutsche Fassung ungenau mit „Magna Charta Libertatis[!]“ überschrieben. Blickt man auf die Textquellen, so verwundert bei einer im Juni 2004 erschienenen CD-ROM, dass als neueste Quellenausgabe für den deutschen Text der Magna Charta ein Buch von 1975 angegeben wird.2 Die benutzte Ausgabe ist tatsächlich die aktuellste Auflage des zitierten Werkes, allerdings gibt es durchaus neuere Textausgaben für den akademischen Gebrauch, die für gegenwärtig arbeitende Wissenschaftler interessanter sind. 3 Diese Quellensammlung ist jedenfalls für die juristische Verfassungsgeschichte mittlerweile als Standardwerk anzusprechen. Soweit ersichtlich, haben die Herausgeber der CD-ROM sie nicht verwendet. In diesem Zusammenhang wäre es auch schön gewesen, eine Übersicht gängiger Quellensammlungen der CD-ROM beizugeben. Damit wäre vor allem für Studierende der Kontext umschrieben, in den die vorliegende Quellensammlung als Arbeitsinstrument zu stellen ist.

Wenn die Magna Charta als deutlich vorrevolutionäres Dokument aufgenommen worden ist, so ist das sicher wegen ihrer grundlegenden Bedeutung für die europäische Verfassungsgeschichte geschehen. Von daher wäre es aber auch angemessen gewesen, grundlegende Texte der amerikanischen Verfassungsgeschichte anzuführen, die unbestritten auf die europäische Verfassungsentwicklung einen großen Einfluss genommen haben.4

Trotz dieser Kritikpunkte haben die Herausgeber ein nützliches und vergleichsweise preiswertes Studieninstrument geschaffen. Die erwähnte Sammlung von Willoweit/Seif kostet demgegenüber 59,80 Euro und ist textlich nicht so umfangreich! Jeder verfassungshistorisch arbeitende Wissenschaftler sollte bei vergleichenden europäischen Fragenstellungen die besprochene Quellenausgabe konsultieren. Sie ist auch ohne direkte Verbindung zum Handbuch mit Gewinn zu verwenden.

Anmerkungen:
1 Brand, Peter; Kirsch, Martin; Schlegelmilch, Arthur (Hgg.), Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Bonn 2004ff., Bd. 1: Um 1800, Bd. 2: 1815-1848, Bd. 3: 1848-1880, Bd. 4: 1880-1914. Bislang ist der 1. Band erschienen.
2 Franz, Günther (Hg.), Staatsverfassungen. Eine Sammlung wichtiger Verfassungen der Vergangenheit und Gegenwart in Urtext und Übersetzung, München 1975, S. 498-503.
3 Willoweit, Dietmar; Seif, Ulrike (Hgg.), Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003 (Rechtshistorische Texte)
4 Vgl. Frotscher, Werner; Pieroth, Bodo, Verfassungsgeschichte, München 2005, Rn. 46-50, 59.

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