R. Lane Fox: Alexander der Große

Cover
Titel
Alexander der Große. Eroberer der Welt


Autor(en)
Lane Fox, Robin
Erschienen
Stuttgart 2004: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
XX, 807 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Konrad Vössing, Historisches Seminar, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Das vorliegende Werk wird auf der Innenseite des Titelblatts als vom Autor komplett durchgesehene, grundlegend überarbeitete und ergänzte Neuausgabe des berühmten 'Alexander the Great' von 1973 bezeichnet. Es gilt in der englischsprachigen Welt als die meistgelesene Darstellung Alexanders des Großen,1 und die Erzählkunst des damals 27-jährigen Oxforder Historikers sucht in der Tat immer noch ihresgleichen. Allerdings gab es damals auch erhebliche Kritik von Fachgenossen, und man ist gespannt auf etwaige Reaktionen. Der Autor hat diese deutsche Neuausgabe nicht zufällig im Jahre 2004 publiziert: sie erschien parallel zum Alexanderfilm Oliver Stones, dessen Hauptdarsteller auf dem Pappschuber auftaucht. Lane Fox war einer der militärhistorischen Berater des Regisseurs und hat im selben Jahr ein Buch über die Entstehung des Films geschrieben.2

"Aus dem Englischen von Gerhard Beckmann" heißt es auf dem Titelblatt. Das ist etwas irreführend, denn die deutsche Übersetzung lehnt sich sehr eng an die von 1974 an, die allerdings an einigen Stellen korrigiert wurde. Neu ist ein aktuelles Vorwort (S. XI-XVIII); hier weist der Autor auf archäologische Entdeckungen seit 1973 hin, etwa auf die Königsgräber von Vergina, und auf Kommentare und Monografien jüngeren Datums, vor allem zum persischen Reich. Auch setzt er sich kurz mit der Alexanderkritik der neueren Forschung auseinander, namentlich mit E. Badian. Hinzugekommen sind einige neue Passagen, eine umfangreiche "Bibliographie zur Neuausgabe" (S. 745-770) und ein Nachwort von Wolfgang Will: "Alexander perennis. Historiographie und Legende - Von Kallisthenes zu Lane Fox" (S. 771-783).

Bei einem "grundlegend überarbeiteten Text" könnte man eigentlich davon ausgehen, dass zumindest offenkundige Fehler, auf die frühere Rezensionen hingewiesen haben, ausgemerzt sind. Leider ist das nicht durchgehend der Fall. Die auf einem Versehen der (älteren) Loeb-Übersetzung von Arrian beruhende Theorie, Alexanders Namensvetter aus der Lynkestis sei Kommandeur 'der Thraker' bei der Zerstörung Thebens gewesen, ist beispielsweise ebenso stehengeblieben wie die Lokalisierung von Lokroi in Thessalien (S. 135, 178).3 Diese Gleichgültigkeit kontrastiert mit dem oft harschen Urteil über Kollegen, auch wenn es gegenüber der Erstausgabe etwas gemildert wurde (S. 669f.).

Erschwerend kommt hinzu, dass der Autor 1980 (deutsch 1990) ein zweites Werk zu Alexander vorgelegt hatte, in dem zum Teil abweichende Urteile gefällt worden waren, vor allem weil er den Quellenwert Arrians nun höher bewertete als den der so genannten Vulgata (Diodor, Curtius Rufus, Justin).4 Diese Einschätzung wird im neuen Vorwort wiederholt (S. XIV). Wohl aus Zeitgründen hat Lane Fox es nun aber unterlassen, die Neuauflage seines Werks von 1973 mit dem eigenen Erkenntnisfortschritt von 1980/90 in Beziehung zu setzen. Wer die drei Bücher (1973/74, 1980/90 und 2004) vergleicht, steht an einigen Stellen vor einem irritierenden Zickzackkurs: 1973/74 heißt es zum Marsch durch die Makran-Wüste "das Mißgeschick anderer gekrönter Häupter [sc. der Semiramis und des Kyros] wurde erst am Ende der Reise erdichtet"; Nearchos' gegenteilige Behauptung (Arrian, Anabasis 6,24,3) wird beiseite geschoben. Anders dann 1980/90: "Auch wenn man Nearchos vertrauen muß, genügt sein Bericht nicht. Trotz Alexanders Rivalität mit den Helden, gewannen diese Katastrophenberichte über Kyros und Semiramis erst dann Bedeutung, als er selbst eine Katastrophe durchgemacht hatte" (S. 255). Das ist eine deutliche Modifizierung; die (in der Tat ganz unglaubhafte) simple Erfindung der mythischen Vorbilder gibt es hier nicht mehr, wohl aber wieder 2004: "Das Mißgeschick anderer Könige wurde erst am Ende der Reise erdichtet." (S. 510)

Hier ist die Rückkehr zur älteren Version (falls es überhaupt eine bewusste Rückkehr darstellt) misslich, an anderen Stellen ist sie dagegen zu begrüßen, wird aber ebenso wenig kommentiert; so hatte Fox 1980/90 die These vertreten, die Katastrophe des Wüstenmarsches sei dadurch verursacht worden, dass die Flotte ihre Aufgabe, das Heer zu versorgen, nicht erfüllen konnte (S. 255ff.), was schon durch Arrian, Anabasis 6,23,4-6 widerlegt wird. 2004 ist davon zu recht nicht mehr die Rede, und der Autor kehrt zur ursprünglichen Verteidigungsstrategie von 1973/74 zurück: die Rede ist wieder von der "schicksalhafte[n] Route", zu der ihn seine hilfsbedürftige Flotte zwang, sowie von der Forscher- und Sportlernatur Alexanders (S. 510, 513) - übrigens eine zweifelhafte Apologie, bleiben bei den Versuchen, "den steilsten Berghang des Mount Everest zur falschen Jahreszeit zu erklimmen" ja nicht Tausende von unfreiwilligen 'Mitstreitern' auf der Strecke. Zur Proskynese vor Alexander hatte Fox 1973/74 behauptet, es sei "keineswegs sicher, ob der Brauch je aufgegeben wurde" (S. 441). Dabei hat Plutarch in seiner Alexanderbiografie (Kap. 55) Kallisthenes als den beschrieben, der die Proskynese zu Fall brachte. 1980/90 hatte Fox diesen Irrtum korrigiert (S. 221). 2004 kehrt er jedoch zur alten Interpretation zurück (S. 429), wieder ohne dass dies kommentiert würde.

Wo der Autor eine zwischen seinen Stellungnahmen von 1973/74 und 1980/90 vermittelnde Position einnimmt, geschieht dies auf Kosten der Klarheit. Die Verschwörung der Pagen Alexanders resultierte für ihn 1973/74 aus der Zurücksetzung oder Unzufriedenheit ihrer Väter (S. 445), 1980/90 dagegen wurde (viel überzeugender) ein Grund "eher allgemeiner Natur" ins Feld geführt (S. 222). 2004 ist der Satz von der Degradierung von Offizieren, um die sich die Pagenverschwörung letztlich gedreht habe, verschwunden; dass sich die Pagen nur für den Ruf ihrer Väter eingesetzt hätten, wird nur noch als damals mögliche Sicht bezeichnet (S. 431). Plausibel sei aber auch die Suche nach einem älteren Anstifter (und damit nach einem eher ideologischen Motiv) gewesen, weshalb man auf Kallisthenes gekommen sei. Dessen Schuld sei möglich, aber nicht erwiesen (S. 432).5 Dazu passt nun aber nicht das Urteil über die bei Curtius Rufus 8,7 zu findende (ideologische) Verteidigungsrede des Anführers der Pagen: "[S]olche Reden entbehrten jeder Grundlage." (S. 431) Eine Indoktrination durch Kallisthenes wäre doch genau eine solche Grundlage. Offenbar wurde dieser Satz aus der Version von 1973/74 übernommen (S. 444, 446, wo er eine Beeinflussung der Pagen durch Kallisthenes abgelehnt hatte), ohne auf seine Implikationen zu achten.

Auch sonst hat das Drängen der 'günstigen Stunde' den Autor offenbar an einer gründlichen Durchsicht gehindert. So sind auch im Anhang gerade mit Blick auf den größeren Leserkreis ärgerliche Versehen stehen geblieben. In der Zeittafel wurde (S. 789) für den Ägyptenfeldzug die Jahreszahl '331' vergessen und erst S. 790 (bei der Ankunft in Persepolis) fälschlich - statt '330' (dieses Jahr ist somit ganz ausgefallen) - eingesetzt. Was die Anmerkungen (S. 672-737) angeht, erschweren wie 1973/74 unübliche Abkürzungen (A. = Arrian; P. = Plutarch) das Auffinden der Belege, zumal die Fragmente ohne die entsprechenden Nummern der Sammlung Jacobys angegeben werden. Ein Bearbeiter spricht von den "Inkonsistenzen des [...] eigenwilligen Anmerkungsapparates", die nicht alle hätten bereinigt werden können (S. 672), tröstet sich aber damit, der wissenschaftlich Apparat sei ohnehin primär für die Fachgelehrten; im Zweifel solle man die englische Ausgabe zu Rate ziehen - keine sehr glückliche Lösung.

Wolfgang Will, dessen Bild von Alexander bekanntlich sehr viel kritischer ist als das des vorliegenden Buches, stellt im Titel seines Nachwortes vielleicht nicht zufällig Kallisthenes, den Lobredner Alexanders, neben Lane Fox; er betont dann aber die Legitimität der unterschiedlichen modernen Alexanderbilder, obwohl sie oft nur in einem Punkt übereinstimmen würden: "Der Makedone Alexander zog in den Osten und starb dort. Vermutlich." (S. 783) Dass diese ironisch-resignative Quintessenz doch noch etwas erweiterbar ist, sucht die Alexanderforschung Jahr für Jahr mit einer Vielzahl neuer Beiträge zu erweisen, ohne dass die älteren Stimmen verzichtbar wären. Auch eine Stellungnahme, die vor 35 Jahren erarbeitet wurde, bleibt also bedeutsam. Hier ist sie allerdings belastet durch die ungedeckte Behauptung einer grundlegenden Revision. Immerhin ist damit nun ein 'Klassiker' (in verbesserter Übersetzung, zu einem guten Preis und in schöner Aussstattung) wieder auf dem Markt, bei dem die hoffentlich zahlreichen Leser beobachten können, wie sehr seine unverkennbaren Stärken bedingt sind durch seine Schwächen: nur eine die Quellen 'ergänzende' Phantasie gepaart mit robuster Nonchalance der gelehrten Diskussion gegenüber, ein gewisser Romantizismus und ein wenig Idealisierung 6 ermöglichen diese mitreißende Erzählung, die das Faszinosum einer schon zu Lebzeiten legendären Figur nicht nur erahnen, sondern regelrecht erleben lässt.

Anmerkungen:
1 Alexander the Great, London 1973; ins Deutsche übers. v. P. Zentner und P. Dering, Stuttgart 1974 (im Folgenden = 1973/74); P. Dering ist 2004, zusammen mit dem Autor, auch als Bearbeiter genannt.
2 The Making of Alexander, Oxford 2004.
3 Beide (und eine Reihe anderer) Fehler hatte schon E. Badian, in: JHS 96 (1976), S. 229f. 'aufgespießt'; vgl. auch die Melange von 'Chares von Mytilene' und 'Chares von Athen' im Register (S. 799); dazu CR 26, 1976, 234.
4 Lane Fox, R., Die Suche nach Alexander, übers. v. M. Willmy, Braunschweig 1990 (im Folgenden = 1980/90), z.B. S. 7.
5 1980/90, 222 beurteilte er eine Beeinflussung der Pagen durch Kallisthenes sogar als wahrscheinlich.
6 Diese Idealisierung lehnt Lane Fox selber auch im neuen Vorwort wieder expressis verbis ab, bestätigt sie jedoch schon durch die Formulierung der Grundfrage seines Buches (S. XVII): 'Womit nahm Alexander die Herzen seiner Soldaten und ihre Gedanken ein?'

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