Cover
Titel
Pazifisten in Uniform. Die Bausoldaten im Spannungsfeld der SED-Politik 1964-1989


Herausgeber
Widera, Thomas
Reihe
Berichte und Studien des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung e.V. 44
Erschienen
Göttingen 2004: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Denise Wesenberg, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

„Das ist der einfache Frieden, den schätze nicht gering. Es ist um den einfachen Frieden seit Tausenden Jahren ein beschwerlich Ding“, heißt es in einem Lied von Gisela Steineckert und Klaus Schneider. In der DDR wurde es oft gesungen. Seine zeitlos anmutende Grundstimmung eignete sich vorzüglich zur Untermalung offizieller Jugend- und Feierstunden. Es war wohl ein solcher, die Außenpolitik und die innergesellschaftlichen Strukturen umfassender „einfacher Frieden“, der vielen Verweigerern des Waffendienstes in der DDR am Herzen lag. Ihre Ablehnung war besonders in den ersten Jahren nach Einführung der Wehrpflicht häufig unpolitisch motiviert; oft beruhte sie auf religiösen Überzeugungen. Der SED dagegen galt der Dienst an der DDR per se als Friedensdienst. Den Staat nicht mit militärischen Mitteln verteidigen zu wollen, hielt sie für ein feindlich-negatives Verhalten, auch wenn es aus Opportunitätserwägungen heraus sinnvoll erscheinen mochte, die Möglichkeit eines waffenlosen Wehrdienstes vorzusehen. In diesem Spannungsfeld sind die fünf in dem Band versammelten Beiträge angesiedelt. Der - wohl medienwirksam zugespitzte - Titel führt allerdings etwas in die Irre, denn die Aufsätze kreisen in einem sehr weit verstandenen Sinne um jene Zeit, die die Bausoldaten der DDR in Uniform verbrachten. Die Autoren sind zwei Historiker und drei Theologen, mindestens vier von ihnen, darunter der Herausgeber, sind als unmittelbar am Geschehen Beteiligte einerseits und analysierende Forscher andererseits in doppelter Weise mit dem Thema verbunden. Insofern ist ihre Arbeit wohl auch Ausdruck eines legitimen und notwendigen Bedürfnisses nach Selbstvergewisserung und Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

Im ersten Beitrag spürt Peter Schicketanz den Reaktionen der Evangelischen Kirchen auf die Aufstellung von Baueinheiten in den ersten beiden Jahren, also von 1964-1966, nach. Im Zentrum seiner Darstellung steht der von einem Arbeitskreis unter der Leitung von Bischof D. Johannes Jänicke, Magdeburg, erarbeitete Text „Zum Friedensdienst der Kirche. Eine Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen“ aus dem Jahr 1965. In ihm wurde die individuelle Entscheidung der Ablehnung des Waffendienstes in Relation zum Friedensauftrag der Kirchen gestellt. „Verweigerer, die im Straflager für ihren Gehorsam mit persönlichem Freiheitsverlust leidend bezahlen und [...] Bausoldaten, welche die Last nicht abreißender Gewissensfragen und Situationsentscheidungen“ übernehmen, seien, so hieß es darin, im Vergleich zu Normaldienenden „deutlichere Zeugen des gegenwärtigen Friedensangebotes unseres Herrn“ (S. 25). Dass der Text nicht nur von der SED rigoros - bis hin zur Forderung nach Rücknahme - abgelehnt wurde, sondern auch innerkirchlich umstritten war, zeigte sich u.a. an den sehr verschiedenen Weitergabemodi innerhalb der Kirchen. In der mangelnden Verfügbarkeit sieht Schicketanz einen der Gründe dafür, dass die Handreichung in den Gemeinden zunächst kaum rezipiert wurde (S. 37). Seine kenntnisreichen Ausführungen füllen eine in der Fachliteratur beklagte Lücke. Über die Tendenz, Inhalte in Aufzählungen zu präsentieren, mag man da gern hinwegsehen.

Mit der Wehrerziehung in der DDR beschäftigt sich erneut Christian Sachse.1 Überzeugend arbeitet er heraus, dass der Wert der Wehrerziehung für die SED-Führung weniger in einer - ab den 1960er-Jahren kaum mehr vorhandenen - militärischen Effizienz, als vielmehr in einer probaten Form der Disziplinierung bestand (S. 44, 56). Folgerichtig bildete die Ablehnung der Wehrerziehung als Ganze oder einzelner Bestandteile für viele DDR-Bürger eine Einstiegspforte in oppositionelles Denken und Handeln (S. 70). Besonders die Bereitschaft zur Teilnahme an Schießübungen wertet Sachse als „Loyalitätsbeweis“ gegenüber dem Staat (S. 70f.), wobei allerdings zu fragen ist, welcher Stellenwert Momenten der Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit in diesem Zusammenhang zukam. Und kehrten dem Land wirklich nur jene den Rücken, die zuvor durch die Verweigerung des Übungsschießens auf sich aufmerksam gemacht hatten? Scheint es zunächst, als würde die sehr lesenswerte Darstellung ohne konkreten Bezug zu den Bausoldaten enden wollen, so gelingt Sachse in der Frage der Loyalität doch noch der Bogenschluss. Indem sich die Männer mit den Spaten auf den Schulterklappen für jedermann sichtbar geweigert hätten, ihr „Leben in die Verfügungsgewalt der [...] beherrschenden Macht zu geben“, hätten sie an einem entscheidenden Punkt Widerspruch angemeldet und somit die SED-Herrschaft insgesamt in Frage gestellt (S. 71). Wenig überzeugend scheint, dass der Autor das Jahr der Einführung des Wehrkundeunterrichts an den Schulen (1978) als Schlusszäsur des Beitrages wählt, um sich dann partiell darüber hinwegzusetzen.

Die Herausbildung der Friedensseminarbewegung aus der Bausoldatenbewegung zeichnet Matthias Kluge am Beispiel Hansjörg Weigels und der von ihm initiierten Königswalder Friedensseminare nach. Erkenntnisleitend ist für ihn dabei die Frage, ob von einer Generation der „ostdeutschen Achtundsechziger“ gesprochen werden könne (S. 74). Dass eine solche Fragestellung anhand nur weniger untersuchter Lebensläufe überzeugend beantwortet werden kann, scheint indes fraglich. In sinnvoller Selbstbegrenzung räumt Kluge daher ein, dass weitere Forschungen unbedingt notwendig seien (S. 113). Die angeführten Beispiele scheinen seine These von der Existenz „ostdeutscher Achtundsechziger“ jedoch zu stützen. So waren eine „Überidentifikation“ mit der Eltern-Generation und die Auseinandersetzung mit ihrem moralischen Scheitern in der NS-Zeit sowie die Ablehnung des Vietnam-Krieges offenbar auch für Akteure der Bausoldaten- und Friedensseminarbewegung ein wichtiges Motiv ihres Handelns (S. 110f.) Als spezifisches Element kam das Trauma des Einmarsches in die CSSR 1968 hinzu. Keineswegs nur für Zeithistoriker interessant sind die Motive jener Menschen, die sich auf scheinbar verlorenem Posten für einen Wandel hin zu friedlicheren Strukturen einsetzten. Am gewählten Beispiel gelingt Kluge ein eindringliches Portrait und zugleich eine Freilegung jener feinen Netzwerke, die solches Handeln erst ermöglichten.

Das MfS unterschätzte das Protestpotenzial der Bausoldaten lange, um ihm dann umso hilfloser gegenüberzustehen. Den Ursachen solchen Versagens geht Stephan Wolf in seinem Beitrag auf den Grund. Dazu rekonstruiert er die Strukturen der für die Überwachung der NVA zuständigen HA I des MfS ebenso wie beispielsweise die seit den 1970er-Jahren praktizierte Zusammenarbeit der HA I mit der für Kirchen- und Jugendpolitik zuständigen HA XX. Einen Grund für die inadäquaten Reaktionen der Staatssicherheit sieht Wolf darin, dass viele Bausoldaten den Einsatz für den Frieden auch nach Beendigung des Wehrdienstes fortführten. Dadurch bedingte unterschiedliche Zuständigkeiten erschwerten es dem MfS zunächst, sich einen Überblick zu verschaffen (S. 127f.). Zugleich scheint sich die Gewinnung informeller Mitarbeiter aus ihren Reihen schwierig gestaltet zu haben (S. 134), während die Kontrolle durch speziell ausgebildete hauptamtliche Ermittler-IM (IME) sich als aufwendig und ineffektiv erwies (S. 140). Sprachliche Ungeschicklichkeiten schmälern ein wenig den Eindruck der Darlegungen, etwa wenn ein Militärbezirk als Beispiel für einen Truppenteil herhalten muss (S. 126) oder Wolf über staatsfeindliche Hetze und die Gefährlichkeit der Bausoldaten (jeweils ohne Anführungszeichen) referiert. Auch die Gliederung verwirrt mitunter mehr, als sie zur Klarheit beitragen würde. Die Mühe der Lektüre lohnt die quellengesättigte Studie dennoch allemal.

Schließlich führt Thomas Widera die verschiedenen Untersuchungsstränge zusammen. Er vollzieht nach, wie die Stilisierung des Friedensbegriffes zum Politikum und die Unfähigkeit der SED, eine wahrhaft zivile Alternative zum Wehrdienst anzubieten, einen Prozess der Politisierung der Bausoldaten katalysierten. Unter dem Druck der Staatsmacht leisteten diese nun Grundlegendes für die Entstehung einer eigenständigen DDR-Friedensbewegung. Ihre Friedfertigkeit wurde jedoch, wie Thomas Widera engagiert und überzeugend darlegt, auch zu einem Modell für den friedlichen gesellschaftlichen Umbruch in den Jahren 1989/90 (S. 155, 216).

Im Band deutlich unterrepräsentiert bleiben Fragen nach dem Alltag der Bausoldaten, nach Ausrüstung und Ausbildung, ihrem Zusammenleben auf den Stuben, den Einsätzen an militärischen Objekten und in der Industrie.2 Besonders dort, wo nach Motiven, Aussichten und Schwierigkeiten des Einsatzes für den Frieden gefragt wird, weist er jedoch über den Rahmen der DDR-Geschichtsforschung hinaus. „Wichtig ist“, so zitiert Kluge den gewissermaßen Zeit seines Lebens Bausoldat gebliebenen Hansjörg Weigel, „dass man daran arbeitet, dass sich etwas ändert - nicht, dass man es selber erlebt“ (S. 95).

Anmerkungen:
1 Vgl. auch Sachse, Christian, „Disziplin muss geübt werden!“ Zur Geschichte und pädagogischen Praxis der Wehrerziehung in der DDR, in: Mertens, Lothar (Hg.), Unter dem Deckel der Diktatur. Soziale und kulturelle Aspekte des DDR-Alltags, Berlin 2003 sowie Ders., Aktive Jugend - wohlerzogen und diszipliniert. Wehrerziehung in der DDR als Sozialisations- und Herrschaftsinstrument (1960-1973), Münster 2000.
2 Zu Letzteren vgl. etwa Vesting, Justus, Mit dem Mut zum gesunden Risiko. Die Arbeitsbedingungen von Strafgefangenen und Bausoldaten in den Betrieben der Region Bitterfeld, Buna und Leuna unter besonderer Berücksichtigung des VEB Chemiekombinat Bitterfeld, Magdeburg 2003.

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