H.G. Zekl (Hrsg.): Martianus Capella

Cover
Titel
Martianus Capella. Die Hochzeit der Philologia mit Merkur. De nuptiis Philologiae et Mercurii


Herausgeber
Zekl, Hans Günter
Erschienen
Anzahl Seiten
349 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Führer, Historisches Seminar, Universität Zürich

Im Laufe des 5. nachchristlichen Jahrhunderts verfasste in Rom oder Karthago der Nordafrikaner Martianus Capella ein Werk, das gemeinhin als schwer lesbar und obendrein literarisch missraten gilt. Hinter dem Titel verbirgt sich eine Darstellung der sieben freien Künste, eingebettet in eine mythologische Rahmenhandlung. Als didaktischer Basistext wurde der Bericht über diese Hochzeitsfeier zu einer Enzyklopädie der freien Künste, die im frühen Mittelalter viel gelesen und erläutert wurde, wie die karolingerzeitlichen Kommentare des Johannes Scottus und des Remigius von Auxerre sowie die althochdeutsche Übertragung der ersten beiden Bücher im Kloster St. Gallen durch Notker den Deutschen zeigen. Neben Cassiodors Institutiones und den Etymologiae des Isidor von Sevilla stellt der Text also ein wichtiges Zeugnis für die Überlieferung spätantiken Wissens in die späteren Jahrhunderte dar. Um so erfreulicher ist es, wenn nun erstmals eine vollständige deutsche Übersetzung vorliegt, nachdem vor einigen Jahren bereits eine monumentale Studie erschienen ist.1

Die Rahmenhandlung beschreibt die Brautsuche des Gottes Merkur und die Auswahl der Philologia (Buch 1) sowie deren Auffahrt zu den Göttern und Vergöttlichung (Buch 2). Besonders für diese Passagen ist der Verfasser später kritisiert worden, da die Braut das Sterbliche in drastischer Form von sich geben muss. Das von ihr Erbrochene verwandelt sich in Schrifttum, das von Merkurs Dienerinnen, nämlich den Personifikationen der freien Künste, gierig aufgesammelt wird. Die weiteren Abschnitte bestehen hauptsächlich in Reden dieser Künste, die ihr jeweiliges Wissensgebiet vorstellen. Meistens zu Beginn und Ende der einzelnen Bücher werden metrische Reden (in unterschiedlichen Versmaßen) eingeflochten, so dass das Werk des Martianus Capella als Prosimetrum anzusprechen ist. Zunächst spricht die Grammatik ("Ich handle von Natur und von Verwendungsweise von Sprache", 3,231, S. 92), die Lautwerte und grammatikalische Kategorien erläutert, die sich mitunter von heutigen Gewohnheiten unterscheiden. Ein Verb kann in dieser Darstellung etwa aktiv, passiv, keins von beiden, beides gemeinsam oder deponens sein (3,309, S. 114).

Die Dialektik (Buch 4) hat stechende Augen und ein finsteres Wesen, die Rhetorik (Buch 5) ist stattlich und präsentiert sich mit viel Selbstvertrauen. Auffallend ist bei ihrem Vortrag, dass sie sich lange Zeit mit dem Aufbau der Gerichtsrede befasst - eventuell ein Hinweis auf den biografischen Hintergrund des Verfassers. Nach der Darlegung der Grundwissenschaften ergreift die Geometrie das Wort; kurz wird die Kugelgestalt der Erde bewiesen (6,590, S. 208), bevor zunächst ein geografischer Überblick über die Landschaften und ihre Bewohner gegeben wird – zwischen dem Kaspischen Meer und dem Gebiet der Chinesen wohnen Menschenfresser, für näher liegende Regionen sind die ethnographischen Angaben weit präziser. Im Anschluss geht es um die Geometrie im engeren Sinne. Die Arithmetik arbeitet mit Analogien – Iupiter als der eine Gott in der einen Welt steht für die Eins, die Zwei entspricht der Göttin Iuno, der Linie, der Zwietracht, aber auch der Gerechtigkeit usw. Auch heute ist man dankbar, dass der Übergang von den Zahlenspielen der Arithmetik zur Umlaufbahnberechnung des Saturn in der Rede der Astronomie durch die Rahmenhandlung unterbrochen wird – inzwischen ist Silen im Laufe der Hochzeitsfeierlichkeiten betrunken eingeschlafen und wird von den Göttern ausgelacht. Die letzte Rede gehört der Harmonia, also der Musik (Buch 9). Medizin und Architektur stehen zwar zum Vortrag bereit, behandeln aber sterbliche Angelegenheiten und werden daher ausgeschlossen (9,891, S. 298). Christliche Inhalte sind in dem umfangreichen Text nicht auszumachen, wie überhaupt der Autor außer seinem Namen nur wenig Angaben über seinen persönlichen Hintergrund liefert. Auf den letzten Zeilen (9,1000, S. 330) bittet er bei seinen Lesern um Nachsicht für sein Werk.

In den klassischen Literaturgeschichten wurde Martianus Capella nicht nur die Szene der sich erbrechenden Philologia vorgeworfen; sein Stil ist in der Tat alles andere als ciceronianisch, und die Inhalte machen es auch nicht immer einfach, den Text mit Vergnügen zu lesen. Leider ist dieser Übersetzung nicht die lateinische Vorlage beigegeben, so dass Nachprüfungen einen gewissen Aufwand erfordern. Die hier vorliegende deutsche Fassung hält sich eng an das Original – oft mit kaum noch verständlichem Ergebnis.2 Manche stilistische Eigenheiten dieses Buches gehen hingegen auf das Konto des Übersetzers, der Einschübe in der lateinischen Satzstruktur belassen hat und in Nebensätzen mitunter nicht das Verb ans Ende stellt. Die Einleitung (S. 7-21) ist eher essayistisch gehalten und erfordert im Grunde bereits die Kenntnis des gesamten Werkes. Nützlich ist die "Übersicht über die Inhalte" (S. 23-43), so dass selbst in den Verästelungen der Arithmetik eine Handreichung gegeben wird. Die am Ende des Buches stehenden Anmerkungen beziehen sich zu großen Teilen auf die Textherstellung; in der Tat ist das Werk nicht im besten Zustand auf uns gekommen, jedoch ist mangels eines lateinischen Textes manche Entscheidung des Übersetzers nicht nachprüfbar, mag sie auch philologisch jeweils gut begründet sein.

Eine Übersetzung von "De nuptiis Philologiae et Mercurii" ist unbedingt zu begrüßen. Die vorliegende Fassung macht es den Benutzer/innen zwar nicht immer leicht, den Präsentationen der einzelnen Künste bis in die Details zu folgen. Für viele merkwürdige Wendungen ist aber eher die sperrige Vorlage als der Übersetzer verantwortlich, der auf eine Glättung zugunsten der Texttreue verzichtet hat. Um mit dem Werk des Martianus Capella zu arbeiten, ist die Beschäftigung mit dem Originaltext und mit den für die meisten Bücher vorliegenden philologischen Kommentaren und Studien weiterhin unerlässlich. Es ist aber zu hoffen, daß die Existenz dieser Übersetzung die Entstehung von Studien auch in historischer, zum Beispiel bildungsgeschichtlicher Perspektive nachhaltig befördern wird.

Anmerkungen:
1 Grebe, Sabine, Martianus Capella, "De nuptiis Philologiae et Mercurii": Darstellung der sieben freien Künste und ihrer Beziehungen zueinander, Stuttgart 1999, mit 939 Seiten.
2 Einige Beispiele mögen genügen: "Das fünfte Seinsgeschlecht wird genannt: Die größere Inkommensurable; das sechste: Potentiell-angebbar-und-zu-halbieren-inkommensurabel; das siebente: Potentiell-zwei-Mittlere-inkommensurabel; das achte: Inkommensurabler Abschnitt" (6,720, S. 241, aus der Rede der Geometrie über Linien); "Was immer wir mit irgend einer Vervielfachung nur messen, das können wir auch mit der Einzelnheit, nicht aber (umgekehrt), wo immer Maß durch Einzahl ist, da gäb’s auch eines irgendeiner Vervielfältigung. So ist jeweilige Einzel-heit gemeinsam allen Maß, für einige bestimmte gar das einzige" (7,750, S. 251, Rede der Arithmetik).

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