Cover
Titel
Wenn der Wind sich dreht. Meine Filme, mein Leben


Autor(en)
Beyer, Frank
Erschienen
München 2001: ECON Verlag
Anzahl Seiten
431 S.
Preis
DM 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Beate Ihme-Tuchel, FU Berlin

Frank Beyer, einer der bekanntesten und nach Meinung vieler auch begabtesten Film- und Fernsehregisseure der DDR, hat jüngst seine Memoiren vorgelegt, die sich, wie im Titel angekündigt, überwiegend mit seinen Filmen befassen. Ein Verzeichnis seiner Film- und Theaterarbeiten sowie zahlreiche Fotos runden das Buch ab.

Die Erzählung setzt 1945 ein, als der Dreizehnjährige den recht unspektakulären Einmarsch amerikanischer Truppen im thüringischen Heimatdorf erlebt. Der Vater, ein kleiner Angestellter der Stadt Altenburg, war 1933 aus politischen Gründen entlassen worden und bis 1938 arbeitslos geblieben. Im Frühjahr 1943 ist er gefallen, was für Beyer das einschneidende Erlebnis seiner Kindheit ist.

Beyer stellt ausführlich die Entstehungsbedingungen seiner bekanntesten in der DDR produzierten Filme wie „Nackt unter Wölfen“, „Karbid und Sauerampfer“, „Spur der Steine“, „Jakob der Lügner“ und „Geschlossene Gesellschaft“ dar, daneben äußert er sich auch zu seinen seit den achtziger Jahren in der Bundesrepublik entstandenen Filmen.
Über das DEFA-Angebot zu „Nackt unter Wölfen“ ist er zunächst wenig erfreut, weil er nicht zum Spezialisten für antifaschistische Themen werden möchte. Andererseits hat sich der 1958 erschienene gleichnamige Roman von Bruno Apitz als großer Erfolg erwiesen; auch gefällt ihm die einfach erzählte Geschichte.

„Karbid und Sauerampfer“, von Beyer unter das Motto „Darf man über die Russen lachen?“ gestellt, war als ein in den ersten Nachkriegsmonaten spielendes Roadmovie konzipiert, für dessen Tonlage „Humor am Rande der Katastrophe“ angepeilt war. Die Darstellung der sowjetischen Offiziere und Soldaten soll sich denn auch deutlich von der „edlen Einfalt und stillen Größe des sowjetischen Personals“ in den tonangebenden Filmen jener Zeit unterschieden haben. (S. 120 und 122)

Breiten Raum nimmt natürlich „Spur der Steine“ ein, sein auf dem gleichnamigen Roman von Erik Neutsch basierender und wohl bekanntester Film. Mit dieser konfliktreichen, aber auch unterhaltsamen Gegenwartsgeschichte erfüllt er sich einen Traum. Ein Millionenpublikum soll ins Kino gelockt, Manfred Krug „endgültig zum ersten Filmstar des Landes“ gemacht werden. (S. 126) Nach zwei Jahren harter Arbeit ist die Premiere für den 30. Juni 1966 angesetzt. Obwohl die Hintergründe des berühmt-berüchtigten „Kahlschlag“-Plenums vom Dezember 1965 sowie seines weiteren Umfelds bisher nicht restlos geklärt sind, geriet der Film nach Beyer deswegen in Schwierigkeiten, weil der „Wind in der sowjetischen Kulturpolitik ... sich gedreht“ hatte. (S. 131)

Jedenfalls folgt der wohlwollenden Rohschnittabnahme vom Oktober 1965 bereits im März 1966 eine vernichtende Kritik durch die führenden Kulturfunktionäre. Beyer nimmt an, dass der Minister für Kultur Klaus Gysi im Juni 1966 persönlich die Zulassung des Films für öffentliche Aufführungen zurückgezogen hat. Als Konsequenz dieses Verdikts über seinen Film, der erst 23 Jahre später vor einem größeren Publikum gezeigt werden kann, muss Beyer das DEFA-Studio für Spielfilme vorübergehend verlassen.

Zwischenzeitlich geht er ans Dresdener Theater und ist auch für das Fernsehen tätig. In dieser Zeit entstehen Filme wie „Rottenknechte“ (1971) oder „Die sieben Affären der Dona Juanita“ (1973).

Ausführlich legt Beyer die „wahre Geschichte“ seines Films „Jakob der Lügner“ dar. An Jurek Beckers Geschichte hat ihn besonders der Schwebezustand zwischen Komik und Tragik gereizt. Gemeinsam schreiben sie ein Drehbuch zum Film, das sie am 15. Dezember 1965, dem Vortag des 11. ZK-Plenums, abliefern. Nach diesem Plenum liegt das Projekt für mehrere Jahre auf Eis. Die Besetzung der Hauptrolle des Jakob mit Vlastimil Brodsky anstelle des ebenfalls interessierten Heinz Rühmann soll von Erich Honecker persönlich veranlasst worden sein. Vor dem Hintergrund der Abgrenzungspolitik der siebziger Jahre habe dieser gefordert, auf eine Besetzung mit Rühmann zu verzichten. „Jakob der Lügner“ wird mit dem Nationalpreis ausgezeichnet, läuft 1975 auf den West-Berliner Filmfestspielen und erhält 1977 sogar eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „fremdsprachiger Film“.

In neuerliche Schwierigkeiten gerät Beyer im Zusammenhang mit der Biermann-Ausbürgerung von 1976, weil auch er die Petition gegen diesen Willkürakt unterschrieben hat. Auf ihn wird starker Druck ausgeübt, seine Unterschrift zurückzuziehen. Beyer gibt teilweise nach, indem er die Veröffentlichung der Petition im Westen als falsch bezeichnet, seine Unterschrift aber nicht widerruft. Ein Parteiverfahren im Dezember endet mit einer strengen Rüge wegen angeblich grober Verstöße gegen das Parteistatut. Jurek Becker, der keinerlei Konzessionen macht, wird aus der SED ausgeschlossen.

Unter der Überschrift „Der lange Abschied oder Wie man einen Film exekutiert“ zeichnet Beyer - allzu erschöpfend - die Geschichte seines Films „Geschlossene Gesellschaft“ nach, der 1978 verboten wurde. Er illustriert diese mit unzähligen Dokumenten wie Briefen und Berichten etwa des Sektors Rundfunk/Fernsehen und der Abteilung Agitation, Berichten der Hauptabteilung XX der Staatssicherheit und zweier IMV (= Inoffizieller Mitarbeiter mit vertraulichen Beziehungen zu der im Vorgang bearbeiteten Person) - „Lorenz“ und „Ruth“ - Presseberichten sowie seinen eigenen Briefen. Einige dieser Dokumente wurden bereits in Hans Bentziens Erinnerungen von 1995 abgedruckt. Die Geschichte endet im April 1980 mit Beyers Streichung als Parteimitglied.
Wäre der „liberale“ Werner Lamberz zur Jahresmitte 1978 noch am Leben gewesen, so Beyers Eindruck, hätte die SED-Kulturpolitik wohl eine andere Entwicklung genommen.

Trotz des Desasters mit der „Geschlossenen Gesellschaft“ gehört Beyer zum Kreis der Privilegierten, dem mittels längerfristiger Visa Aufenthalte im Westen gewährt werden. Beyer kann nun in der Bundesrepublik arbeiten, deren Produktionsbedingungen ihm zunächst fremd sind. Mit der Zeit aber sammelt er viele Erfahrungen, die ihm nach dem Umbruch des Jahres 1989/90 helfen werden, auf dem westlichen Markt Fuß zu fassen. Die „Wende“ fasst Beyer mit Samthandschuhen an: Während viele seiner Kollegen im Vorruhestand enden, entlässt sie ihn in die lange entbehrte Vollbeschäftigung.

Beyers Memoiren scheinen in mancherlei Hinsicht typisch für die um 1930 geborene „Aufbaugeneration“, der die DDR massenhaft soziale Aufstiege mit oft beachtlichen Karrieren ermöglichte, und die ihr (daher) vielfach bis zu ihrem Ende mehr oder weniger die Treue hielt. Beyer erwähnt als Besonderheit seiner Generation, dass jene, die wie er 1945 dreizehn Jahre alt gewesen und aus ähnlichen Elternhäusern gekommen seien, „einen freien Kopf für die neue Zeit“ gehabt hätten. „Wer fünf Jahre älter war, dem waren die Ideale zerstört. Hier verlief eine Generationengrenze.“ (S. 43)

Trotz der endlosen, künstlerisch lähmenden Querelen mit der SED-Kulturbürokratie hat der 1950 in die SED eingetretene Beyer die Möglichkeit eines dauerhaften Wechsels nach Westdeutschland immer verworfen. Im bundesdeutschen Film der fünfziger Jahre hätte er nur Heimatschnulzen oder Kriegsfilme drehen können. Zudem ist auch er lange davon überzeugt, „trotz allem“ in der besseren Gesellschaftsordnung zu leben. Als nach der Biermann-Ausbürgerung die Frage nach dem Gehen oder Bleiben zum Hauptthema unter Künstlern avanciert, wird seine Standorttreue durch sein bereits fortgeschrittenes Alter bekräftigt. Mit Mitte 40 sieht er für sich keine Chance mehr in Westdeutschland. Auch verlässt er die DDR nicht, weil er den ideologischen Druck auf die Kunst als nicht gravierender einschätzt als den Druck, der im Westen über die Filmfinanzierung auf die Kunst ausgeübt wird. Im Herbst 1989 schließt er sich Christa Wolfs Aufruf „Für unser Land“ an, um - nach einer radikalen Reformierung der DDR - eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln.

Schade, dass diese Erinnerungen über weite Strecken außerordentlich blass daher kommen. Möglicherweise bleibt Beyer als einem Bildermenschen die Macht des Wortes verschlossen. Ob es sich um Höhe- oder Tiefpunkte seiner Karriere oder der SED-Kulturpolitik mit ihren diversen Wandlungen (1956, 1965 und 1976) - etwa Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU - handelt, die Beyers Generation wie ein Donnerschlag traf, stets bleibt der Ton leidenschaftslos. Auch bietet der Zeitzeuge Beyer seinen Lesern kaum neue Erkenntnisse über die SED-Kulturpolitik, die ja immer dann besonders interessant wurde, wenn „der Wind sich drehte“.

Auch über ihre Kulturfunktionäre oder das Leben der künstlerischen Intelligenz in der DDR erfahren wir so gut wie nichts. Nur nebenbei erwähnt er eine gewisse Orientierungslosigkeit bei der DEFA in der Folge der Chruschtschowschen Geheimrede vom Februar 1956 oder den Kampf der Parteifunktionäre gegen den italienischen „Neorealismus“ Ende der fünfziger Jahre. Dagegen bestätigt uns Beyer manches, was wir bereits geahnt haben: dass nämlich Erwin Geschonneck, Armin Mueller-Stahl und Manfred Krug zu seinen Lieblingsschauspielern gehörten, mit denen er bevorzugt Hauptrollen besetzte.

Diesen Erinnerungen hätte ein die verschiedenen Erzählstränge ordnendes Lektorat sowie eine - man wagt es kaum auszusprechen - Dramatisierung oder wenigstens Zuspitzung des Erzählten gut getan. So aber ist ein Konglomerat aus Erzählungen über die Kindheit in Thüringen, den beruflichen Werdegang mit Stationen im Altenburger Kulturbund und der Tschechoslowakei, seine Filme und seine viel zu ausführlich geratenen politischen Rechtfertigungen entstanden. So ist mir nicht nachvollziehbar, warum der „deutsche Briefwechsel“ auf 40 Seiten ausgewalzt wurde. Beyer setzt sich darin - im Ton durchaus sympathisch und sehr moderat - mit den bis in die Gegenwart reichenden Vorwürfen einstiger Mitschüler auseinander, er habe den „Altenburger Kreis“, eine 1949 agierende Widerstandsgruppe von Schülern nach dem Vorbild der „Weißen Rose“, verunglimpft.

Wie aus den zahlreichen abgedruckten Briefen hervorgeht, verhielt es sich aber offenbar so, dass Beyers Einschätzung dieser Gruppe als „dumme Jungs“ von 1950 stammte und nicht, wie ihm von den damals zu langen Haftstrafen verurteilten Angehörigen dieser Gruppe vorgeworfen wird, aus der Zeit nach 1989. So sehr diese Rechtfertigungen menschlich verständlich sein mögen, verwässern sie doch die Erinnerungen dieses berühmten Regisseurs.

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