Titel
Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880-1934)


Autor(en)
Bruns, Claudia
Erschienen
Köln 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
546 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Bergien, Historisches Seminar, Universität Potsdam

Das Konzept des „Männerbunds“ war eine Erfindung der Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Es lässt sich als Versuch verstehen, „hegemoniale Männlichkeit“1 auch vor dem Hintergrund radikaler gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse durchzusetzen, welche männliche Positionen zunehmend in Frage stellten. Bewegt sich die Berliner Kulturwissenschaftlerin Claudia Bruns bis hierhin auf dem Boden der zuletzt auf dem Feld der „Männergeschichte“ geleisteten Forschungen2, geht sie mit ihren Leitfragen mehrere Schritte über diese hinaus. Claudia Bruns fragt nach den Verschränkungen der Männerbund-Diskurse mit den zeitgenössischen Vorstellungen über Sexualität und Eros und stellt dazu die Schriften des „Historikers“ der Wandervogel-Bewegung, Hans Blüher, in den Mittelpunkt ihrer Analyse. Damit erweitert sie die Geschichte der Jugendbewegung sowie die politische Kulturgeschichte des wilhelminischen Deutschland um eine bisher stark vernachlässigte Dimension und widmet sich erstmals umfassend dem Werk eines der meistgelesenen und vor allem meistdiskutierten Autoren, der aufgrund seines aggressiven Antisemitismus und seiner Polemik gegen die Frauenemanzipation jedoch bis heute von der Forschung gemieden wird.

Ihrer Analyse von Blühers Werk stellt Bruns eine knappe Ideengeschichte des Männerbunds seit der Mitte des 19. Jahrhunderts voran, wobei sie sich einerseits auf das 1861 erschienene Werk des Schweizer Altertumsforschers Johann Jakob Bachofen „Das Mutterrecht“, andererseits auf die 1902 veröffentlichte Arbeit „Altersklassen und Männerbunde“ des Ethnologen Heinrich Schurtz konzentriert. Den synchronen Kontext skizziert die Autorin anhand der diskursiven Verknüpfungen von Homosexualität und Politik im Wilhelminismus. Sie zeichnet auf anregende Weise das Bild einer Gesellschaft, in der den Themen Sexualität und Eros ein im europäischen Vergleich (wie Bruns behauptet, jedoch leider nicht belegt) besonders hoher Grad an Aufmerksamkeit geschenkt wurde, in der eine „gesunde Sexualität“ als Voraussetzung für die Stabilität der sozialen Ordnung (S. 119) und Homosexuelle als soziales Problem galten, weil sie als „anormale Männer“ die Legitimationsstrategien männlicher Hegemonie in Frage stellten (S. 124). Diese Denkfiguren illustriert Bruns durch den Skandal um die so genannte „Liebenberger Tafelrunde“ des engen Vertrauten Wilhelms II. Philipp Fürst zu Eulenburg-Hertefeld, ein Skandal, der durch eine Artikelserie des Publizisten Maximilian Harden ausgelöst wurde und auf der Pathologisierung von Homosexualität in der wilhelminischen Gesellschaft beruhte.

Die verbreitete Befürchtung, dass der Einfluss „effeminierter“ Männer wie Eulenburg auf die Staatsführung eine Schwächung des Reichs bedeuten könne, bildet die Kontrastfolie für „maskulinistische“ Argumentationsmuster, denen sich Claudia Bruns anschließend widmet und damit den Übergang zu Blüher herstellt. Die maskulinistischen Autoren wie Adolf Brand oder Gustav Jaeger bemühten sich, den Konnex zwischen „Effeminierung“ und Homosexualität zu lösen und gleichgeschlechtliches Begehren in das Feld hegemonialer Männlichkeit einzuschreiben. Dazu deuteten sie Homosexualität als „normalen“ Ausdruck von Männlichkeit und verknüpften diese mit einer überdurchschnittlichen staatlichen Funktionalität (S. 152). Dass diese „maskulinistischen“ Ansätze zur Normalisierung von Homosexualität auf Abwertung und Ausgrenzung – von „effeminierten“ Homosexuellen und vor allem von Frauen – beruhten (S. 163-165), zählt zu Bruns’ zentralen Befunden, die sie nun am Beispiel der Schriften Blühers vertieft.

Im Zentrum der Analyse steht Blühers dreibändige Geschichte der Wandervogel-Bewegung.3 Blüher, selbst als vierzehnjähriger Gymnasiast in den „Wandervogel“ in Berlin-Steglitz eingetreten, schildert in den ersten beiden Bänden „Aufstieg und Niedergang“ der Jugendbewegung und deutet diese als Ausdruck revolutionären Protests gegen die Vätergeneration. Damit fand er auch innerhalb des Wandervogels zunächst großen Anklang, der seiner eigentlichen, im dritten Band der Wandervogel-Geschichte nachgeschobenen These erhebliche Aufmerksamkeit sicherte: Der Wandervogel, so Blüher, sei ein „homoerotischer Männerbund“ und durch den Sexualtrieb seiner Angehörigen konstituiert. Überzeugt, im Anschluss an Schurtz einer anthropologischen Konstante auf die Spur gekommen zu sein, argumentierte er, dass die Verliebtheit „von Mann zu Mann meistens sozialisierend“ wirke und dass es gerade die „Invertierten“ (die Homosexuellen) seien, die „ihre ganze Kraft dem jüngeren männlichen Geschlecht“ widmeten, die „tiefste und innerlichste Begeisterung in der Jugend“ erzeugten und so den Wandervogel zusammenhielten (S. 279f.).

Bemerkenswerterweise blieb die zu erwartende scharfe Ablehnung von Werk und Autor aus. Das lag zum einen daran, dass es Blüher gelungen war, sich durch bestimmte Argumentationsweisen die (zeitweilige) Unterstützung von medizinischen und sexualwissenschaftlichen Autoritäten wie Sigmund Freud und Magnus Hirschfeld zu sichern, die seiner Arbeit durchaus wissenschaftlichen Rang zusprachen und seine Kernthese stützten. Andererseits reduzierte Blüher durch die konsequente Einnahme maskulinistischer Positionen – durch die Betonung der staatspolitischen Nützlichkeit der Männerbünde, durch Antifeminismus sowie vor allem durch eine scharfe Grenzziehung zwischen „männlicher“ und „effeminierter“ Homosexualität – potentielle Angriffsflächen für seine Kritiker, freilich auf Kosten seiner Berührungspunkte mit Vertretern einer liberalen Homosexuellen-Emanzipation aus den Reihen des „Wissenschaftlich-humanitären Komitees“ (WhK).

Doch boten Blühers Thesen immer noch genügend Sprengstoff, um ihn zur Hassfigur der völkischen Teile der Wandervogel-Bewegung zu machen, welche ihn als „Juden“ zu diskriminieren suchten. Unter diesem Druck, so kann Claudia Bruns zeigen, erweiterte Blüher seine antifeministischen Positionen um einen zunehmend radikalen Antisemitismus. Die Flexibilisierung der Grenze zwischen homosexuellen und „normalen“ Männern ging bei Blüher wie bei anderen Maskulinisten „einher mit neuen harten Grenzziehungen gegenüber den ‚Juden’, die als polare ‚Gegenrasse’ der ‚Germanen’ galten“ (S. 288). Es ist ein wesentliches Verdienst dieser Studie, diesen – über die Homosexuellen-Emanzipation hinaus wirksamen – Konnex von Emanzipation und neuer Ausgrenzung am Beispiel des Blüher'schen Oeuvres greifbar gemacht zu haben. Als dessen Endpunkt stellt Claudia Bruns die Schrift „Secessio judaica“ vor, eine radikale, 1922 erschienene antisemitische Arbeit, die Blüher gewisse Anerkennung im Umfeld der „Konservativen Revolution“ und nicht zuletzt einen persönlichen Kontakt zu Wilhelm II. einbrachte, den Blüher mehrmals in seinem niederländischen Exil besuchte.

Angesichts der klaren Argumentation, des flüssigen Stils und der zwar zitatreichen, doch nie langatmigen Darstellungsform könnte diese Rezension mit einem durchweg positiven Fazit schließen, würde nicht ausgerechnet der Titel der Arbeit doch noch Anlass für einen grundlegenden Einwand geben. Bruns beansprucht, ihre „Politik des Eros“ bis in das Jahr 1934 zu untersuchen, was zeithistorisch interessierte Leser auf eine Einbeziehung der politischen und paramilitärischen „Männerbünde“ der 1920er-Jahre hoffen lassen muss, zumindest aber auf eine Darstellung von Blühers Positionen gegenüber dem Nationalsozialismus. Diese Erwartungen werden jedoch enttäuscht. Claudia Bruns beschränkt ihre Studie weitgehend auf den Wilhelminismus; Aussagen mit Bezug auf die 1920er- und 1930er-Jahre finden sich vorwiegend in dem gut zwanzigseitigen Schlussteil der Arbeit. Dort skizziert sie das Fortwirken der Blüher'schen Ideen am Beispiel des liberalen Philosophen Herman Friedrich Schmalenbach und des nationalsozialistischen „Chef-Ideologen“ (S. 455) Alfred Baeumler. Für sich genommen durchaus aufschlussreich, bieten diese Skizzen jedoch keinen Ersatz für eine auch nur grobe Skizze der Verknüpfung von „Super-Virilität“, Eros und staatlicher Funktionalität in den Denkfiguren und der sozialen Praxis beispielsweise der Freikorpsbewegung oder der SA-Führung. Doch wie gesagt, es ist allein der im Titel angegebene Untersuchungszeitraum, der zu dieser Kritik veranlasst. Blendet man diesen aus, bleibt eine in sich geschlossene, schlüssige und anregende Forschungsleistung.

Anmerkungen:
1 Zu diesem Konzept siehe Martin Dinges, „Hegemoniale Männlichkeit“ – Ein Konzept auf dem Prüfstand, in: Ders. (Hrsg.), Männer – Macht – Körper: hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt am Main 2005, S. 7-33.
2 Als Überblick siehe zuletzt Jürgen Martschukat / Olaf Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt am Main 2008.
3 Hans Blüher, Wandervogel. Geschichte einer Jugendbewegung, Bd 1: Heimat und Aufgang, Bd 2: Blüte und Niedergang, Berlin 1912; der dritte Band erschien in demselben Jahr unter dem Titel „Die Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen“.