P. Ciupke u.a. (Hrsg.): Weltanschauliche Erziehung in Ordensburgen

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Titel
Weltanschauliche Erziehung in Ordensburgen des Nationalsozialismus. Zur Geschichte und Zukunft der Ordensburg Vogelsang


Herausgeber
Ciupke, Paul; Jelich, Franz-Josef
Erschienen
Anzahl Seiten
190 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Köhler, Universität Münster

Paul Spiegel, der verstorbene Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, hätte die nationalsozialistische Ordensburg Vogelsang in der Eifel am liebsten bewusst als Zeichen der Zeit verfallen lassen. Dazu wird es allem Anschein nach nicht kommen: Um verschiedene und voneinander in ihrer Zielrichtung abweichende Konzepte und deren finanzielle Umsetzbarkeit wird aktuell gerungen.

2004 legte eine wissenschaftliche Tagung eine zusammenfassende Wissensgrundlage über die als Kaderschmiede des NSDAP-Führernachwuchses gedachte Ordensburg. Die Vorträge und Diskussionsbeiträge liegen nun in einem Tagungsband vor, der mit zahlreichem Fotomaterial angereichert wurde und hier anhand exemplarischer geschichtswissenschaftlicher und historisch-didaktischer Beiträge vorgestellt werden soll. Die Herausgeber Paul Ciupke und Franz-Josef Jelich haben das Buch in drei Blöcke gegliedert. Übergreifend soll der Leser zunächst zu nationalsozialistischer Weltanschauung und Erziehung mit einem Schwerpunkt auf der Erläuterung des Ordensburgsystems informiert werden. Danach werden die Architektur und die Nachkriegsgeschichte der Ordensburg beleuchtet. Abschließend werfen die Autoren in die Zukunft gerichtete Konzeptionen und Fragen zu einem möglichen „Lernort“ Vogelsang auf.

In seinem Auftaktbeitrag umreißt der Trierer Historiker Lutz Raphael die Charakteristika einer nationalsozialistischen Ideologie und die unterschiedlichen Grade der Wirkungsmächtigkeit der NS-Weltanschauung in den verschiedenen NS-Großorganisationen. In ihrem Kern bestand die nationalsozialistische Weltanschauung aus der rücksichtslosen Umsetzung von „Naturgesetzen“ und deren Gesetzmäßigkeiten sowie aus pseudowissenschaftlichen Lehren, zu denen die Nationalsozialisten in erster Linie die Rassenanthropologie, den Rassenantisemitismus und die Lebensraumthese für den Erhalt einer dauerhaften Existenz der „arischen Rasse“ zählten. Als Mittel zur Umsetzung der an den Sozialdarwinismus anknüpfenden Geschichtsauffassung sollte der politisch-militärische Kampf stehen, der schließlich im Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg mündete. Raphael deutet die latente Anschlussfähigkeit und Offenheit der NS-Ideologie für angrenzende Ideen nicht mehr als intellektuelle Schwäche, sondern als „spezifische Stärke und Element der leichteren Verbreitung“ (S. 18). Gemeinsame Basis der konkurrierenden NS-Machtapparate etwa Rosenbergs, Leys, Goebbels‘ und Himmlers war der Ausschluss der weltanschaulichen Gegner und hier an erster Stelle der des propagierten „jüdisch-bolschewistischen“ Weltfeindes. Aufschlussreich erscheint in diesem Zusammenhang Raphaels epochenübergreifender ideengeschichtlicher Längsschnitt, in dem er nicht nur die Entstehung nationalsozialistischer Elemente ab 1879 in seine Analyse aufnimmt. Er konstatiert zudem das Fortbestehen einer Vielzahl nationalsozialistischer Denkmuster über 1945 hinaus bis in die 1960er-Jahre hinein.

Als gesellschaftliche Gruppen, die besonders anfällig für die Prägung mit nationalsozialistischer Weltanschauung gewesen sind, werden neben den Führungskadern der NSDAP selbst die gleichgeschaltete männliche Jugend vom Hitler-Jungen bis zum Wehrmachtssoldaten sowie der Himmlersche Apparat mit den verschiedenen Sparten der SS und der Polizei hervorgehoben. Dabei attestiert Raphael der weltanschaulichen Erziehung in den Reihen der Schutzstaffel und der Polizei die mit Abstand größte Systematik und auch Wirkungsmächtigkeit. Während im Machtapparat der SS beinahe jeder mit Schulungen des weltanschaulichen Erziehungsamtes in Berührung kam, war die Systematik und die Quote der erreichten Mitglieder beispielsweise bei den politischen Führern der NSDAP deutlich geringer. Die Ordensburgen Vogelsang, Sonthofen und Crössinsee sollten dies in der Zukunft verhindern. Einen Hauptgrund für das Scheitern der Formung eines weltanschaulich überzeugten Partei-Führernachwuchses sieht Raphael neben strukturellen und organisatorischen Schwächen auch in der fehlenden Berufs- und Aufstiegsperspektive der Absolventen solcher Ordensburgen. Während Himmlers SS sowie die Polizei bereits ab 1936 bis in die 1940er-Jahre hinein stark expandierten und damit neue Führungsstellen zu besetzen waren, bot sich für die neue Parteielite eigentlich erst ab 1939/40 die Möglichkeit neuer Stellen im Zuge des Eroberungskrieges in Form von neuen Gauen und Besatzungsgebieten.

Kiran Klaus Patel, Juniorprofessor im Bereich Neuere und Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität, entwirft in seinem Beitrag zur Gestaltung von nationalsozialistischen Lagern und Ordensburgen im Dritten Reich Typisierungen, intendierte Aufgaben und Ziele von Lagern für die „NS-Volksgemeinschaft“, um jene Kategorien anschließend denen der Ordensburg Vogelsang entgegenzusetzen. Das System der Todeslager bleibt in der vergleichenden Studie Patels bewusst ausgeklammert, schließlich dienten die Unterkünfte hier übergeordnet nur als Zwischenstation zur Vernichtung.

Die zentralen Ziele der nationalsozialistischen Lager – Kontrolle und Disziplinierung, Militarisierung, Entindividualisierung und der Naturgedanke im Sinne der „Blut-und-Boden“-Ideologie – treffen generell auch auf die Erziehungsziele auf den NS-Ordensburgen zu. Auffälligster Unterschied jedoch ist schon auf den ersten Blick die Bauform: Setzte sich die Holzbaracke für das Lagersystem als zweckmäßig durch, steht die Ordensburg Vogelsang in seiner Großdimension und massiven Steinbauweise dem diametral entgegen. Jedoch lehnte sich der architektonische Ordnungsgedanke, ausgefüllt unter anderem durch Gemeinschaftsunterkünfte, Appellplätze, Säle und die Burgschenke, an die Maxime von Kontrolle und Disziplinierung an. Ähnlich wie im Tagesablauf von Arbeitsdienst oder Landjahr waren auch auf Vogelsang ein militärischer Charakter in Form der körperlichen Erziehung sowie in ihrer gemeinschaftlichen Ausführung des Ausbildungsprogramms die Formung einer entindividualisierten Masse deutliche Ausgestaltungsmerkmale. Die einzigartige Lage in der Natur der Eifel schließlich erfüllte in besonderem Maße den „Blut-und-Boden“-Gedanken innerhalb der nationalsozialistischen Erziehung.

Trotzdem scheiterte der Erziehungsansatz der Ordensburg Vogelsang als Kaderschmiede des NSDAP-Führernachwuchses letztlich auf ganzer Linie. Die angedachte dreijährige Ausbildung beendete keiner der Jahrgänge. Während der Kriegszeit schließlich diente Vogelsang nur noch als Adolf-Hitler-Schule, als Lazarett und als Militärunterkunft. Einen Hauptgrund sieht Patel in einem von Robert Ley zu diffus ausformulierten Elitegedanken des Parteinachwuchses sowie in den permanenten Spannungen zwischen den NS-Großinstitutionen, aber auch ganz pragmatisch in einer intellektuellen Überforderung und Überschätzung des vor allem aus der unteren Mittelschicht rekrutierten Nachwuchses. Zudem erwies sich die Praxisferne der weltanschaulichen Ausbildung auf Vogelsang eher als karrierehemmend. Da fast keinerlei Kenntnisse über Verwaltungshandeln auf dem Lehrplan standen, waren etwa die Voraussetzungen für einen Aufstieg zum Kreis- oder Gauleiter nicht gerade ideal. Ein weiteres Manko bestand in der Gegensätzlichkeit zwischen intendierter Militarisierung des Parteinachwuchses auf der einen und dem Versuch der Aneignung eines elitären Lebensstiles auf der anderen Seite. Ordensburgschüler gerieten schnell in den Ruf, für die Praxis ebenso untaugliche wie arrogante „Goldfasane“ und Bonzen zu sein.

Im geschichtsdidaktischen Schlussteil des Bandes konkurrieren zukünftige Nutzungskonzepte im wissenschaftlichen Diskussionsraum. Einigen dieser Aufsätze merkt man den ursprünglichen Vortragscharakter der Tagung, als die betreffenden Referenten während der abschließenden Podiumsdiskussion Eingangsstatements abgaben, noch stark an. Volker Dahm und Alfons Kenkmann können dabei in ihren Beiträgen auf praktische Kompetenzen in der Umsetzung didaktischer Leuchtturmprojekte verweisen, also auf die Dokumentation Obersalzberg bzw. den Geschichtsort Villa ten Hompel. Manfred Struck ist sichtlich bemüht, neben der Notwendigkeit der Dokumentation und der historisch-politischen Bildungsarbeit auch den Aspekt des touristischen Anziehungspunktes Nationalpark Eifel, in dem sich die Großanlage Vogelsang befindet, zu integrieren. Bernd Faulenbach schließlich kommt die Rolle des übergeordneten Abwägens und Bewertens zu. Dabei ist innerhalb der Beiträge durchaus umstritten, welche sogenannten „Alleinstellungsmerkmale“ die ehemalige Ordensburg Vogelsang für ein wissenschaftlich-didaktisches Großprojekt von etlichen Millionen Euro prädestinieren. Berechtigt hierzu schon die monumentale Größe allein, die fast nur mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg zu vergleichen ist? Kenkmann hebt hervor, dass sich Vogelsang sinnvoll in die dezentrale Landschaft der nordrhein-westfälischen NS-Gedenk-, Bildungs- und Forschungsstätten einreihen muss. An einer „herausragenden historischen Bedeutung“, wie dies Struck hervorhebt (S. 162), darf jedenfalls nach derzeitigem Forschungsstand zur gescheiterten Junkerausbildung gezweifelt werden. Vielmehr ist es eine Art Trias, die vor allem aus dem Beitrag von Kenkmann hervortritt, die ein künftiges wissenschaftliches Nutzungskonzept unterfüttern könnte: Das Baudenkmal als „totalitäre Beeindruckungsarchitektur“ und als Inbegriff der „politischen Landschaft“ (S. 156), die Indoktrination der erhofften Nachwuchselite der NSDAP und schließlich die Stellung Robert Leys innerhalb des NS-Weltanschauungskonglomerats.

Die Beantwortung der Frage, ob es ein Nutzungskonzept geben und welches sich durchsetzen wird, ist weder Aufgabe des Sammelbandes noch des Rezensenten. Aus dem Blickwinkel der Geschichtswissenschaft und ihrer Didaktik bleibt aber zu hoffen, dass eine ausgewogene Dokumentation sowie die historisch-politische Bildung den Primat in der zukünftigen Nutzung behaupten können, statt an den Rand einer touristischen Erschauerungsattraktion mitsamt Sterne-Hotel und angeschlossenem Golfplatz zu treten.

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