Das "Haus des Terrors" in Budapest

Das "Haus des Terrors" in Budapest

Veranstalter
The House of Terror 1062 Budapest, Andrássy út 60. Phone: (36 1) 374 2600 Fax: (36 1) 374 2607 Answering machine: (36 1) 374 2650 E-mail: muzeum@terrorhaza.hu
Ort
Budapest
Land
Hungary
Vom - Bis
24.02.2002 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. Hans-Hermann Hertle, Zentrum fuer Zeithistorische Forschung

Ein Museum zur Erinnerung an die Opfer der Diktaturen des 20. Jahrhunderts.

Am 24. Februar 2002 wurde in der Andrássy Straße Nr. 60 in Budapest das "Haus des Terrors" eröffnet. 1944/45 war das Gebäude das Hauptquartier der ungarischen Nazipartei, der "Pfeilkreuzler". Nach 1945 wurde es die Zentrale des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes.

Die Andrássy Straße, die in ihrer wechselvollen Geschichte auch einmal den Namen Stalin-Allee trug, ist einer der schönsten Boulevards Budapests. Er verbindet das Zentrum Pests mit dem Heldenplatz. Botschaften haben hier repräsentative Gebäude bezogen, hier hat das deutsche Goethe-Institut sich niedergelassen und das 1884 hier errichtete Opernhaus ist wegen seiner herrlichen Architektur weltberühmt.

Das Haus Nr. 60 liegt nur wenig mehr als einen Steinwurf vom Goethe-Institut und von der prachtvollen Staatsoper entfernt. Das dreigeschossige Neorenaissance-Gebäude wurde 1880 als Wohnhaus erbaut. Im Jahr 1937 nahm es die faschistische Bewegung Ungarns in Besitz, seit 1944 dienten die Kellerräume der mit den Nazis verbündeten "Pfeilkreuzler"-Partei als Gefängnis und Folterkammer.

Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen und der Rückkehr führender ungarischer Kommunisten aus dem Moskauer Exil übernahm im Frühjahr 1945 zunächst die kommunistische Politische Polizei, dann ihr Nachfolger, die ungarische Staatssicherheit (erst AVO, später AVH) das Gebäude.

"Ich hatte sie mehr oder weniger erwartet, als sie am 6. Juli 1949 um 1 Uhr nachts kamen, um mich abzuholen. Schon seit Wochen verschwanden meine Freunde, einer nach dem anderen, in Abständen von zwei bis drei Tagen. (...) Das Auto blieb vor einem Nebeneingang der Staatssicherheitszentrale in der Andrássy Straße stehen, die Zivilen übergaben mich einem bewaffneten uniformierten AVH-Soldaten (...). Dann ging es (...) hinab in den Keller. Eine Zellentür stand offen, und da wurde ich hineingestoßen. Ich sah mich um: Die Hälfte des winzigen Raumes wurde von einer am Betonboden befestigten Holzpritsche eingenommen - keine Decke, kein Polster, nichts. Über der Eisentür brannte hinter einem Drahtnetz eine schwache Glühbirne, in der Wand gegenüber befand sich hoch oben eine Lüftungsöffnung." (György Hodos, Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa, 1948-1954, Berlin (Ost) 1990, S. 96-98.)

Es waren nicht allein die Träger und Verantwortlichen des faschistischen Terrors, derer sich die Staatssicherheit bemächtigte. Einfache Zivilisten, bürgerliche Politiker, Bauern, Christen - wer der kommunistischen Diktatur im Wege stand, fand sich schnell in den Verliessen der AVH wieder, die für viele eine Durchgangsstation für den Weitertransport in Internierungslager wurden. Da die vorhandenen Zellen für die schnell anwachsende Zahl von Häftlingen nicht ausreichten, wurden die Kellerwände zu den Nachbargebäuden durchbrochen und ein weitverzweigtes Kerker- Labyrinthsystem geschaffen.

"Es waren lange Wochen in der kalten, moderigen Kellerzelle. Meine Kleider waren zerfetzt, die Schuhsohlen lösten sich, und stinkender, schwarzer Dreck bedeckte meine von Knüppelschlägen geschwollenen Füße. Tagsüber durfte ich mich nicht hinsetzen und nachts nur auf dem Rücken schlafen. Wenn ich mich im Schlaf umdrehte, wurde ich vom Wärter sofort wachgebrüllt." (György Hodos, a.a.O., S. 117.)

In der Periode des innerkommunistischen Machtkampfes ab 1949 wurden in den Kellern der Andrássy Straße Nr. 60 die Geständnisse für den stalinistischen Schauprozeß gegen Rajk und andere erfoltert. Die Revolution fraß ihre Kinder: In Folge der Schauprozesse wurden viele Kommunisten ermordet und Tausende inhaftiert - so auch György Hodos, der die Torturen überlebte, nach Stalins Tod 1953 freigelassen und 1954 rehabilitiert wurde. Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes 1956 emigrierte Hodos in den Westen.

1956 gab die Staatssicherheit das Gebäude auf; in den folgenden Jahrzehnten diente es verschiedenen Gesellschaften und Firmen, unter anderem einem Außenhandelsunternehmen, als Bürogebäude. In den Kellern wurden die Spuren der Vergangenheit beseitigt; ein Klub für die kommunistische Jugendorganisation entstand. Im Jahr 1991, nach den ersten freien Wahlen, wurde an dem Haus eine Gedenktafel angebracht, die an die in ihm begangenen Verbrechen erinnert, doch bald danach geriet es wieder in Vergessenheit.

Die Idee, in der Andrássy Straße Nr. 60 ein Museum einzurichten, in dem an die Opfer des Pfeilkreuzler- und des kommunistischen Terrors erinnert wird, ging 1998 von József Szájer aus, dem heutigen Fraktionsvorsitzenden der Jungen Demokraten (Fidesz) im ungarischen Parlament. Die Ablösung der postkommunistischen Regierung von Ministerpräsident Gyula Horn durch eine konservativ-liberale Koalition, in der die Jungen Demokraten mit Victor Orbán den Ministerpräsidenten stellen, schuf die Voraussetzung für die Realisierung der Idee. Die Orbán-Regierung initiierte eine "Stiftung zur Erforschung der mittel- und osteuropäischen Geschichte und Gesellschaften", die das Haus im Jahre 2000 käuflich erwarb. Die Leitung des Museums und damit die Verantwortung für die historische Konzeption wurde der Historikerin Dr. Mária Schmidt übertragen, die auch Direktorin zweier Institute für das 20. und 21. Jahrhundert ist; die visuelle Konzeptualisierung der Ausstellung und die Gestaltung der Außenfassade des Hauses besorgte Attila F. Kovács.

Für den Umbau des Gebäudes, seine vollständige Renovierung und die Ausstellung selbst standen rund 12 Millionen Euro zur Verfügung. Ein schwarz gestrichenes "Passepartout" hebt das Gebäude für den Passanten schon von weitem sichtbar von den Nachbargebäuden ab und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Museum. Der "Passepartout"-Effekt entstand durch die Verlängerung des Dachsimses, in das ein Pfeilkreuz, ein fünfzackiger Stern und das Wort "Terror" eingestanzt wurden, sowie weiter durch zwei schwarz gestrichene Wände, die vom Dach bis zum Bürgersteig reichen und mit portalähnlichen Durchgängen versehen sind.

Die Ausstellung erstreckt sich über drei Etagen und folgt der Chronologie der historischen Ereignisse. Nach dem Durchschreiten der Eingangssperren wird der Besucher im Innenhof mit einem monumentalen Panzer als epochenübergreifendem Symbol der Gewalt konfrontiert. Ein gläserner Lift führt zum Ausgangspunkt der Ausstellung in den zweiten Stock - vorbei an einer Fotogalerie von Opfern beider Diktaturen, die sich vom Erdgeschoß bis unter das Dach erstreckt und auf diese Weise zum ständigen und mahnenden Begleiter auf dem Weg durch die Geschichte wird. Die ersten drei der rund 30 Ausstellungsräume handeln von der Periode der "Pfeilkreuzler". Das Ausmaß des faschistischen Terrors, dem insgesamt mehrere Hunderttausend Juden zu Opfer fielen, kann darin nur angedeutet werden. Erschütternd ist der "Gulag-Raum". Der Fußboden des Raumes ist als Landkarte der Sowjetunion gestaltet, auf der die Gulag-Speziallager eingetragen sind. Etwa 700.000 Ungarn (einschließlich der Kriegsgefangenen) wurden nach Kriegsende zunächst interniert und dann in Viehwagen zur Zwangsarbeit in die sowjetischen Speziallager transportiert; schätzungsweise 300.000 Menschen kamen nie zurück. Eine Bildschirm- und Toninstallation, die den Raum von Zeit zu Zeit in einen ratternden Eisenbahnwaggon zu verwandeln scheint, läßt den Besucher das Ohnmacht- und Schreckensgefühl von Deportierten empfinden.

Durch Räume, die sich in Film, Bild und Ton mit der politischen Geschichte der fünfziger Jahre beschäftigen - z.B. mit der Rolle der sowjetischen Berater, der Justiz, der Propaganda, dem Alltagsleben, der Kirche und schließlich mit dem Volksaufstand von 1956 - und andere, die die "Banalität des Bösen" versinnbildlichen - z.B. die originalgetreu hergerichteten Arbeitszimmer der Verfolger, ein "Deportations-Raum", in dem eine schwarze ZIM-Limousine, mit der Oppositionelle vorwiegend nachts abgeholt worden, gezeigt wird, sowie ein Folterraum - bewegt man sich zum End- und ergreifenden Höhepunkt der Ausstellung: dem Kellergefängnis.

Der Zellentrakt ist eine Rekonstruktion, die sich vor allem auf Aussagen von ehemaligen Gefangenen stützt. Gezeigt werden verschiedenen Folterinstrumente und -methoden, die Toilette, die Berichten zufolge ohne jegliche Reinigungsmöglichkeit benutzt werden mußte, und schließlich die auch von Hodos beschriebenen "kalten, moderigen" und engen Zellen, zu denen wie in den Stasi-Gefängnissen in der DDR (wie etwa in Potsdam und Berlin-Hohenschönhausen) oder dem KGB-Gefängnis in Vilnius auch eine besonders perfide Wasser-Zelle gehörte.

Mit allen Mitteln versuchte man, die gefangenen Menschen physisch und psychisch zu brechen. Neben dem Zellentrakt sind auf Monitoren Todesurteile nachzulesen, ein Labyrinth von Metallkreuzen erinnert an die Toten. Der Weg zum Ausgang führt schließlich an einer Fotowand von rund zweihundert Tätern der Staatssicherheit vorbei.

Annähernd 100.000 Menschen versammelten sich am Eröffnungstag - einen Tag vor dem ungarischen "Gedenktag für die Opfer der kommunistischen Diktatur", der seit dem Vorjahr begangen wird - mit Kerzen und ungarischen Nationalfahnen vor dem Gebäude und nahmen an der feierlichen Einweihungszeremonie teil - viele mit Tränen in den Augen.

Ministerpräsident Victor Orbán würdigte den Widerstand gegen die faschistische und kommunistische Diktatur und erinnerte daran, daß beide Diktaturen in Ungarn mit Hilfe fremder Mächte errichtet worden seien. 1989/90 sei man sich in den demokratischen Bürgerbewegungen und Parteien einig gewesen, daß weder Rache noch Vergeltung, aber auch nicht Beschweigen die Aufarbeitung der Vergangenheit bestimmen dürfe. Die Einrichtung des Museums sei der würdevolle Weg, die Erinnerung an die Verbrechen beider Terrorregime zu bewahren, die Opfer, deren Einsatz nicht umsonst gewesen sei, zu ehren und damit einen Beitrag zu leisten, das Gut der Demokratie in Ungarn zu schützen und zu bewahren.

Weitere Informationen über das Museum sind unter <http://www.terrorhaza.hu> zu finden. Eine englische Version der Website wird gerade aufgebaut (www.houseofterror.hu).

Die Anschrift des Museums lautet: Terror Háza, Andrássy út 60, Budapest, 1064 (Tel.: 0036/1/374 2600).

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