C. Iordachi (Hrsg.): Comparative Fascist Studies

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Titel
Comparative Fascist Studies. New Perspectives


Herausgeber
Iordachi, Constantin
Reihe
Rewriting Histories
Erschienen
London 2009: Routledge
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
£ 19.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Radu Harald Dinu, Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, Universität Erfurt

Kein anderer Begriff ist durch den dogmatisch verengten Gebrauch oder durch den Verweis auf grundlegende Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und italienischem Faschismus so stark für die sozialwissenschaftliche Typologiebildung entwertet worden wie der Faschismusbegriff. Dass die vergleichende Faschismusforschung dennoch keinen Abbruch erlitt, ist vor allem der Produktivität anglo-amerikanischer Autoren zu verdanken, die insbesondere seit den 1990er-Jahren neue Akzente setzen konnten. Nach dem von Roger Griffin, Werner Loh und Andreas Umland im Jahr 2006 herausgegebenen Band „Fascism, Past and Present“1 hat der rumänische Historiker Constantin Iordachi nun in der Reihe „Rewriting Histories“ eine Anthologie bereits publizierter Schlüsseltexte vorgelegt, die sich vornehmlich an Studenten richtet. Wegen dieses Zuschnitts und angesichts der schon längst unüberschaubaren Forschungsliteratur muss sich das Buch vor allem an der Frage messen lassen, inwieweit es ihm wirklich gelingt „to provide students of fascism with a theoretically minded and informative introduction to the recent debates on comparative fascism“ (S. 3). Die versammelten Beiträge, die dem Leser durch kurze Einführungen erschlossen werden, sind in drei übergeordnete Problemfelder unterteilt: I. generische Faschismusdefinitionen (Zeev Sternhell, George L. Mosse, Stanley Payne, Roger Griffin, Roger Eatwell), II. historische Vergleichsmöglichkeiten (Robert O. Paxton, Michael Mann, Aristotle A. Kallis, Ian Kershaw) und III. Faschismus als Totalitarismus und politische Religion (Emilio Gentile, Roger Griffin, Richard Steigmann-Gall, Constantin Iordachi).

Im Einleitungskapitel des Herausgebers werden die wichtigsten Stationen der vergleichenden Faschismusforschung gelungen nachgezeichnet. Die ersten Versuche, jenseits des marxistischen Paradigmas zu einer „grand theory“ des Faschismus zu gelangen (Ernst Nolte, Eugen Weber oder George L. Mosse), hätten zwar das Interesse an vergleichenden Fragestellungen geweckt, im Laufe der 1970er-Jahre jedoch zu einer konzeptionellen Fragmentierung geführt. Dessen ungeachtet blieb die Frage nach dem „faschistischen Minimum“ auch für spätere Historikergenerationen eine Richtschnur und erlebte in den 1990er-Jahren durch Roger Griffins Arbeiten einen erneuten Aufschwung. Praktisch niemand, der sich mit dem Phänomen des Faschismus beschäftigte, konnte sich nunmehr einer Auseinandersetzung mit Griffins Thesen entziehen. Dabei geriet seine bündige Definition (der Ideologie) des Faschismus als „palingenetic form of populist ultra-nationalism“ (S. 22) schnell unter Kritik.

Zwei in diesem Band vertretene Autoren seien hervorgehoben: Robert O. Paxton setzt dem statischen Verständnis Griffins eine Fünf-Stufen-Theorie entgegen, die dazu befähige „to study fascism in motion, paying more attention to processes than to essences“ (S. 172). Auch Michael Mann distanziert sich von der allein auf ideologische Merkmale verkürzten Begriffsbestimmung Griffins, indem er den Blick auf die soziale Praxis und die alltäglichen Organisationsformen des Faschismus lenkt, die von seinen Werten und Ideen nicht entkoppelt werden dürften (S. 187–214). Trotz der von Iordachi unternommenen Kontextualisierung dieser Debatten, hinterlässt Griffins Gedankenwelt nach wie vor einen diffusen Eindruck: Das „faschistische Minimum“ bestehe „not of a common ideological component, but of a common mythical core [...] not at the surface level of specific, verbalized ideas, but at the structure level of the core myth which underlies them, serving as a matrix which determines which types of thought are selected in certain national cultures and how they are arranged into a political ideology“ (S. 117). Warum sich nun die faschistische „Ideologie“ von ihrem „mythischen Kern“ unterscheidet, wird selbst dem geneigten Leser ein Rätsel bleiben müssen, zumal Iordachi eingangs hervorhebt, dass „Griffin focussed exclusively on the fascist ideology“ (S. 21).

Neben den mittlerweile klassischen Texten von Stanley Payne, Zeev Sternhell, Ian Kershaw und Emilio Gentile, die hier keiner weiteren Erläuterung bedürfen, sind vor allem drei Beiträge jüngerer Autoren zu diskutieren. In Abgrenzung zu autoritären Regimes, entwirft Aristotle A. Kallis ein Regime-Modell des Faschismus, das anhand von acht Fallbeispielen erprobt wird. Das breite Länderspektrum, welches Kallis zur Exemplifizierung seines Modells abdeckt, und die Dichte seiner Ausführungen sind freilich beeindruckend; erreicht wird dies jedoch um den Preis eines selektiven Schnelldurchlaufs durch die Geschichte faschistischer und autoritärer Regime, der insbesondere Studenten überfordern dürfte. Vor allem aber lassen die vier Variablen, die Kallis zur Entfaltung seines Regime-Modells heranzieht (ideology, domestic consolidation, policy-making und the scope of its regenerating ambitions), kaum einen analytischen Mehrwert erkennen.

Erfrischend und provozierend zugleich liest sich dagegen der Beitrag des britischen Historikers Richard Steigmann-Gall, in dem die Hauptthesen seiner bereits 2003 vorgelegten Monographie2 zusammenfassend präsentiert werden. Demnach sei der Nationalsozialismus weder als „politische Religion“ (im Sinne einer Ersatzreligion) noch – George Mosse paraphrasierend – als „neue Religion“ zu verstehen, „in which the secularist wine of personal charisma and racialism filled the old bottles of piety and spirituality left empty by modern apostasy“ (S. 300). Vielmehr handele es sich um eine Form „religiöser Politik“, die nicht nur äußerlich, sondern vor allem auf ideologischer Ebene starke Affinitäten zum (protestantischen) Christentum aufweise. Nicht die von Alfred Rosenberg oder Heinrich Himmler vertretene neuheidnische Strömung, sondern eine Symbiose zwischen säkular-nationalistischen und christlichen Ideologemen habe den Nationalsozialismus charakterisiert. Zwar werden diese Thesen durch isolierte Hitler-Zitate beziehungsweise die Berufung auf vereinzelte mittlere Funktionsträger der NSDAP nur unzureichend belegt; zweifelsohne haben sie aber zu einer Neubelebung der Diskussion um das Verhältnis zwischen Religion und Nationalsozialismus beigetragen.

Die ideologischen Ursprünge des rumänischen Faschismus stehen im Mittelpunkt des letzten, vom Herausgeber selbst verfassten Beitrags. Ausgehend von der mittlerweile breit vertretenen These, dass die „Legion Erzengel Michael“ (Eiserne Garde) eine besonders starke Religiosität dargeboten habe, legt Iordachi eine Neuinterpretation vor: Nicht die Rumänisch-orthodoxe Kirche oder Theologie hätte dem rumänischen Faschismus seinen religiösen Nimbus verliehen, sondern der romantisch-nationalistische Palingenese-Mythos des 19. Jahrhunderts, dessen Entwicklungslinien Iordachi nachzuzeichnen versucht. Was indes als Begründung für diese mutmaßliche Genealogie angeführt wird, vermag nicht zu überzeugen. Natürlich hat Iordachi (wie Mosse, auf den er sich beruft) recht, dass auch der rumänische Faschismus aus dem Reservoir konservativ-nationalistischer Motive schöpfte. Auch stimmt der Befund, dass die Legion von den Glaubensinhalten und Praktiken der orthodoxen Kirche zum Teil gewaltig abwich. Dass jedoch ein Ideentransfer maßgeblicher philosophischer Regenerationstheorien aus dem französischen Sprachraum (Pierre-Simon Ballanche, Pierre Leroux, Jean Reynaud) stattgefunden habe wird genauso wenig belegt wie die These, dass die kultische Verehrung des Erzengels Michael durch die Legionäre allein auf den „Mihaida-Epos“ des Schriftstellers Ion Heliade Rădulescu zurückzuführen sei (S. 341). Der Leser stolpert bisweilen auch über inkonsequente Darlegungen, etwa dann, wenn vom „charismatischen Nationalismus“ die Rede ist, der sich sowohl von säkularen Ideologien, als auch von etablierten Religionen unterscheide, jedoch nicht als Substitut oder Gegenentwurf zu diesen gelten könne. Die dazugehörige Aussage, dass „Charisma has a transcendental dimension“ wird nicht nur selbstreferentiell begründet, „since the belief in the divine, supernatural mission depends on the belief in God as the absolute form of authority“, sie wäre auch nur dann plausibel, wenn Iordachi den Begriff nicht aus der sozialwissenschaftlichen, sondern explizit aus der christlichen Tradition (der Gnadengabe Gottes) hergeleitet hätte. Anschließend heißt es jedoch: „Yet, that transcendental dimension does not qualify it as a religious phenomenon understood in conventional terms“ (S. 354).

Schließlich bleibt anzumerken, dass die Lesefreude auch von vereinzelten redaktionellen beziehungsweise orthographischen Schwächen getrübt wird, so etwa, wenn vom Adelsgeschlecht „Hohenzollern-Siegmaringen“ (S. 334) oder von der „NSPAD“ (S. 297) die Rede ist. Insgesamt kann „Comparative Fascist Studies“ zwar eine überaus repräsentative Sammlung theoretischer Beiträge zum Problem des Faschismus anbieten, wegen der unzureichenden Synthetisierung der Thematik ist der Band als Einstieg in das weite Feld der vergleichenden Faschismusforschung jedoch nur mit Einschränkungen zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Roger Griffin / Werner Loh / Andreas Umland (Hrsg.), Fascism Past and Present, West and East. An International Debate on Concepts and Cases in the Comparative Study of the Extreme Right, Stuttgart 2006. Siehe auch die Rezension von Arnd Bauerkämper: Rezension zu: Griffin, Roger; Loh, Werner; Umland, Andreas: Fascism Past and Present, West and East. An International Debate on Concepts and Cases in the Comparative Study of the Extreme Right. Stuttgart 2006, in: H-Soz-u-Kult, 11.10.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-033>.
2 Richard Steigmann-Gall, The Holy Reich. Nazi Conceptions of Christianity, 1919–1945. Cambridge 2003.

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