C. Wawruschka: Frühmittelalterliche Siedlungsstrukturen Niederösterreich

Titel
Frühmittelalterliche Siedlungsstrukturen in Niederösterreich.


Autor(en)
Wawruschka, Celine
Reihe
Mitteilungen der Prähistorischen Kommission Band 68
Anzahl Seiten
204 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Felgenhauer-Schmiedt, Institut für Ur- und Frühgeschichte, Univeristät Wien

Die Intention der Autorin, siedlungsarchäologische Funde und Befunde aus dem Frühmittelalter nach strukturanalytischen Modellen zu untersuchen, ist an und für sich erfreulich und ein sehr notwendiger Schritt in die richtige Richtung und weckt natürlich die Neugierde auf das vorliegende Werk.

Gleich in der Einleitung wird festgehalten, dass die Frühmittelalterarchäologie im zu bearbeitenden Raum, das heißt in Niederösterreich, mit der sogenannten Slawischen Archäologie gleichgesetzt wird. Das stimmt sicherlich für viele Funde und Befunde, ist aber so nicht zu artikulieren, da das Frühmittelalter wohl schon mit dem Ende der Spätantike beginnt und da auch die historischen Gegebenheiten, die durch schriftliche Quellen erarbeitet wurden (Stichwort: karolingerzeitliches Ostland), in die Überlegungen mit einbezogen hätten werden müssen. Damit ist auch eine Irritation angesprochen, die die gesamte Arbeit durchzieht: die Datierung wird wegen des unzureichenden Forschungsstands zur zeitlichen Einordnung der Keramik als zu vernachlässigender Faktor angesehen und es werden Befunde vom 7/8. bis hin zum 11. Jahrhundert als frühmittelalterlich vorgestellt, bzw. nebeneinander gestellt. Da – wie die Autorin richtigerweise anmerkt – die ethnische Frage oft schwierig oder gar nicht zu lösen ist, wäre wenigstens annähernd der zeitliche Faktor im jeweiligen historischen Raum stärker zu beachten.

Anfangs, im Kapitel „Grundlagen der Siedlungsforschung“ (S. 11-12) wird versucht, die verwendeten Begriffe zu klären. Siedlungen werden aufgrund ihrer Benutzungsdauer in solche, die einige Tage bis zu solchen, die einige Generationen lang bewohnt waren, unterteilt. Ergänzend dazu wird die von Vita-Finzi und Higgs erarbeitete Site Catchment Analysis vorgestellt, die für eine Siedlung eine sogenannte Mesoregion mit einem Radius vom fünf Kilometern vorsieht, die die wirtschaftlichen Ressourcen für die Aufrechterhaltung des Lebensunterhalts bietet und mit deren Hilfe die Autorin eine Strukturierung des Raumes versucht. Die Größe der Siedlung und die Frage nach Sammel- oder Einzelhofsiedlung werden dabei nicht diskutiert. Die Vielfalt des Naturraums in Niederösterreich wird durchaus gewürdigt, der vielfältige politisch-historische Hintergrund des Landes, der wohl auch in siedlungsgeschichtliche Überlegungen einbezogen werden müsste, wird aber nicht berücksichtigt.

Den Hauptanteil der Arbeit nimmt das Kapitel 3 (S. 13-106) „Frühmittelalterliche Siedlungsreste aus Niederösterreich“ ein. Sehr erfreulich ist dabei die intensive Recherche, die eine doch überraschende Vielzahl an Funden und Befunden ergibt, wobei aber wiederum die vernachlässigte Datierung negativ auffällt. Auch das Ziehen eines Kreises mit dem Radius von 5 km um bestimmte Fundstellen scheint willkürlich und an und für sich ohne Konsequenzen für etwaige Schlussfolgerungen siedlungs- und umwelthistorischer Art, die angeführten archäologischen Reste können manchmal aus mehreren Jahrhunderten stammen. Die Autorin ist sich der Problematik aber durchaus bewusst, wie auf S. 130 deutlich wird. Es werden also einzelne Befunde vorgestellt, mit Angaben zu Fundgeschichte, zu weiteren Funden in der Mesoregion (auch die Gräber, bzw. Gräberfelder), zu Landschaftsform, Altstraßen und Gewässern. Erfreulicherweise wird man auch mit neuen Grabungsbefunden bekannt gemacht, wie solchen aus Baumgarten an der March, Mannersdorf an der March oder Michelstetten, die das Wissen um die Siedlungsgeschichte des Frühmittelalters doch sehr erweitern.

In Kapitel 4 (S. 107-120) werden die einzelnen Siedlungsobjekte näher definiert und, nach interessanten theoretischen Überlegungen auch zur sozialen Funktion von Behausungen an sich nach Grubenhäusern, länglichen Gruben, ebenerdigen Bauten, Speichergruben, Brunnen, Teererzeugungsgruben und sonstigen Gruben eingeteilt. Hier versucht die Autorin auch, die jeweilige soziale und wirtschaftliche Funktion dieser Einrichtungen zu hinterfragen und das gesellschaftliche Modell dahinter sichtbar zu machen.

In Kapitel 5 (S. 121-134) werden „Räumliche Strukturen innerhalb einer Siedlung“ thematisiert. Die Siedlung wird hier als Ausdruck naturbedingten menschlichen Handelns gesehen, eventuelle politisch-wirtschaftliche Vorgaben werden dabei außer Acht gelassen und die Frage nach Villikationen, wie man sie sich im karolingischen Ostland vielleicht auch vorstellen könnte, wird nicht angeschnitten. Im Vordergrund der Überlegungen stehen also Sammelsiedlungen in Form von Haufen- oder auch Platzdörfern, wie sie von der slawischen Archäologie vielfach nachgewiesen worden sind. Die Datierungsmöglichkeiten und somit Aussagen über die Dauer einer Besiedlung sind dabei oft nur aufgrund der Keramik gegeben, weshalb die Autorin einen Überblick über die diesbezüglichen Möglichkeiten im slawisch besiedelten Raum gibt und ihre Skepsis gegenüber der Datierbarkeit und gegenüber bisher erarbeiteten Modellen Ausdruck gibt. Eine gewisse Hoffnung für eine sinnvolle Ordnung im Arbeitsgebiet sieht sie in der Graphittonkeramik, was aber bei ihrer Zusammenstellung in Kap. 3 nicht zum Ausdruck kommt. Bei der Besprechung der naturräumlichen Gegebenheiten sind die Betrachtungen über Siedlungen in der Nähe zu Flüssen, insbesondere an March und Thaya, hervorzuheben, weil hier auf die Besonderheiten der Lebensweise im Auwald eingegangen wird. Insgesamt kommt die Autorin nach Hinzuziehung ethnographischer Beispiele zu dem etwas radikalen, weil zu verallgemeinernden Schluss, dass es sich bei den ländlichen frühmittelalterlichen Siedlungen Niederösterreichs insgesamt um „saisonale oder vielmehr semipermanente Siedlungen für den Zeitraum einiger Jahre“ (S. 134) handle.

In Kapitel 6 (S. 135-153) „Räumliche Struktur innerhalb einer Siedlungskammer“ steht nun die Frage nach der Existenz von Zentralorten, also nach speziellen sozialpolitischen Ordnungsfaktoren einer Gesellschaft, im Vordergrund. Allein die Annahme dieser Einrichtungen stellt die Methode der Darstellung der Mesoregion in Form eines Kreises mit dem Radius von fünf Kilometern infrage. Insgesamt ist dieses Kapitel das Schwächste, weil hier als Zentralorte zeitlich sehr heterogene und teilweise auch aufeinanderfolgende Anlagen (zum Beispiel Oberpfaffendorf und Raabs) und auch solche, deren Bedeutung nicht erwiesen ist (zum Beispiel Buchberg bei Alland), genannt werden. Als Anstoß für weitere Untersuchungen ist jedoch auch diese Zusammenstellung wertvoll. Bei den ebenfalls aufgezählten Siedlungen in ehemals römischen Anlagen fehlt Wien. Zum Schluss wird noch versucht, einzelne Siedlungskammern des Frühmittelalters in Niederösterreich zu benennen. Regionen mit vielen Fundstellen werden als solche bezeichnet, wobei auch hier wiederum die Datierungsfrage nicht gelöst ist und auch dem politische Hintergrund keine Bedeutung zugemessen wird (zum Beispiel die Siedlungen im Traisental, also im karolingischen Ostland etwa könnten einen anderen Hintergrund haben als die Siedlungen nördlich der Donau entlang der March; schriftliche Burgennennungen des 9. Jahrhunderts werden nicht berücksichtigt). An die Arbeit angeschlossen sind noch Untersuchungen der Tierreste aus Baumgarten an der March durch Günther Karl Kunst.

Insgesamt ist das Bemühen um das Erkennen frühmittelalterlicher Siedlungsstrukturen durch übergreifende Fragestellungen und neuere Methoden sehr zu begrüßen und bereichert auch die Erkenntnisse um wirtschaftliche Strukturen des Frühmittelalters. Das Fehlen von Grundlagenarbeiten für einen derart heterogenen Raum macht aber ein solches Vorhaben schier unmöglich und die Entscheidung der Autorin, Datierungen und politische Fakten außer Acht zu lassen, sind dem Thema sicherlich auch abträglich.

Der Autorin sind aber viele Denkanstöße zu verdanken und sie hat mit ihrer Arbeit und der sorgfältigen Zusammenstellung archäologischer Quellen und auch mit dem Bemühen zu einem neuen Zugang hoffentlich zu einer intensiven Durcharbeitung einzelner Schwerpunktregionen in Zukunft herausgefordert.

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