Cover
Titel
Ernst Thälmann. Soldat des Proletariats


Autor(en)
Fuhrer, Armin
Erschienen
München 2011: OLZOG Verlag
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 26,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Eumann, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Der Kalte Krieg ist kaum mehr als eine dunkle Erinnerung, genauso wie die publizistischen Gefechte zwischen west- und ostdeutschen Historikern über die Interpretation der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Seit den späten 1980er-Jahren ist die geschichtswissenschaftliche Arbeiterforschung außerdem weitgehend zum Erliegen gekommen, nachdem sie in den beiden Jahrzehnten zuvor mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, als ihr von der historischen Relevanz her vielleicht zustand. Vor diesem Hintergrund ist die hier zu besprechende Publikation ein merkwürdig unzeitgemäßes Werk. Sein Autor Armin Fuhrer schreibt nach dem Abschluss eines Studiums der Geschichte und Politikwissenschaft journalistisch für den „Focus“, veröffentlicht aber von Zeit zu Zeit Bücher über historische Episoden oder von der historischen Forschung scheinbar vernachlässigte Personen.

Fuhrers Thälmann-Biografie richtet sich an ein „breiteres, interessiertes Publikum“ und „zeichnet ein kritisches Bild des KPD-Vorsitzenden, und zwar auf der Grundlage einer bürgerlichen Sichtweise“ (S. 14), die nicht näher definiert wird. Thälmanns prägenden Jugendjahren und der revolutionären Phase 1918/19 widmet Fuhrer insgesamt rund 60 Seiten. Die Einstellung des Autors zu seinem Objekt wird schon in der Beschreibung von dessen frühen politischen Aktivitäten deutlich: Thälmanns öffentliche Kritik an der Zustimmung der Reichstagsfraktion der SPD zu den Kriegskrediten am 4. August 1914 interpretiert Fuhrer als Versuch, „die Gelegenheit auszunutzen, um einen Keil zwischen die Mitglieder und Anhänger einerseits und die Führung andererseits zu schlagen“ (S. 43). Das gute Recht eines jeden Mitglieds einer demokratischen Partei, seine Unzufriedenheit mit Beschlüssen der Führung kundzutun und der Versuch, andere von seinem abweichenden Standpunkt zu überzeugen, werden hier diffamiert, um im Folgenden ein konsistent negatives Bild Thälmanns zu zeichnen. Fuhrers Verständnis von Thälmann aus seiner Zeit heraus, das wird hier schon deutlich, hat recht enge Grenzen.

Im ersten von sieben Abschnitten über die Weimarer Republik zeigt uns Fuhrer die politische Ausgangssituation nach dem Ersten Weltkrieg und Thälmanns Einsatz um einen Anschluss der USPD an die Kommunistische Internationale. Nach der Niederschlagung des Kapp-Putsches 1920 tritt Thälmann wie die gesamte KPD erfolglos für die revolutionäre Fortsetzung des Generalstreiks ein. Im Juni 1921 fährt er als Delegierter der KPD für den III. Weltkongress der Komintern zum ersten Mal in die von ihm leidenschaftlich bewunderte Sowjetunion. Im Jahr 1923 steht Deutschland „am Rande des Abgrunds“ (S. 99) und Thälmann muss einen Standpunkt zu der brennenden Frage finden, ob die Arbeiterregierung, wie sie in Sachsen und Thüringen praktiziert wird, ein neuer Weg zur Revolution sein kann. Fuhrer diagnostiziert für diese Zeit erste Anzeichen einer „Moskau-Hörigkeit“ bei Thälmann (S. 110). Entscheidend für den späteren Thälmann-Kult war natürlich seine legendäre Rolle während des Hamburger Aufstands der KPD im Oktober 1923. Fuhrer kontrastiert hier gekonnt den vor allem von Willi Bredel in der DDR geschaffenen Thälmann-Mythos mit den Erkenntnissen der neueren Forschung. Im anschließenden Abschnitt wird Thälmanns Anteil an den Weichenstellungen in der KPD nach Illegalität und Wiederzulassung 1924 beschrieben. Gemeinsam mit den Intellektuellen Ruth Fischer und Arkadij Maslow kommt er ganz nach oben und beteiligt sich daran, die von der sowjetischen Führung inspirierte Linie der Bolschewisierung durchzusetzen. 1925 tritt Thälmann als aussichtsloser Zählkandidat der KPD bei der Reichspräsidentenwahl an und hilft letztlich Hindenburg in den Sattel.

In der Phase der Konsolidierung muss die KPD, nunmehr formal unter Thälmanns Führung, eine Haltung zur relativen Stabilisierung der Weimarer Republik finden. Im Windschatten Stalins, „seines Meisters in Moskau“ (S. 173), spürt der aus Fuhrers Sicht skrupellose Machtmensch ohne eigenen festen Standpunkt, welche Taktiken ihn weiterbringen. Zunächst werden die Führer der „Ultralinken“, mit denen Thälmann 1924 in der Partei aufgestiegen ist, aus der Partei gedrängt. 1928 wendet er sich synchron mit Stalins Machtkampf gegen Bucharin gegen die „rechte Gefahr“ und die „Versöhnler“. Seine Loyalität gegenüber dem KPdSU-Generalsekretär zahlt sich noch im selben Jahr aus, nachdem herauskommt, dass Thälmann Unterschlagungen seines Freundes John Wittorf in Hamburg gedeckt hat. In einem etwas systematischer angelegten Abschnitt beschreibt Fuhrer dann die inneren Zustände in der KPD, die Atmosphäre einer zunehmend von oben gleichgeschalteten Partei. Während die KPD-Presse Ende der 1920er-Jahre alle möglichen Faschismen erfindet, wird der einzig gefährliche Faschismus, nämlich der Nationalsozialismus, leichtsinnig unterschätzt. Fuhrer zeigt anschaulich, wie der Vorsitzende der KPD immer mehr in eine hermetische Weltwahrnehmung abgleitet. 1932 steht der KPD-Chef wieder zur Wahl als Reichspräsident. Am 3. März 1933 wird Thälmann in seinem Quartier bei der Berliner Arbeiterfamilie Kluczynski verhaftet, weil er die simpelsten Grundsätze der Konspiration leichtsinnig außer Acht gelassen hatte. Den geplanten Schauprozess gegen ihn bläst das NS-Regime im November 1935 ab. Am 18. August 1944 wird Ernst Thälmann auf Beschluss von Hitler und Himmler in Buchenwald ermordet.

Fuhrer analysiert das politische Reden und Handeln Thälmanns von vornherein mit moralischen Kriterien. Anstatt die Rhetorik des KPD-Chefs in den Zeitkontext einzuordnen, nimmt er ihn immer unmittelbar beim Wort. Der Inszenierungscharakter von Politik und die Grundtatsache instrumentellen und taktischen Politikerhandelns wird dabei von vornherein schlicht ignoriert. Ein Politiker, der so viel ‚auf dem Kerbholz‘ hat, ist in Fuhrers Denkweise nicht würdig, dass man seinem Reden und Handeln zumindest teilweise ein rationales strategisches Kalkül unterstellt. Stalins Außenpolitik hatte sicher ihre paranoiden Züge. Die Strategie einer Isolierung der internationalen Sozialdemokratie auf Grund ihrer Nähe zum Westen und ihrer skeptischen Haltung zur Sowjetunion war – auch wenn man die Bewertung ihrer politischen Konsequenzen durch den Autor grundsätzlich teilt – dennoch zunächst einmal eine durch und durch politische und politisch legitime Strategie; und als eine solche sollte sie auch sine ira et studio analysiert und damit historisiert werden.

Sicher kann eine Biografie Thälmanns auf Grund seiner Beteiligung an politischen Entscheidungen, die vieles zum Untergang der ersten deutschen Demokratie beigetragen haben, nur kritisch sein. Sie sollte aber auch unideologisch und differenziert sein. Dazu gehört, die Motive des Porträtierten aus ihrer Zeit heraus zu verstehen und die relative Offenheit der konkreten historischen Situation dabei im Hinterkopf zu behalten. Genauso wichtig ist es, die Widersprüche der Person stehen zu lassen, wie sie sind, und sie nicht zu Gunsten einer klaren Linie der Erzählung unterzupflügen. Wenn Thälmann zum Beispiel 1926 schon auf den Stalin-Zug aufgesprungen ist, als noch gar nicht feststand, dass dieser im sowjetischen Diadochenkampf siegen würde, kann das kaum als machtversessener Opportunismus gedeutet werden. Die zentrale Frage einer Thälmann-Biografie ist jedoch die, ob der KPD-Vorsitzende überhaupt mehr war, als die erzproletarische Symbolfigur der Kommunisten, ob er also reale Macht hatte oder nicht doch eher eine Marionette mit ‚street credibility‘ war, deren Funktion in erster Linie darin bestand, die Beschlüsse von deutschen und russischen Spitzenfunktionären mit mehr strategischer Weitsicht einem vor allem aus Arbeitern bestehenden Anhang zu vermitteln. Leider diskutiert Fuhrer das überhaupt nicht.

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