M. Rapport: 1848 Revolution in Europa

Titel
1848. Revolution in Europa


Autor(en)
Rapport, Mike
Erschienen
Stuttgart 2011: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
496 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sara Sophie Stern, SFB 923 „Bedrohte Ordnungen“, Eberhard Karls Universität Tübingen

„1848. The Year of Revolutions“1, „1848. Revolution in Europa“2 – so oder ähnlich sind die zahlreichen Publikationen betitelt, die sich aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Perspektiven mit den Ursachen und Folgen der Ereignisse des Jahres 1848 in Europa beschäftigen.3 Im Jahr 2008 gesellte sich Mike Rapports Buch „1848. Year of Revolution“4 dazu, das nun im Konrad Theiss Verlag unter dem Titel „1848. Revolution in Europa“ in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Der Inhalt des Buches ergibt sich aus der Kombination des englischen und deutschen Titels. Es geht um die Revolution oder vielmehr die Revolutionen des Jahres 1848 in Europa. Das Anliegen des Autors ist es, die Ereignisse aus einer europäischen, transnationalen Perspektive synchron darzustellen und gleichzeitig die Chronologie des Revolutionsjahres so zu erzählen, „dass sie hoffentlich mit Genuss zu lesen ist“ (S. 7). Demzufolge betrachtet Rapport in den ersten beiden Kapiteln („Ein Wald von Bajonetten“ und „Der Zusammenbruch“) zunächst die europäische Gesamtsituation vor Ausbruch der Revolution. Nachdem die Menschen 1789 „in den Strudel geschleudert [worden waren], der Europa mehr als zwei Dekaden lang erschütterte“, habe seit 1814 die „konservative europäische Ordnung“ (S. 15) ihr Leben bestimmt. Für die folgenden Jahre bis zum Frühjahr 1848 zeichnet Rapport ein Bild, in dem in verschiedenen Ländern Europas sogenannte „Berufsrevolutionäre“ (S. 31) aufgrund der weit verbreiteten sozialen und wirtschaftlichen Not die Unzufriedenheit der Bevölkerung nutzten, um die tiefgreifende öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen, welche durch das Entstehen einer mobile Massengesellschaft an Bedeutung gewann. Den Zusammenbruch der alten Ordnung „erwartete fast jeder […] angesichts des Drucks […] und der Breschen, die nun in ihre Befestigungsanlagen geschlagen wurden.“ (S. 54)

Anschaulich und detailreich beschreibt der Autor Ausbruch und Verlauf gewaltsamer Unruhen in Paris, Wien, Berlin, Mailand, Venedig, Budapest sowie anderen Städten und Gegenden und schließt in seine Erzählung auch unbekanntere Episoden und Regionen – wie etwa die Darstellung verschiedener Konflikte an den Grenzen Europas zum Osmanischen Reich – mit ein. Auch die Entwicklungen europäischer Staaten, in denen keine gewaltsamen Revolutionen stattfanden, zum Beispiel Spanien, Großbritannien, Russland oder die skandinavischen Länder, lässt er nicht unerwähnt und gewährt sogar hier und da einen Blick auf den amerikanischen Kontinent. Das Buch verschafft Helden, Beobachtern und Gegenspielern der Revolution einen ganz eigenen Auftritt. So bekommt der Leser, nicht nur malerische Portraits des ungarischen Revolutionärs Kossuth oder des „Held[en] der Habsburgischen Gegenrevolution: Alfred Fürst von Windischgrätz“ (S. 246) zu sehen, sondern erfährt auch etwas über den „konservative[n] Leuteschinder Fuad Pascha“ (S. 259) oder den „geistreiche[n] doch etwas weltfremd-idealistische[n] Giuseppe Mazzini“ (S. 31). Wirklich gelungen sind die nahezu literarisch und mit ausgesprochener Expertise erzählten Darstellungen französischer Ereignisse: Die Sicht der am Juniaufstand Beteiligten wird rekonstruiert und mit Quellenkritik verbunden (S. 217ff.). Leider sind diese Episoden relativ rar, da sich der Autor mit Ausnahme der Bestände der Archives Nationales in Paris auf gedruckte Quellen und Sekundärliteratur stützt. Die Auswahl der verwendeten Forschungsliteratur ist insgesamt schwer nachzuvollziehen, weil dem fachlich interessierten Leser kein Literaturverzeichnis zur Verfügung steht. Dies ist schade, weil die kenntnisreiche Darstellung zeigt, dass der Autor mit der umfangreichen Forschungsliteratur zum Thema sehr vertraut ist.

Rapport strukturiert seine Erzählung der Revolution von 1848 mit Hilfe der vier Jahreszeiten: „Völkerfrühling“, „Glutroter Sommer“, „Herbst der Gegenrevolution“ und schließlich „1849 – Winterzeit der Revolution“. Außerdem legt er ihr drei große Themenkomplexe zugrunde: „Nationalismus“, „Verfassung und Demokratie“ sowie „die soziale Frage“ (S. 7-9). Gleichzeitig beleuchtet er einzelne Protagonisten der Revolution und Gegenrevolution, indem er sie in eine dramatische, narrative Struktur einbindet und durch eine gezielt subjektive Perspektivierung für den Leser zu Identifikationsfiguren werden lässt. Diese Erzählstruktur erlaubt es dem Autor, sowohl die Kausalität und Kontinuität als auch die Synchronität und Widersprüchlichkeit der Ereignisse zu erfassen. So erfährt man auch, wie Erzählen und Erinnern die Kämpfe mitbestimmte – beispielsweise kursierten in Venedig Geschichten über einen Mailänder Aufstand und hielten damit den Enthusiasmus für die Revolution am Leben (S. 105). Dass die ausschließliche Darstellung von Handlungsabläufen ihre Grenzen hat, zeigen Episoden, die die Widersprüchlichkeit der Ereignisse veranschaulichen sollen. So wird die Tatsache, dass im August 1848 revolutionäre ungarische Bataillone im Auftrag der Gegenrevolution in Venedig einmarschieren, um die dortigen Revolutionäre zu bekämpfen, zwar als „bittere Ironie“ (S. 368) bezeichnet, aber die Frage, was genau an dieser Revolution eigentlich europäisch war, wird innerhalb des Textes weder explizit gestellt noch implizit beantwortet. Eine analytische Textebene, auf der beispielsweise die Tatsache klar gemacht wird, dass die Revolutionäre von 1848 vor allem national agierten, während die monarchisch organisierte Gegenrevolution europäische Allianzen schloss, wäre wünschenswert gewesen.5 Zwar lassen sich solche und ähnliche Schlussfolgerungen im letzten Kapitel des Buches finden, aber auch hier verdeckt unter dem subjektiv-polemisierenden Stil, der den gesamten Text durchzieht: „Da sich die nationalen Ambitionen der Liberalen eines Landes ausnahmslos mit denen ihrer Nachbarn überschnitten, war das Gerede von Europa und von internationaler Brüderlichkeit allzu oft leeres Geschwätz.“ (S. 410)

Was ist das Besondere an diesem Werk mit dem vertraut klingenden Titel? Wie Mike Rapport selbst erwähnt, wurde die Geschichte von 1848 bereits viele Male erzählt. In diesem Buch soll – so ist es im Vorwort zu lesen – dem „Problem der historischen Synchronisation“ begegnet werden, indem das „wahrhaft königliche Chaos“ (S. 7) von 1848 dargestellt wird. So ist ein Text entstanden, der hervorragend geeignet scheint, einem nichtwissenschaftlichen Publikum die Dramatik und Komplexität der Geschichte näher zu bringen. Für eine weiterführende fachliche Auseinandersetzung eignet sich das Buch weniger gut. Mike Rapport stellt nicht Ursachen, Folgen und Analyse der Ereignisse des Jahres 1848 in Europa in den Vordergrund, sondern erzählt gekonnt, was wann wo passiert ist und zeigt damit letztlich, wie eindringlich Revolutionen eine bestimmte narrative Struktur provozieren.6

Anmerkungen:
1 Peter H. Wilson (Hrsg.), 1848. The Year of Revolutions, Aldershot 2006.
2 Heiner Timmermann (Hrsg.), 1848. Revolution in Europa. Verlauf, politische Programme, Folgen und Wirkungen, Berlin 1999.
3 Vgl. u.a.: Manfred Botzenhart, 1848/49. Europa im Umbruch, Paderborn 1994, Dieter Dowe / Heinz-Gerhard Haupt / Dieter Langewiesche (Hrsg.), Europa 1848. Revolution und Reform, Bonn 1998; Axel Körner (Hrsg.), 1848 – A European Revolution? International Ideas and National Memories of 1848, Houndmills 2004; Jonathan Sperber, The European Revolutions, 1848-1851, Cambridge 1994.
4 Mike Rapport, 1848. Year of Revolution, London 2008.
5 Vgl.: Dieter Langewiesche, Die europäischen Revolutionen 1848. Erinnern für ein zusammenwachsendes Europa, in: Beatrix Bouvier / Michael Schneider (Hrsg.), Geschichtspolitik und demokratische Kultur. Bilanz und Perspektiven, Bonn 2008, S. 13-21.
6 Vgl.: Crane Brinton, The Anatomy of Revolution, London 1953; Eric Selbin, Gerücht und Revolution. Von der Macht des Weitererzählens, Darmstadt 2010.