Cover
Titel
The East German State and the Catholic Church. 1945-1989


Autor(en)
Schaefer, Bernd
Reihe
Studies in German History, Bd. 11
Erschienen
Oxford 2010: Berghahn Books
Anzahl Seiten
303 S.
Preis
$90.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arnd Bauerkämper, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Das Buch ist die geringfügig gekürzte Fassung einer Dissertation, die Bernd Schaefer (Schäfer) 1998 unter dem Titel „Staat und katholische Kirche“ veröffentlichte.1 Für die Neuausgabe hat der Verfasser die Literatur, die seit den 1990er-Jahren publiziert worden ist, nur vereinzelt ausgewertet und die Gliederung der deutschen Version übernommen.2 Die Darstellung ist chronologisch strukturiert und zeichnet die Entwicklung des Verhältnisses zwischen der katholischen Kirche und dem Staat von der grundlegenden Politik der Sowjetischen Militäradministration in den ersten Nachkriegsjahren über die Reaktionen auf den Aufstand vom Juni 1953 und den „Aufbau des Sozialismus“ (1957-61) bis zur Anerkennungspropaganda des SED-Regimes (1961-1971) und zur relativen Stabilisierung bzw. Erosion der kommunistischen Diktatur (1972-1989) nach.

In der DDR war die katholische Kirche in einer Minderheitenposition. Der Anteil ihrer Mitglieder an der Bevölkerung belief sich 1949 auf 13,9 und 1964 noch auf 8,1 Prozent (evangelische Kirche: 59,3 Prozent). Wie Schaefer herausarbeitet, trugen katholische Pfarrer in den Gemeinden der Sowjetischen Besatzungszone aber nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges maßgeblich zur Überwindung der Not und zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen bei, besonders der Katholiken unter ihnen. Da fünf der insgesamt sieben Diözesen auch Gebiete westlich und östlich der DDR umfassten, repräsentierte die katholische Kirche zudem den grenzüberschreitenden Anspruch des Papsttums, das aus der Sicht der SED-Führung deren Herrschafts- und Gestaltungsanspruch zu gefährden drohte. Jedoch konnte sich die Leitung der katholischen Kirche unter dem in Ost-Berlin residierenden Bischof Heinrich Wienken nicht der Stalinisierungspolitik der SED-Führung entziehen, die 1947/48 ihre Diktatur errichtet hatte. In den 1950er-Jahren luden der Kalte Krieg und der 1952 verkündete „Aufbau des Sozialismus“ die Auseinandersetzung zwischen der katholischen Kirche und staatlichen Institutionen weiter auf. Zudem bestritt die SED-Führung mit der Einführung der Jugendweihe ab 1955 den kirchlichen Anspruch auf die religiöse Bildung der Jugendlichen. Der Protest des 1957 ernannten Berliner Bischofs Julius Döpfner gegen die staatlichen Übergriffe blieb demgegenüber erfolglos. Angesichts der politische Eingriffe in die katholische Publizistik, Seminare und den Religionsunterricht, denen die Gläubigen in den Gemeinden weitgehend hilflos ausgeliefert waren, widersetzten sich zahlreiche katholische Würdenträger den Aufrufen des West-Berliner Bischofs Konrad Graf von Preysing zum kompromisslosen Widerstand gegen das SED-Regime. Die Ost-Berliner Machthaber nutzten ihrerseits die Differenzen zwischen den katholischen Bischöfen über die Politik ihrer Kirche in der staatssozialistischen Diktatur gezielt aus.

Damit verstärkte sich unter den ostdeutschen Katholiken das Diaspora-Bewusstsein, das in den frühen 1950er-Jahren entstanden und im Sommer 1953 nur vorübergehend gewichen war. Anstelle der offenen Konfrontation, die gescheitert war, nahm Prälat Johannes Zinke in den späten 1950er-Jahren mit der SED-Führung Gespräche auf, die Döpfner billigte. Obgleich die Berliner Ordinarienkonferenz noch 1960 gegen die Zwangskollektivierung protestierte, bildete sich unter der Führung des 1959 ordinierten Berliner Bischofs Alfred Bengsch ein inoffizielles Konsultationssystem heraus, in dem besonders die Abteilung für Kirchenfragen des Zentralkomitees der SED, das Staatssekretariat für Kirchenfragen und das Ministerium für Staatssicherheit die Politik der Machthaber letztlich weitgehend durchsetzen konnten. Nach dem Mauerbau und einem Spitzengespräch zwischen Bengsch und Ministerpräsident Willi Stoph am 2. November 1961 verzichtete die katholische Kirchenführung schließlich auf öffentliche politische Stellungnahmen, während die SED-Führung zusagte, dem in Ost-Berlin residierenden Bischof den Zugang zum Westen der Stadt zu erlauben und damit die „Einheit des Bistums“ zu bewahren. Die Kompromisspolitik der Kirchenleitung ist aber nicht nur auf die innenpolitische Verhärtung in der DDR und den Mauerbau zurückzuführen, sondern auch auf das II. Vatikanische Konzil (1962-65), das Katholiken zu gesellschaftlichen Engagement und zu einem kritischen Dialog mit dem Marxismus aufgerufen hatte.

Der Strategie, einen „modus vivendi“ mit dem SED-Regime zu erreichen, sollte vor allem die Institutionen der katholischen Kirche erhalten und ihren Mitgliedern die Ausübung ihres Glaubens ermöglichen. Die Kompromisspolitik spiegelte aber auch das Misstrauen der Kirchenleitung gegenüber dem säkularisierten Westen wider, den besonders Bengsch mit einer ausufernden Konsumwelt assoziierte. Wie Schäfer überzeugend zeigt, konvergierten in der Politik der „politischen Abstinenz“ die Interessen der SED-Machtelite und der Kirchenleitung in den 1970er-Jahren so weitgehend, dass Konflikte oft nicht mehr ausgetragen wurden. Da Bischof Bengsch auf einer zentralen Koordination und Kontrolle der Kirchen beharrte, konnten sich überdies Forderungen von Laien und Pfarrern, die auf eine gesellschaftliche Mobilisierung „von unten“ drängten, erst in den 1980er-Jahren zusehends durchsetzen, als die Bürgerrechts-, Friedens- und Umweltbewegung auch die katholische Kirche erfasste und den Status quo des erstarrten Systems der Konsultationen zwischen den Eliten grundsätzlich kritisierte.

1989/90 wurde offenkundig, dass die Gläubigen in vielen Gemeinden – besonders im Eichsfeld – ihre Identität als Katholiken durchaus bewahrt und auch im Generationenwechsel tradiert hatten. Bernd Schaefer argumentiert sogar, dass „the strict division of church and state and the stigmatization of religion unintentionally strengthened Catholic identity and thus enabled the survival of a small but stable Catholic culture” (S. 281). Diese Deutung ist aber zu weitgehend und basiert auf einer überaus kritischen Interpretation der Entwicklung der katholischen Kirche in der Bundesrepublik. Darüber hinaus bleibt Schaefers Buch letztlich der historischen DDR-Forschung der 1990er-Jahre verhaftet, als politikgeschichtliche Studien und die Perspektive „von oben“ vorherrschten. Mit diesem Untersuchungsansatz ist zwar die Kirchenpolitik des SED-Regimes umfassend rekonstruiert worden; das Handeln kirchlicher Amtsträger erscheint aber lediglich als Bündel von „reactions“ (S. 77). Vor allem aber blendet diese Sicht das Leben in den katholischen Gemeinden und Milieus weitgehend aus. Die historische Forschung wird sich diesem vielfältigen katholischen Mikrokosmos intensiver zuwenden müssen. Zugleich ist das weltweite Engagement katholischer Organisationen – besonders der Caritas – zu konturieren, deren Aktivitäten Schaefer vereinzelt (vgl. z. B. S. 141) andeutet. Nicht zuletzt sollten in vergleichenden Studien systematisch Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen dem Verhalten der katholischen und evangelischen Kirchenleitungen und dem Alltagsleben der jeweiligen Gläubigen analysiert werden.3 Bernd Schaefer gebührt das Verdienst, die Grundlage dieser weiterführenden Arbeiten Englisch sprechenden Wissenschaftlern vermittelt zu haben.

Anmerkungen:
1 Bernd Schäfer, Staat und katholische Kirche in der DDR (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 8). Köln 1998, 2. Aufl. 1999 (Rezension von John S. Conway in: H-Soz-u-Kult, 28.01.2001, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3976> (17.04.2012)).
2 So fehlen im Literaturverzeichnis einige wichtige Aufsätze, zum Beispiel Christoph Kösters, Die katholischen Bischöfe und der 17. Juni 1953, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54 (2006), S. 269-298.
3 Dazu Ansätze in: Horst Dähn, Joachim Heise (Hrsg.), Staat und Kirchen in der DDR. Zum Stand der zeithistorischen und sozialwissenschaftlichen Forschung, Frankfurt am Main 2003.

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