M. Stoffels: Kriegerdenkmale als Kulturobjekte

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Titel
Kriegerdenkmale als Kulturobjekte. Trauer- und Nationskonzepte in Monumenten der Weimarer Republik


Autor(en)
Stoffels, Michaela
Reihe
Kölner historische Abhandlungen 50
Erschienen
Köln 2011: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
437 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Winfried Speitkamp, Universität Kassel

Die Arbeit von Michaela Stoffels, eine Kölner historische Dissertation, befasst sich mit ausgewählten herausragenden Kriegerdenkmälern (oder „Kriegerdenkmalen“ – beide Begriffsvarianten werden in der Arbeit benutzt) nach dem Ersten Weltkrieg in München, Berlin und Bonn. Die Auswahl der drei Städte wird nicht näher begründet; nahegelegt wird, dass die dort errichteten Denkmäler „ein wesentliches Fundament nationalen Selbstverständnisses“ (S. 12) bildeten. Alle Städte hatten erhebliche Verluste an Menschen im Ersten Weltkrieg erlebt. Damit mussten die Hinterbliebenen ebenso wie die kommunalen Gemeinschaften umgehen. Trauer und Gedenken standen im Kontext der nationalen Vergangenheitsverarbeitung, der Debatten über Kriegsschuld, Dolchstoß und Versailles. Wie aber die Kriegerdenkmäler zu bewerten sind, welchem Konzept und welchen Interessen sie folgten, wie sie rezipiert und genutzt wurden – das ist keineswegs abschließend oder flächendeckend untersucht, so zahlreich auch mittlerweile die Studien zu diesem Forschungsfeld sind.

Die Verfasserin will nun, was etwas befremdlich klingt, „einen Beitrag zur Rehabilitierung der deutschen Kriegerdenkmäler leisten“ (S. 13). Sie will zudem, was wiederum überzeugend ist, den Blick nicht bloß auf eine Instrumentalisierung der Toten im politischen Totenkult richten, sondern differenzierter die Intentionen und Debatten im Vorfeld der Denkmalerrichtung beleuchten. Die bisherige deutsche Forschung wird dabei ausführlich vorgestellt und recht klar beurteilt. Ein Großteil davon wird einer Sonderwegsthese im Denkmalbau zugeschlagen, in Anlehnung an George Mosse habe man allenthalben und einseitig den Totenkult auf dem Weg zur Nationalisierung der Massen betont (auch der Rezensent findet sich hier als Vertreter der Sonderwegsthese wieder, allerdings mit Kurzverweis auf eine Schrift, die im Literaturverzeichnis nicht zu ermitteln ist). Auf die Breite der einschlägigen Literatur bezogen, ist das doch zu undifferenziert, zumal auch die bisherige Forschung schon verschiedene Formen der Trauer sowie Phasen und Wandel des Trauerkults einbezogen hat. Sicher ist es aber richtig, deutlich zu betonen, dass das Weimarer Gefallenengedenken keineswegs homogen, sondern „in äußerst spannungsreiche soziokulturelle Kontexte eingebettet [war], in denen das trauernde Totenerinnern permanent neu ausgehandelt wurde“ (S. 17). Ebenso ist es nachvollziehbar, dass die Verfasserin stärker die europäische Forschung zum Gefallenengedenken nach dem Ersten Weltkrieg einbezieht.

In ihrer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Trauerforschung grenzt sich Stoffels von individualpsychologischen Ansätzen der Deutung des Gefallenengedenkens ab. Sie unterscheidet zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Trauer: „Objektive Trauer um die Getöteten, subjektive Trauer um einen persönlichen oder kollektiven Verlust und somit um die eigene, beschädigte Geschichte.“ (S. 25) Die objektive Trauer strebe die Verarbeitung des Todes nahe stehender Menschen an und impliziere die Akzeptanz eines nicht wieder gut zu machenden Verlustes. Die subjektive Trauer habe dagegen zur politischen Deutung und Sinngebung des Kriegstodes geführt und damit auch den Weg zu einer nationalpolitischen Instrumentalisierung geöffnet. Der Kriegstod wurde dann nicht mehr als Verlust, sondern als Sinngewinn interpretiert.

Um anhand dieser Differenzierungslinien den Wandel der Totenbetrauerung nach 1918 zu erhellen, sollen nicht nur die Objekte und deren Gestaltung, auch nicht nur die soziale Praxis am Objekt, sondern ebenso die Intentionen und Programme zur Denkmalerrichtung untersucht werden. Dabei werden für die drei Städte jeweils drei Denkmalkategorien mit herausragenden Beispielen in den Blick genommen: universitäre Denkmäler, kirchliche Objekte und städtische bzw. staatliche Denkmäler; bei letzterer Kategorie spricht die Verfasserin missverständlich von „offiziellen“ Denkmälern. Im Vergleich fächert sich das Bild tatsächlich eindrucksvoll auf. Universitäre Denkmäler standen eher für die, nicht zuletzt von den Studenten eingeforderte, nationale Erinnerungsgemeinschaft und die Einordnung des Opfers in eine politische Deutung. Kirchliche Denkmäler waren nach Konfession geschieden in abgestufter Weise um die Vermittlung von individueller Trauer und kollektiver Bestätigung bemüht. Einzelne, allerdings sehr umstrittene Objekte wie der Schmerzensmann in der katholischen Berliner Michaeliskirche zeigen auf, wie weit die Abkehr von Heldenmythos hier bereits vorangekommen war. Diskutiert werden könnte allerdings die Annahme der Verfasserin, hier sei „dem Betrachter die tatsächliche Dimension des massenhaften Kriegstodes vor Augen geführt worden“ (S. 353). Denn ähnlich wie bei Pietà-Figuren könnte man in Zweifel ziehen, ob ein solch individualisierendes, bloß zur fassungslosen Trauer motivierendes Denkmal die Realität des Stellungs-, Graben- und Gaskrieges überhaupt erfasste. Im Grunde standen derartig religiöse Denkmäler wie die nationalen Denkmäler ebenfalls nicht für die Toten, sondern für die Hinterbliebenen; sie drückten deren Trauerbedürfnisse aus, die sich den Tod als individuelles Leid vorstellen wollten, um die Ahnung von Massensterben, Entindividualisierung und Entmenschung gerade zu verdrängen.

Kommunale und staatliche Objekte spiegelten am deutlichsten den Wandel, die Zweifel an heroischer Erinnerung, das Zulassen von Trauer und die Einsicht in die Vergeblichkeit des Opfers. Hier waren jedenfalls die Ziele und Konzepte weitaus differenzierter, hier wurde um Trauerkonzeptionen gestritten, standen verschiedene Gruppen mit ihrem Identitäts- und Erinnerungsbedürfnis nebeneinander. Persönliches Erinnern und Trauern spielten oft eine größere Rolle als die nationale Sinngebung eines kollektiven Opfertodes. Die Neue Wache in Berlin, deren bereits recht gut erforschte Geschichte zum Ehrenmal hier neu und anregend beleuchtet wird, spiegelt bis in die Eröffnungsansprachen durch Ministerpräsident Otto Braun und Reichswehrminister Wilhelm Groener hinein die unterschiedlichen Vorstellungen über den Zweck der Kriegserinnerung. Aber selbst an Beispielen universitärer Erinnerungskultur in Berlin und Bonn lassen sich Spaltungen und die partielle Abkehr vom Heldengedenken ablesen, so etwa am Konzept der Bonner Hochschulleitung, der es um eine „Entpolitisierung der Hochschule“ (S. 163) ging.

Nicht ganz zutreffend erscheint es aber, wenn die Verfasserin annimmt, erst in der Weimarer Republik seien neben die heroischen Denkmäler auch die schlichten Gedenk- und Namentafeln getreten, die lediglich der „individuellen Gewesenheit der Verstorbenen“ (S. 31) gedachten. Derartige Tafeln mit nur sehr beschränkter nationaler Unterfütterung wurden schon in Kirchen und Kapellen nach den Befreiungskriegen angebracht. Rückblicke auf Kontinuitäten zum 19. Jahrhundert finden sich in der Arbeit kaum. Jedenfalls gab es schon vor 1914 verschiedene Formen des kollektiven und individuellen Erinnerns und Gedenkens, ebenso Eigeninteressen lokaler Erinnerungsgemeinschaften und Erinnerungskonkurrenzen. Insofern ist nicht falsch, aber im Blick auf längere Kontinuitäten doch etwas verkürzt, wenn Stoffels betont, dass es nicht erst nach 1945, sondern in mancherlei Hinsicht schon nach 1918 zum Ende einer heroisierenden Kriegerverehrung gekommen sei. De facto standen verschiedene Formen der Gefallenenerinnerung – familiär-private, konfessionelle, dörfliche, städtische, staatliche – oft nebeneinander, manchmal sich überschneidend, manchmal miteinander konkurrierend.

Die auf breitem Archivmaterial beruhende, überaus detaillierte und in den Beispielen hoch differenzierte und außerordentlich anregende Studie hätte ihre besonderen Qualitäten auch, wenn die Verfasserin dieselben nicht selbst so hervorkehren würde und wenn sie auf manche apodiktischen Urteile verzichtet hätte. Dass heute zum Beispiel die Denkmäler des Holocausts „auf einem strikten Vergangenheitsbruch“ und einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel beruhen, mag man akzeptieren; die Behauptung indes, dass der heutige Erinnerungsdiskurs „auf Gerechtigkeit beharrt und jegliche Funktionalisierung ausschließt“ (S. 32), ist doch erstaunlich. Übertrieben ist, dass die bisherige Forschung das „soziokulturelle Umfeld […] weitgehend ignoriert“ (S. 358) habe. Auch die vorliegende Arbeit ist im Übrigen an erster Stelle eine Arbeit über Konzepte, Debatten und Gestaltungen, nicht über das soziokulturelle Umfeld. Zudem ist es missverständlich, für kirchliche, universitäre und „offizielle“ Denkmäler ein je spezifisches soziokulturelles Umfeld anzunehmen, denn die Akteure konnten jeweils mehreren dieser Umfelder angehören. Und wenn Stoffels – zu Recht – die kommunale Ebene hervorhebt, wäre es sicher erwägenswert gewesen, eine breitere Auseinandersetzung mit den vielen kleineren Kriegerdenkmälern und alltäglichen Trauerpraktiken einzubeziehen, zumal wenn man derartig weitreichende Schlussfolgerungen ziehen will, wie es hier geschieht. Gerade die Beschäftigung mit lokalen Trauerritualen an Denkmälern kann zeigen, wo die Grenzen der großen politischen Schmach- und Revisionsrhetorik lagen. Dennoch ist es höchst eindrucksvoll und erhellend, wie hier an einzelnen Objekten die Spannbreite im Umgang mit Tod, Krieg und Denkmälern herausgearbeitet wird. Die Weimarer Republik war auch in dieser Beziehung offener als oft angenommen.

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