S. Cockram: Isabella d'Este and Francesco Gonzaga

Cover
Titel
Isabella d'Este and Francesco Gonzaga. Power Sharing at the Italian Renaissance Court


Autor(en)
Cockram, Sarah D.P.
Reihe
Women and Gender in the Early Modern World
Erschienen
Farnham 2013: Ashgate
Anzahl Seiten
XVIII, 256 S
Preis
€ 94,41
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Jaser, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität Berlin

Der Mantuaner Gonzaga-Hof um 1500 – eine Art „House of Cards“ der Renaissance? Dieser Eindruck drängt sich nach der Lektüre des in jeder Hinsicht herausragenden Buches von Sarah Cockram geradezu auf. Denn ähnlich wie das fiktive Präsidentenpaar Underwood im Weißen Haus1 pflegten auch die marchesi Isabella d’Este (1474–1539) und Francesco II. Gonzaga (1466–1519) ein konjugales „strategic teamwork“ (S. 1) im Dienste der Herrschafts- und Machtausübung und des politischen wie kulturellen self-fashioning. Damit weist das zu besprechende Werk, das auf eine 2007 an der University of Glasgow eingereichten Dissertation beruht, einen Weg aus dem Schwarzweiß der traditionellen Gonzaga-Forschung: Im Licht eine strahlende, kunstbeflissene und auch politisch kluge Isabella, im Schatten ein tumber, zügelloser und allein an Krieg und Pferden interessierter Francesco – das erwies sich als beharrungskräftiges Zerrbild, das erst in jüngerer Zeit von Clifford M. Brown und Molly Bourne zugunsten einer strategischen Partnerschaft des Markgrafenpaars auf dem Feld der Kunstpatronage zurechtgerückt werden konnte.2

Diesen revisionistischen Ansatz denkt Cockram nun konsequent zu Ende, indem sie auch in politischen Angelegenheiten von einem „power sharing“ (S. 1) der marchesi und einer gemeinsamen Agenda als „performance team“ (S. 7) ausgeht. Dabei gleicht die markgräfliche „diarchy“ (S. 18) einem doppelten Doppelspiel: Einerseits invertierten beide Protagonisten in ihrer Selbstdarstellung strategisch Geschlechterrollen – hier eine weiblich tugendhafte Isabella mit männlichen Herrscherqualitäten, dort ein militärisch-viriler Francesco mit weiblich konnotierten Eigenschaften wie Häuslichkeit oder Kinderliebe. Andererseits betrieben sie eine vordergründig janusköpfige Allianzpolitik, die zusammengenommen Einfluss- und Beziehungskanäle in alle politischen Lager eröffnete und jederzeit gewinnbringende Richtungswechsel im ohnehin volatilen Renaissanceitalien um 1500 erlaubte. Diese zuweilen geradezu bipolare, in jedem Fall aber dissimulative Diplomatie erwies sich für einen Pufferstaat wie die kleine, zwischen den Großmächten Venedig und Mailand eingekeilte Markgrafschaft Mantua als bestmögliche, ja vielleicht einzige Überlebensstrategie.

Entsprechend befindet sich im Mantuaner Staatsarchiv eine beeindruckende – und wohl einzigartig gut erschlossene – Korrespondenzüberlieferung, die Cockram als Grundlage für ihre vielschichtigen Analysen gedient hat und deren Ausmaße jedem Kompilator nordalpiner Überlieferungsreste die Tränen in die Augen treiben dürften: 16.000 Briefe von und 9.000 Briefe an Isabella, vor allem aber rund 3.000 Briefe, die sich das Markgrafenpaar aufgrund der häufigen räumlichen Trennung wechselseitig schrieb.

Gegliedert ist Cockrams Studie in sechs Kapitel, die jeweils unterschiedliche Aspekte und Strategien dieses konjugalen Rollenspiels beleuchten: Im ersten Kapitel wird deutlich, wie sehr das Mantuaner teamwork auf Briefverkehr und Informationsnetzwerke angewiesen war: Die individuelle Pflege von Nachrichtenkanälen – so kann Isabella als „signora delle novelle“ (S. 44) gelten – und der wechselseitige Austausch von Informationen gehörten dazu ebenso wie der Zugriff Isabellas auf die Staatskorrespondenz im Falle von Francescos Abwesenheit. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Autoritätsrollen Isabellas als „co-ruler of Mantua“ (S. 58) im alltäglichen Regierungsgeschäft – Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, Hofdisziplin, Organisation öffentlicher Feierlichkeiten, Suppliken und Gunsterweise – und mit der gemeinsamen Nutzung von humanen und materiellen Ressourcen wie etwa Bediensteten, Diplomaten, Hofnarren, Musikern, Dichtern, Künstlern oder Bildern, Motti, Gaben und Landgütern.

Wie das Markgrafenpaar hofinterne Konflikte und Machtrivalitäten mit einflussreichen Hofangehörigen meisterte, steht im Zentrum der folgenden beiden Kapitel: Während die Verbannung des mächtigen luogotenente Francesco Secco 1491 als Konkurrenten um Isabellas Statthalteransprüche vom neuen Herrscherpaar gemeinsam herbeigeführt wurde, offenbart die Ermordung von zwei Favoriten Francescos im Interesse Isabellas und des Hauses Este, dass die strategische Partnerschaft der beiden Eheleute zeitweise auch hintangestellt werden konnte. Andere Beispiele zeigen wiederum, wie Isabella und Francesco mit einer Politik der „divided fronts“ (S. 111) und abgestimmter Parteizuordnungen kollidierende Strömungen am Mantuaner Hof austarierten.

Das Meisterstück des „power sharing“ gelang den marchesi aber auf dem internationalen Parkett, genauer bei der Abwehr der von Cesare Borgia ausgehenden Bedrohung für die territoriale Integrität der Markgrafschaft (Kapitel 5). Hier war das ganze Instrumentarium der dissimulatio und doppelzüngigen Diplomatie vonnöten, mit dem Höhepunkt eines fingierten und von Isabella final überarbeiteten Briefes von Francesco an seine Gattin, der die Loyalität der Gonzaga gegenüber dem Papstnepoten erweisen und dem Borgia-Gesandten in Mantua übergeben werden sollte. Geschickt spielte Isabella in den Briefen dieser turbulenten Jahre mit dem Geschlechterstereotyp der Unzuständigkeit, um sinistren Borgia-Forderungen nach der Ausleihe von Truppen auszuweichen. Dabei mischte sie private, familiäre und politische Belange in einer Weise, die sowohl ihrer Selbstdarstellung wie auch den gemeinsamen dynastischen Interessen des Hauses Gonzaga zugutekam.

Trotz mancher Zerwürfnisse des Markgrafenpaars in seinen späteren Ehejahren hielt die konjugale Partnerschaft auch weiteren Bewährungsproben stand, so dass etwa die venezianische Gefangenschaft Francescos, der Konflikt Papst Julius’ II. mit Ferrara und die lange Krankheit des Markgrafen im gewohnten diplomatischen Doppelpass bewältigt werden konnten (Kapitel 6). Ein Anhang mit 39 ausgewählten Briefen Isabellas und ein Register beschließen den Band.

Sarah Cockram hat ein brillantes Buch vorgelegt, das einen klaren historischen Blick mit der oft mühevollen, aber in diesem Fall besonders ertragreichen Autopsie von massenhaft überlieferten Korrespondenzen verbindet. Dabei gelingt ihr nicht nur ein völlig neuer Blick auf das Binnenverhältnis ihrer beiden historischen Protagonisten. Vielmehr weist ihr Befund des „power sharing“ und des diplomatischen Doppelspiels mit geschlechtertypischen Zuschreibungen und einer strategischen Aufgabelung der Allianz- und Kommunikationsnetze weit über Mantua hinaus. Denn die genannten Aspekte weiblicher (Mit-)Herrschaft und konjugaler Kooperation ließen sich gewiss an anderen italienischen Renaissancefürstinnen vom Schlage einer Caterina Sforza, Lucrezia Borgia und Isabella von Aragon abgleichen, wie die Autorin in ihren Schlussbemerkungen anregt. Auch eine europäische Vergleichsperspektive erscheint reizvoll, selbst wenn die Quellenlage sicher nicht überall so dichte Analysen erlaubt wie in Mantua. Dem Gegenstand sind jedenfalls viele Folgestudien zu wünschen, die es allerdings schwer haben werden, an die Qualität und das Reflexionsniveau von Cockrams Pionierwerk heranzureichen.

Anmerkungen:
1 House of Cards, Netflix Original Series, Regie: David Fincher u.a., bisher 4 Staffeln, Erstausstrahlung: 1. Februar 2013.
2 Clifford M. Brown, The Palazzo di San Sebastiano (1506–1512) and the Art Patronage of Francesco II Gonzaga, Fourth Marquis of Mantua, in: Gazette des Beaux-Arts 129 (1997), S. 131–180; Molly Bourne, Francesco II Gonzaga. The Soldier-Prince as Patron, Rom 2008.