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Titel
Lernen und Leiden. Schule im alten Rom


Autor(en)
Weeber, Karl-Wilhelm
Erschienen
Darmstadt 2014: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus Hellwing, Universität Erfurt

Das im März 2014 erschienene Sachbuch „Lernen und Leiden – Schule im Alten Rom“ von Karl-Wilhelm Weeber soll einem breiten Publikum Einblick in die Welt römischer Schüler und Lehrer bieten. Dabei beabsichtigt der Autor, mit dem Titel des Bandes womöglich Erinnerungen an die eigene „leidensvolle“ Schulzeit zu wecken. Er liefert damit seit Stanley F. Bonners 1977 erschienenem Band zur „Education in Ancient Rome. From the elder Cato to the younger Pliny“1 wieder eine zusammenhängende, systematische Darstellung römischer Schulerziehung. Immer mehr Autoren beschäftigen sich seither mit Schule und Erziehung in der Antike und speziell auch in Rom. Die Forschung widmet sich den verschiedensten Aspekten römischer Bildung – vom Lehrerberuf über Koedukation von Mädchen und Jungen bis hin zur Intellektualisierung der Politik.

Weeber zeigt einführend (S. 7–10) die Entwicklung der öffentlichen römischen Elementarschule sowie des privaten Hausunterrichts auf, deren Ausgangspunkt er ins späte 3. bzw. frühe 2. Jahrhundert v.Chr. legt. An die historischen Einordnungen schließt das Kapitel zur „Römischen Schule im Überblick“ (S. 11–31) mit den außenpolitischen Voraussetzungen der Entwicklung der römischen Erziehung an. Infolge der Expansion in den hellenistischen Osten kamen Lehrer zumeist als Unfreie aus den unterworfenen Gebieten. Im Folgenden beschreibt er die Entwicklung öffentlichen Unterrichts im ludus im Unterschied zum Hausunterricht. Hinzu kommt der vermittelte Schulstoff, den Weeber mit zahlreichen direkten und indirekten Quellenzitaten verschiedener Autoren, wie Horaz, Martial oder Plutarch, belegt. Die weiterhin vorgestellten Graffiti verdeutlichen zum einen die Größe des Quellenkorpus, zum anderen aber auch, dass sich womöglich die Schüler auch nach dem Unterricht noch mit dem vermittelten Lernstoff auseinandersetzten – auch wenn die Inschriften eventuell eine Kritik in Form einer „Verballhornung“ erlernter Vergil-Verse darstellen.2

Das folgende Kapitel zeigt Schulorganisation und Unterrichtsbedingungen (S. 32–47). Es vermittelt dem Leser einen Eindruck von der alltäglichen Situation in den öffentlichen Schulen. Neben Fragen zu Räumlichkeiten, Klassengröße und -zusammensetzung fügen sich jene zu Pausen, freien Tagen und Ferien hinzu, die auch heute noch die Schüler beschäftigen. In der anschließenden Darstellung der Praxis des Unterrichts (S. 48–68) überwiegen die Ausführungen zur Prügelstrafe. Das Aufzeigen der Unterrichtsmethoden, wie Monolog oder Dialog, Lehrmaterialien und individueller Betreuung (S. 55–63) wird von Weeber im Vergleich zur Prügelstrafe (S. 48–54 und S. 63–68) nur kurz angerissen. Diese Kürze enttäuscht jedoch die Erwartungen an eine Darstellung der Unterrichtspraxis und hinterlässt beim Leser den Eindruck, dass mehr geschlagen als gelehrt wurde.

Anschließend setzt Weeber sich ausführlich mit dem Lehrerberuf auseinander (S. 69-100). Problematisiert wird die soziale Stellung der magistri, die als Sklaven oder Freigelassene zumeist am unteren Ende der römischen Gesellschaft standen. „Dumpingpreise“ sollten die Schüler in die eigene Schule locken, wodurch sich viele Lehrer auch verschuldeten. Somit sagte die Anzahl der Schüler jedoch nicht unbedingt etwas über die Qualität der Lehre aus. Der Autor zeichnet insgesamt ein eher trauriges Bild dieses Berufsstandes. Manches erinnert an heutige Klagen über mangelnde Würdigung des Lehrerberufs.3 Im zweiten Teil dieses Kapitels stellt Weeber Unterschiede zwischen den Lehrern des Elementarunterrichts und der höheren Ausbildung heraus. Letztgenannte hatten im Gegensatz zu ihren Kollegen ein höheres gesellschaftliches Ansehen, was sie allerdings oft ebenso wenig vor niedrigen Löhnen schützte.

Ein sehr wichtiges Kapitel ist das fünfte, das die „seltene Kunst“ der weiblichen Bildung beschreibt (S. 101–113). Weeber greift in ihm Ergebnisse der Forschung auf, die sich bereits seit den 1970er-Jahren den Möglichkeiten der Wissensaneignung von Mädchen und Frauen in Rom widmet. Hierbei bezieht er sich auch auf die satirischen Schriften Martials oder Juvenals und bringt sie mit kritischen Anmerkungen Sallusts in Verbindung. Eine offene Frage bleibt, ob die von Ovid beschriebene „sehr übersichtliche Schar“ (ars am. 2,281: rarissima turba) der puellae doctae wirklich so übersichtlich war, wenn sie in so vielen Quellen Erwähnung findet. Aber nicht nur die (negative) kritische Darstellung gebildeter Frauen wird gezeigt. Anhand einiger Plinius-Stellen, beispielsweise Brief 5,16,2, wird auch die positive Sichtweise verdeutlicht. Dass junge Frauen eine breitgefächerte Bildung erlangen konnten, zeigen auch epigraphische Quellen, so zum Beispiel CIL VI, 25.808 – eine Grabinschrift aus Rom, in der das verstorbene 15-jährige Mädchen als erudita omnibus artibus bezeichnet wird. Weiterhin zeigt auch Cornelius Nepos (Praef. 6), dass Frauen im Rahmen eines Gastmahles anwesend waren und sich durchaus an den dort geführten Gesprächen über Geschichte, Politik und Literatur beteiligten.4 Die Illustrationen von Frauen mit Wachstafeln und Griffel runden das Kapitel ab und präsentieren ebenso, dass Frauen mit Attributen, die Bildung widerspiegeln, keine Seltenheit waren.

Etwas misslich erscheint die Wahl des Titels des letzten Kapitels des Buches (S. 114–126): „‚Ich will nicht, dass Kinder geschlagen werden‘ – Quintilians Reformpädagogik.“ Freilich ist diese Aussage (Inst. or. 1,3,14) des Autors aus dem späten 1. Jahrhundert n.Chr. ein geeigneter Aufhänger für das Überdenken der Wertung der antiken Prügelstrafe. Quintilian weist darauf hin, dass diese Behandlung der eines Sklaven gleicht. Aber eine Gleichsetzung mit einer Reformpädagogik im heutigen Wortsinne ist kaum möglich, zumal Weeber bereits zu Beginn der Ausführung die Bedeutung dieses Zitates für die Schulerziehung in der Folgezeit relativiert bzw. direkt aufzeigt, dass sie nicht umgesetzt wurde (S. 114f.). Allerdings ist es auch heutzutage kaum möglich, alle theoretischen Überlegungen im Unterricht umzusetzen. Zwar verweist Weeber auf ähnliche, spätere Ausführungen in Plutarchs Moralia; Überlegungen früherer Zeiten, bleiben allerdings unerwähnt. So übernahm bereits der ältere Cato die Ausbildung seines Sohnes selbst, da er nicht wollte, dass dieser von einem Sklaven wie ein Sklave behandelt würde (Plutarch, Cato Maior 20,5–7). Ein neuartiger Reformansatz ist bei Quintilian nicht erkennbar.

Abschließend lässt sich sagen, dass Weebers Darstellung der römischen Schulsituation einen gut lesbaren Überblick mit einer großen Bandbreite an Informationen liefert. Die vorwiegend quellenbasierte Arbeit zeigt einem – im Sinn des Verlages – breitem Publikum die verschiedenen Facetten römischer Erziehung auf. Die zahlreichen Belege (oft in Originalsprache, zumeist mit Übersetzung) im Text sowie die Abbildungen machen die Ausführungen plastisch und sehr gut nachvollziehbar. Ebenso zeigt die Fülle der angeführten Forschungsliteratur, dass das römische Schulwesen viele Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Thematik bietet.

Anmerkungen:
1 Stanley F. Bonner, Education in Ancient Rome. From the elder Cato to the younger Pliny, Berkeley 1977.
2 Dazu jetzt: Peter Keegan, Reading the „Pages“ of the Domus Caesaris: pueri delicati, slave education, and the graffiti of the Palatine paedagogium, in: Michele George (Hrsg.), Roman Slavery and Roman Material Culture, Toronto 2013, S. 69–98.
3 Thomas Hahn, Mangelnde Wertschätzung im Schulalltag. Lehrer werden nicht genug gewürdigt, in: Focus: <http://www.focus.de/familie/experten/thomas_hahn/mangelnde-wertschaetzung-im-schulalltag-lehrer-werden-nicht-genug-gewuerdigt_id_3708252.html> (23.04.2014).
4 Dazu: Elke Stein-Hölkeskamp, Das römische Gastmahl, eine Kulturgeschichte, München 2005, S. 73–86.

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