A. Brill: »Europa« in der deutschen, britischen und am. Presse

Cover
Titel
Abgrenzung und Hoffnung. »Europa« in der deutschen, britischen und amerikanischen Presse 1945–1980


Autor(en)
Brill, Ariane
Reihe
Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert 2
Erschienen
Göttingen 2014: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philip Bajon, Historisches Institut, Universität zu Köln

Abgrenzung und Hoffnung – unter diesen Titelschlagworten hat Ariane Brill ein Buch über Europawahrnehmungen, Europavorstellungen und europäische Identifikationsmuster in ausgesuchten Printmedien vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Jahre 1980 vorgelegt. Sie schließt damit an eine breite kulturwissenschaftliche Debatte an und liefert einen interessanten Beitrag zur Mediengeschichte im 20. Jahrhundert.

Brills Buch geht auf eine von Frank Bösch und Martin Sabrow betreute Dissertation zurück, die 2013 der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam vorgelegt wurde. Diese ist im Verbundprojekt „Lost in Translation. Europabilder und ihre Übersetzungen“ entstanden und ergänzt Florian Greiners Teilprojekt über Europavorstellungen deutscher, britischer und US-amerikanischer Printmedien vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.1

Brills Analyse schließt an eine Reihe ähnlich gelagerter, zeithistorisch-politikwissenschaftlicher Darstellungen an. Maximilian Müller-Härlin hat Parlamentsdebatten in Westdeutschland, Frankreich und Großbritannien untersucht,2 Stefan Seidendorf hat deutsche und französische Printmedien verglichen,3 Jan-Henrik Meyer hat die deutsch-französisch-britische Presseberichterstattung über Europäische Gipfelkonferenzen zwischen 1969 und 1991 analysiert,4 und Sven de Roode hat einen deutsch-niederländisch-britischen Zeitungsvergleich unternommen.5 Müller-Härlin, Seidendorf, Meyer und de Roode stellen dabei die Frage nach einer europäischen Identität und Öffentlichkeit, wenngleich sie in ihren Analysen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.6

Brill stellt ihrer Analyse eine umfangreiche Einführung voran, in der sie den Stand der Forschung diskutiert und ihr Forschungsdesign umreißt. In ihrer Analyse möchte sie über das printmediale Echo auf die im engeren Sinne politisch-wirtschaftliche Integrationsgeschichte und das „Elitenprojekt Europa“ hinausgehen und die alltägliche, öffentliche und gesellschaftliche Kommunikation mit einbeziehen, wie sie in der Berichterstattung über Kultur, Sport und Reisen zum Tragen kommt. Brills Analyse von Europabildern soll vornehmlich drei Aspekte herausarbeiten: die Relevanz von Europa in der Berichterstattung; die geographischen, ideologischen und kulturellen Grenzen des Kontinents; und die Herausbildung einer europäischen Identität. Bei letzterem geht es Brill um das journalistische Selbstverständnis, um „Ansätze eines gemeinsamen Europabewusstseins“ (S. 10). Auch wenn sie „Tendenzen einer Europäisierung innerhalb der Presseberichterstattung“ (S. 28) nachspüren will, klammert sie die Frage nach einer „europäischen Öffentlichkeit“ explizit aus (S. 27–28). Die von den Journalisten (besonders in der Begegnung mit dem Außereuropäischen) konstruierten Europabilder sollen schließlich auf ihre Synchronizität untersucht werden und zur Überprüfung geläufiger historiographischer Thesen dienen, insbesondere den Thesen Hartmut Kaelbles über die Krise des europäischen Selbstverständnisses zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1960er-Jahren.

In ihrer Methodik orientiert sich Brill an der Historischen Diskursanalyse und macht Anleihen bei der Historischen Semantik, der Begriffsgeschichte und den „Geschichtlichen Grundbegriffen“, besonders da, wo ihre Analyse den mit Europa assoziierten Schlüsselbegriffen und ihrem Bedeutungswandel gilt. Von Wolfgang Schmale entlehnt sie ihren Diskursbegriff als „eine Mischung zwischen Sprachlichkeit und Bildlichkeit, die unter anderem Synonyme und Begriffsvariationen „Europas“, Narrativierungen wie den Europamythos sowie Symbole, Embleme und Farben mit einschließen kann“ (S. 25). So versteht sie Europa als „Begriff […], der durch Diskurse immer neu geformt wurde und dessen Interpretation aus historischer Sicht immer eng mit den Debatten der jeweiligen Zeit verknüpft war“ (S. 25).

Empirisch basiert Brills Analyse auf einer Auswertung von Presseartikeln der digital verfügbaren Frankfurter Allgemeinen Zeitung (beziehungsweise der Süddeutschen für den Zeitraum 1946–50), der Londoner Times sowie der New York Times, deren Korrespondenten und Eigenheiten Brill ausführlich vorstellt. Für ihre Überschriften-, Volltext- und (mit Einschränkungen auch) Bildquellensuche verwendet Brill jeweils viermonatige Untersuchungszeiträume (März bis Juni) im Abstand von jeweils zwei Jahren, um einen repräsentativen Querschnitt zu erhalten. Nur für die Sportberichterstattung weicht sie von diesem Raster ab. Die gewählte Methode ermöglicht Brill, ihre qualitative Analyse mit quantitativen Daten anzureichern, die sie jedoch mit Vorsicht handhabt.

Brill gliedert ihre Darstellung in vier Hauptkapitel zu den Themen „Sicherheit und Bedrohung“, „Europa als politisches und wirtschaftliches Projekt“, „Das kulturelle Europa“ und „Der Kontinent aus der Sicht reisender Journalisten“. Innerhalb dieser Abschnitte verzahnt Brill ihre Analyse der Presseberichterstattung in ansprechender Weise mit einer kontextualisierenden Schilderung der Ereignis- und Sozialgeschichte.

Das erste analytische Kapitel ist der Problematik „Frieden-Sicherheit-Bedrohung-Verteidigung“ gewidmet. Anders als bisherige Analysen zieht Brill hier einen klaren Trennstrich zwischen Sicherheitspolitik und den eher wirtschaftspolitisch motivierten europäischen Integrationsprojekten. Ihre Analyse belegt, dass die Europabilder der zur Sicherheit berichtenden Journalisten „sich in starkem Maße durch politische Ereignisse heraus[bildeten]“ (S. 92), also in hohem Maße die bipolare Weltordnung und militärische Bedrohung des Kalten Krieges abbildeten. Das zentrale Attribut dieses Europas war zunächst die Demokratie, später das Label „nicht-kommunistisch“; Menschenrechte, religiöse Aspekte oder abendländische Vorstellungen spielten in diesem Kontext keine Rolle; die Sowjetunion und ihre ostmitteleuropäischen Satellitenstaaten wurden als monolithischer Block wahrgenommen, die Vereinigten Staaten hingegen als überlegene Schutzmacht gesehen; erst in den 1970er-Jahren waren die Europabilder der europäischen Journalisten (analog zum Machtzuwachs der Europäischen Gemeinschaften) von größerer Eigenständigkeit und Selbstsicherheit geprägt.

Im folgenden Kapitel nimmt Brill die großen Integrationsprojekte der westeuropäischen Nachkriegsgeschichte unter die Lupe und vergleicht ihre Befunde mit den einschlägigen historiographischen Lesarten und Thesen. Dabei ordnet sie die Presseberichterstattung – parallel zur politischen Integrationsgeschichte – in eine Phase der Europa-Euphorie bis 1958, eine Phase des Wachstums bis 1970 und eine Krisenphase in den 1970er-Jahren. Die finalité politique des Integrationsprojektes, die „gaullistische Herausforderung“ sowie die ambivalente Rolle des Vereinigten Königreiches und der Vereinigten Staaten sind dabei nur einige der anliegenden Themen. Brill konstatiert, dass diesem integrierten Westeuropa „nicht dauerhaft die Funktion eines ideologischen Gegenstücks zum kommunistischen Ostblock zugesprochen“ (S. 171) wurde und widerspricht damit einer Deutung, welche die Integrationsgeschichte primär als Kind des Kalten Krieges wertet. Die in den drei Ländern hochgradig synchrone, printmediale Europawahrnehmung durchlief nach Brill eine Metamorphose „von einem am Boden liegenden, auf amerikanische Hilfsleistungen angewiesenen Europa zu einem zwar noch unfertigen, krisengeschüttelten und in seiner Entscheidungsgewalt eingeschränkten, aber dennoch einflussreichen und immer unabhängiger werdenden Bund souveräner Nationalstaaten“ (S. 171). Im Umkehrschluss bestätigt sich damit auch die These Kaelbles vom europäischen Krisenbewusstsein nach dem Zweiten Weltkrieg (S. 265). Die britische Berichterstattung erhielt mit dem Beitritt des Vereinigten Königreiches, wie zu erwarten, eine neue Qualität und Quantität. Brills Ergebnisse untermauern Jan-Henrik Meyers These, dass Europa in den 1970er-Jahren zum essentiellen, printmedialen Referenzpunkt avancierte (S. 268). Die düstere Krisenstimmung der 1970er-Jahre hingegen wird von den drei untersuchten Zeitungen nicht systematisch in Frage gestellt, sondern eher noch geschürt (S. 268), d.h. Brills Zeitungen hatten ihren Anteil am Mythos der europäischen Sklerose. Die Journalisten konstruierten, so Brill, ganz überwiegend das Bild eines wenig populären Elitenprojekts und trugen so ihrerseits zur Bürgerferne des integrierten Europas bei (S. 267, S. 272). Etwas überraschend ist Brills Befund, dass die untersuchten Zeitungen sich fast ausschließlich auf jene „Architekten Europas“ aus den großen Mitgliedsnationen bezogen und die Politiker der kleineren Länder übergingen (S. 172). Immerhin haben Paul-Henri Spaak und Joseph Luns die Integrationspolitik im Untersuchungszeitraum entscheidend mitgeprägt, was auch der FAZ und der Times nicht entgangen sein dürfte.

Was Brill im Kontext der Sicherheitspolitik und der großen Integrationsprojekte in der Presseberichterstattung vermisst, nämlich die Rückbesinnung auf ein europäisches kulturelles Erbe, thematisiert sie im Kapitel über „das kulturelle Europa“, in dem es unter anderem um die Kulturpolitik europäischer Institutionen, Film und Medien, Fragen des amerikanisch-europäischen Kulturtransfers und die schulische und universitäre Bildung geht. Im gleichen Zug untersucht Brill die Sportberichterstattung als transnationales Phänomen. In beiden Bereichen, so folgert sie, formten sich „Europabilder und ein „Wir-Gefühl“ vor allem auch auf einer gesellschaftlichen Ebene“ (S. 268) durch innereuropäische Völkerbegegnungen oder in Abgrenzung zum Außereuropäischen. Während Osteuropa in künstlerischer, literarischer und musikalischer Perspektive durchaus als Teil Europas erscheint, war die Sportberichterstattung ganz vom Kalten Krieg und der Teilung Europas geprägt.

Abschließend geht Brill auf die journalistischen Europabilder im Kontext von Reise und Tourismus ein. Auch hier sieht sie die Begegnung mit und die Abgrenzung vom „Anderen“ als zentralen Mechanismus bei der Generierung von Europavorstellungen. „Westlich“ bezog sich in diesem Kontext – anderes als bei den politischen Europabildern – nicht auf die Werte von Demokratie und Freiheit, sondern auf die Alltagskultur (S. 270). Die analysierten Reiseberichte möchte Brill als Bestätigung der Thesen Thomas Mergels einer „europäischen Kommunikation von unten“ verstanden wissen (S. 269).

Brills Länderauswahl war sicherlich teilweise durch den Rahmen des Verbundprojektes vorgegeben. Dass die Wahl auf Deutschland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten fiel, begründet sie nachvollziehbar (S. 8–9). Allerdings hätte die Analyse an Facetten gewonnen, wenn auch ein kleines Land (wie Belgien) oder Frankreich berücksichtigt worden wäre. Gerade wo es um die polarisierende Politik Charles de Gaulles geht, hätte der Leser gerne auch etwas über die Europabilder der französischen Journalistenkollegen erfahren. Zudem hätte eine durchgehende Auswertung von jeweils zwei politisch divergierenden Zeitungen, etwa der FAZ und der Süddeutschen, manche Differenzierung zugelassen.

Das zweijährige Untersuchungsraster begründet Brill damit, dass sie nicht „punktuelle Ereignisse“ oder Schlüsselmomente der institutionellen Geschichte, sondern den „fortlaufenden Diskurs“ (S. 21) in Augenschein nehmen will. Damit grenzt sie sich von der ereignisorientierten Herangehensweise etwa Jan-Henrik Meyers ab, der sich auf die Berichterstattung rund um Gipfelkonferenzen konzentriert. Da Brill jedoch in ihren Zusammenfassungen und der Schlussbetrachtung herausstreicht, wie sehr die journalistische Europawahrnehmung – sogar in apolitischen Kontexten – doch von der Ereignisgeschichte des Kalten Krieges und der europäischen Integration geprägt war (S. 265–6, S. 272), hätte die „außerplanmäßige“ Untersuchung des einen oder anderen „Ereignisses“ (wie Brill es für die Sportberichterstattung vorexerziert) vielleicht doch Sinn gemacht. Die europäische Verfassungskrise von 1965, zum Beispiel, entgeht dem Zweijahresraster, doch gerade sie hat Journalisten in besonderer Weise dazu provoziert, in ihrer Berichterstattung ihr persönliches Europa zu entwerfen und den Gang der Ereignisse daran zu messen.

Mit ihrer Analyse von journalistischen Europabildern einer deutschen, einer britischen und einer amerikanischen Zeitung vom Zweiten Weltkrieg bis zum Jahre 1980 hat Brill einen interessanten Beitrag zur Mediengeschichte und zur Europäisierungs-Debatte in den Kulturwissenschaften vorgelegt und dabei insbesondere die Thesen Hartmut Kaelbles aus printmedialer Perspektive neu ausgeleuchtet.

Anmerkungen:
1 Florian Greiner, Wege nach Europa. Deutungen eines imaginierten Kontinents in deutschen, britischen und amerikanischen Printmedien 1914–1945, Göttingen 2014.
2 Maximilian Müller-Härlin, Nation und Europa in Parlamentsdebatten zur Europäischen Integration. Identifikationsmuster in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nach 1950, Baden-Baden 2008.
3 Stefan Seidendorf, Europäisierung nationaler Identitätsdiskurse? Ein Vergleich französischer und deutscher Printmedien, Baden-Baden 2007.
4 Jan-Henrik Meyer, The European Public Sphere. Media and Transnational Communication in European Integration 1969–1991, Stuttgart 2010.
5 Sven de Roode, Seeing Europe through the Nation. The Role of National Self-Images in the Perception of European Integration in the English, German, and Dutch Press in the 1950s and 1990s, Köln 2012.
6 Vgl. Jan-Henrik Meyer: Rezension zu: Müller-Härlin, Maximilian: Nation und Europa in Parlamentsdebatten zur Europäischen Integration. Identifikationsmuster in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nach 1950. Baden-Baden 2008 / Seidendorf, Stefan: Europäisierung nationaler Identitätsdiskurse?. Ein Vergleich französischer und deutscher Printmedien. Baden-Baden 2007, in: H-Soz-Kult, 28.02.2009, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-11734> (25.03.2015).

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