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Titel
Die Allianz. Geschichte des Unternehmens 1890–2015


Autor(en)
Eggenkämper, Barbara; Modert, Gerd; Pretzlik, Stefan
Erschienen
München 2015: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
432 S., 150 Abb.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Straumann, Historisches Seminar, Universität Zürich

Als der Versicherungskonzern Allianz 1990 sein hundertjähriges Jubiläum feierte, wurde die Geschichte nur bruchstückhaft aufgearbeitet. Insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus fand in der Begleitpublikation und beim offiziellen Festakt kaum Erwähnung. Wenige Jahre später, nachdem Henning Schulte-Noelle das Szepter übernommen hatte, änderte sich die Lage vollkommen. 1997 beauftragte das Unternehmen den amerikanischen Wirtschaftshistoriker Gerald D. Feldman damit, die Periode von 1933 bis 1945 kritisch zu untersuchen.1 Und nun ist zum 125-jährigen Jubiläum erstmals eine historische Darstellung erschienen, welche die gesamte Entwicklung der Allianz schildert, ohne um die NS-Zeit einen Umweg zu machen.

Verantwortlich zeichnen drei Autoren, die im Solde des Unternehmens stehen: Barbara Eggenkämper, die Leiterin des Firmenhistorischen Archivs, sowie Gerd Modert und Stefan Pretzlik, die als Historiker bei der Allianz arbeiten. Die Aufteilung der sechs Kapitel erfolgte nach chronologischen Gesichtspunkten. Pretzlik beschreibt im ersten Kapitel die Gründerjahre und den Ersten Weltkrieg. Modert schildert im zweiten und dritten Kapitel die Weimarer Periode von 1918 bis 1933 sowie die NS-Zeit und die ersten Jahre des Wiederaufbaus bis 1948. Das vierte Kapitel, geschrieben wiederum von Pretzlik, deckt die Zeit des Wirtschaftswunders bis 1970 ab. Eggenkämper schließlich beschäftigt sich in den beiden Schlusskapiteln mit der jüngsten Vergangenheit. Dabei wählt sie das Jahr 1990 als Zäsur, als die Allianz an der Schwelle eines Internationalisierungs- und Diversifikationsschubes stand.

Die Überblicksdarstellung ist eine gelungene Mischung von fundierter Analyse und populärer Darstellung. Sie mag für die Spezialisten kaum grundlegend Neues bieten, ist aber als gut geschriebene Einführung in die deutsche Versicherungsgeschichte höchst empfehlenswert. Wesentliche Fragen der letzten 125 Jahre werden auf knappem Raum und auf kompetente Weise diskutiert. Der Kontext wird berücksichtigt, soweit er für das unmittelbare Verständnis unabdingbar ist. Die Darstellung ist nie ausschweifend, sondern stets fokussiert und schreitet mit sicherem Schritt durch die Jahrzehnte.

Im ersten Kapitel wird der schnelle Aufstieg der Allianz nachgezeichnet. Dabei wird klar, dass nicht nur die enge Zusammenarbeit mit der Münchner Rück der Schlüssel zum Erfolg war, sondern auch das Glück mitspielte. Im Unterschied zu vielen anderen deutschen Erstversicherern hatte die Allianz bis 1906 kein direktes Feuerversicherungsgeschäft in San Francisco gezeichnet. Als das Erdbeben den bis anhin größten Versicherungsschaden verursachte, war die Allianz in keiner Weise betroffen und konnte einen bankrotten Konkurrenten übernehmen. Das zweite Kapitel zeigt, wie die deutschen Versicherungsunternehmen mit dem politischen und monetären Chaos umgingen, das der Erste Weltkrieg hinterlassen hatte. Die solide wirtschaftende Allianz überlebte dank ihrer gut gestreuten und sicheren Vermögenswerte im Ausland, insbesondere in der Schweiz. So kam es nie zu einem bedrohlichen Ungleichgewicht zwischen Verbindlichkeiten in ausländischer Währung und Devisenreserven. Ferner schützte der umfangreiche Immobilienbesitz in Deutschland gegen die Geldentwertung. Die starke Position wiederum erlaubte es der Allianz, vom inflationsbedingten Zusammenbruch der Konkurrenten zu profitieren. Mitte der 1920er-Jahre war sie der stärkste Allbranchenversicherer Deutschlands. Das dritte Kapitel ist im Wesentlichen eine Zusammenfassung von Feldmans Studie.

Die Kapitel, welche die Nachkriegszeit schildern, sind weniger griffig als diejenigen, die sich mit dem Aufstieg der Allianz und dem Zeitalter der Katastrophen von 1914 bis 1945 beschäftigen. Doch das liegt nicht an den Autoren, sondern an der Zeit selber. Die Ära des Wirtschaftswunders war durch ein kontinuierliches Wachstum gekennzeichnet, das kaum von größeren politischen Krisen unterbrochen wurde. Selbst in den Jahrzehnten nach 1970, als die Weltwirtschaft instabiler wurde und sich durch einen weltweiten Liberalisierungstrend stark erweiterte, waren es weniger einzelne Entscheidungen und Schlüsseljahre, die Geschichte schrieben, als der kontinuierliche Umbau des Unternehmens. Dieser war alles andere als einfach. Ab den 1990er-Jahren konnten schon kleine Fehler fatale Auswirkungen haben, wie die periodisch wiederkehrenden Konsolidierungswellen gezeigt haben. Aber die Darstellung muss zwangsläufig etwas abstrakter bleiben als für die Zeit vor 1945.

Am interessantesten ist zweifellos die von den Autoren ins Zentrum gerückte Frage, wie die Allianz sich erfolgreich zu internationalisieren wusste. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man keinerlei ausländische Präsenz mehr, und es dauerte einige Zeit, bis man wieder an frühere Zeiten anknüpfen konnte. Noch 1970 stammten nur drei Prozent des Umsatzes aus dem Auslandsgeschäft. Mitte der 1970er-Jahre folgte dann aber eine stürmische Expansionsphase in den westlichen Märkten, insbesondere in den USA. In den 1990er-Jahren fasste man Fuß in Osteuropa und den asiatischen Märkten. Parallel dazu löste sich die Allianz von der Münchner Rück und baute ihre Finanzdienstleistungen aus. So übernahm sie zum Beispiel 2000 den bekannten Kalifornier Vermögensverwalter PIMCO, was ihr Zugang zum US-Kapitalmarkt eröffnete. Dank der klugen Expansionspolitik befindet sich die Allianz heute in der obersten Liga der internationalen Finanzunternehmen. Das Buch schildert die einzelnen Ausbauschritte, die von zahlreichen Rückschlägen begleitet waren, auf präzise und verständliche Weise.

Was allerdings im letzten Teil zu kurz kommt, ist die Frage nach den tiefer liegenden Gründen für den Erfolg der Allianz in den letzten 50 Jahren. Das Ziel der Internationalisierung hatten ja die meisten europäischen Versicherungsunternehmen, aber nur die wenigsten setzten die Strategie mit Erfolg um. Lag es an der Rekrutierung der Führungskräfte, der Qualität der Mitarbeiter, der klugen Anlagepolitik oder der langjährigen Partnerschaft mit der Münchner Rück? Wie wichtig waren glückliche Umstände? Von welchen Vorbildern lernte man, welche negativen Erfahrungen wurden zur Richtschnur innerhalb des Unternehmens? Zu diesen Themen hätte man gerne ein abschließendes Kapitel gelesen, das den großen Bogen schlägt. Des Weiteren wäre ein statistischer und biographischer Anhang von Vorteil gewesen. Die Rekonstruktion der historischen Daten ist gewiss eine mühsame Arbeit, zumal die Allianz sich fortwährend neu aufstellte, aber es hätte die Publikation für die Spezialisten besonders interessant gemacht.

Anmerkung:
1 Gerald D. Feldman, Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933–1945, München 2001.

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