Cover
Titel
Metis. Race, Recognition, and the Struggle for Indigenous Peoplehood


Autor(en)
Andersen, Chris
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
$ 95.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Laugs, IRTG Diversity, Internationale Geschichte, Universität Trier

Schon seit Jahren befinden sich die „Métis Studies“ als ein Teilgebiet der „Indigenous Studies“ – nicht nur in Kanada – in einem regelrechten Boom und es gibt ein disziplinenübergreifendes Interesse an den Métis. In dessen Rahmen sind zahlreiche Studien beispielsweise aus den Geschichts- und Politikwissenschaften, aus der Soziologie, sowie aus den Literatur- und Kulturwissenschaften erschienen.1

Allerdings gibt es große Unterschiede, wen die Wissenschaftler/innen als Métis verstehen. Einige definieren ‚Métis‘ ausschließlich über die Vorfahren und verstehen alle Menschen, die sowohl indigene als auch europäischen Vorfahren haben, als ‚Métis‘. Andere Wissenschaftler/innen definieren den Begriff dagegen enger und verstehen die Métis als ein indigenes Volk, das seine Ethnogenese im Tal des Red River um 1800 erlebte.

Die konkurrierenden Definitionen, wer Métis ist, sind nicht auf die akademische Welt beschränkt. Sowohl die „Numbered Treaties“, die die kanadische Bundesregierung mit vielen indianischen Gruppen schloss, als auch die „Indian Acts“, welche die Beziehungen zwischen dem Staat und indianischen Bürger/innen regeln und juristisch definieren, wer ‚Indianer‘ ist, nehmen die Métis explizit aus.2 Anerkennung erfuhren die Métis, als die kanadische Verfassung von 1982 sie, zusammen mit „Indians“ und „Inuit“, als eine der drei „Aboriginal Peoples of Canada“ bezeichnete.3 Dabei wurden aber die Fragen, wer die Métis sind, und welche Auswirkungen ihre Anerkennung als indigenes Volk hat, nicht weiter geklärt. Seitdem der kanadische Oberste Gerichtshof 2003 in R. v. Powley entschied, dass Métis die gleichen Jagdrechte besitzen wie ‚Indianer‘, beschäftigten sich Gerichte jedoch wiederholt mit der Definition und Anerkennung der Métis sowie ihren Rechten.

In diese Diskussion schaltet sich Chris Andersen, der sich selbst als Métis bezeichnet, ein. In seiner Monographie bezieht er deutlich Stellung. Für ihn sind neben den gemeinsamen Vorfahren noch weitere Faktoren wichtig für die Ethnogenese der Métis (S. 4). Hierzu zählen für ihn unter anderem wirtschaftliche Aktivitäten, die politische Organisation und der Widerstand gegen die Siedler-Kolonisierung Westkanadas, aber auch die Identifikation mit einer spezifischen Kultur.

Chris Andersen arbeitet vor allem mit juristischen Quellen – insbesondere Gerichtsentscheidungen – und argumentiert, dass die Anerkennung von Métis-Rechten durch kanadische Gerichte in ihrer gegenwärtigen Form keine „recognition“ sondern eine „(mis)recognition“ (S. 20) darstellt, die nahezu ausschließlich auf der Definition der Métis als hybride Nachkommen von ‚Indianern‘ und ‚Weißen‘ basiert. Andersen interpretiert die Verwendung dieser Definition als Fortsetzung des kanadischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts. Statt Selbstdefinitionen der Métis zu berücksichtigen, rekurrieren kanadische Gerichte auf ihre Abstammung, die Verbindung zu Indianern sowie auf Gesetze, die aus einer Zeit stammen, in denen der kanadische Staat von rassistischem und kolonialem Denken geprägt war.

Andersens Buch ist in fünf Kapitel gegliedert, die sich mit unterschiedlichen Teilaspekten der Anerkennung von Métis-Rechten befassen. Im ersten Kapitel zeigt er, wie der Begriff der Hybridität zu einem biologistischen Verständnis der Métis beigetragen hat. Dadurch, dass viele wissenschaftliche Studien ihren Fokus nur auf die ‚hybride‘ Herkunft gelegt und nicht herausgestellt haben, welche Gruppen Verbindungen zu den Métis am Red River haben und welche nicht, reduzierte sich die Bedeutung von ‚Métis‘ zu einer „mere condition of mixedness“ (S. 50). Im zweiten Kapitel zeigt Andersen auf, in welchem Maße das Konzept der Hybridität in die Rechtsprechung hineingewirkt und sich dadurch verfestigt hat. Dabei analysiert er detailliert Gerichtsurteile der letzten beiden Jahrzehnte und zeigt, wie der Fokus, den der Oberste Gerichtshof auf ‚hybride‘ Herkunft und die Unterscheidung von ‚Indianern‘ und euro-kanadischen Gruppen legte, dazu beigetragen hat, komplexe Selbstwahrnehmungen von indigenen Gruppen zu einer juristischen Kategorie zu reduzieren (S. 65). Dieser Fokus auf Hybridität beeinflusst, wie Andersen zeigt, nicht nur Gerichtsentscheidungen, sondern auch Gesetzgebungsverfahren und fördert, dass Menschen, die entfernte indigene Ahnen haben, sich im Zensus als ‚Métis‘ identifizieren.

Im Anschluss befasst sich Andersen mit alternativen Deutungen der Métis und ihrer Geschichte. Dazu fokussiert er sich nicht auf die ‚hybride‘ Herkunft, sondern: „shared memories of the territory, leaders, events, and culture that sustain the Métis people today“ (S. 13). Andersen orientiert sich dabei an Schlüsselereignissen, wie der Schlacht von La Grenouillière oder den beiden Widerstandsbewegungen. Er argumentiert, dass diese Ereignisse und ihre sozialen Kontexte die Selbstwahrnehmung und Organisation der Métis als Gruppe verstärkten. Im vierten Kapitel erörtert Andersen, wie staatliche Akteure respektvoller mit der nationhood der Métis umgehen könnten. Für ihn ist dabei der zentrale Schritt, dass zwischen der „Métis“-Nation (mit großem ‚M‘) und „métis“-Gruppen (mit kleinem ‚m‘) unterschieden wird (S. 152). Darüber hinaus fordert Andersen Gruppen und Personen, die sich als ‚Métis‘ identifizieren ohne eine Verbindung zum Red River nachzuweisen, auf, sich nicht länger so zu nennen.

Abschließend befasst sich Andersen im fünften Kapitel mit dem Fallbeispiel einer Gruppe, die sich als Métis bezeichnet ohne Verbindungen zum Red River zu haben. Dabei zeigt Andersen den Widerspruch im Anspruch der ‚Labrador Metis Nation‘, die sich inzwischen in ‚NunatuKavut‘ umbenannt hat. Einerseits sehen sich die meisten Mitglieder als Inuit und identifizieren sich mit dem Land, in dem sie leben. Andererseits suchen sie aus strategischen Gründen die juristische Anerkennung als Métis. Die Selbstbezeichnung als Métis stehe daher im starken Widerspruch zum gruppeninternen Selbstverständnis als Inuit (S. 196). Dies, so argumentiert Andersen, reproduziere kolonialen Strukturen und überlagere indigene Selbstwahrnehmungen.

Daraus resultierend formuliert Chris Andersen drei Schlussfolgerungen: Erstens sind sowohl Gerichte als auch der Zensus Orte der Wissensproduktion, die den Begriff ‚Métis‘ mit Bedeutungen versehen, die dann außerhalb des Kontexts aufgegriffen und adaptiert werden. Zweitens halten sich koloniale Diskurse bis heute, sodass die Métis oft über biologistische Kriterien definiert werden. Und drittens sorgen die unterschiedlichen Bedeutungen, die dem Begriff ‚Métis‘ zugeschreiben werden, dafür, dass die Métis sich nur schwer zu einer einheitlichen Gruppe formieren können. Chris Andersen schlägt vor, die Métis nicht durch die Linse der Hybridität, sondern mit den Konzepten „nationhood“ bzw. „peoplehood“ zu erfassen. Diese Sichtweise erlaubt es, die Métis als Indigene zu begreifen, während der Begriff ‚Hybridität‘ eine Abstufung impliziert und suggeriert die Métis seien dies nur teilweise.

Insgesamt bereichert Chris Andersens Buch die „Indigenous Studies“ und ist auch für Wissenschaftler/innen hilfreich, die sich mit den Métis in einer anderen Disziplin, beispielsweise den Literaturwissenschaften oder der Geschichte, beschäftigen. Seine Argumentation gegen eine biologistische Definition der Métis ist gut nachvollziehbar. Eine Frage, die jedoch offenbleibt, ist, auf welche Weise mit Gruppen umgegangen werden sollte, die nicht als ‚Indianer‘ anerkannt werden und auch keine Métis sind, da ihnen Verbindungen zum Red River fehlen. Andersen ist sich dessen bewusst, sieht dies aber nicht als Teil seiner Untersuchung (S. 25).

Beim Lesen des Buches wird deutlich, dass das Thema Chris Andersen persönlich betrifft. Anekdoten aus Andersens eigener Erfahrung als Métis in Saskatchewan erleichtern den Einstieg in die Materie. Darüber hinaus führt Andersens Position auch zu einem klaren, aber auch teilweise emotionalen Schreibstil. Beachtenswert ist, dass er nicht nur Fehler und Probleme im Umgang mit Métis-Definitionen aufzeigt, sondern auch Vorschläge zu deren Korrektur macht. Zum einen verweist er darauf, wie Politik und Gerichtsbarkeit die „misrecognition“ der Métis beenden könnten und zum anderen gibt er Wissenschaftler/innen hilfreiche Impulse, sich von der biologistischen Métis-Definition zu lösen. Daher leistet Chris Andersens Buch einen wichtigen Beitrag zu den „Métis Studies“.

Anmerkungen:
1 Siehe u.a. Nicole St-Onge / Carolyn Podruchny / Brenda Macdougall (Hrsg.), Contours of a People. Metis Family, Mobility, and History, Norman, OK 2012; Christopher Adams / Gregg Dahl / Ian Peach (Hrsg.), Métis in Canada. History, Identity, Law & Politics, Edmonton, AB 2013; Michel Hogue, Metis and the Medicine Line. Creating a Border and Dividing a People, Regina, SK 2015.
2 Devrim Karahasan, Métis als „Vielheiten“. Die Ethnogenese kanadischer Mischlinge in Diskursen des 17. bis 20. Jahrhunderts, in Zeitschrift für Kanada-Studien 27.1 (2007), S. 58–77, hier S. 63.
3 Constitution Act, 1982. Part II. Section Thirty-Five,(2).

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