Cover
Titel
Fotografie im Krieg.


Autor(en)
Hüppauf, Bernd
Erschienen
Paderborn 2015: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
372 S., 27 SW-Abb., 1 farb. Abb.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Enno Kaufhold, Berlin

Kriege, Kriege, Kriege … und ein Ende ist nicht abzusehen. Wir haben uns daran gewöhnt, sie gehören zu unserem durch die Medien geprägten Alltag, will heißen: Wir konsumieren Tag für Tag ungezählte Nachrichten und ebenso Bilder aus den weltweit verstreuten Kriegsgebieten. Für Bernd Hüppauf, der zuletzt an der New York University deutsche Literatur und Literaturtheorie lehrte, steht das Thema Krieg seit Jahren im Zentrum seines Erkenntnisinteresses. 2013 erschien von ihm die mehr als 500 Seiten starke Publikation „Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs“.1 Zwei Jahre später folgten seine spezielleren Überlegungen zur „Fotografie im Krieg“. Diesem Thema räumte er seit Anfang der 1980er-Jahre breiteren Raum ein, als er zu Beginn seiner Lehrtätigkeit in Australien auf den im Ersten Weltkrieg tätig gewesenen australischen Fotografen Frank Hurley stieß. Seitdem hat er wiederholt über Fotografie in Verbindung mit Krieg publiziert.

Was Hüppauf auf den insgesamt 329 Textseiten des von ihm als „Essay“ bezeichneten Buches (S. 25) in einem ideenreichen Diskurs detailliert vorstellt, referiert und formuliert, lässt sich in Kürze nur schwer wiedergeben. Generell kann gesagt werden: Da schreibt ein Autor, teils sogar in der Ich-Form, in absoluter intellektueller Redlichkeit, also ohne ein ideologisch geprägtes Interesse oder gar Vorurteil, gepaart mit einem umfassenden kulturgeschichtlichen Wissen, das sich im besten Sinn in den Bahnen bildungsbürgerlicher Tradition wie den Maximen der Aufklärung bewegt. Unterbrochen werden seine Ausführungen von neun Fotoessays, wie er sie nennt, in denen er sich exemplarisch mit konkreten Fotografien aus den verschiedensten Kriegen befasst. Abgerundet wird das Buch mit einem nicht minder umfangreichen und auch die englischsprachige Fachliteratur einbeziehenden Literaturverzeichnis nebst einem für den Gebrauch nützlichen Namensregister.

Zum Einstieg beginnt Hüppauf mit einer „Kleinen Theorie der Kriegsfotografie“ (hier grüßt Benjamin mit seiner „Kleinen Geschichte der Photographie“ aus dem Jahr 1931) und blickt zurück auf die Antike mit Platon und Aristoteles und für seine Überlegungen zur Welt als Vorstellung auf Schopenhauer, Nietzsche und Wittgenstein (den er, was auffällt, häufiger zitiert). Das erste Kapitel „Realismus – Konstruktion“ mündet in die Frage, ob es überhaupt eine Kriegsfotografie gibt. Aus der Bejahung leitet er den Aspekt der Authentizität der Fotografie als generelles Problem ab. Als spezielle Thematik folgen Überlegungen zum Seriellen und wichtiger noch zur Verbreitung von Kriegsfotografien in den aktuellen Medien. Ein eigenes Kapitel widmet Hüppauf der Kriegsfotografie in Verbindung mit dem Irrsinn, in dem er in einem Unterabschnitt mit dem Titel „Immanente Irrationalität der Fotografie“ der Frage nachgeht, ob die Fotografie den Irrsinn eigentlich zeigen kann. Als nächsten Abschnitt behandelt er „Stationen der Kriegsfotografie“ mit einzelnen Fragen wie denen, wie der Krieg ins Bild kommt und was sich aus der Spannung von Dokumentation und Konstruktion ergibt. Darauf folgen eine Genealogie der Kriegsbilder unter Einbeziehung der Visual Culture und eine gezielte Betrachtung der Rolle der Kriegsfotografen sowie der (möglichen) Existenz einer weiblichen Ästhetik bei den Fotografinnen. Der Schlussteil ist der Gegenwart und einem Ausblick gewidmet, in dessen Mittelpunkt das Digitale als aktuell bestimmendes Moment steht.

Äußerst verkürzt gesagt, spricht Hüppauf der Kriegsfotografie im Verlauf seiner Betrachtungen jegliche Bedeutung in unserer Zeit ab, um dann zum Schluss ein leidenschaftliches Plädoyer für eine neue Form der Kriegsfotografie zu formulieren. Ein paar Kernaussagen seien wörtlich zitiert. „Es ist kein Verlass auf Bilder. Die Schrift ist zwingender als das Bild.“ (S. 17) „Die Wirklichkeit der Bilder ist nicht weniger wirklich als der physische Kampf im Krieg. Bilder töten nicht, aber ihre Folgen können nachhaltiger wirken als die eines Gewehrs.“ (S. 35) „Das gute Kriegsfoto ist nicht identisch mit dem wahren Foto. Das gute Bild vom Krieg ist ebenso wenig das richtige Bild, wie es kein richtiges Bild vom Gral gibt.“ (S. 98) „Ein gutes Foto der Kriegsfotografie ist ein Bild mit einer durch Ethik gerechtfertigten Haltung zum Krieg.“ (S. 106) „Wo es keine Kriegsfotos gibt, gibt es – für uns – keinen Krieg.“ (S. 159) „Bilder fügen zusammen, was wir als Realität wahrnehmen, und so setzen Kriegsfotografien zusammen, was wir als inneres Bild vom Krieg entwerfen.“ (S. 197) „Wer sich auf die Aussage von Bildern verlässt, kann kein angemessenes Kriegsbild entwickeln. Das einzelne Bild braucht die Serie, und die Bildserie braucht die Rede.“ (S. 219) „Im Zeitalter der Digitalisierung der Kriegsbilder droht die Glaubwürdigkeit vollständig verloren zu gehen […] Sie hat das Wissen selbst und das Vertrauen auf das Wissbare erfasst.“ (S. 315) Letztlich konstatiert Hüppauf auf der Basis der von ihm betrachteten Entwicklung das Ende der Kriegsfotografie (S. 315 u. S. 325) sowie das Ende der Kommunikation schlechthin, womit dann das Ende der Kriegsfotografie definitiv besiegelt wird (S. 326).

Seine Betrachtungen des War Porn und des Auftretens der Selfies als jüngere Phänomene münden in eine genauere Beschreibung der Fotografien von Sebastião Salgado als positivem Beispiel. Diese zeigen Hüppauf zufolge zwar Gewalt, aber keinen Sensationalismus, und sie verleihen auf der Basis kollektiver Subjektivität der menschlichen Würde Ausdruck. „Der Unglückliche […] ist immer noch wichtig genug, um der Welt Schmerzen zu machen.“ Salgados Bilder führen als „Therapie Natur und die Liebe zum Leben und zur Natur als Umwelt ein“ (S. 332). Als denkbaren Ausweg orientiert sich Hüppauf an der Gemeinschaft und dem Vitalismus (S. 333), eine „Gemeinschaft ohne Nationalismus, eine Gemeinschaft der zu schaffenden Lebenswelt“ (S. 335), wobei er mit Bezug auf Henri Bergson zu dem Schluss kommt: „Die Liebe zum Leben, Gemeinschaft und Würde sind die drei Begriffe, unter die ich eine Erneuerung der Kriegsfotografie zu stellen vorschlage.“ (S. 336) Daraus folgt für ihn der Auftrag an die Kriegsfotografie, einen Vorschein von Frieden sehen zu lassen. Die neuen Kriegsbilder sollen als Akteure einen Gegenentwurf machen und so selbst zu Handelnden im Diskurs werden (S. 338f.).

Bei allem Respekt vor Hüppaufs wohl überlegten Ausführungen und seiner ungemeinen Belesenheit möchte ich doch grundsätzliche Einwände geltend machen. In der Weise, wie die von ihm zitierten Autoren und wie er selbst auf Fotografien geschaut hat, bezeugt das meines Erachtens eine methodische Schwäche. Verkürzt ausgedrückt kommen dabei die Fotografien selbst hinsichtlich ihres Quellencharakters zu kurz. Verdächtig ist die geringe Zahl der einbezogenen Fotografien (es sind lediglich 28) und mehr noch der Umstand, dass viele der heute als führende Kriegsfotografen geltenden Persönlichkeiten unerwähnt bleiben und Bildbeispiele von ihnen fehlen. Die heute massenhaft vorliegenden und letztlich auch redundanten Fotografien als Primärquellen zu analysieren ist schwierig, zugegeben, doch führt daran kein Weg vorbei. Insofern müssen brauchbare Instrumentarien entwickelt werden (wozu haben wir schließlich die Digitaltechnik und das Wissen um bestimmte Algorithmen?). Des Weiteren, so mein Eindruck, hinken wir, und das schließt Hüppaufs Überlegungen mit ein, in den Beschreibungen des Kriegs hinter den veränderten Kriegsformen hinterher. Dass diese wie gehabt durch rohe Gewalt gekennzeichnet sind, sehen wir jeden Tag. Krieg findet heute jedoch nicht mehr für jedermann sichtbar allein auf irgendwelchen Schlachtfeldern statt, sondern zugleich wesentlich subtiler in nach außen hin weniger spektakulären Sphären, als da wären Cyber-Attacken, das Hacken von Monopolstellen, das Agieren supranationaler Finanzakteure auf dem globalen Kapitalmarkt, et cetera, wobei es den „Kriegführenden“ nach wie vor um Aneignung von Besitz, Geld und mithin Macht geht. In diesem Kontext nehmen die Bildmedien, und das sind die modernen digitalen Medien, die Hüppauf anspricht, aber nicht ausführlicher in seine Betrachtungen einbezieht, in den Händen der großen Networks ebenso wie in den Händen der Massen, eine zwiespältige Funktion ein. Sie werden nach wie vor auf der Täterseite (Ideologisierung und Propaganda) wie auf der Opferseite eingesetzt. Was es zu untersuchen gilt.

Dass Hüppauf just zu dieser Zeit über die Fotografie im Krieg reflektiert und der Kriegsfotografie ihr Ende bescheinigt, dem ist zuzustimmen. Denn das folgt allein schon aus der Tatsache, dass die Fotografie in der Hierarchie der Medien mittlerweile nachgeordnet ist. Das heißt: Ihr Einfluss kann nicht mehr mit dem der neueren Medien konkurrieren. Dazu passt, dass Kracauer (1927) und Benjamin (1931) als frühe Theoretiker genau zu der Zeit über die Fotografie reflektierten, als der Film die mediale Vormachtstellung übernahm (Stichwort Tonfilm, Wochenschauen). Heute herrschen die digitalen Medien vor. Insofern bekräftigen Hüppaufs Ausführungen die Beobachtung, wonach auf das Ende eines Phänomens zugleich der Beginn der Reflexion über das Zurückgelassene einsetzt. Zu den weiterführenden Stichworten, die er vorgegeben hat, gehört die vielschichtige Berichterstattung heutzutage, wonach nur aus der Zusammenschau diverser Informationen brauchbare Erkenntnisse gezogen werden können, genauso wie es angesichts der obwaltenden unübersehbaren Diversität der Interessen nur noch parteiliche Wahrheiten geben kann. Eine solche Darstellung und Analyse steht noch aus. Dessen ungeachtet kann und sollte niemand, der sich zukünftig mit dem Thema Krieg und Medien eingehender beschäftigt, Bernd Hüppaufs kenntnisreiche wie reflektierende Publikation ausklammern. Sie wird sich als Standardwerk sicherlich etablieren. Denn was der von Hüppauf mehrfach zum Gewährsmann erkorene Wittgenstein am Ende des Vorworts zu seinem berühmten Traktat schreibt, lässt sich gleichermaßen auf Hüppaufs Buch beziehen: „Und wenn ich mich hierin nicht irre, so besteht nun der Wert dieser Arbeit zweitens darin, daß sie zeigt, wie wenig damit getan ist, daß die Probleme gelöst sind.“2 Wir müssen uns weiter Gedanken machen, zumal weiterhin Kriege geführt werden.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu die Sammelrezension von Benjamin Ziemann, Neuere Synthesen der Militär- und Kriegsgeschichte, in: H-Soz-Kult, 26.11.2013, http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-18870 (02.02.2017).
2 Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung, Frankfurt am Main 1963, unpag. (S. 8).

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