H. Bogdan u.a. (Hrsg.): Handbook of Freemasonry

Cover
Titel
Handbook of Freemasonry.


Herausgeber
Bogdan, Henrik; Snoek, Jan A.M.
Reihe
Brill Handbooks on Contemporary Religion
Erschienen
Anzahl Seiten
XX, 669 S.
Preis
€ 263,48
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Papenheim, Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg

Henrik Bogdan, ausgewiesener Fachmann für die Geschichte der Esoterik und des Okkultismus, und Jan Snoek, Religionswissenschaftler, der sich internationale Reputation durch seine Forschungen zur freimaurerischen Ritualistik erworben hat, haben mit dem vorliegenden Handbuch der Freimaurerei ein langerwartetes Desiderat erfüllt. Der Band ist Teil einer Publikationsreihe des Brill-Verlages „on contemporary religion“, die also die gegenwärtige Religionslandschaft behandelt. Freimaurer haben selbst immer wieder betont, dass die Freimaurerei keine Religion sei. Lässt es sich da begründen, dass die „Königliche Kunst“ in einer Publikationsreihe unter anderem zusammen mit gegenwärtigen Strömungen des Christentums, mit neuen japanischen Religionen, mit Theosophie, Spiritismus und „neuem Heidentum“ behandelt wird? Die Herausgeber beantworten uns diese Frage nicht. Wir werden darauf zurückkommen.

Der gewichtige Band gliedert sich nach einer Einleitung der Editoren in fünf Teile: (1) ”Historische Perspektiven“, (2) „Freimaurerei und Religion“, (3) „Ritual, Organisation, und Verbreitung“, (4) „Freimaurerei, Gesellschaft und Politik“ und (5) „Freimaurerei und Kultur“. Die Herausgeber konnten für die insgesamt 28 Beiträge namhafte Autoren gewinnen, und die Fülle an Informationen und Reflexionen setzt Maßstäbe. Das Buch trägt dazu bei, Freimaurerei als Forschungsthema weiter zu etablieren und ihr die Aufmerksamkeit der Fachwelt zukommen zu lassen, die sie verdient. Ein nicht gering zu veranschlagendes Verdienst ist es, dass jetzt auch die bahnbrechenden Forschungsergebnisse Jan Snoeks, die leider sehr verstreut publiziert wurden, einem breiteren Publikum bekannt gemacht werden. Der Band verdient es also, dass man sich ausführlicher und konstruktiv-kritisch mit ihm auseinandersetzt. Deshalb werden im Folgenden nicht alle einzelnen Beiträge behandelt; statt auf Details einzugehen, sollen grundsätzlichen Fragen der Anlage und Durchführung des Projekts untersucht werden.

„Freimaurerei“ wird von den beiden Herausgebern pragmatisch anhand folgender Kriterien definiert: (1) Initationsrituale, (2) ein charakteristisches Set von Symbolen, wie der Tempel Salomons oder Winkelmaß und Zirkel, (3) eine Organisationsstruktur mit hierarchischen Graden, Logen, Großlogen und deren Beamten, (4) eine Betonung von Tradition und Legitimität, wobei sich die Mitglieder oft als Teil einer ununterbrochenen Kette von Initiierten verstehen, (5) die Suche nach persönlicher Vervollkommnung mithilfe der rituellen Grade, (6) oftmals eine starke Betonung der Wohltätigkeit, (7) Betonung der Universalität, Brüderlichkeit und Geselligkeit, (8) Verteidigung eines Geheimnisses und (9) eine sie begleitende Antifreimaurerei als Opposition (S. 2). Diese Definition ist überzeugend. Die Herausgeber vermeiden damit jede Parteinahme für eine „reguläre Freimaurerei“ und begreifen sie stattdessen als ein vielgestaltiges Phänomen.

Es fällt auf, dass der Band fast vollständig historisch ausgerichtet ist. Die Richtlinien für die Editoren der Reihe betonen aber ausdrücklich, dass die Bände die „zeitgenössischen Manifestationen innerhalb von einzelnen Religion, Regionen oder Themen“ behandeln sollen. Historische Kapitel dienten ausschließlich dazu, zur Lage in der Gegenwart hinzuführen. Dass Henrik Bogdan und Jan Snoek von diesem Reihenkonzept abgewichen sind, liegt vielleicht daran, dass sie beide historisch arbeitende Wissenschaftler sind. Vermutlich gibt es auch einfach zu wenige Experten für die gegenwärtige Freimaurerei. Weiterhin hat die „masonische“ Binnenforschung selbst sich immer gerne mit der Vergangenheit, vor allem mit den Ursprüngen der Freimaurerei beschäftigt (siehe oben den Punkt 4 der Definition von Freimaurerei) und es dabei tunlichst vermieden, die Gegenwart einer kritischen Revision zu unterziehen. Und für „profane“ Religionswissenschaftler ist ebenfalls die gegenwärtige, etwas in die Jahre gekommene Freimaurerei kein besonders attraktives Forschungsfeld.

Gerade deshalb hätte der Band hinsichtlich der Lage der Freimaurerei in der Gegenwart Maßstäbe setzen können. So aber weist er stattdessen schmerzhafte Lücken auf: Noch nicht einmal eine Übersicht über die gegenwärtige Freimaurerei wird einleitend geliefert. Mit der historischen Perspektive verschwinden ganze Kontinente aus dem Blick: Nichts erfährt man zur rasant wachsenden Freimaurerei in Afrika, zur blühenden Freimaurerei in Australien und Neuseeland. Wenige thematische Beiträge bieten wenigstens einen Ausblick auf die Gegenwart, zum Beispiel der sehr gute Beitrag von Thierry Zarcone zu „Freimaurerei und Islam“ oder der originelle Artikel von Mark Dennis zur „materiellen Kultur der Freimaurerei“. Bei anderen ist es gerade unverständlich, wie sie vor der Gegenwart abrupt halt machen. So erklärt uns Massimo Introvigne einleitend in seinem ansonsten sehr lesenswerten Beitrag „Freemasonry and New Religious Movements“, dass „quasi-masonic structures" (S. 307) in fast allen neuen religiösen Bewegungen mit okkulten oder esoterischen Interessen zu finden sind, um sich dann flugs ins 19. Jahrhundert zu begeben und sich „Mormonism and Freemasonry“ (S. 307–311), "Jehovah's Witnesses and Freemasonry" (S. 313–315) und "Christian Science and Freemasonry" (S. 315–317) zu widmen. Die eingangs erwähnte offene Definition von Freimaurerei hätte es aber doch geradezu erzwungen, den Transfer von freimaurerischen Strukturen auf neue Bewegungen zu untersuchen. Auch im Artikel des Herausgebers Henrik Bogdan „Freemasonry and Western Esotericism“ findet man zu diesem Strukturtransfer rein gar nichts, dafür aber vieles zu ”Freimaurerei und Rosenkreuzertum“ und „Freimaurerei und Christliche Kabbalah“. Selbst ein Artikel wie „Freimaurerei und Literatur“ kommt beim Thema zeitgenössische Trivialliteratur mit einem Schlussabsatz aus. Einen Artikel zur Freimaurerei in den neuen Medien sucht man vergebens.

Die Artikel der ersten Sektion „Historical Perspectives“ sind durchweg auf hohem Niveau und geben den Forschungsstand wieder. Die Sektion „Freemasonry and Religion“ ist deutlich innovativer. Die Artikel zu „Freimaurerei und Protestantismus“, „Freimaurerei und Islam“ und „Freimaurerei und Östliche Religionen“ gehören zu den besten des ganzen Bandes. Judentum und christliche Orthodoxie ergänzen das Panorama. Bedauerlich aber ist es, dass ein Artikel zum Katholizismus fehlt. José Ferrer Benimelis Artikel zu „Freimaurerei und Katholische Kirche“ geht allzu bekannte Pfade und liefert nichts zum Leben der Katholiken mit und in der Freimaurerei. In Guy Liagres Artikel zu Freimaurerei und Protestantismus wird stattdessen deutlich, dass die evangelische Theologie, gleich welcher Spielart, mit ihrer ausschließlichen Betonung der göttlichen Gnade und Ablehnung der Werkgerechtigkeit, eigentlich der freimaurerischen Anthropologie viel ferner steht als die katholische Theologie. Dem Leser drängt sich damit die Frage auf, ob Freimaurerei in den protestantischen Ländern nicht eine Art von Kryptokatholizismus war, der den von evangelischen Theologen so heftig bekämpften Platonismus durch die Hintertür wieder einführte.

Entscheidender als solche Detailfragen ist es meines Erachtens, dass ein Grundlagenartikel „Freimaurerei und Religion“ gänzlich fehlt. Damit kommen wir zur eingangs gestellten Frage nach der Legitimität eines Bandes „Freimaurerei“ in einer Publikationsreihe über zeitgenössische Religionen. Je nach Definition – und davon gibt es Legionen, sowohl essentialistischer als auch funktionalistischer Art – kann man nun die Freimaurerei unter „Religion“ subsumieren oder nicht. Vermengt man diese Definitionsspielereien noch mit vereinspolitischen Interessen und persönlichen Ansichten zur Religion, ergibt sich ein unerquickliches und unfruchtbares Gezänk – wovor bekanntlich Anderson schon 1723 warnte. Die neuere religionswissenschaftliche Forschung ist nun von inhaltlichen und funktionalistischen Definitionen abgekommen, und beschäftigt sich mit „Religion“ unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten. So kann man aber mit Volkhard Krech sagen, dass „Religion“ es „mit dem Problem zu tun [hat], wie die prinzipiell nicht darstellbare Transzendenz mit immanenten Mitteln bezeichnet, also Unverfügbares in Verfügbares bzw. Unsagbares in Sagbares transformiert werden kann“.1 Religion ist also das Übersetzen von Letztem, von dem, was unsere Erfahrungen und Erkenntnisse übersteigt, in Sprache. Ein solcher offener Ansatz hat den Vorteil, das „Religionen“ und Weltanschauungen unterschiedlichster Art, die diese Leistungen vollbringen, unter „Religion“ gefasst werden können, was z.B. erst den Vergleich asiatischer mit europäischen Religionen ermöglicht. Es ist dabei unerheblich, worin dieses Unverfügbare besteht. „Transzendenz“ darf dabei auch nicht auf das „Jenseits“ reduziert werden, sondern drückt jede die Verfügbarkeit überschreitende Grenze aus. Die Freimaurerei nun beschäftigt sich ebenfalls mit dem ”Großen und Ganzen“, mit dem Sinn des Lebens, mit Gott und der Welt. Dabei ist es unerheblich, dass sie die konkreten Antworten dem Einzelnen überlässt. Sie stellt die Fragen, strukturiert dabei Lösungen vor und bietet rituelle Werkzeuge an. Es ist trotz aller Offenheit keineswegs so, dass die Freimaurerei Beliebigkeit verkündet; ihren weitgehenden, jedoch nicht völligen Verzicht auf metaphysische Antworten hat sie z.B. mit vielen Spielarten des Buddhismus gemeinsam. Zu sagen, Freimaurerei sei keine Religion, weil sie sich doch nur mit dem Diesseits beschäftige, ist deshalb unsinnig, weil es viele Religionen gibt, die die Unterscheidung Diesseits / Jenseits gar nicht kennen. Freimaurerei ist auf jeden Fall der erste Versuch in Europa, das Monopol der christlichen Kirchen auf die Beantwortung und rituelle Bearbeitung existentieller Fragen zu durchbrechen. Zugleich ist sie als Institution in ihrer weitgehend undogmatischen Art im modernen Europa etwas Neues und unterscheidet sich darin von den Kirchen. Ihre Traditionen bestehen weiterhin oft, wenn auch nicht ausschließlich, in dem, was der offiziellen Dogmatik nicht entspricht, ja als „das Andere“2 verworfen worden ist.

Mit der Freimaurerei begann der organisierte religiöse Pluralismus in Europa. Sie veränderte das religiöse Feld nachhaltig, sie war und ist Teil dieser Kommunikation des Unverfügbaren – vor allem die katholische Kirche hat dies klar erkannt. Die Freimaurerei hat sich indessen in einer Art von Camouflage immer so dargestellt, als ob sie außerhalb der Religion stehe. De facto und gegen ihre eigene Rhetorik gewendet ist jedoch Freimaurerei als Teil der religiösen Landschaft anzusehen. Deshalb ist es legitim, sie auch wissenschaftlich als Teil der „Religionen“ zu behandeln. Man hätte sich dabei gewünscht, dass das große Thema „Freimaurerei und Religion“ im historischen Längsschnitt und in seiner gegenwärtigen Konstellation behandelt worden wäre.

So wie man Grundsätzliches zum Thema Freimaurerei und Religion erwartet hätte, so auch zu „Freemasonry, Society and Politcs“, eines der wichtigsten und konfliktreichsten Themen überhaupt in Geschichte und Gegenwart der Freimaurerei. Anstatt nur – wenn auch spannende – Einzelthemen zu behandeln, hätte man gehofft, etwas Grundsätzliches zur Freimaurerei und ihrem Verhältnis zur politischen Ordnung, zur Zivilgesellschaft und auch zu ihrem (möglichen) Beitrag in der heutigen Gesellschaft zu lesen.

Die Sektion „Freemasonry and Culture“ mit Artikeln zur Musik, Literatur, moderner Kunst, Architektur und materieller Kultur ist meines Erachtens die interessanteste. Auf die Fülle von Informationen zur Wechselwirkung von Freimaurerei und den schönen Künsten kann jedoch hier nicht eingegangen werden. Im Einzelnen mag man zwar dem Urteil von Marijo Ariëns-Volker, dass eine Wurzel der Betonung von Originalität und Innovation in der modernen Kunst im Martinismus liege (S. 552) , vielleicht nicht zustimmen, aber richtig ist zweifellos, dass die Suche nach den Urformen sich dem Okkultismus des 19. Jahrhundert verdankt. Warum der Autor jedoch nicht seine eigenen innovativen Forschungen zu Picasso und der esoterischen Symbolik aufgreift, ist bedauerlich. Theoretisch am anspruchsvollsten ist der Beitrag zur materiellen Kultur von Mark J.R. Dennis. Der Artikel gibt wichtige Impulse zu Forschungen und Ausstellungen zur freimaurerischen Kultur.

Der Band ist sorgfältig gestaltet. Zwei Indizes helfen dabei, ihn zu erschließen. Der Preis jedoch ist ein Skandal, der die immense, qualitativ hochstehende Arbeit der Herausgeber und Autoren ruiniert. Eine solche, leider nur allzu häufige desaströse Verlagspolitik verhindert die Verbreitung von Forschungsergebnissen und geht auf Kosten der Autoren und der Öffentlichkeit. Man kann nur hoffen, dass das Open Access Publishing ihr bald ein Ende setzen wird.

Anmerkungen:
1 Volkhard Krech, Religion als Kommunikation, in: Michael Stausberg (Hrsg.), Religionswissenschaft, Berlin 2012, S. 49–63, hier S. 54.
2 Wouter Hanegraaff, Esotericism and the Academy. Rejected Knowledge in Western Culture, Cambridge 2012, S. 3.

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