W. Benz u.a. (Hrsg.): Kunst im NS-Staat

Cover
Titel
Kunst im NS-Staat. Ideologie, Ästhetik, Protagonisten


Herausgeber
Benz, Wolfgang; Eckel, Peter; Nachama, Andreas
Erschienen
Berlin 2015: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Elke Frietsch, Universität Zürich

Nach 1945 hat sich die Kunstgeschichtsschreibung zunächst schwergetan, sich mit den künstlerischen Überbleibseln des „Dritten Reiches“ zu beschäftigen. Ästhetische Produkte aus dieser Zeit wurden meist als „Nicht-Kunst“ oder als Kitsch bezeichnet. Mit solchen Qualitätsurteilen wurde eine kritische Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen von Kunst und Macht in der Zeit des Nationalsozialismus umgangen. Auch wenn mittlerweile gute wissenschaftliche Arbeiten über die Bedeutung der Kunst während der NS-Diktatur vorliegen, hält sich der Vorwurf der „Nicht-Kunst“ hartnäckig. Parallel dazu ist auch eine höchst problematische Tendenz ablesbar, Kunst aus der NS-Zeit aufzuwerten und als vermeintlich „frei von Ideologie“ wieder salonfähig zu machen.

Vor diesem Hintergrund scheint der Ansatz des vorliegenden Sammelbandes vielversprechend, einen umfangreichen Einblick in „Ideologie, Ästhetik und Protagonisten“ der NS-Herrschaft zu geben. Die Qualität der einzelnen Beiträge ist dabei allerdings unterschiedlich. Der einführende Aufsatz von Wolfgang Benz „Verführung und Hingabe. Künstler im Dienst des Nationalsozialismus“ unternimmt den verdienstvollen Versuch, Mechanismen von Macht, Gewalt und der Indienstnahme künstlerischer Ästhetik während der NS-Zeit zu veranschaulichen. Doch ist der Ton des Aufsatzes leider bisweilen polemisch. Beispielsweise werden die zur NS-Zeit tätige Regisseurin Leni Riefenstahl und die Schauspielerin Kristina Söderbaum mit „Frau Riefenstahl“ (S. 18 und 19) und „Frau Söderbaum“ (S. 26) adressiert. Dies ist eine in wissenschaftlichen Publikationen unübliche Form der Anrede. Welchen Erkenntnisgewinn hat es für die Analyse, wenn ein Opernkomponist als „[e]wig quengelnd und schnorrend“ bezeichnet wird, sodass er „sogar Göring, der von Korruption ja durchaus etwas verstand, schließlich auf die Nerven“ (S. 15) ging?

Im Bewusstsein der NS-Verbrechen und der diktatorischen Kunstpolitik mag der Wunsch verständlich sein, sich mit einem solchen polemischen Ton moralisch abzugrenzen. Die Frage ist aber, ob nicht – möglicherweise ohne es zu wollen – mit einer derart polemischen Herangehensweise an die oben beschriebene veraltete Perspektive angeknüpft wird, dass man sich mit der Kunst aus der NS-Zeit nicht analytisch-sachlich auseinandersetzen müsse. Jedenfalls scheint mit einer solchen Polemik die Möglichkeit erschwert zu werden, nach den Kontinuitäten und Brüchen vor und nach 1945 zu fragen und die vielschichtigen Zusammenhänge von Kunst und Macht während der Zeit des Nationalsozialismus kenntlich zu machen.

Das ist für den Sammelband schade, denn einige Aufsätze geben gute Einblicke in die komplexen Strukturen der Kunstpolitik des „Dritten Reiches“. Im ersten Teil, der sich mit den Bildenden Künsten beschäftigt, analysiert Wolfgang Ruppert die Verfahrensweisen und Zusammenhänge der NS-Kunstpolitik. Er verdeutlicht die fließenden Übergänge zwischen Kontinuität und Bruch vor und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wie auch nach 1945 anhand der Biographien ausgewählter Künstlerinnen und Künstler. Ergänzt wird diese Perspektive durch einen Beitrag von Nina Kubowitsch zur Funktion der Reichskammer der Bildenden Künste. Christian Fuhrmeister gelingt es in seiner Auseinandersetzung mit dem Präsidenten der Reichskammer, Adolf Ziegler, „simplifizierende Kategorien und Klassifikationen (von ‚guter’, als ‚entartet’ diffamierter Moderne versus ‚schlechter’ NS-Kunst, die entweder als Kitsch oder Propaganda zu sehen ist)“ (S. 60) zu hinterfragen. Josephine Gabler gibt einen detailreichen Einblick in das Werk des Bildhauers Arno Breker.

Der zweite Teil des Sammelbandes widmet sich der Literatur. Kenntnisreich ist der einführende Aufsatz von Erhard Schütz über „Seher, Sinnende, Sachliche und Seichte. Aspekte der Literatur im NS-Staat“. Leider werden bei der Analyse aber an manchen Stellen Stereotype bedient. Sätze wie „Besonders anfällig schienen protestantisch-religiös geprägte Frauen für bedingungsloses Bedichten von Führer und Volk. Oft beachtliche literarische Begabungen, fasziniert von Archaik, Idyllik, Mutterschaft, Brunst und Inbrunst, Ländlichkeit, Schicksal und Ewigkeit, schwärmten sie ungehemmt.“ (S. 101) wirken klischeehaft. Anstatt solche von den Nationalsozialisten selbst in die Welt gesetzte Formen der Propaganda und ihre Geschlechtermetaphorik zu analysieren, werden ihre Gemeinplätze reproduziert und in ein vermeintliches Wesen protestantisch-religiöser Frauen projiziert. Die nachfolgenden Aufsätze sind differenzierter. Rolf Düsterberg setzt sich mit „Struktur und Aufgaben, Führungspersonal, Konkurrenten“ der Reichsschrifttumskammer auseinander. Peter Sprengel verdeutlicht anhand der Figur Gerhart Hauptmann einen Werdegang zwischen Faszination für das „Dritte Reich“ und innerer Emigration. Mit der Populärkultur im Nationalsozialismus beschäftigt sich Christian Adam anhand des Karriereverlaufs des Autors und Funktionärs Wilfrid Bade im Propagandaministerium.

Der dritte Teil des Bandes widmet sich Theater und Bühne. Frauke Meyer-Gosau beschreibt in ihrem Aufsatz zunächst die kulturelle Diversität in den 1920er-Jahren, um dann die Versuche der Nationalsozialisten zur Gleichschaltung auch dieses Kunstsektors zu verdeutlichen. Sie zeigt, dass sich die Schauspielkunst als recht „sperrig“ für die Propaganda erwies. Dominik Frank analysiert die Abläufe in der Reichstheaterkammer und Reichsdramaturgie. Interessante Einblicke in Inszenierungsweisen des Volkes im Massentheater gibt Evelyn Annuß. Geertje Andresen skizziert die Entwicklung des Ausdruckstanzes „von der Weimarer Moderne zur NS-Kulturavantgarde“.

Eine exzellente und kenntnisreiche Analyse der Entwicklung des Films im „Dritten Reich“ bietet Rainer Rother im vierten Teil des Bandes. Rother macht deutlich, wie nicht nur dezidierte Propaganda-, sondern auch scheinbar unpolitische Unterhaltungsfilme ideologische Inhalte übermitteln konnten. Dass dies intendiert war, veranschaulicht er beispielsweise an einem überlieferten Ausspruch Goebbels‘: „Man soll nicht von früh bis spät in Gesinnung machen. Wir empfinden dafür selbst zu leicht, zu künstlerisch. Die Kunst ist frei und die Kunst soll frei bleiben, allerdings muss sie sich an bestimmte Normen gewöhnen.“ (S. 235) Rother gelingt es, präzise herauszuarbeiten, wie gerade vermeintliche Freiräume und scheinbar Unpolitisches für die Übermittlung nationalsozialistischer Vorstellungen genutzt werden konnten. Dabei verdeutlicht er auch, wo im Unterhaltungsfilm der NS-Zeit Ähnlichkeiten mit dem Kino Hollywoods und gleichzeitig Unterschiede lagen. Weitere Aufsätze von Marian Kaiser und Wolfgang Benz widmen sich der Propaganda in der Kulturpolitik wie auch dem antisemitischen Film. Die abschließenden Teile V und VI verdeutlichen Facetten der Architektur im „Dritten Reich“ sowie der Musik. In seinem Epilog zeigt Wolfgang Benz die verschiedenen Dimensionen von verfemter Kunst im NS-Staat auf.

Der Sammelband gibt einige interessante Einblicke in die Bedeutung der Kunst im „Dritten Reich“. Bedauerlich ist das weitgehende Fehlen von Ansätzen aus der Geschlechterforschung. Diese Nichtberücksichtigung ist deswegen erwähnenswert, da von der Geschlechterforschung wichtige Impulse für eine kritische Auseinandersetzung mit der Kunst des NS ausgingen und ausgehen. Ein wesentlicher Aspekt der NS-Ideologie war die Propagierung von „Rasse“-Idealen und diese waren stark mit spezifischen Rollenzuschreibungen an Frauen und Männer wie auch entsprechenden Geschlechterbildern verknüpft. Gerade für die Analyse von „Ideologie und Ästhetik“, die im Titel des Buches angekündigt wird, hätte eine Bezugnahme auf Ansätze aus der Geschlechterforschung daher produktiv sein können. Spannend hingegen ist die Thematisierung der Vielfalt künstlerischer Gattungen von der Malerei über Bildhauerei, Literatur, Film, Theater und Bühne, Musik und Architektur. Leserinnen und Lesern, die sich mit der Rolle der Kunst im Nationalsozialismus beschäftigen wollen, wird ein breiter Überblick geboten.