H. Sonnabend: Nero. Inszenierung der Macht

Titel
Nero. Inszenierung der Macht


Autor(en)
Sonnabend, Holger
Reihe
Historische Biographien
Erschienen
Anzahl Seiten
247 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Hamacher, Abteilung für Alte Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Rechtzeitig zur großen Nero-Ausstellung in Trier1 legt Holger Sonnabend mit „Nero. Inszenierung der Macht“ eine neue Biographie vor, die sich ihrem Protagonisten im Spiegel der antiken Überlieferung annähert und dabei den Versuch unternimmt, dem in seinem Handeln oft als disparat gezeichneten Kaiser in seinen scheinbar so unvereinbaren Facetten gerecht zu werden. Auch wenn Sonnabend der neueren Forschung in ihrem Bemühen um ein differenziertes Bild vom Leben und der Herrschaft Neros durchaus Erfolge attestiert, macht er insbesondere in der deutschsprachigen Forschung die Tendenz aus, oftmals einen allzu psycho-historischen Ansatz zu verfolgen.2 Zu Recht wird dabei auf die Unwägbarkeiten medizinischer und psychologischer Ferndiagnosen verwiesen, deren wohl prominentester Befund sich im ‚Caesarenwahn‘ widerspiegelt, ein Prädikat, das gemeinhin auch Nero als Vertreter der so genannten mali principes zugeschrieben wird.3

In seinem Bestreben, derartige Zuschreibungen zu vermeiden und stattdessen „aus der vielschichtigen Überlieferung herauszufiltern, was man als historische Realität ansehen kann“ (S. 12), greift Sonnabend für seine Darstellung ausdrücklich nicht auf ein durchgängig chronologisches Schema zurück, sondern geht stattdessen themenbezogen vor. Nach einem informativen Überblick über die komplexe Überlieferung (S. 13–34) sowie den grundlegenden politisch-sozialen Bezugsrahmen der frühen Kaiserzeit (S. 35–42) wird zunächst Neros Weg zum Kaisertum skizziert (S. 43–60) und nachfolgend eine nach Regierungsjahren geordnete Auflistung der einzelnen Stationen seiner Herrschaft geboten (S. 61–67). Auf Grundlage dieser Vorarbeiten erfolgt im eigentlichen Hauptteil der Untersuchung dann die systematische Analyse einzelner, nach Sachrubriken geordneter Themen, die mit Neros Handeln als Kaiser nach wie vor auf das Engste verbunden sind.

In der Behandlung der einzelnen Themen folgt Sonnabend im Wesentlichen den Ergebnissen der neueren Forschung, die in vielen Punkten zu einer Relativierung der gängigen Stereotype geführt haben:4 Nero war kein Tyrann, der sich durch planloses Wüten und Morden hervortat, und Nero war auch kein Brandstifter, der Rom aus reiner Perfidie den Flammen übergab. Transparent arbeitet Sonnabend heraus, auf welche Weise die tendenziöse Darstellung der antiken Quellen das negative Bild des Kaisers bis heute prägt und welche spezifischen Interessen sich hierhinter im Einzelnen verbergen.

Neros grausames Vorgehen gegen die in Rom lebenden Christen und allen voran die von ihm in seinen Gärten veranstalteten öffentlichkeitswirksamen Hinrichtungen dienen Sonnabend zugleich als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen, die unmittelbar zum Hauptthema seiner Untersuchung führen: Neros Doppelexistenz als Künstlerkaiser oder Kaiserkünstler. „Nero war nicht ein Kaiser, der lieber Künstler sein wollte, sondern für ihn war der Kaiser Künstler und der Künstler Kaiser.“ (S. 119)

Gemäß diesem Leitsatz deutet Sonnabend Neros künstlerische Ambitionen keineswegs als Ausdruck eines exzentrischen Charakters an der Schwelle zum Wahnsinn, sondern als elementaren Bestandteil seines kaiserlichen Selbstverständnisses. Gleichsam in der Tradition des Augustus stehend, der in der Ausgestaltung des von ihm eingerichteten Prinzipats angesichts der vielen verschiedenen, an ihn herangetragenen Rollenerwartungen ein gewisses schauspielerisches Talent bewiesen hatte, nahm auch Nero die Rolle des Schauspielers an. Die ersten öffentlichen Auftritte des Kaisers ab 59 stellten dementsprechend den Versuch dar, die Gunst des Volkes durch künstlerische Darbietungen zu erlangen und somit zugleich dessen Zustimmung zur Herrschaft sicherzustellen.

Mit Blick auf die Griechenlandreise Neros in den Jahren 66 und 67 ließe sich jedoch fragen, inwiefern die lange Abwesenheit des Kaisers von Rom (und somit von dem für ihn so wichtigen römischen Publikum) nicht seiner eigentlichen Wirkungsabsicht zuwiderlief. Auch Sonnabend sieht hierin eine gewisse Schwierigkeit, erklärt die Reise Neros jedoch als Flucht und strafendes Signal an die römische plebs, die den Auftritten des Kaisers zuletzt zunehmend desinteressiert gegenübergestanden hatte (S. 150f.). Mag eine „schleichende Entfremdung“ (S. 150) zwischen Nero und seiner stadtrömischen Klientel durchaus eine gewisse Rolle für die Entscheidung des Kaisers, nach Griechenland zu reisen, gespielt haben, hätte es sich in diesem Kontext sicherlich angeboten, die Beweggründe dieser offensichtlich von langer Hand geplanten und gut vorbereiteten ‚Tournee‘ des Kaisers noch konsequenter zu hinterfragen. Insbesondere angesichts der nach Neros Rückkehr erfolgten Präsentation der in Griechenland errungenen Erfolge des Kaisers – noch dazu in Form eines Triumphzugs – ließe sich fragen, inwiefern sich hinter Neros Wirken als Künstler nicht auch eine neue Form des Leistungsnachweises verbarg. Dass Nero zudem mit dem egalitären Agon sozial eher weniger angesehener Gestalten ein Betätigungsfeld wählte, das den römischen Eliten, allen voran der Senatorenschaft als eines Kaisers unwürdig erscheinen musste, dürfte nicht minder zur Komplexität der Verhältnisse beigetragen haben. Gerade solche Hintergründe und Spannungslinien hätten noch stärker in den Fokus gerückt werden können, um dem Anspruch einer herrschaftssoziologischen Perspektive noch mehr gerecht zu werden.

Eine Fortsetzung der künstlerischen Aktivitäten Neros in einem anderen Kontext sieht Sonnabend im Festakt zur Freiheitserklärung Griechenlands. Bezogen auf das Bild von der Doppelexistenz Neros als Künstlerkaiser oder Kaiserkünstler trat in dieser Situation wieder der Kaiser bzw. die kaiserliche Seite seiner doppelten Existenz in den Vordergrund (S. 169). Neros Neigung zur Inszenierung seiner kaiserlichen Macht mit den Mitteln der Kunst hatte sich bereits zuvor beim Empfang des armenischen Königs Tiridates I. in Italien gezeigt, erreichte aber nun mit der Verkündung der Freiheit Achaias 67 in Korinth ihren Höhepunkt. Zentral erscheint in diesem Zusammenhang folgender Satz: „Nero hatte keine Grundsätze, keine Konzepte, keine Programmatik – außer sich selbst in Szene zu setzen.“ (S. 171) Mag diese Aussage noch einer plakativen Wirkungsabsicht des Autors geschuldet sein, sind die mit ihr verbundenen Ausführungen eher fragwürdig: Wäre Griechenland frei gewesen und hätte die Erklärung der Unfreiheit ein entsprechendes Spektakel geboten, so hätte Nero laut Sonnabend auch dies veranstaltet (S. 171). Mit derartigen Einschätzungen setzt man sich zu sehr über die historisch-politischen Verhältnisse der Zeit hinweg, die zugleich ebenjenen Bezugsrahmen bilden, in den es Nero und sein Handeln einzuordnen gilt. Auch die Folgerung, wonach sich Nero im Laufe seiner Herrschaft (wenigstens seit 62) treu blieb und lediglich die äußeren Umstände und Konstellationen Veränderungen unterworfen waren, an denen der Kaiser schließlich zugrunde gehen musste (S. 213), wirkt dementsprechend eindimensional.

Alles in allem legt Sonnabend mit seiner Nero-Biographie eine vielseitige und gut lesbare Darstellung des Lebens und der Herrschaft des letzten iulisch-claudischen Kaisers vor, die zwar in weiten Teilen den Ergebnissen der neueren Forschung folgt, in ihrem Bemühen um ein differenziertes Bild jedoch den Fokus auf die Doppelexistenz Neros als Künstlerkaiser oder Kaiserkünstler richtet und auf diese Weise eigene Akzente setzt. Die Einordnung des Künstlertums Neros als Medium zur Inszenierung (und Festigung) seiner Macht erscheint in einigen Punkten durchaus aufschlussreich, wird jedoch – wie oben exemplarisch vorgeführt – nicht immer konsequent ausformuliert.

Einige Flüchtigkeitsfehler, fehlende Belege sowie eine nicht immer passende Abstimmung zwischen den in den Fußnoten genannten Literaturtiteln und dem Literaturverzeichnis sind womöglich mit dem rechtzeitigen Erscheinen des Buches zur oben genannten Ausstellung zu erklären und somit sicherlich entschuldbar, sollten in Hinblick auf eine zweiten Auflage jedoch Anlass zur Überarbeitung geben.5 Auch eine Stammtafel für die doch recht komplexen Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der iulisch-claudischen Familie wäre wünschenswert. Die vorgetragenen Kritikpunkte ändern jedoch nichts an dem Eindruck einer durchdachten und eingängig geschriebenen Nero-Biographie, die dem interessierten Leser auch über das Grundsätzliche hinaus anregende und aufschlussreiche Einblicke in das Leben und die Herrschaft eines Kaisers bietet, der die Nachwelt wohl wie kein anderer fasziniert und nach wie vor Rätsel aufgibt.

Anmerkungen:
1 Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Nero. Kaiser, Künstler und Tyrann. Begleitband zur Ausstellung „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“ im Rheinischen Landesmuseum Trier, Museum am Dom Trier und Stadtmuseum Simeonstift Trier, 14. Mai – 16. Oktober 2016 (Schriftenreihe des Rheinischen Landesmuseums Trier 40), Darmstadt 2016; vgl. David Hamacher / Christina Heubach: Rezension zu: Nero. Kaiser, Künstler und Tyrann, 14.05.2016 – 16.10.2016 Trier, in: H-Soz-Kult, 5.9.2016, http://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-242 (24.10.2016).
2 Positiv hervorgehoben wird hier etwa Edward Champlin, Nero, London 2003, dessen Einfluss der Darstellung Sonnabends auch anzumerken ist; der Vorwurf des Psychologisierens bleibt dagegen leider ohne Beleg.
3 Als besonders prägend gilt in diesem Zusammenhang nach wie vor Ludwig Quidde, Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn, Leipzig 1894 (Neuausgabe Berlin 1926).
4 Etwa Miriam T. Griffin, Nero. The End of a Dynasty, London 1984 oder bereits genannt: Edward Champlin, Nero, London 2003.
5 Beispielsweise sind die in den Fußnoten genannten Titel von Kienast (Kap. 6, Anm. 6), Clauss (Kap. 8, Anm. 12), Mratschek-Halfmann (Kap. 10, Anm. 51) oder Alföldi (Kap. 14, Anm. 9) nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt.

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