M. Taatz-Jacobi: Erwünschte Harmonie

Cover
Titel
Erwünschte Harmonie. Die Gründung der Friedrichs-Universität Halle als Instrument brandenburg-preußischer Konfessionspolitik - Motive, Verfahren, Mythos (1680-1713)


Autor(en)
Taatz-Jacobi, Marianne
Reihe
Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 13
Erschienen
Berlin 2014: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
341 S.
Preis
€ 109,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kirsten Anna van Elten, Graduiertenkolleg Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit, Universität Hamburg

Marianne Taatz-Jacobi hat sich mit ihrer 2014 erschienenen Dissertation ein großes Ziel gesetzt: die Dekonstruktion zweier Narrative der Frühneuzeitforschung. Dabei handelt es sich erstens um dasjenige der Toleranzpolitik Brandenburg-Preußens und zweitens um die Gründung der Universität Halle (1694) als ‚Reformuniversität‘ durch Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung ist die Beobachtung, dass die Historiographie bei der Beschäftigung mit der brandenburg-preußischen Konfessionspolitik bislang ein zu modernes Verständnis von Toleranz angesetzt hat; konkret werde mit dem Begriff etwa suggeriert, dass sich die brandenburgischen Kurfürsten für eine Gleichberechtigung ihrer lutherischen und reformierten Untertanen eingesetzt hätten. Aufbauend auf dieser Annahme sei auch das Bild von der Reformuniversität Halle auf den Prüfstand zu stellen. Denn dieser von dem Universitätshistoriker Notker Hammerstein geprägte Begriff impliziere, dass seitens der landesherrlichen Obrigkeit die explizite Absicht, eine der Aufklärung zugewandten Universität zu gründen, bestanden habe.1 Die Arbeit verbindet so Universitäts-, Theologie- und Politikgeschichte.

Taatz-Jacobi schließt mit ihrer Studie an aktuelle Tendenzen der Konfessionsforschung der Frühen Neuzeit an, indem sie sich auf den von Thomas Kaufmann geprägten Begriff der „Konfessionskultur“ stützt. „Konfessionskultur“ ist für sie die „gemeinsame konfessionelle Identität von Personen“, innerhalb derer „subjektives konfessionelles Empfinden […] an bestimmte konfessionelle Verbindlichkeiten gekoppelt und damit in eine kollektive Identität überführt“ wird (S. 30). Mit der Hinzunahme des Begriffs der „binnenkonfessionellen Pluralität“ berücksichtigt Taatz-Jacobi die innere Differenzierung der konfessionellen Großgruppen, die durch geographische, individuelle oder gruppenspezifische Unterschiede entstehen.2 Sie führt weiter aus, dass die – durch diese konfessionellen Varianten entstehende – „konfessionelle Identität“ jedoch nicht statisch gewesen sei, sondern der regelmäßigen Überprüfung und Aktualisierung konfessioneller text- und handlungsorientierter Codes bedurft habe. Auch sonst fällt auf, dass Taatz-Jacobi bei ihrer Beschäftigung mit der brandenburg-preußischen Bildungs- und Konfessionspolitik darum bemüht ist, stärker als bislang geschehen die eigentliche kommunikative Praxis an der Universität zu berücksichtigen; etwa lehnt sie die Verwendung von Begriffen wie „Lutherische Orthodoxie“, „Pietismus“ und „Aufklärung“ ab und fokussiert lieber auf die kommunikativen Dimensionen des „traditionellen Luthertums“, der „pietistischen Akteure“ und des „Naturrechts“, die sie zusammen mit der „konfessionellen Identität“ und „Erfahrung“ als zentrale Zugänge einführt.

Das Buch besteht aus drei chronologisch aufeinander aufbauenden Hauptkapiteln: Im ersten Teil werden die allgemeinen Rahmenbedingungen des „konfessionspolitischen Handlungskatalogs“ Brandenburg-Preußens und deren Entwicklung ab 1613 nachgezeichnet. Taatz-Jacobi arbeitet heraus, dass die Grundlagen für die Einführung des Reformiertentums zwischen 1613 und 1615 etabliert wurden. Der Normenkatalog beinhaltete unter anderem ein „Anti-Polemik-Edikt, die Streichung bzw. Auslassung von Bekenntnissen und Bekenntnisschriften“ sowie den Ausbau von Ausbildungsstätten und Behörden, die – im Idealfall paritätisch – mit reformierten und lutherischen Mitgliedern besetzt werden sollten (S. 116). Bei der Auswahl der lutherischen Kandidaten sei darauf geachtet worden, dass es sich um Unterstützer des Helmstedter Theologen Georg Calixt handelte, der sich für einen interkonfessionellen Austausch einsetzte.

Zur brandenburg-preußischen Politik gehörte ferner, dass für die lutherische Bevölkerung die in den Bekenntnisschriften vorhandenen konfessionellen Codes wie etwa die Confessio Augustana invariata und die Formula Concordiae identitätsstiftend waren. Auch deshalb sei langfristig gesehen ein Versuch Kurfürst Johann Sigismunds gescheitert, eine Kirchenunion zwischen den Lutheranern und Reformierten durch eine von ihm initiierte ‚Selbst-Reformierung‘ der Lutheraner zu erreichen. Aufgrund von Protesten der Lutheraner gegen die Eingrenzung bzw. Abschaffung der Konfessionsschriften sei schließlich unter König Friedrich Wilhelm I. von Preußen der ursprüngliche Plan einer Förderung der Binnenreform im Luthertum verworfen worden. Stattdessen habe der König das Ziel verfolgt, durch die Förderung reformierter Untertanen in seinen Ämtern einen generellen Anstieg des Reformiertentums zu erreichen.

In ihrem zweiten Hauptkapitel analysiert Taatz-Jacobi die brandenburg-preußische Bildungspolitik von 1688 bis 1700 in Hinsicht auf die Universitätsgründung in Halle; dieser Teil bildet das Herzstück ihrer Studie. Um den Untertanen des Herzogtums Magdeburgs die Möglichkeit eines Studiums jenseits der lutherisch geprägten Universitäten Leipzig und Wittenberg zu ermöglichen, sei die Gründung Halles – aus der Sicht des brandenburgisch-preußischen Landesherrn – eine Notwendigkeit für die Durchsetzung seiner Politik gewesen. Als essentiell habe sich bei der Gründung auch die Beförderung der Einstellung von lutherischen Theologieprofessoren erwiesen, die der calixtinischen bzw. irenischen Lehre anhingen. Schwerpunkte dieses Kapitels sind unter anderem die Berufungspolitik sowie die Konflikte über die konfessionelle Identität der Universität, die anhand von Einzelfällen dargestellt wird. Im Hinblick etwa auf die Anstellung August Hermann Franckes als Theologieprofessor wird die These vertreten, dass diese nicht seinem ‚aufklärerischen‘ Denken geschuldet gewesen sei, sondern mit seiner konfessionellen Ausrichtung zusammengehangen habe. Ähnliches gilt auch für die Berufung des Leipziger Juristen Christian Thomasius. Dass es sich bei den beiden Beispielen um pietistische Akteure handelte, sei dabei von Seiten des Landesherrn nicht intendiert gewesen. Es sei eher dem Wunsch nach einer Präsenz einer konfessionellen Richtung geschuldet gewesen, die offen gegenüber dem Reformiertentum war. Diese Befunde decken sich mit den Ergebnissen des vorherigen Kapitels. Die Konflikte aus der Anfangszeit der Universität, die sich um den und im Universitäts- und Stadtraum Halle abspielten, zeigen, dass für Berlin die Integration von Pietisten, solange diese interkonfessionell ausgerichtet waren, ein Mittel zur „Öffnung der Lutheraner gegenüber dem Reformiertentum“ sein konnte (S. 253).

Die Schwerpunkte des dritten Hauptkapitels bilden die universitären Konflikte sowie die konfessionspolitische Neujustierung der landesherrlichen Politik und der Zusammensetzung der Theologischen Fakultät Anfang des 18. Jahrhunderts. Taatz-Jacobi benennt gleich mehrere Ursachen für diese Zäsur: Einerseits seien die pietistischen Akteure nicht bereit gewesen, ihre Konfessionsgrenze zu überschreiten, wie das wiederholte Scheitern von innerprotestantischen Religionsgespräche zeigte; sie seien vielmehr darauf bedacht gewesen, sich deutlich vom Reformiertentum abzugrenzen. Andererseits sei der Ursprung einer Neujustierung innerhalb der Theologischen Fakultät auch einem Generationenwechsel innerhalb des politischen Apparats sowie einigen Neubesetzungen innerhalb der Theologischen Fakultät selbst zu Beginn des 18. Jahrhunderts geschuldet gewesen, was zu einer Dominanz des Reformiertentums führte. Die neuen Vertreter seien dabei weniger an der Herstellung einer „innerlutherischen Harmonie“ als an einer Durchsetzung der reformierten Konfessionspolitik (S. 299) interessiert gewesen. Vor diesem Hintergrund war es nun Ziel der Theologischen Fakultät, sich von den Reformierten zu distanzieren, um eine potentielle Infragestellung ihrer Rechtgläubigkeit zu vermeiden. Um dieses Verständnis zu festigen, stellten sich die Theologen bei den Konflikten als ‚Hüter lutherischer Identität‘ dar. In den im weiteren Verlauf zu beobachtenden Auseinandersetzungen zwischen der Landesherrschaft und den Theologieprofessoren ging es unter anderem um die Errichtung einer gemischtkonfessionellen theologischen Fakultät und den Aufbau der Glauchischen Anstalten, einer einflussreichen pädagogischen Einrichtung (heute Franckesche Stiftungen). Die analysierten Konflikte belegen, dass die Theologische Fakultät spätestens ab dem Herrscherwechsel 1713 kurzzeitig mit Friedrich Wilhelm I. einen konfessionspolitischen Unterstützer hatte. Dies zeigt seine Unterstützung der Proteste der Mitglieder der theologischen Fakultät gegen die Errichtung einer reformierten Professur.

Durch das gewinnbringende Anwenden neuerer, akteurs- und kommunikationszentrierter Zugänge der Konfessionsforschung auf das Forschungsfeld der frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte gelingt es Taatz-Jacobi, die brandenburg-preußische Bildungspolitik in Bezug auf die Konfessionspolitik neu zu beleuchten. Die Arbeit zeigt einmal mehr den „kommunikativen und dynamischen Prozess von Konfessionspolitik“ (S. 27) auf und stellt so auch etablierte Narrative der Historiographie in Hinblick auf die frühneuzeitliche preußische Toleranz- und Universitätspolitik in Frage.3 Wünschenswert wäre an einigen Stellen ein stärkerer Vergleich mit anderen Universitäten oder Territorien gewesen, um eventuelle Besonderheiten der Konfessionspolitik des brandenburg-preußischen Vorgehens unterstreichen oder davon ableiten zu können. Zu fragen wäre beispielsweise nach der Existenz und Umsetzbarkeit von konfessionspolitischen Handlungskatalogen sowie nach der Rolle von Konfession bei der Ausgestaltung der Wissenslandschaft in anderskonfessionellen Territorien.

Diese Beobachtung schmälert das Verdienst der Arbeit jedoch nicht, sondern ist als Anregung für weitere Untersuchungen zu verstehen. Ein Fazit zu dieser schlüssigen Arbeit, die sich auf eine große Quellengrundlage stützt: Wer sich in Zukunft mit Bildungs- und Konfessionspolitik im Hinblick auf die Geschichte von Universitäten und bzw. oder brandenburg-preußischer Konfessionspolitik beschäftigen will, ist gut beraten, die Studie von Taatz-Jacobi zur Hand zu nehmen.

Anmerkungen:
1 Notker Hammerstein, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, Göttingen 1971.
2 Thomas Kaufmann, Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006. Thomas Kaufmann, Einleitung, in: Kaspar von Greyer (Hrsg.), Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität, Heidelberg 2003, S. 9–16.
3 Siehe hierzu auch ihr derzeitiges Forschungsprojekt mit dem Titel „Steuerung und Interaktionsdynamik. Die brandenburg-preußische Hochschulpolitik in der Frühphase der Universität Halle (1688–1740)“, das diese Perspektive wohl noch einmal erweitern wird. http://www.geschichte.uni-halle.de/mitarbeiter/taatz/forschung/ (14.11.2016)

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