D. Sung Jung: Der Kampf gegen das Presse-Imperium

Cover
Titel
Der Kampf gegen das Presse-Imperium. Die Anti-Springer-Kampagne der 68er-Bewegung


Autor(en)
Sung Jung, Dae
Reihe
Histoire 85
Anzahl Seiten
372S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Stallmann, Lehrstuhl für Zeitgeschichte, Historisches Seminar, Universität Heidelberg

Im nächsten Jahr steht das 50. Jubiläum von „1968“ bevor. Dae Sung Jung gehört zu einer Reihe von Historikerinnen und Historikern, die im Vorfeld einen neuen Blick auf die 68er-Bewegung werfen. In seiner Bielefelder Doktorarbeit betrachtet Jung die Anti-Springer-Kampagnen der Jahre 1967/68, wobei er deren Rolle und Bedeutung für die 68er-Bewegung „während und nach 1968“ untersucht (S. 19). Im Gegensatz zu bisherigen Arbeiten zum Thema,1 tritt die Rolle der DDR für die Kampagne in den Hintergrund: Es soll nicht die ostdeutsche, sondern die außerparlamentarische Anti-Springer-Kampagne im Zentrum stehen. Dass die Anti-Springer-Kampagne „gar das Werk von SED und Stasi gewesen“ sei, lasse sich – so Jung – nicht halten (S. 28). Für seine Studie hat der Autor im APO-Archiv der Freien Universität (FU) in Berlin und im Unternehmensarchiv des Springer-Verlags eine Fülle an Materialien zusammengetragen, die von Flugblättern und Zeitschriften über Protokolle, Pamphlete bis hin zu Postkarten und Karikaturen reichen. Die Gliederung ist chronologisch gestaltet: Vorgeschichte (I.), Entstehung und Verlauf (II.) sowie Niedergang und Auswirkungen der Anti-Springer-Kampagne (III.) stellen die einzelnen Studienabschnitte dar, wobei das zweite Kapitel mit knapp 200 Seiten am umfangreichsten ausfällt.

Zunächst geht der Autor den theoretischen Ursprüngen der „Manipulationsthese“ nach, der sich der Springer-Konzern in den späten 1960er-Jahren seitens der Außerparlamentarischen Opposition (APO) gegenübersah. Wichtige Stichwortgeber waren demnach Autoren der Frankfurter Schule sowie Hans Magnus Enzensberger. Nach einer kurzen Wiedergabe zentraler Positionen lässt Jung mit der „Spiegel-Affäre“ die nächste Vorgeschichte folgen. Etliche Buchmeter dürfte dieses Thema bereits füllen, das zeigen auch die zahlreichen Fußnoten bei Jung. Mit den Worten Wolfgang Kraushaars sieht er in den studentischen Protestkundgebungen des Jahres 1962 einen „Auftakt zur späteren Revolte“ (S. 57). Den Kapitelabschluss bilden eine „kurze Geschichte des Axel Springer Verlags“ auf acht Seiten sowie das Aufkommen der Kritik am Verlag in den 1960er-Jahren. Fast 50 Seiten widmet der Autor den weitgehend bekannten Vorgeschichten. Nicht alles hätte einer Wiederholung bedurft, zumal im zweiten Kapitel mit der „Anti-Tschombé-Demonstration“ (1964) und der „Kuby-Krippendorff-Affäre“ (1965) an der FU Berlin weitere Ausgangspunkte der 68er-Bewegung dargestellt werden.

Folgt man Jung, so bewirkte erst der Tod Benno Ohnesorgs, dass die Springer-Presse ins Zentrum der Kritik durch die 68er-Bewegung geriet. Insbesondere der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) machte die „Kampagne zu einem der wichtigsten Themen seiner Mobilisierungsstrategie“ (S. 156). Ausführlich schildert der Verfasser die Berliner Ereignisse um den 2. Juni 1967 und zeichnet die Reaktionen der Springer-Presse sowie die studentischen Gegenreaktionen nach. Durch die gute Quellenlage im medienarchiv682 und im APO-Archiv kann Jung aus dem Vollen schöpfen, er zitiert umfangreich aus der Springer-Berichterstattung mit ihren Verdrehungen und Umdeutungen sowie aus den APO-Zeitungen. Etliche Passagen des quellensatten Kapitels haben jedoch eher Aufzählungscharakter. Die Zitate verstärken durchaus die Anschaulichkeit, aber das Kapitel lässt einen etwas konziseren Blick vermissen.

Die weitere Entwicklung der Kampagne charakterisiert Jung als stufenweise Eskalation, die unter dem Slogan „Enteignet Springer“ weiter an Fahrt gewann. Er zeichnet die Protestaktionen im Bundesgebiet in ihrer zeitlichen Abfolge nach, bespricht unterschiedliche Diskussionsforen und Anti-Springer-Konferenzen. Um die retrospektiv zugeschriebene Dominanz des SDS in der Protestgeschichte der späten 1960er-Jahre zu durchbrechen, betont der Verfasser die Bedeutung nichtstudentischer APO-Organisationen: Insbesondere die „Kampagne für Abrüstung“ (KfA) habe seit September 1967 eine „Hauptrolle in der Kampagne gegen Springer“ gespielt (S. 189). Interessant sind die immer wieder eingeschobenen Ausführungen über die Verlagsreaktionen. Mit eigenen Flugschriften unter der Überschrift „Springer enteignen – Beiträge zur Diskussion über die Pressekonzentration“ versuchte der Verlag Gegenargumente zu liefern – letztendlich ohne großen Erfolg. Gleichzeitig richtete die Verlagsführung im Dezember 1967 einen Arbeitsstab ein, der weitere Gegenmaßnahmen umsetzen sollte. Die Studie des Verlagshauses „Das ‚Springer-Monopol‘. Eine Klarstellung“ behauptete beispielsweise, dass die Argumente und Slogans gegen den Springer-Konzern in der DDR entstanden seien (vgl. S. 196); ein Verwurf, der sich in der folgenden Zeit zum Standardnarrativ der Springer-Medien entwickelte. Derweil hatte die Anti-Springer-Kampagne drei tragende Protestsäulen herausgebildet, neben dem organisatorisch geschulten KfA den dynamischen SDS sowie den Republikanischen Club in Westberlin (RC), der das Springer-Tribunal im Februar 1968 vorbereiten sollte.

Wie heterogen die Vorstellungen innerhalb der APO zum ‚richtigen‘ Umgang mit dem Springer-Verlag waren, verdeutlichen die konkurrierenden Ideen eines Tribunals beziehungsweise eines Hearings. Während der RC im Frühjahr 1968 letzteres präferierte, um auch die „linksbürgerlichen und sozialdemokratischen Kräfte für die Kampagne“ zu gewinnen (S. 209), wollte insbesondere der SDS am Tribunal-Konzept festhalten; Experten anhören oder den Verlag anklagen, lauteten somit die Alternativen. Doch die zu den Hearings eingeladenen Wissenschaftler und Journalisten sagten ihre Teilnahme ab, nachdem Unbekannte die Berliner Morgenpost angegriffen und mehrere Fenster eingeworfen hatten. Zudem vergrößerten sich die Spannungen innerhalb der 68er-Bewegung. Das ursprünglich für drei Tage angesetzte Hearing dauerte in einer stark reduzierten Form nur einen Tag; spätere Versuche eines neuen Hearings scheiterten ebenso. Währenddessen ging Axel Springer in einem ZDF-Interview in die Offensive, wobei er sich „gutgelaunt, witzig und liebenswürdig“ präsentiert habe (S. 227). Auch die Printredaktionen arbeiteten sich weiter am Gegner ab. Für Jung hatten die journalistischen Reaktionen des Springer-Verlags auf die Steinwürfe und die geplanten Veranstaltungen „extremistische Züge“ (S. 229) angenommen. Diese Perspektive deckt sich mit der zeitgenössischen und späteren Sichtweise zahlreicher Protestakteure, ob sie die Springer-Berichterstattung treffend charakterisiert, kann jedoch bezweifelt werden. Bei aller Aggressivität in der Wortwahl, die wahrlich auch journalistische Grenzen sprengte, handelte es sich eher um einen Kampf der Wörter, der unterschiedliche Ordnungsvorstellungen und Demokratieverständnisse zum Inhalt hatte. Dabei war es Ziel des Verlages, wie es bereits Gudrun Kruip in ihrer Studie über das „‚Welt‘-‚Bild‘ des Axel Springer Verlags“ geschrieben hat, die „Meinung einer vermuteten Mehrheit“3 zu repräsentieren.

Das Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 bildet den letzten Abschnitt des zweiten Kapitels. Hinlänglich bekannt ist, dass die APO dem Springer-Konzern die Hauptschuld an den Schüssen Josef Bachmanns gab. Jung zeichnet die Geschehnisse, die Protestaktionen in Westberlin und anderen Städten am 11. April 1968 und den Folgetagen, detailliert nach. Ein Flugblatt des Münchener SDS traf hierbei die Stimmung: „Allen voran schreitet Axel Cäsar Springer! Er schoß mit!“ (S. 250). Tausende Menschen zogen durch die Straßen, blockierten Druckereien und verteilten Flugblätter. Gleichzeitig eskalierte während der „Osterunruhen“ auch die Gewalt; in München starben der Fotograf Klaus-Jürgen Frings und der Student Rüdiger Schreck während der Tumulte. Im In- und Ausland fanden Solidarisierungsaktionen statt. In Oslo, Wien, Washington, Mailand oder New York kam es beispielsweise vor Springer-Büros oder bundesdeutschen Einrichtungen zu Protesten. Das dritte Kapitel, das auch den Schluss integriert, lässt Jung mit der Feststellung beginnen, dass die „Osterunruhen“ den „Kulminationspunkt der Anti-Springer-Kampagne“ darstellten (S. 289). Was folgte, war der Kampagnenniedergang und die Demobilisierung der 68er-Bewegung. Neben der Gewalteskalation werden vor allem Diskussionen um die Notstandsgesetze als knappe Begründung für das Kampagnenende angeführt. Die Verabschiedung der Notstandsgesetze im Mai 1968 habe die öffentliche Diskussion beherrscht (vgl. S. 293).

Was waren die Auswirkungen der Anti-Springer-Kampagne? Zunächst konstatiert Jung die materiellen Schäden, die allein beim Westberliner Hauptsitz eine halbe Million DM betrugen. Des Weiteren habe die Kampagne dazu beigetragen, dass Axel Springer die „Zukunft des Konzerns neu bewertete“ (S. 298). Am 23. Juni 1968 trennte sich der Konzern von fünf Blättern, unter anderem von den Jugendzeitschriften Bravo und Twen. Er reagierte somit auf die auch jenseits der APO stärker werdende Kritik, dass die Zeitungen des Springer-Konzerns einen zu hohen Marktanteil hätten. Wichtigste Folge der gesamten Protestbewegung sei es gewesen, das Bewusstsein vieler Menschen neu ausgerichtet zu haben. In diesem Sinne sei „1968“ als eine „Wahrnehmungsrevolution“ (S. 311) zu betrachten.4 Im Hinblick auf die zurückliegenden Diskussionen um eine DDR-Lenkung der Anti-Springer-Kampagne konstatiert Jung, dass eine „starke Beeinflussung“ durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nicht erwiesen sei (S. 312). Die Kampagnen der APO hätten einen viel größeren Einfluss als die gleichzeitigen DDR-Kampagnen gehabt.

Dae Sung Jung hat eine detaillierte und faktenreiche Studie vorgelegt, die quellensatt die Geschichte der Anti-Springer-Kampagne nachzeichnet. Wie ein Chronist schildert er die zentralen Etappen. Dabei verschwindet die eigene Argumentation mitunter hinter den vielen Zitaten aus den Quellenmaterialien oder der Sekundärliteratur. Bei einem Thema wie „1968“ ist es nicht verwunderlich, dass man vieles bereits an anderer Stelle gelesen hat. Verdienst von Jung ist es, durch die umfassende Thematisierung von nichtstudentischen APO-Organisationen an den Facettenreichtum von „1968“ zu erinnern.

Anmerkungen:
1 Vergleiche zum Beispiel Jochen Staadt / Tobias Voigt / Stefan Wolle, Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner, Göttingen 2009, vergleiche die Rezension von Sabine Pamperrien, in: H-Soz-Kult, 24.03.2011, URL: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-14416 (25.05.2017).
2 Das Online-Archiv enthält im Wesentlichen rund 5.900 Beiträge von Zeitungen des Springer-Verlages aus den Jahren 1966–1968 zur Studentenbewegung; siehe: www.medienarchiv68.de (25.05.2017)
3 Gudrun Kruip, Das „Welt“-„Bild“ des Axel Springer Verlags. Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen, München 1999, S. 150.
4 Vergleiche zur „Wahrnehmungsrevolutionsthese“ auch Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.), „1968“ – Eine Wahrnehmungsrevolution? Horizont-Verschiebungen des Politischen in den 1960er und 1970 Jahren, München 2013.

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