L. Möller u.a. (Hrsg.): Die Entstehung der bayrischen Pfalz 1816

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Titel
„auf ewige Zeiten zugehören“. Die Entstehung der bayrischen Pfalz 1816


Herausgeber
Möller, Lenelotte; Rummel, Walter; Schlechter, Armin
Reihe
Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften
Erschienen
Ubstadt-Weiher 2016: Verlag Regionalkultur
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henning Türk, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Mit dem Münchner Vertrag vom 14. April 1816 trafen das Königreich Bayern und das Kaiserreich Österreich eine wichtige Gebietsabsprache. Bayern trat das Hausruck- und Innviertel sowie das ehemalige Herzogtum Salzburg an Österreich ab und erhielt dafür unter anderem einen Teil der ehemals französischen linksrheinischen Gebiete zugesprochen. Dieses Gebiet wurde zunächst als „baierische Lande am Rhein“ vom bayerischen Staat übernommen und erhielt 1817 den Namen „Rheinkreis“. Als im November 1837 die bayerische Regierung die Kreise nach vermeintlich historischen Landschaften umbenannte, erhielt das Gebiet den Namen „Pfalzkreis“.

Das 200jährige Jubiläum des Münchner Vertrages nahmen das Landesbibliothekszentrum in Speyer, das Landesarchiv Speyer und die Pfälzische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften zum Anlass, eine Ausstellung zu diesem Thema zu konzipieren, die in der Landesbibliothek zu sehen war. Im Zusammenhang mit dieser Ausstellung ist auch der hier zu besprechende Sammelband entstanden. Dieser besteht aus einem ersten Teil mit 13 Aufsätzen, in denen der Übergang der Pfalz an Bayern aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird. Im zweiten Teil, der als Ausstellungskatalog konzipiert ist, werden dann zentrale Dokumente und Protagonisten der Zeit dargestellt. Im Folgenden werde ich mich auf die Einordnung des ersten Teils konzentrieren.

Das wechselvolle Verhältnis der Pfalz zu Bayern ist zwar in einer längerfristigen Perspektive intensiv ausgeleuchtet worden, die Phase des Übergangs der Pfalz an Bayern spielte dabei jedoch nur eine geringe Rolle.1 Daher ist es das Verdienst der Autoren, ein zentrales Thema für die pfälzische Geschichte in den Blick zu nehmen, das seit den Forschungen Heiner Haans in den 1970er-Jahren keine vertiefte Analyse mehr erfahren hat.2

Der überwiegende Teil der Aufsätze behandelt politisch-administrative Aspekte. So stellt Gerhard Hetzer anschaulich dar, wie ungeschickt sich die bayerische Regierung in den Gebietsverhandlungen mit dem Kaiserreich Österreich verhielt. Sie musste daher auf ihre weitergehenden Ziele verzichten und letztendlich mit dem eher ungeliebten „Rheinkreis“ vorlieb nehmen, der über keine direkte Landverbindung zum rechtsrheinischen bayerischen Staatsgebiet verfügte. Die ambivalente Haltung der bayerischen Regierung gegenüber dem linksrheinischen Gebiet wird auch in Walter Rummels Aufsatz über die seit 1814 bestehende provisorische Verwaltung der ehemaligen französischen linksrheinischen Gebiete durch Preußen, Österreich und Bayern deutlich. Nach der Abtrennung des nördlich der Mosel liegenden Gebiets, das an Preußen fiel, bildeten Österreich und Bayern eine gemeinsame „Landesadministrationskommission“ für ihren Verwaltungsbereich. Rummel legt dar, wie dieses Gebiet, solange die Besitzverhältnisse ungeklärt waren, als „Besatzungsraum“ (S. 56) behandelt wurde und von den Verwaltern finanziell ausgebeutet wurde.

Die Frage, wie der „Rheinkreis“ in den bayerischen Gesamtstaat integriert werden sollte, war eine zentrale Frage der Übergangszeit. Sollte er nach bayerischem Recht verwaltet werden oder sein französisches Erbe bewahren? Hier beließ die bayerische Regierung, wie Walter Rummel in einem weiteren Aufsatz verdeutlicht, ihrem neuen linksrheinischen Gebiet die bestehenden französischen Einrichtungen. Im Anschluss an Haans Forschungen zeigt er auf, dass man sich von Seiten bayerischer Reformer, wie etwa Maximilan von Montgelas, von dem politisch fortschrittlichen neuen Kreis Rückwirkungen auf den bayerischen Gesamtstaat erhoffte. Aus diesem Grund, aber auch aus pragmatischen Gründen, sicherte der bayerische König dem neuen Kreis den Fortbestand der französischen Reformen zu. Unter anderem blieben dadurch die Feudalrechte abgeschafft. Auch wirtschaftlich-soziale Reformen wie etwa die Gewerbefreiheit wurden nicht angetastet. Nach dem Sturz Montgelas’ und des bisherigen Generalkommissärs des Rheinkreises Franz Xaver von Zwackh 1817 blieb das Reformpotential durch die bayerische Regierung allerdings ungenutzt.

Der von Walter Rummel eher allgemein geschilderte Umgang mit dem französischen Erbe wird in einigen Aufsätzen dann weiter konkretisiert. Ulrich Burkhart nimmt dafür eine zentrale „rheinische Institution“ in den Blick, den Landrat des Rheinkreises.3 Dieser fungierte vor allem als Beratungsgremium der Kreisregierung und konnte Wünsche der Pfälzer auch direkt an den König adressieren. Wie Burkhardt verdeutlicht, ist der französische Generalrat, trotz seiner Bedeutungslosigkeit, durchaus als Vorläufer des Landrats anzusehen. Mit der Übertragung des Landrats auf die anderen bayerischen Kreise 1828 änderte sich jedoch für den „Rheinkreis“ die Zusammensetzung. Während er zunächst als reines Gremium des Wirtschaftsbürgertums fungiert hatte, wurde er seitdem auf ständischer Basis gewählt. Anschließend zeigt Lenelotte Müller in einem prosopographischen Aufsatz über die leitenden Regierungs- und Gerichtsbeamten des Rheinkreises zwischen 1816 und 1818, dass die bayerische Regierung auch im Personalbereich zunächst auf Kontinuität setzte.

Auch die Herrschaftsrepräsentation und die publizistischen Diskussionen über die politischen Entwicklungen im Rheinkreis werden in dem Sammelband in den Blick genommen. In seinem Aufsatz über die Repräsentation der bayerischen Herrschaft bleibt Franz Maier allerdings auf halbem Weg stehen. Anstatt konsequent die im ersten Teil seines Aufsatzes geschilderten performativen Aspekte der Regierungsübernahme zu analysieren und damit einen bisher wenig beachteten Aspekt der Machtübernahme zu beleuchten, widmet er sich in den anschließenden Abschnitten den Diskussionen über die Verwaltungsorganisation und die Rückkehr zu alten Maßen, Gewichten und Währungen. Dagegen beleuchtet Armin Schlechter die publizistischen Äußerungen in der Pfalz über die neuen bayerischen Machthaber zwischen 1815 und 1832. Hier erkennt Schlechter einerseits eine unkritische Panegyrik auf die bayerischen Könige. Andererseits kann er eine zunehmend positive Würdigung der napoleonischen Zeit herausarbeiten, die der Kritik an der bayerischen Regierung diente.

Im Anschluss an die politisch-administrativen Themen folgen zwei knappe Überblicksaufsätze über die Bedeutung der bayerischen Herrschaft für die beiden Konfessionen, welche die bisherige Forschung zusammenfassen. Auf katholischer Seite war vor allem die zwischen 1817 und 1821 erfolgte Neugründung des Bistums Speyer zentral, das sich mit dem bayerischen Rheinkreis deckte. Dagegen stand auf evangelischer Seite die 1819 erfolgte Union der verschiedenen Glaubensrichtungen zur „protestantisch-evangelischen-christlichen Kirche“ im Vordergrund.

Zwei abschließende Aufsätze widmen sich der Kultur- beziehungsweise der Geschichtspolitik. Ludger Tekampe beleuchtet durchaus kritisch, dass der bayerische König außer Vorzeigeprojekten wie etwa der Erneuerung des Speyerer Domes oder dem Bau der Villa Ludwigshöhe wenig für die Pfalz getan habe, zumal die Finanzierung dieser Projekte zwar aus der Privatschatulle des Königs gestammt habe, diese aber letztendlich mit Steuermitteln gefüllt worden sei. Armin Schlechter geht anschließend auf das Pfalz-Jubiläum von 1916 ein. An eine große Inszenierung war in Kriegszeiten nicht zu denken. Dafür boomte die Geschichtsschreibung zum pfälzisch-bayerischen Verhältnis. Diese sei, so Schlechters Fazit, bis auf wenige Ausnahmen königstreu und, für die Zeit wenig überraschend, frankreichfeindlich gewesen.

Insgesamt erhält der Leser mit diesem Sammelband eine solide Einführung in die verschiedenen Aspekte der Übernahme des späteren Pfalzkreises durch Bayern, wobei forschungsorientierte Aufsätze neben knappen Überblicksaufsätzen stehen. Auf diese Weise bietet sich der Sammelband als Ausgangspunkt für zukünftige Forschungen an. Dabei sollte man allerdings, wie insbesondere Walter Rummel es in seinen Beiträgen tut, über den Pfalzkreis hinausschauen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. So hatte eben nicht nur Bayern mit der Integration ehemals französischer Gebiete zu kämpfen, sondern auch Preußen mit „Rheinpreußen“ oder das Großherzogtum Hessen mit der Integration „Rheinhessens“. Bereits Heiner Haan hat in seiner Quellensammlung darauf hingewiesen, dass sich in den Akten der Kreisregierung in Speyer auch Abschriften der preußischen Kabinettsorders für die Etablierung der Verwaltung in der Rheinprovinz befinden. Offensichtlich schaute man sich in Speyer genau an, wie die Integration der Nachbargebiete in die neuen Herrschaftsräume stattfand. Es wäre daher zukünftig hilfreich, nicht immer nur den bayerisch-pfälzischen Fall zu untersuchen, sondern diesen zu vergleichen und einzuordnen. Damit könnte man die Gemeinsamkeiten und Spezifika der jeweiligen Integrationsleistungen präziser als bisher ausloten.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu u.a. Hans Fenske (Hrsg.), Die Pfalz und Bayern 1816–1956 (= Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften 64), Speyer 1998; Karsten Ruppert (Hrsg.), Wittelsbach, Bayern und die Pfalz: das letzte Jahrhundert (= Historische Forschungen 115), Berlin 2016
2 Siehe hierzu vor allem die Quellenedition Heiner Haan (Hrsg.), Hauptstaat – Nebenstaat. Briefe und Akten zum Anschluß der Pfalz an Bayern 1815/1817, Koblenz 1977; Ein zentrales früheres Werk ist Adam Sahrmann, Pfalz oder Salzburg? Geschichte des territorialen Ausgleichs zwischen Bayern und Österreich von 1813 bis 1819 (= Historische Bibliothek 47), München 1921.
3 Als Nachfolgeorganisation des Landrats feierte der Bezirkstag der Pfalz vor kurzem sein 200jähriges Jubiläum. Auch dazu erschien ein Jubiläumsband: Ulrich Burkhart (Hrsg.), 1816–2016. 200 Jahre Bezirkstag Pfalz, Kaiserslautern 2016.

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