C. Weikert: Von Jerusalem zu Aelia Capitolina

Cover
Titel
Von Jerusalem zu Aelia Capitolina. Die römische Politik gegenüber den Juden von Vespasian bis Hadrian


Autor(en)
Weikert, Christopher
Reihe
Hypomnemata 200
Erschienen
Göttingen 2016: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
425 S., 1 Karte
Preis
€ 100,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ernst Baltrusch, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Nahezu 100 Jahre lang, von 38 bis 135 n.Chr., tobten jüdisch-römische Kriege in Palästina und in der Diaspora, die gewaltige Kriegsopfer und Verwüstungen mit sich brachten. Es war dies die Zeit der Etablierung des römischen Prinzipats, einer monarchischen Ordnung, die sich als Rechtsordnung verstand und die Beziehungen zwischen Provinzen und Zentrale auf eine gegenüber der republikanischen Zeit neue und sichere Basis zu stellen gedachte. Im Verhältnis zu den Juden ist dieser Versuch gescheitert; am Ende stand das römische Verbot für Juden, Jerusalem zu betreten. Die althistorische Erforschung jedes einzelnen dieser Kriege – der Pogrome in Alexandria im Jahre 38, des großen Jüdischen Krieges 66–70, des Diasporaaufstandes unter Trajan 115–117 und des Bar-Kochba-Aufstandes unter Hadrian 132–135 – hat in den letzten Jahrzehnten ungeheure Fortschritte gemacht; das gilt insbesondere für den Bar-Kochba-Aufstand. Aber eine befriedigende historische Erklärung für die Tatsache an sich, nämlich dass das Jahrhundert für die jüdisch-römischen Beziehungen so konfliktreich, gewalttätig, blutig war, ist noch nicht gelungen. Obwohl die vorliegende Dissertation von Christopher Weikert die gesamte Epoche in den Blick nimmt, ist ihre Zielsetzung deutlich bescheidener, nämlich „die Auswirkungen der flavischen Herrschaft auf das römisch-jüdische Verhältnis vom Ende des Jüdischen Krieges im Jahr 70 bis zum Ende des Bar Kochba-Aufstandes zu analysieren“ (S. 21). Das ist für eine Dissertation verständlich, zumal eine althistorische. Referenzpunkte des Buches sind die großen Würfe von Seth Schwartz (2001) und Martin Goodmann (2007), Weikert kommt aber zu anderen Ergebnissen.

Weikert hat sich zu Recht auf die römische Perspektive der Konflikte konzentriert, und hier liegen auch die Stärken der Arbeit. Der Aufbau der Arbeit orientiert sich an der römischen Politik. Weikert gliedert nicht nach den jüdischen Aufständen, sondern nach den römischen Herrschern: Der erste Teil behandelt die Flavier (S. 35–166), der zweite, kürzere Nerva und Trajan (S. 167–212) und der dritte Hadrian (S. 213–342). Diese Gliederung ist übersichtlich und angesichts der Zielsetzung konsequent. Weikert geht es darum, herauszuarbeiten, wie sich angesichts der Aufstände der Juden in der Provinz und der Diaspora die römische Einstellung den Juden gegenüber positionierte. Dabei unterscheidet er drei Ebenen römischer Politik: in der Zentrale, den Provinzen und den Städten. Der Kern des Buches befasst sich mit der Reichspolitik. Folgerichtig stellt Weikert den großen Jüdischen Aufständen immer Kapitel voran, die die jeweiligen Kaiser in den Blick nehmen: Welche Schwerpunkte setzten die einzelnen Kaiser? Passt Judenfeindschaft zum Profil des Kaisers? Veränderte sich die römische Politik im Laufe des Jahrhunderts gegenüber den Juden? Differenzierten die Römer zwischen aufständischen und unbeteiligten Juden? Gab es so etwas wie einen römischen Antisemitismus, wie man vielleicht dem Judenexkurs des Tacitus in den Historien entnehmen könnte? Diesen und verwandten Fragen geht Weikert im Allgemeinen sehr gründlich und kompetent nach, und er kommt zu differenzierten, fast immer gut begründeten, wenn auch angesichts der Quellenlage nicht gesicherten Ergebnissen.

Vieles ist bekannt, insbesondere was die kaiserliche Politik generell angeht. Die Ergebnisse des Buches lassen sich in Kürze so zusammenfassen: Die Kaiser waren ausschließlich an Ruhe und Ordnung, aber nicht an der Ausgrenzung von Untertanengruppen interessiert. Man hüte sich deshalb vor allgemeinen Aussagen etwa zu einer zunehmenden umfassenden antijüdischen Politik der Römer. Eine solche habe es nicht einmal in der Zeit der Aufstände gegeben. Jede einzelne Maßnahme, Handlung und Gegenreaktion habe konkrete, in der jeweiligen Situation begründete Ursachen gehabt. Judenverfolgungen habe es nicht einmal unter Domitian gegeben, die Rechtslage der augusteischen Zeit sei immer gewahrt geblieben. Konflikte habe es aber auf provinzialer und lokaler Ebene gegeben. Die Argumentation ist durchgehend abgewogen und umfassend an den Quellen orientiert. Sehr gründlich und überzeugend ist beispielsweise die Analyse der Politik Hadrians vor und während des Bar Kochba-Aufstandes, und so halte ich diesen Teil für das Prunkstück der Arbeit. Immer vorsichtig argumentierend wird die Politik Hadrians nach dem Diaspora-Aufstand und im Vorfeld des palästinischen Aufstandes 15 Jahre später auf der Basis einer verstreuten und schwierigen Quellenlage und der modernen Forschung sehr kenntnisreich und immer nachvollziehbar diskutiert und analysiert. Das betrifft auch die Überlegungen zur Aelia Capitolina und zum Beschneidungsverbot als möglichen Anlässen des Aufstandes.

Es liegt in der Natur einer Rezension, dass die vielen Stärken eines Buches nur summarisch genannt und die Schwächen ausführlicher thematisiert werden; meine Bemerkungen sind daher auch eher als Anregungen zu verstehen und beeinträchtigen in keiner Weise den Wert des Buches. Der flavische Teil ist meines Erachtens am wenigsten gelungen – aus verschiedenen Gründen: Weikert vertritt auch hier seine Hauptthese, dass Rom keine antijüdische Politik verfolgte, sondern lediglich regional auf Unruhen reagierte; die Thesen von Martin Goodmann, der den Flaviern aus innenpolitischen Gründen eine Hinwendung zur Judenfeindschaft zuweist, lehnt er ab. Dieser Grundtendenz des Buches, die Weikert konsequent bis Hadrian durchhält, scheinen allerdings römische politische Entscheidungen wie der fiscus Iudaicus und insbesondere die Haltung römischer Eliten, wie sie sich im Tacitus-Exkurs spiegelt, zu widersprechen. Die Analysen zu diesen Bereichen sind weniger überzeugend. Die offen judenfeindlichen Äußerungen des Tacitus, die – anders als Weikert meint – den Geruch des neuzeitlichen Antisemitismus atmen und weit über den religiösen Antijudaismus hinausgehen, werden durch eine nicht sehr tiefgehende Textanalyse abgeschwächt und eher verharmlost. Schwächen bei der philologischen Textinterpretation zeigen sich auch bei der insgesamt unzureichenden Analyse etwa von Esra 4 (und anderen schwierigen jüdischen Texten) sowie vor allem der josephischen Texte. Diese sind aber für die Interpretation des Jüdischen Krieges und der flavischen Politik von zentraler Bedeutung. Josephus ist das A und O jeder Betrachtung des ersten Jüdischen Krieges und überhaupt der jüdisch-römischen Beziehungen; man kann dies nicht auf fünf Seiten leisten (S. 149–154). Josephus ist zudem für die Arbeit über Judenfeindschaft von größter Bedeutung. Die Ausführungen zur römischen und griechischen Haltung in dieser Frage sind eher oberflächlich.

Insgesamt aber ist das Buch außerordentlich hilfreich und führt zum ersten Mal aus römischer Perspektive die großen drei Aufstände zwischen 70 und 135 zusammen (die Pogrome in Alexandria werden nicht behandelt). Die Ergebnisse müssen nicht jeden überzeugen, aber sie sind immer nachvollziehbar entwickelt und begründet, die Quellen- und Literaturkenntnis ist beachtlich. Mit dieser Dissertation hat Weikert eine solide Visitenkarte abgeliefert.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension